Wer rettet unsere Söhne?Wie retten wir unsere Söhne?Zur Leistungskrise <strong>der</strong> Jungen –und was <strong>Bürgerstiftungen</strong> dagegenunternehmen könnenProf. Dr. Christian Pfeiffer56Zwischen dem 26. April und dem 03. Juni2012 konnte ich mit dem Fahrrad 36 <strong>Bürgerstiftungen</strong>besuchen – von Wismar bis Münchenund zum Schluss <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Anliegen <strong>der</strong> Tourwar es, an möglichst vielen Zielorten zum obigenThema e<strong>in</strong>en Vortrag zu halten und so dieZuhörer über das zu <strong>in</strong>formieren, was <strong>Bürgerstiftungen</strong>gegen die Leistungskrise <strong>der</strong> männlichenJugendlichen unternehmen können.Von 100 Sitzenbleibern s<strong>in</strong>d heute im Durchschnitt<strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong> 61 männlich und 39weiblich. In H<strong>in</strong>blick auf Schulabbrecher ergebendie Schulstatistiken dasselbe Bild. Die Mädchenliegen dagegen schon bei <strong>der</strong> Schullaufbahnempfehlungfür das Gymnasium mit 54 zu46 klar vor den Jungen. Beim Abitur dom<strong>in</strong>ierendie jungen Frauen mit 56 zu 44 und beim Mediz<strong>in</strong>studium,das e<strong>in</strong>en Abiturdurchschnitt von1,5 voraussetzt, beträgt <strong>der</strong> Frauenanteil im erstenSemester <strong>in</strong>zwischen 67 Prozent.1990 boten die Statistiken noch e<strong>in</strong> völligan<strong>der</strong>es Bild. Damals waren die Jungen beimSitzenbleiben und Schulabbrechen nur ger<strong>in</strong>gfügigüberrepräsentiert. Zur SchullaufbahnempfehlungGymnasium wie auch zum Abitur zeigtesich im Vergleich <strong>der</strong> Geschlechter noch e<strong>in</strong> 50zu 50 Gleichstand. Die Mehrheit <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>studentenwaren Männer. Und was die erfolgreichenHochschulabsolventen betrifft, so lagenMänner mit 64 zu 36 sogar noch klar vor denFrauen (heute 48 zu 52).Was hat diese Leistungskrise <strong>der</strong> Jungen,männlichen Jugendlichen und jungen Männerausgelöst? Erst wenn wir Antworten auf dieseFrage gefunden haben, können wir taugliche Gegenkonzepteentwickeln. Das von mir geleiteteKrim<strong>in</strong>ologische Forschungs<strong>in</strong>stitut Nie<strong>der</strong>sachsenhat hierzu seit sieben Jahren verschiedeneUntersuchungen durchgeführt. 1 Danach liegte<strong>in</strong>e Hauptursache im exzessiven Computerspielen<strong>der</strong> Jungen. So hat unsere bundesweiteBefragung von 15.000 Neuntklässlern im Jahr2008 gezeigt, dass von den Jungen 15,4 Prozentpro Tag m<strong>in</strong>destens 4,5 Stunden mit dem Computerspielenverbracht haben, von den Mädchenwaren es nur 4 Prozent. Noch krasser wird<strong>der</strong> Unterschied, wenn wir uns auf diejenigenkonzentrieren, die <strong>in</strong> Computerspielabhängigkeitgeraten s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> von uns zum<strong>in</strong>dest als <strong>in</strong>hohem Maße suchtgefährdet e<strong>in</strong>gestuft werdenmussten. Mit 7,4 Prozent lagen hier die Jungenum knapp das zehnfache über <strong>der</strong> Vergleichsquote<strong>der</strong> Mädchen (0,8 Prozent). Aber auch beidenen, die pro Tag „nur“ 2,5 bis 4,5 Stunden mitComputerspielen verbr<strong>in</strong>gen, dom<strong>in</strong>ieren dieJungen mit 23,2 Prozent zu 8,3 Prozent. DieseErgebnisse legen sehr nahe, dass schon alle<strong>in</strong><strong>der</strong> daraus erwachsene tägliche Zeitverlust zu1 Vgl. z.B. „Computerspielabhängigkeit im K<strong>in</strong>des- und Jugendalter; Empirische Befunde zu Ursachen, Diagnostik undKomorbiditäten unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale“, abrufbar unter: www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb108.pdf
