4 - Kulturnews
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10 musik // Country<br />
Steve Earle<br />
Überleben ist die<br />
bessere Lösung<br />
US-Songwriter Steve Earle (56) verpackt seinen Weltschmerz<br />
in lässigen Countryrock – und orientiert sich dabei an einem<br />
Vorgänger, der nur 29 wurde.<br />
kulturnews: Mr. Earle, Ihr neues Album ist stark countrylastig. Kommt das<br />
automatisch dabei heraus, wenn man seine Songs von jemandem wie T-<br />
Bone Burnett produzieren lässt - oder war das ohnehin Ihre Absicht?<br />
Steve Earle: Es war auf jeden Fall meine Absicht, mit T-Bone und seinen Musikern<br />
zu arbeiten. Und „Country“ … Ich weiß nicht, ob man’s so nennen<br />
kann. Wir haben zwar eine Pedalsteel und eine Fiedel dabei, aber ich glaube,<br />
in Europa wird darunter etwas anderes verstanden als hier. Wenn ich hier<br />
Countrysender einschalte, hört sich das kein bisschen wie mein Album an.<br />
kulturnews: Immerhin macht Ihr vertrautes Instrument, die E-Gitarre, auf den<br />
neuen Songs Pause.<br />
Earle: Mich interessieren zur Zeit einfach andere Saiteninstrumente mehr,<br />
auch Sachen wie Mandolinen und Bouzoukis. Ich sammle Gitarren; das Hobby<br />
habe ich mir zugelegt, seit ich mit den Drogen aufgehört habe.<br />
kulturnews: So sehr, wie Sie in der Kultur des amerikanischen Südens verwurzelt<br />
sind, verwundert es nicht, dass so viele Songs von klassischen Bluesthemen<br />
wie Verlust und Einsamkeit erzählen.<br />
Earle: Vor allem erzählen die neuen Songs aber vom Tod. Darum geht es mir,<br />
allerdings nicht auf morbide Art und Weise.<br />
kulturnews: Ihre Tradition politisch aufgeladener Songs setzt sich aber ebenfalls<br />
fort, etwa auf „The Gulf of Mexico“, das die Ölkatastrophe behandelt.<br />
Earle: Auch „Little Emperor“ ist ein politischer Kommentar. Aber ich habe<br />
Platten gemacht, die deutlich politischer waren als diese hier – gerade in der<br />
Zeit, als die führenden Politiker meines Landes meinten, es sei eine gute Idee,<br />
kulturnews 5/11<br />
die ganze restliche Welt zu erobern. Ich halte mich für keinen politischen<br />
Songwriter, ich bin kein Phil Ochs und auch kein Billy Bragg, ich finde nur,<br />
dass man diese Art Songs nicht von der anderen trennen kann.<br />
kulturnews: Bei manchen Themen sicher nicht – ein Song wie „This City“, eine<br />
Hymne auf New Orleans, ist ja allein durch den fortdauernden Skandal,<br />
wie langsam es mit dem Wiederaufbau nach dem Hurrikan Katrina voran<br />
geht, politisch.<br />
Earle: „This City“ ist auch der einzige Song, den T-Bone und ich vor Ort in<br />
New Orleans statt in Los Angeles aufgenommen haben – man hätte es nirgendwo<br />
anders machen können. Und es stimmt: Katrina und die Ölpest sind<br />
beherrschende Themen, auch für mich ganz persönlich. Ich habe live mitbekommen,<br />
wie damals die Stadt verwüstet wurde, und den Heimatort meiner<br />
Frau, Mobile in Alabama, hat die Ölpest stark getroffen.<br />
kulturnews: Sie haben parallel zum Album auch ein anderes Langzeitprojekt<br />
vollendet: ihren ersten Roman, der wie das Album heißt und von einem<br />
Quacksalber handelt, der Hank Williams’ letzter Arzt war – und wohl auch<br />
mitschuldig an seinem Tod. Wie kamen Sie auf Williams als Romanthema?<br />
Earle: Es ist einfach eine faszinierende Lebensgeschichte, und er ist natürlich<br />
ein wichtiger Bezugspunkt für uns alle als Songwriter. Ich habe Townes<br />
Van Zandt kennen gelernt, eine Zeit mit Bob Dylan herumgehangen, und ich<br />
vermute mal, wenn ich 20 Jahre älter wäre, wäre ich auch Hank Williams<br />
begegnet.<br />
kulturnews: Was wäre denn wohl bei einem Treffen zwischen Ihnen und<br />
Hank Williams herausgekommen?<br />
Earle: Wer weiß? Williams war Alkoholiker, die sind schwer vorhersehbar und<br />
schwer unter Kontrolle zu halten. Ich sage nicht, dass er ein besserer Musiker<br />
war, weil er Alkoholiker war, aber ob er wirklich ein noch besserer gewesen<br />
wäre, wenn er nicht getrunken hätte? Es ist leicht zu spekulieren, was<br />
für geniale Songs entstanden wären, wenn Kurt Cobain und Jimi Hendrix<br />
nicht so früh gestorben wären. Ich kann nur sagen: Ich war drogenabhängig<br />
und bin nicht gestorben, und ich finde das für mich die bessere Lösung.<br />
kulturnews: Umso mehr, als Sie wieder Vater geworden sind und ihr jüngster<br />
Sohn gerade erst seinen ersten Geburtstag hatte?<br />
Earle: Ich bin nicht besessen von der Idee, unsterblich zu sein. Es geht einfach<br />
darum, sich so gut wie möglich mit der Tatsache abzufinden, dass man<br />
irgendwann nicht mehr da sein wird.<br />
Interview: Rolf von der Reith<br />
I’ll never get out of this World alive ist Ende April erschienen.<br />
Foto: WMG