porträt senioren - Herzlich Willkommen bei Quadrat
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Temposündern auf zwei<br />
Rädern geht’s an den<br />
Lederkragen<br />
Wer auf die wetterunabhängige Fahrkabine auf vier Rädern schwört, betrach-<br />
tet die mit Lederkluft und Helm vermummten Recken auf ihren Motorrädern<br />
stets mit einer Spur Unbehagen, vor allem am Torfhaus, wo sich die Biker im-<br />
mer gern im Herdenverband tummeln. Warum, so mag sich mancher Torfhaus-<br />
passant fragen, ist der Harz für Motorradfahrer so reizvoll?<br />
Natürlich, da ist die schöne Gegend. Aber sieht man davon überhaupt etwas,<br />
wenn man auf der Kante zweier Reifen ohne nennenswerten Straßenkontakt<br />
nahezu waagerecht über den Harz flitzt? Es muss etwas anderes sein, was<br />
Massen von Motorradfahrern kreuz und quer über den Harz und hernach zum<br />
Torfhaus-Biker-Treff treibt, um sich mit Moritaten bestandener Geschwindigkeitsekstasen<br />
zu brüsten. Und so mancher arme Autotropf, der darüber nachsinnend<br />
mit 84 Km/h in eine der sieben Radarfallen zwischen Braunlage und<br />
dem Bereich Bad Harzburg rauscht, versteht angesichts der unvermindert rasenden<br />
Motorradfahrer die Welt nicht mehr. Das Unrecht liegt darin, dass wir<br />
Autofahrer Zwei-Schild-Raser sind, wir haben vorn und hinten ein Kennzeichen.<br />
Die fest installierten Flitzer-Blitzer knipsen nur von vorn – oben ein verbissenes<br />
Gesicht, unten das Kennzeichen. Das Gesicht der Biker ist listig<br />
hinter einem cool verspiegelten Visier verborgen und das Kennzeichen hinten.<br />
Die veraltete Blitzertechnik erklärt denn auch das Herdenverhalten dieser<br />
Zunft im schönen Harz.<br />
Doch das straflose Rasen soll nun ein Ende haben. Die Lösung lautet: ESO3.0.<br />
– eine bikererfassungsfähige Blitzanlage der jüngsten Generation. Im Harz<br />
beschloss man, auf die mobile Variante zu setzen. So streift nunmehr seit April<br />
ein auffällig unauffälliger grauer Van auf der Jagd nach Temposündern<br />
durch die Region. Bereits im Herbst angekündigt, verunglückte der Wunderblitzer<br />
<strong>bei</strong>m ersten Versuch, ihn abzuladen. Offenbar sind doch nicht nur<br />
zweirädrige Vehikel gefährlich...<br />
Aber nun ist er da.<br />
Leider ist dies den emsigen Bloggern und Zwitscherern aus der Biker-Szene<br />
nicht verborgen geblieben. Wird der ESO-bestückte Van gesichtet, steht’s eine<br />
Minute später in einschlägigen Internet- und Twitterseiten. Wo<strong>bei</strong> es zugegeben<br />
schwer fällt, sich die stattlichen, ledernen Herren vorzustellen, wie<br />
sie ihre Infos mit flinken gezierten Fingern ins Twitter-Netz zwitschern. Doch<br />
ist selbiges stets auf dem aktuellsten Stand. Hier erfährt dann auch der<br />
(meist) brav fahrende Autofahrer, dass die Speedjunkies unter den Bikern ihre<br />
Schräglagenlieblingsstrecken stets zunächst in gezähmtem Tempo abfahren,<br />
um nach Radarfallen und Polizei zu fahnden, bevor sie erneut ansetzen<br />
und in suizidalem Umfang Gas geben.<br />
Und dann erfährt man dort auch noch, dass Motorradfahrer selbst die neuesten<br />
Blitzer problemlos austricksen, indem sie einfach auf dem Hinterrad –<br />
sein Kennzeichen verdeckend – durch den Erfassungsbereich einer Blitzanlage<br />
