Ausgabe 1203.pdf - Theater-Zytig
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06<br />
Vorhang auf 1203 | Crossover<br />
eigentlich keinen einzigen Helden gibt.<br />
Der Held ist das Volk, die Gruppe, das<br />
Dorf, nicht der oder die Einzelne. Das ist<br />
eine tolle Chance für ein grosses Ensemble.<br />
ThZ: Für die mitmachenden Mitglieder<br />
von Zentralschweizer <strong>Theater</strong>gruppen<br />
ist dies neben dem Experiment und der<br />
Erfahrung sicher auch eine Art persönliche<br />
Weiterbildung. Haben Sie Beispiele,<br />
dass die Zusammenarbeit auch für die<br />
Profis befruchtend ist?<br />
AH: Absolut! Wir lernen in jeder Probe<br />
voneinander. Bei unseren Amateuren gibt<br />
es Menschen, die seit über 50 Jahren <strong>Theater</strong><br />
spielen. Das muss man als professioneller<br />
Schauspieler erst mal schaffen. Aber<br />
natürlich gibt es auch Unterschiede. Das<br />
Wort «Amateur» kommt ja vom lateinischen<br />
Wort «amare». Amateure sind also<br />
die, die das aus Liebe tun. Das trifft zwar<br />
sicher auch auf die allermeisten Profi-<br />
Schauspieler zu. Trotzdem ist die riesige<br />
Begeisterung der «Laien» ein Aspekt, der<br />
das ganze Team und Ensemble befruchtet.<br />
ThZ: Abgesehen davon, dass Proben während<br />
des Tages für Leute, die in anderen<br />
Bereichen berufstätig sind, schwierig oder<br />
gar unmöglich sein dürften. Worauf achten<br />
Sie bei der Probenarbeit mit einem<br />
Ensemble von solch heterogener Zusammensetzung?<br />
AH: In der Inszenierung haben wir nicht<br />
versucht, das heterogene Ensemble zu<br />
«synchronisieren». Es sollen nicht alle<br />
gleich sprechen oder spielen; denn jede<br />
und jeder bringt einen spezifischen <strong>Theater</strong>hintergrund<br />
mit, jeder eine spezifische<br />
Spielweise, eine besondere Dialektfärbung,<br />
und so weiter. Ein grosser Anteil der Arbeit<br />
bestand darin, sich gegenseitig kennen zu<br />
lernen; die Stärken und Erfahrungen der<br />
einzelnen Spieler aufzuspüren, alle diese<br />
«Hintergründe» ernst zu nehmen. Denn<br />
in dieser Vielfalt der Charaktere liegt die<br />
Stärke eines solchen Unterfangens – und<br />
die Stärke von Valle-Incláns Stück. Alle<br />
gleich zu machen wäre mir langweilig und<br />
sinnlos vorgekommen.<br />
ThZ: Gab es während der Proben Situationen,<br />
mit denen Sie nicht gerechnet<br />
hatten?<br />
AH: Ja, bei jeder – viel zu viele, als dass<br />
ich sie aufzählen könnte. Denn ich bin<br />
nicht mit einem Master-Plan im Kopf in<br />
dieses auch für uns sehr ungewöhnliche<br />
Projekt gestartet. Stattdessen haben wir<br />
uns gemeinsam mit dem Ensemble und<br />
mit dem musikalischen Leiter Alan Bern<br />
langsam dem Text und der Musikalität<br />
der Inclánschen Welt angenähert. Und<br />
aus diesem Prozess sind hunderte schöne<br />
Begegnungen und Entdeckungen entstanden.<br />
Im Moment stecken wir mitten<br />
drin in der Probenarbeit und steuern mit<br />
grossem Tempo auf die Endproben zu. Da<br />
gibt es jeden Tag Überraschungen.<br />
ThZ: Das Volkstheater der Zentralschweiz<br />
wurde soeben für die Liste der UNESCO<br />
des immateriellen Kulturgutes der<br />
Schweiz vorgeschlagen. Worin liegen Ihrer<br />
Meinung nach die Stärken des Volkstheaters?<br />
AH: In der Innerschweiz liegt diese Stärke<br />
eindeutig in der überragenden Akzeptanz<br />
und Vielfalt der Szene. Hier wird<br />
ja – gerade jetzt im Januar und Februar<br />
– überall <strong>Theater</strong> gespielt: vor vollen Häusern,<br />
mit riesengrosser Liebe zum Detail<br />
und mit grossem Spass an der Sache.<br />
Daran sieht man, dass dieses «Weltkulturerbe»<br />
nichts Museales hat, sondern ein<br />
lebendiger Bestandteil des Kulturlebens ist<br />
– gerade in den kulturell oft vernachlässigten<br />
ländlichen Regionen.<br />
Es ist zu hoffen, dass solche Projekte<br />
Nachahmer finden, denn sie helfen mit,<br />
das Verständnis für Kultur auch in den<br />
ländlichen Gebieten zu steigern und vermögen<br />
so vielleicht eine Front im immer<br />
stärker werdenden Stadt-Land-Konflikt<br />
etwas aufzuweichen.<br />
Auf der folgenden Seite finden Sie drei<br />
Erfahrungsberichte von an diesem Profiprojekt<br />
beteiligten LaienspielerInnen.<br />
illustrationen: aus der deutschen Übersetzung<br />
Folgende Laienspielenden spielen in den angegebenen Rollen mit: Alan Bern | Akkordeonspieler, Christian Eberli | Schlaukopf Quintin,<br />
Roland Graf | Soldat, Antoinette Eveline Graf-Groff | Eine andere Nachbarin, Jakob Grünenfelder | Vater, Alma Herrmann | Kranke Tochter,<br />
Paula Herrmann | Schwangere, Jürg Huber | Serenin de Bretal, Elmar Hürlimann | Limonadenverkäufer, Renata Kälin | Eine Nachbarin, Ephanie<br />
Koch | Benita, Agnes Köpfli | Alte, Karl Köpfli | Ein Zivilgardist, Sylvie Kohler | Poca Rena/Junge Frau, Ludwig Krummenacher | Dorfschulze,<br />
Mariella Pfyffer | Juana La Reina/Wirtfrau, Erwin Reinhard Milon | ein Zivilgardist, Edith Walthert Kramis | Ludovina, Cecile Zwyssig | Mutter