Zur Leistungskrise unserer Söhneschlechteren Noten beiträgt. H<strong>in</strong>zukommt, dassdas <strong>in</strong>tensive E<strong>in</strong>steigen <strong>in</strong> die oft sehr brutalenInhalte des Computerspielens die Konzentrationauf schulische Inhalte stark bee<strong>in</strong>trächtigt. 2Doch wie kann man erreichen, dass die Jungenaus dieser Sackgasse herauskommen? Undwas können <strong>Bürgerstiftungen</strong> hierzu beitragen?E<strong>in</strong> Ansatzpunkt besteht dar<strong>in</strong>, die Eltern darüberzu <strong>in</strong>formieren, welche Probleme darauserwachsen, wenn sie ihren Söhnen (o<strong>der</strong> auchihren Töchtern) Spielkonsolen, Computer undFernseher <strong>in</strong>s Zimmer stellen. Die <strong>Bürgerstiftungen</strong>können e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag leisten,<strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Schulen Informationsveranstaltungenzu diesen Themenorganisieren. Me<strong>in</strong>e 25 Vorträge während <strong>der</strong>Fahrradtour s<strong>in</strong>d hierfür e<strong>in</strong> Beispiel.Aber das alle<strong>in</strong> wird nicht reichen. Dennerfahrungsgemäß sprechen gerade die Elternauf diese E<strong>in</strong>ladungen nicht an, die ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>nschon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundschulzeit den une<strong>in</strong>geschränktenMedienkonsum ermöglichen. Vonzentraler Bedeutung ist deshalb, gerade die Jungenan s<strong>in</strong>nvolle Freizeitgestaltungen heranzuführen:an körperliche Bewegung; an musischeBeschäftigungen wie Musizieren, Theaterspielenund Tanz; an Gruppenaktivitäten mit an<strong>der</strong>enK<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen, die sie begeistern,bei denen sie Freunde f<strong>in</strong>den und <strong>in</strong> stabile sozialeNetzwerke h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen.Gerade hier eröffnet sich e<strong>in</strong> breites Aufgabenfeldfür <strong>Bürgerstiftungen</strong>. Viele haben das<strong>in</strong>zwischen erkannt und begonnen, Partnerschaftenmit Ganztagsschulen e<strong>in</strong>zugehen. Sieunterstützen diese Schulen, e<strong>in</strong> Programm zuorganisieren, das man mit dem Motto überschreibenkann: „Lust auf Leben wecken“.Damit tragen sie dem Rechnung, dass vieleGanztagsschulen es aus eigener Kraft nichtschaffen, nachmittags mehr zu se<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>bewahranstaltmit Suppenküche zwischendr<strong>in</strong>.Die <strong>Bürgerstiftungen</strong> holen dann oft nochan<strong>der</strong>e Partner mit <strong>in</strong>s Boot – von den Sportvere<strong>in</strong>enbis h<strong>in</strong> zu <strong>Initiative</strong>n, die z.B. e<strong>in</strong>enK<strong>in</strong><strong>der</strong>zirkus organisieren o<strong>der</strong> sich anbieten,für K<strong>in</strong><strong>der</strong> sozialschwacher Familien kostenlosNachhilfe zu geben. Damit kommen sie auchdem Anspruch näher, „Lust auf Schule“ zu wecken,was auch beson<strong>der</strong>s wichtig ist, um jungeMigranten zu <strong>in</strong>tegrieren. Die deutschlandweittätigen Mentor-Vere<strong>in</strong>e für Leselernhilfe leistenauf diesem Feld gute Arbeit und s<strong>in</strong>d idealePartner für <strong>Bürgerstiftungen</strong>. E<strong>in</strong> ehrenamtlicherMentor unterstützt e<strong>in</strong>en Jugendlichen e<strong>in</strong>zelnund langfristig dabei, dessen Leseverstehen <strong>in</strong><strong>der</strong> deutschen Sprache zu verbessern und Spaßan <strong>der</strong> Beschäftigung mit Texten zu entwickeln.<strong>Bürgerstiftungen</strong> können hier z.B. Kontakt zu Ehrenamtlichenund Schulen herstellen, Koord<strong>in</strong>ationsfunktionenübernehmen und Schulungenf<strong>in</strong>anzieren – mit bundesweit heute ca. 8.500Mentoren. Wie übrigens auch das Beispiel me<strong>in</strong>erHeimatstadt zeigt: Der Vere<strong>in</strong> Mentor e. V.<strong>in</strong> Hannover wurde <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Startphase von <strong>der</strong>Bürgerstiftung Hannover engagiert unterstütztund hat hier mit se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>zwischen ca. 1.500Lesepaten e<strong>in</strong> überaus erfolgreiches Konzeptentwickelt. 3572 Vgl. hierzu auch an<strong>der</strong>e Me<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> Studien wie z.B. Gebel, C., Gurt, M. & Wagner, U.: Kompetenzför<strong>der</strong>liche Potenzialepopulärer Computerspiele, 2005; Kraam-Aulenbach, N.: Spielend schlauer – Computerspiele for<strong>der</strong>n undför<strong>der</strong>n die Fähigkeit Probleme zu lösen, 1999.; Fromme, J.: Zwischen Immersion und Distanz. In: W. Kam<strong>in</strong>ski; M.Lorber (Hrsg.): Computerspiele und soziale Wirklichkeit. Clash of Realities. Kopead 2006, S. 177–2093 Vgl. hierzu www.mentor-leselernhelfer.de