Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Evangelisches Pflegeheim Bruggen<br />
«Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der<br />
Schwachen.»<br />
Präambel Bundesverfassung der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft<br />
Aus dem Jahresbericht 2009<br />
Schwach kann auch reich sein<br />
Im Leitbild des Vereins Evangelische Pflegeheime<br />
St.Gallen kommt die hohe Wertehaltung gegenüber<br />
den Bewohnerinnen und Bewohnern zum<br />
Ausdruck. Dies zum Beispiel mit dem Satz, dass es<br />
uns wichtig ist, die Bewohner/innen als eigenständige,<br />
mitbestimmende und mündige Menschen zu<br />
respektieren. Der Schritt in ein Pflegeheim ist nicht<br />
einfach, meist aber wegen körperlicher, geistiger<br />
oder sozialer «Schwäche» notwendig.<br />
Schwäche ist ein Begriff. So kann neben allgemeiner<br />
Kraftlosigkeit auch Augenschwäche, Gedächtnisschwäche,<br />
Herzschwäche usw. verstanden werden.<br />
Allein schon auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein<br />
oder nicht so attraktiv auszusehen, wird manchmal<br />
bereits als Schwäche bezeichnet. Auch charakterliche<br />
und moralische Unzulänglichkeiten, nachteilige<br />
menschliche Eigenschaften oder besondere Vorlieben<br />
gelten als Schwächen.<br />
Darum bin ich um die Einleitung der Bundesverfassung<br />
und für unser Leitbild dankbar. Darin kommt<br />
die Würde des Menschen klar zum Ausdruck. Im<br />
christlichen Sinn gesprochen, ist nicht nur jeder<br />
Mensch würdig, sondern gar Ebenbild Gottes. In<br />
der alten Zwingli-Bibel wird in Johannes 14,16 unter<br />
«Beistand» «ein zur Hilfe Herbei gerufener» (im<br />
griechischen Grundtext «Paraklet») verstanden.<br />
Oft stelle ich fest, wie schön es ist, wenn es gar<br />
«Herbei berufene» sind. Die Einzigartigkeit des Einzelnen<br />
wird stark gewichtet. So gesehen, kann eine<br />
Schwäche plötzlich zu einer grossen Stärke werden.<br />
Aus Erfahrung weiss ich, dass es falsch ist, Schwäche<br />
mit Armut und Stärke mit Reichtum zu verbinden.<br />
So wie nicht jeder reiche Mensch schwach ist, ist<br />
auch nicht jeder schwache Mensch arm.<br />
Mehr als 33 Jahre bin ich nun in verschiedenen Funktionen<br />
im Heimbereich tätig. Seit bald 21 Jahren<br />
darf ich den Beruf des Heimleiters ausüben, davon<br />
15 Jahre im Evangelischen Pflegeheim Bruggen.<br />
In diesen Jahren durfte ich immer wieder Stärken<br />
von Bewohnerinnen und Bewohnern erfahren. Ein<br />
paar Beispiele aus meinem Heimleben, warum für<br />
mich Schwäche Stärke sein kann, will ich in diesem<br />
Jahresbericht wiedergeben:<br />
Einmal besuchte ich eine im Sterben liegende Bewohnerin,<br />
eine besondere, einzigartige Frau, die<br />
auch jetzt Stärke zeigte. Ich war etwas hilflos, wusste<br />
nicht, was ich ihr in dieser (für mich?) schwierigen Situation<br />
sagen sollte. Gesegnet und glücklich bin ich<br />
aus dem Zimmer gegangen. Jeder Abschied ist ein<br />
Anfang, dies gilt ebenfalls für den Tod; dessen bin<br />
ich aus vielen Erlebnissen überzeugt.<br />
Oft und gerne denke ich an Bewohner/innen<br />
zurück, so an zwei mit niederschmetternden<br />
Diagnosen, eine, meist im Bett, eine oft im Rollstuhl<br />
und mit Sauerstoff auf dem Gartensitzplatz. Beide<br />
hatten eine Ausstrahlung, eine Zufriedenheit und<br />
ein Lächeln auf dem Gesicht, welche wohltuend und<br />
ansteckend waren.<br />
Eine Bewohnerin wohnte sehr viele Jahre im Heim,<br />
musste ihre Zeit meist im Bett verbringen, wurde oft<br />
37