rasen, so jüngst in Frankreich durchgeführt. Also, angesichts des in der<br />
splitter � quadrat 06 / 2011 09<br />
Verfassung festgeschriebenen Gleichbehandlungsgebotes müssten doch eigentlich<br />
alle Flitzer-Blitzer-Knöllchen für Autofahrer geradezu verfassungswidrig<br />
sein, solange man Motorradfahrer nicht für das gleiche Delikt zur Kasse<br />
bitten kann!•<br />
Hoffen auf den Dreiklang<br />
Fest gemauert in der Erden, steht die Form aus Lehm gebrannt. Heute muß<br />
die Glocke werden! Frisch, Gesellen, seid zur Hand! Von der Stirne heiß,<br />
rinnen muß der Schweiß. Soll das Werk den Meister loben! Doch der Segen<br />
kommt von oben...<br />
So wusste Friedrich Schiller 1799 das Gedeihen einer Glocke in Reime zu<br />
fassen. Was die Glocken der Bad Harzburger Lutherkirche angeht, so könnte<br />
man nach Schiller mutmaßen, hat es diesen vielleicht am göttlichen Segen<br />
gemangelt.<br />
Einst zierte eine kleine Fachwerkkirche den Hügel unterhalb des Burgberges.<br />
Zu klein geworden, musste sie 1903 der in neugotischem Stil erbauten<br />
Lutherkirche weichen. Zwei der drei Glocken wurden, wie so häufig im ersten<br />
Weltkrieg, eingeschmolzen und im Jahr 1922 durch preiswertere Varianten<br />
aus Stahl ersetzt. Nur die kleinste der drei Glocken aus dem Jahr<br />
1674, sie klang bereits vom Turme der einstigen Fachwerkkirche, blieb erhalten.<br />
Nun sollten die schweren Stahlgussglocken wieder durch leichtere und wohlklingendere<br />
Bronzeglocken ersetzt werden. Auch der 56 Meter hohe Glockenturm<br />
der Lutherkirche, vormals aus Stahl, bekam wieder eine Seele aus<br />
Eichengebälk. Man entschied sich für die Glockengießerei Mark-Maas in der<br />
Eifel, wo man dem Handwerk des Glockengießens schon seit dem Jahr 1620<br />
nachgeht. Doch aller Erfahrung zum Trotz scheint Bronze nicht immer das<br />
zu tun, was von ihr erwartet wird, selbst wenn es ein Meister ist, der Kupfer<br />
und Zinn nach Jahrhunderte altem Familienrezept in die irdene Form füllt.<br />
Optisch ein Genuss zwar, ließ es der Klang der im Vorjahr angelieferten jungen<br />
Glocken an Harmonie zu der älteren Schwester fehlen. Ist der Ton einer<br />
Glocke zu hoch, werden an geheimen Stellen geheime Mengen Metall abgeschliffen,<br />
bis der Ton stimmt. Doch kann man solch renitente Glocken ausschließlich<br />
tiefer stimmen. Die mittlere, dem Ton G gewidmete Glocke jedoch,<br />
so stellte der Gutachter aus Göttingen fest, lag einen Viertelton zu tief<br />
und also für einen harmonischen Dreiklang zu dicht an ihrer 337 Jahre alten,<br />
auf den Ton D gestimmten Schwester – und ältere Schwestern geben<br />
nun einmal immer den Ton an.<br />
So wagten die Eifeler Glockenmeister im März einen zweiten Guss. Doch dann<br />
wurde es abermals still im Glockenturm. Die im Vorjahr gegossene, mittlere<br />
Glocke mit Unklang musste nun zurück in die Eifel, wo sie zu schnödem Material<br />
degradiert wird. Begleitet wurde sie von der neuen großen Glocke, die<br />
bisher dem Volk den Stundenschlag der Kirchturmuhr verkündete. Sie soll<br />
vom Meister der Glocken auf das tiefere D nachgestimmt werden. Zu Pfingsten<br />
wird sich zeigen, ob die drei bronzenen Schwestern nunmehr in Wohlklang<br />
und Harmonie zusammenar<strong>bei</strong>ten.•