Praxishefte • Band 4 Gesunde Kinder – gleiche Chancen für alle?
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Teil II. <strong>Kinder</strong> und Jugendliche <strong>–</strong> die wichtigste Zielgruppe<br />
„So meistens will ich das gar nicht lösen. Da versuch ich irgendwie auf andere Gedanken zu<br />
kommen, ich verdräng das, oder so. <strong>–</strong> Wie schaffst du das? <strong>–</strong> Das ist natürlich nicht leicht, wenn<br />
es etwas Größeres ist, aber ich weiß nicht, ich denk dann einfach an irgendwas anderes, beschäftige<br />
mich mit Sachen, die ich sonst gern mach. Und dann will ich das vergessen.“<br />
Auch hier begegnet das Kind seinen Schwierigkeiten mit dem Rückzug auf sich selbst und<br />
auf eigene Ressourcen, auch wenn es damit letztlich überfordert ist. Angst vor Stigmatisierung,<br />
Verleugnung der eigenen Situation vor sich selbst und anderen und Rückzug oder Abbruch von<br />
Kontakten führen jedoch in die soziale Isolation mit fatalen Folgen <strong>für</strong> die weitere Alltagsorganisation.<br />
Armut erhöht das Risiko von <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen, krank zu werden, sich psychisch<br />
nicht wohlzufühlen, auf schlechte soziale Integration und nur mäßige Erfolge in der Schule zu<br />
haben. Und dennoch gibt es zahlreiche arme <strong>Kinder</strong>, die hier keine Auffälligkeiten zeigen. In deren<br />
Umfeld sind schützende Faktoren zu finden, die Defizite und Unterversorgung aus<strong>gleiche</strong>n<br />
(Krappmann 2000).<br />
Insbesondere die Unterstützung von seiten der Eltern hat einen positiven Effekt auf die Entwicklung<br />
der <strong>Kinder</strong>, ebenso wie ein förderliches Schulklima (Walper 1995; Rutter 1998; Hölscher<br />
2001). Andere Faktoren, die eine erhebliche Rolle spielen, sind das Geschlecht und das Alter,<br />
in dem die Unterversorgungslage eintritt. Im Kindesalter können betroffene Mädchen eher<br />
auf Ressourcen im näheren Umfeld zurückgreifen als Jungen, denen in diesem Alter generell eine<br />
erhöhte Verwundbarkeit zugesprochen wird. Eine große Rolle spielt dabei die Fähigkeit der<br />
Mädchen, sich gegenseitig zu unterstützen, Freundschaften einzugehen. Eine enge emotionale<br />
Verbundenheit der Mädchen mit der Mutter wirkt sich ebenfalls positiv aus, wenn es darum<br />
geht, hinreichende Freundschaftsnetzwerke aufzubauen (Rutter 1998; Elder/Caspi 1991; Richter<br />
2000).<br />
Diese Fähigkeit wird bereits im Kindesalter ausgebildet und bedarf der Förderung. Es ist zu<br />
vermuten, dass sich ein Defizit in diesem Bereich <strong>für</strong> die Jungen im weiteren Lebensverlauf negativ<br />
auswirkt (Keupp 1987; Walper 1995; Nestmann 1992). Sozial benachteiligte Jungen nehmen<br />
Freundschaftskontakte weniger engagiert wahr, ziehen sich schneller zurück und gehen von<br />
einer negativeren Selbsteinschätzung aus. Außerdem sind sie im Vergleich zu gleichaltrigen Jungen<br />
aus besser gestellten Familien seltener in Sport- oder anderen Vereinen engagiert und fühlen<br />
sich selbst weniger fähig zur Lösung von Konflikten.<br />
Mädchen weisen im Vergleich zu Jungen eher im jugendlichen Alter eine erhöhte Verwundbarkeit<br />
auf. Sie leiden dann mehr unter dem Gefühl, nicht mithalten zu können, und haben wenig<br />
Selbstvertrauen (Hölscher 2001). Sie haben seltener eine beste Freundin oder einen besten<br />
Freund. Zwar sind sie genauso oft Mitglied einer Clique wie andere Mädchen, sie verbringen<br />
aber weniger Zeit mit ihrer Clique. Es ist anzunehmen, dass in dieser Lebensphase die durch die<br />
Armut bedingte Belastung und eine entwicklungsbedingte Verwundbarkeit zusammentreffen.<br />
Auch auf eine angespannte Atmosphäre im Elternhaus reagieren Mädchen in diesem Alter<br />
sensibler. Jungen sind oft nicht mehr so stark an das Elternhaus gebunden, leiden daher weniger<br />
unter dieser Familienatmosphäre bzw. suchen mehr Anschluss an Gleichaltrige. Für beide<br />
Geschlechter gilt, dass insbesondere ein bester Freund/eine beste Freundin und die Zugehörigkeit<br />
zu einer größeren Freundschaftsgruppe positive Auswirkungen hat (Ulich 1988; Elder/Caspi<br />
1991; Walper 1995; Richter 2000; Hölscher 2001).<br />
Rückzug = Isolation<br />
Schützende Prozesse<br />
Negatives Selbstbild<br />
besonders bei Jungen<br />
43<br />
Mädchen besonders im Jugendalter<br />
verwundbar