6 · Unternehmen & Märkte · <strong>Produktion</strong> · 24. Mai 2012 · Nr. 21 ROUND TABLE CLOUD COMPUTING Cloud-IT – Enabler für <strong>die</strong> Industrie 4.0 DANIELA HOFFMANN, PRODUKTION NR. 21, 2012 Welche Bedeutung hat Cloud-Computing für <strong>die</strong> Fertigungsindustrie? Darüber diskutierte Claus Wilk, stellv. Chefredakteur der Fachzeitung <strong>Produktion</strong>, mit Experten ‚live‘ im Internet. MÜNCHEN (ILK). IT-Anbieter neigten zwar dazu, ‚<strong>die</strong> Sau durchs Dorf zu treiben‘, doch nach drei CeBITs, auf denen Cloud das wichtigste Thema war, dürfte klar sein, dass Cloud tatsächlich ein Paradigmenwechsel ist, meinte Franz Strecker, Director of Cloud Computing bei IBM Deutschland. „Es geht um mehr <strong>als</strong> eine technologische Diskussion, es entstehen neue Geschäftsmodelle und das wird <strong>die</strong> Dinge fundamental ändern“, so Strecker. Der Wett- bewerb werde schneller und schärfer, es komme auf neue Ideen an. „Nach unserer Erfahrungbeschäftigen sich bereits 75 Prozent der Unternehmen mit dem Thema, der Nutzungsgrad ist aber wesentlich geringer“, sagte Dr. Kai Bender, Partner bei der Strategieberatung Oliver Wyman. Cloud bereite vielen Mittelständlern Bedenken, LEXIKON Cloud Computing In Abgrenzung zum Outsourcing, bei dem Equipment und Personal zum Dienstleister wandern, und Software as a Service (SaaS) – wobei <strong>die</strong> Software auf Mietbasis Ondemand über ein Netzwerk zur Verfügung gestellt wird – werden beim Cloud Computing Services für Software, Infrastruktur oder Speicher über das Internet zur Verfügung gestellt. Im Business-Umfeld ist vornehmlich <strong>die</strong> Rede von Private Cloud, dabei ist transparent, wer den Server wo betreibt: Im Gegensatz zur Public Cloud, bei der <strong>die</strong> Anwender keine entsprechende Kenntnis haben. Die Verantwortung für den Betrieb und <strong>die</strong> Problembewältigung liegt allein beim Dienstleister. „Es geht beim Cloud Computing um mehr <strong>als</strong> eine technologische Diskussion.“ Franz Strecker, Director of Cloud Computing, IBM bei gründlicher Analyse überwögen jedoch <strong>die</strong> Vorteile. „Eins ist klar, <strong>die</strong> Kostenvorteile sind teilweise enorm, typischerweise aber signifikant“, berichtet Wolfgang Brehm, Direktor Mittelstand, Distribution und Fachhändler der Microsoft Deutschland GmbH. Bei der Cloud- Variante Office 365 lägen <strong>die</strong> Kosteneinsparungen bei bis zu 70 %. Dabei verfügten <strong>die</strong> Anwender immer über <strong>die</strong> neueste Version. Auch Hybrid-Lösungen aus eigener Lösung und zugebuchten Services seien denkbar. „Um Geld geht es bei der Cloud am Ende nicht. Die spannende Diskussion ist nicht, ob etwas in der Cloud 20 Prozent günstiger ist, das ist Pflicht. Bei der Kür hingegen stellt sich <strong>die</strong> Frage, was ich mit Cloud erreichen und ver<strong>besser</strong>n kann“, so Strecker. Neben stark standardisierten Anwendungen wir eMail oder Office, bietet der Cloud-Markt bereits jetzt auch sinnvolle Lösungen im Entwicklungs- und Simulationsumfeld. „Wir sehen in der Fertigungsindustrie sehr stark, dass Test und Development über <strong>die</strong> Cloud gemacht werden, denn entsprechende Rechner werden in den Unternehmen oft zu 80 Prozent nicht benutzt“, betonte Strecker. Hier lohnten sich Cloud-Angebote, bei denen nur <strong>die</strong> tatsächliche Nutzung abgerechnet wird. Auch gehe durch standardisierte Entwicklungsumgebungen <strong>die</strong> Fehlerhäufigkeit deutlich zurück, weil es weniger Probleme mit unterschiedlichen Versionen gebe. Im Bereich Simulationen sei <strong>die</strong> Nachfrage über MS Azure hoch, bestätigt Brehm, hier würde <strong>die</strong> Cloud Computing im Fokus. Es diskutierten: Franz Strecker, IBM; Wolfgang Brehm, Microsoft; Dr. Kai Bender, Oliver Wyman und Claus Wilk, Fachzeitung <strong>Produktion</strong> (von rechts). Bild: Anna McMaster „Cloud Service muss sich von Outsourcing durch <strong>die</strong> ‚Stückkosten‘ unterscheiden.“ Dr. Kai Bender, Partner bei Oliver Wyman. Software häufig nur einmal <strong>die</strong> Woche genutzt. Die Themen Sicherheit und Datenschutz stehen bei den Anwendern weiterhin im Vordergrund. „In Deutschland gibt es ein besonderes Augenmerk für das Thema Datenschutz, da muss noch Aufklärungsarbeit geleistet werden“, sagte Brehm. Microsoft biete hier eine Auftragsdatenvereinbarung in Verbindung mit den EU Model Clauses an und damit eine Konformität mit deutschen und EU-Datenschutzvorgaben – unabhängig davon, wo auf der Welt zum Beispiel eine Mailbox betrieben wird. In Bezug auf <strong>die</strong> Sicherheit von Cloud-Lösungen waren sich <strong>die</strong> Teilnehmer einig: Den Aufwand, den ein spezialisierter IT-Dienstleister in seinem RZ leistet, sind von kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht annähernd zu toppen. Aspekte wie Katastrophenschutz oder Klimatisierung bekomme man inhouse <strong>als</strong> Mittelständler gar nicht hin. Bender riet dazu, beim Dienstleister konkrete Punkte einzufordern und durch einen klaren Vertrag das Risikoprofil deutlich zu senken: Zum Beispiel Offline-Daten-Backups, Replizierung, <strong>die</strong> Akzeptanz der eigenen Sicherheitslinien durch den Dienstleister oder <strong>die</strong> Zertifizierung nach ISO 27001. „Deutschland ist eine Exportnation, <strong>die</strong> Unternehmer müssen ein Augenmerk darauf haben, dass nicht noch mehr kopiert „In Deutschland gibt es Aufklärungsbedarf in Sachen Sicherheit in der Cloud.