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Ernest Mandel Zur Verteidigung der sozialistischen ... - attac Marburg

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Das ist ein Argument, das Sozialisten, die sich für die menschliche Emanzipation,<br />

d.h. die Freiheit, mehr engagieren als die Verfechter je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Philosophie<br />

o<strong>der</strong> politischen Theorie, sehr ernst nehmen müssen. Es ist wichtig,<br />

damit sorgfältig und gewissenhaft umzugehen. In einer von Nove empfohlenen<br />

Veröffentlichung, „Diktatur über die Bedürfnisse“, klagt Ferenc Feher die<br />

Herrscher in <strong>der</strong> UdSSR, China und Osteuropa rundheraus an, sie praktizierten<br />

eine absolute Tyrannei über die Bedürfnisse <strong>der</strong> jeweiligen Bevölkerung.<br />

Der Standpunkt, den er vertritt, hat durchaus etwas für sich. Er ist aber auch<br />

einseitig, denn er enthält einen wichtigen eigenen Wi<strong>der</strong>spruch. Die Quelle<br />

dieses Wi<strong>der</strong>spruchs liegt in einer Auffassung, die in den Werken nicht nur von<br />

Ferenc Feher und Agnes Heller, son<strong>der</strong>n auch von Ota Sik, Branko Horvath,<br />

Wlodimierz Brus und vielen an<strong>der</strong>en Verteidigern einer „<strong>sozialistischen</strong> Marktwirtschaft“<br />

4 immer wie<strong>der</strong>kehrt. Es ist kein Zufall, daß <strong>der</strong> gleiche Begriff<br />

auch in den Schriften <strong>der</strong> theoretisch anspruchsvolleren und intellektuell konsequenten<br />

Neo-Liberalen zu finden ist, so etwa bei von Mises, Hayek o<strong>der</strong><br />

Friedman. Der Begriff, um den es geht, ist <strong>der</strong> <strong>der</strong> „gesellschaftlich anerkannten<br />

Bedürfnisse“. Für alle diese Theoretiker, was immer auch ihre sonstigen,<br />

größeren Differenzen sein mögen, bildet die Knappheit <strong>der</strong> Ressourcen die<br />

Grundlage, auf <strong>der</strong> die Wirtschaftstheorie -jede Wirtschaftstheorie - zu<br />

fußen hat. Knappheit von Ressourcen bedeutet jedoch automatisch, daß nicht<br />

alle individuellen Bedürfnisse befriedigt werden können. Das ist die stillschweigende<br />

Voraussetzung, die sich hinter <strong>der</strong> Formel „gesellschaftlich anerkannte<br />

Bedürfnisse“ versteckt: die individuellen Bedürfnisse werden nicht automatisch<br />

von <strong>der</strong> Gesellschaft anerkannt. Das gilt für die Marktwirtschaft ebenso<br />

wie für die Planwirtschaft. Die Tyrannei ist also unvermeidlich. Die einzige<br />

Frage ist, welche spezifische Form sie annimmt und welche gesellschaftspolitischen<br />

Folgen daraus jeweils entstehen.<br />

Formen und Folgen<br />

Für Liberale und Verfechter <strong>der</strong> „<strong>sozialistischen</strong> Marktwirtschaft“ scheint es<br />

in gleicher Weise offensichtlich, daß <strong>der</strong> Despotismus des Marktes—die „Rationierung<br />

über den Geldbeutel“-für das Individuum weniger schmerzlich und für<br />

die persönliche Freiheit weniger schädlich ist als <strong>der</strong> Despotismus des Plans—<br />

o<strong>der</strong> schlicht die Rationierung. Das erscheint durchaus überzeugend, wenn<br />

man beson<strong>der</strong>e Extreme auf <strong>der</strong> nördlichen Halbkugel—z.B. die Rationierung<br />

über Einkommensunterschiede im Wohlfahrtsstaat Schweden mit <strong>der</strong> Rationierung<br />

über den Gosplan im Rußland unter Stalin vergleicht. Aber solche<br />

Extreme sind historisch eher die Ausnahme denn die Regel. Nimmt man jedoch<br />

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