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2007·2008 - nairs.ch

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JUDITH RUTISHAUSER | ZÜRICHIn Lands<strong>ch</strong>aften«I<strong>ch</strong> stelle mir die filmis<strong>ch</strong>e Form von ‹KeinWeg führt zurück› als eine weite Lands<strong>ch</strong>aftvor. Charakteristis<strong>ch</strong> ist, dass eine Lands<strong>ch</strong>aftim Grunde nie in ihrer Ganzheit erfasstwird, sondern dass dur<strong>ch</strong> den zurückgelegtenWeg erst allmähli<strong>ch</strong> und in uns ein Bild,eine Vorstellung entsteht. Die historis<strong>ch</strong>enEreignisse will i<strong>ch</strong> als rhythmis<strong>ch</strong> auftau<strong>ch</strong>endeInformationen wie ‹Telefonmasten› wel<strong>ch</strong>ediese innere Lands<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong>ziehen, einsetzen.»Aus dem Dossier zum Filmprojekt,2007«Annemarie S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>s künstleris<strong>ch</strong>e,historis<strong>ch</strong>e und politis<strong>ch</strong>e Arbeiten führenau<strong>ch</strong> ins Engadin. Dort hat sie regelmässig inSils Baselgia ihre Freunde getroffen und in ihremHaus beherbergt. Ihre Zivilisationskritikkommt in den Romanen und Reiseberi<strong>ch</strong>tenzum Ausdruck. Gerne mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> vor Ort ihreBezüge zur Lands<strong>ch</strong>aft und den Bergen vertiefterre<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>ieren, dur<strong>ch</strong> eigenes Erlebenberei<strong>ch</strong>ern und so herausarbeiten.» Aus demBrief an die Fundaziun NAIRS, 30.11.2006«Es ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, dass AnnemarieS<strong>ch</strong>war zen ba<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> heftige Eindrückeeben so heftige Emotionen in gedankli<strong>ch</strong>enSpra<strong>ch</strong> findungen für ihre Gefühle findet, dieverblüffen und faszinieren dur<strong>ch</strong> Klarheit,mehr no<strong>ch</strong> Transparenz der Emotion, dur<strong>ch</strong>poetis<strong>ch</strong>e Formulierungen wie dur<strong>ch</strong> die analytis<strong>ch</strong>-gedankli<strong>ch</strong>eS<strong>ch</strong>ärfe und deren tieferephilosophis<strong>ch</strong>e Aussage. Der Anblick einesFeldes mit mehrheitli<strong>ch</strong> eingestürztenSäulen eines antiken Tempels vor dem nä<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>enHimmel in Baalbek lässt sie folgendeWorte finden: ‹Ein Gefühl von Ohnma<strong>ch</strong>t undHingerissenheit erfüllte mi<strong>ch</strong> ganz – und die‹Wüste des Unglaubens› s<strong>ch</strong>rumpfte zusammenwie die berühmte Haut des Wildesels.Aber was zurückblieb, war der ewige Zwiespaltjener Stufenreihe vom Verä<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en bis zumAnbetungswürdigen, die das mens<strong>ch</strong> li<strong>ch</strong>eWesen verurteilt und auszei<strong>ch</strong>net.› Die sengedankli<strong>ch</strong>en, S<strong>ch</strong>windel erregenden Höhenflugpessimistis<strong>ch</strong>er Leidens<strong>ch</strong>aft führt sieim na<strong>ch</strong> folgenden Satz lakonis<strong>ch</strong> über – einebei ihr wiederholt anzutreffende rhetoris<strong>ch</strong>eRück- beziehungsweise Überführung – in einespannungsrei<strong>ch</strong>e Aufzei<strong>ch</strong>nung physis<strong>ch</strong>erBe gebenheiten. Was hö<strong>ch</strong>stens Auf s<strong>ch</strong>ub, si<strong>ch</strong>erkeine Auflösung ihres Leidens bedeutet,und dies auszudrücken, vermute i<strong>ch</strong>, entspri<strong>ch</strong>teiner bewussten formalen Gestaltung.