“ Wolfgang Brehm, Direktor Mittelstand bei Microsoft. wird, und Konstruktionsunterlagen einer Maschine sich nicht plötzlich in der Cloud finden“, so Bender. Service Level Agreements stellen wie beim Outsourcing sicher, wie es mit der Verfügbarkeit aussieht und in welcher Zeit Daten im Problemfall wieder hergestellt werden müssen. Microsoft garantiert beispielsweise 99.9 % Verfügbarkeit, das wären nur 8 Stunden Ausfallzeit im Jahr. Beim Verstoß gegen SLAs werden meist Strafzahlungen fällig. Worauf Unternehmen beim Einstieg in Cloud-Lösungen noch Wert legen sollten: „Wenn sich der Cloud- Service vom Outsourcing unterscheiden soll, muss es günstigere Stückkosten geben“, sagte Bender. Zudem sollten Unternehmen darauf achten, dass beim Umstieg auf den Cloud-Service keine signifikantenTransaktionsaufwände entstehen, wie es oft beim Outsourcing der Fall war. Nur so lasse sich sicherstellen, dass der Business Case auch tatsächlich funktioniere. „KMU haben beim Umstieg auf Cloud-Technologien Vorteile, sie haben nicht ganz so viel Komplexität und sind viel flexibler und schneller in der Umsetzung“, berichtete Strecker. Zu der Diskussion um das Für und Wider individueller Prozesse versus Standardprozesse sagte Bender: „Zu den Erfolgsfaktoren der deutschen Unternehmen gehören <strong>die</strong> hohe Produktivität und <strong>die</strong> intime Kenntnis des jeweiligenMarktsegments, individuelle Prozesse dürfen daher nicht für den Cloud-Ansatz einem Standard ‚geopfert‘ werden. 80 Prozent der Prozesse sind jedoch nicht individuell, beispielsweise in Lager, Einkauf oder Buchhaltung“. Auch Themen wie <strong>die</strong> Stellung der internen IT und der Vertriebsstrukturen in der IT wurden andiskutiert. Hier waren sich <strong>die</strong> Teilnehmer einig, dass <strong>die</strong> interne IT <strong>als</strong> Enabler gelten wird, weil freiwerdende Ressourcen für strategische Themen und wichtigere Aufgaben genutzt werden können. Dass Mittelständler auch weiterhin mit dem lokalen Partner ihres Vertrauens zusammenarbeiten werden, stand für <strong>die</strong> Runde außer Frage: Die richtige Auswahl und Integration ist auch bei Cloud-Services ein wichtiges Thema. LEXIKON „Um Geld geht es bei der Cloud am Ende nicht. Günstiger sein ist nämlich Pflicht.“ Franz Strecker, Director of Cloud Computing, IBM. Industrie 4.0 Nach der ersten industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts mit mechanischen <strong>Produktion</strong>sanlagen, der zweiten Revolution mit arbeitsteiliger Massenproduktion und der dritten industriellen Revolution durch Automatisierung mit Elektronik und IT steht mit Industrie 4.0 der nächste Umbruch ins Haus. Dabei geht es um sogenannte Cyber Physical Systems, eingebettete Systeme in Maschinen, Anlagen und Teilen, bei denen das ‚Produkt‘ selbst Intelligenz und eine aktive Rolle in der Steuerung von Wertschöpfungsprozessen bekommt. Bei der Frage, ob das Thema Cloud für den vierten Paradigmenwechsel in der Industrie eine wichtige Rolle spielt, war sich <strong>die</strong> Gesprächsrunde einig. Immer mehr Rechenleistung gehe in <strong>die</strong> Geräte, künftig seien mikroskopisch kleine RFID-Chips für jede Schraube vorstellbar, meinte Wolfgang Brehm. „Diese Denke ist für <strong>die</strong> Fertigungsindustrie interessant, <strong>die</strong> Stärke Intellectual Property kann ausgespielt werden, um noch wettbewerbsfähiger zu werden“, so Brehm. Aus Sicht von Bender wird <strong>die</strong> Machine-to-Machine- Kommunikation in der Industrie 4.0 weit über Anwendungsfelder wie Autos und Haustechnik hinausgehen. „Es wird ein neues Paradigma in der Fertigung geben, bei der das Werkstück selbst weiß, wie es bearbeitet werden will. Dahinter steht nicht nur eine ID-Nummer, sondern Intelligenz, <strong>die</strong> ein Teil im Prozess annimmt“, prognostizierte Kai Bender. Unabhängig, bei welchem Unternehmen etwas bearbeitet werde, könnten Teilprodukte und Produkte selbst durch den jeweiligen Prozess routen. Bereits in zehn Jahren würden proprietäre Protokolle der Vergangenheit angehören, <strong>die</strong> Zukunft sei „all IP“. Seite 06 Unternehmen & Märkte PRO_2012_21.indd 6 16.05.2012 08:34:17
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