‹No<strong>ch</strong> in derselben Na<strong>ch</strong>t fuhren wir na<strong>ch</strong>Damaskus zurück, s<strong>ch</strong>weigsam diesmal; nurHussein sang vorn das Lied vom betrunkenenHods<strong>ch</strong>a und trank dazu den Rest unseresRaki – man sollte ni<strong>ch</strong>t glauben, wie gut ihmdas na<strong>ch</strong> fast fünfzehnstündigem Fahren bekam.»Notizen zu Annemarie S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>,S. 38–39; Zitate: Annemarie S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>,Winter in Vorderasien, S. 55–56Fragen stellenTote Dörfer und kalte Betten, ist das ni<strong>ch</strong>t wieGedä<strong>ch</strong>tnis ohne Erinnerung?Mein Weg in die Vergangenheit hat an Orte inder S<strong>ch</strong>weiz geführt, wo landesweit die hö<strong>ch</strong>stenBodenpreise und Mieten herrs<strong>ch</strong>en. Undi<strong>ch</strong> denke, wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t explizit zu fassen,hat das, ebenso wie die 78 S<strong>ch</strong>uhe an meinenFüssen, mit Vergangenheit und viellei<strong>ch</strong>t mitmeiner Su<strong>ch</strong>e etwas zu tun. Jemand fragtemi<strong>ch</strong> in NAIRS, wel<strong>ch</strong>en Sinn ein Filmvorhabenzur ‹Vergangenheitsbewältigung› haben kann– gibt es ni<strong>ch</strong>t dringendere und aktuellereProbleme, als si<strong>ch</strong> mit jüngster europäis<strong>ch</strong>erGes<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te auseinanderzusetzen?Mi<strong>ch</strong> mit Vergangenheit zu bes<strong>ch</strong>äftigen, bedeutetfür mi<strong>ch</strong>, meine Gegenwart besserverstehen lernen. Gegenwart ist für mi<strong>ch</strong>ni<strong>ch</strong>t zu bewältigen. I<strong>ch</strong> glaube au<strong>ch</strong>, dassVergangenheitsbewältigung ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>ist. Wahrnehmung ist ni<strong>ch</strong>ts Konstantes, siekennt kein Ende, sie dauert und verändertsi<strong>ch</strong> mit dem Leben. In der Figur des ClownsCalvero in ‹Limelight› 1952 tröstet CharlesChaplin die verzweifelte Tänzerin na<strong>ch</strong> derenSelbstmordversu<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong>dem er sie gerettethat: ‹Das Leben will gelebt sein, es genügtsi<strong>ch</strong> selbst.›Annemarie S<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>s Reisen führtensie unter anderem in den Vorderen Orient,na<strong>ch</strong> Afghanistan und in Länder, wo – wie i<strong>ch</strong>zufällig von einer Mitarbeiterin bei AmnestyInternational erfahren habe – einem, alsDeuts<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>ige identifiziert, passierenkann, mit dem Hitler-Gruss salutiert zu werden.Meine Überzeugung ist gewa<strong>ch</strong>sen, dassviele Vorstellungen aus der Zeit der 30erJahre heute für uns, und ni<strong>ch</strong>t nur in Europa,ein Thema sind, und i<strong>ch</strong> hoffe, dass meinekünstleris<strong>ch</strong>e Arbeit gelingt und ein Beitragzur Reflexion und zur emotionalen Ablösungoder Distanzierung von dieser Zeit und derenNa<strong>ch</strong>wirkungen werden kann.«Im Austaus<strong>ch</strong> von Kultur, Kunst und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tefallen viellei<strong>ch</strong>t nur Tropfen auf denheissen Stein; aber sind es ni<strong>ch</strong>t die stetenTropfen, die Lö<strong>ch</strong>er und Höhlen graben undam Ende Dur<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>ten? Einblicke in unsselbst – und dahinein, dass wir im Grunde ni<strong>ch</strong>twissen, wer wir sind.» Notizen zu AnnemarieS<strong>ch</strong>warzenba<strong>ch</strong>, S. 63–64Der Film «The Great Dictator», 1940 uraufgeführt,war Charlie Chaplins Parodie undVerspottung des Nationalsozialismus, mitdieser klaren Stellungnahme gegen den Na-

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