30.07.2015 Aufrufe

Broschüre: Pflegesensible Arbeitszeitgestaltung - Familie - DGB

Broschüre: Pflegesensible Arbeitszeitgestaltung - Familie - DGB

Broschüre: Pflegesensible Arbeitszeitgestaltung - Familie - DGB

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Frau Schön –Inoffizielle Regelungen helfen, trotz Pflegebelastung denBeruf als Selbstverwirklichung auszuübenFrau Schön ist alleinstehend und kümmert sich – neben der Berufstätigkeit– um ihre Mutter, die mit Pfl egestufe II in einem eigenenHaushalt in unmittelbarer Nähe lebt. Ihre Mutter ist dement undgebrechlich und wird mehrmals täglich in ihren Grundbedürfnissenvon einem mobilen Pfl egedienst versorgt. Den Rest der Zeit wirdsie hauptsächlich von Frau Schön versorgt. Dieser bleibt kaum mehrEigenzeit zu ihrer Verfügung und selbst wenn es ihr gelingt, nachFeierabend Zeit für sich zu verbringen, spürt sie die Auswirkungender dauerhaften Belastung aus der Gleichzeitigkeit von Beruf undPfl ege:„Und man ist eigentlich nie mehr frei. Ich bin ein leidenschaftlicherLeser. Und ich merke in letzter Zeit, dass ichkaum mehr ein Buch zu Ende kriege. Oder auch, wiegesagt, meine Musik. Ich liebe Musik über alles und höregerne Opern. Aber auch das ertrage ich nicht mehr, ich willnur noch Stille um mich haben.“Frau Schön arbeitet in (überlanger) Vollzeit als qualifi zierte Angestelltebei einem Finanzdienstleister. In dem Unternehmen in demsie seit vielen Jahren angestellt ist, existiert eher eine Leistungs- alseine Anwesenheitskultur. Dies wirkt sich so aus, dass die Abgabeterminefür viele von Frau Schöns Projekten im Voraus feststehenund sie, wenn die Pfl egesituation es erfordert, auch von zu Hauseaus arbeiten kann. Es gibt auch Teilzeitstellen in der Firma, jedochwird von den Angestellten ab einer gewissen Position erwartet,mindestens 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Aus diesem Grundeund teils auch aus fi nanziellen Erwägungen scheidet eine (von FrauSchön manchmal gewünschte) Reduzierung der Arbeitszeit für sieaus.„Das ist auch eine fi nanzielle Überlegung, schränkst dudich ein oder nicht. [...] Sonst würden mir 32 Stunden oderso gefallen, dass einfach ein Zeitfenster für mich bleibt, wasich praktisch überhaupt nicht mehr habe.“Neben der Gleitzeitregelung ist der Betrieb ein gutes Beispiel fürinoffi zielle Regelungen und Ausnahmen zur Handhabung von Überstundenund mobilen Arbeitsformen. Frau Schön hat einen sehrfl exiblen Gestaltungsspielraum was ihre konkreten Arbeitszeiten(Gleitzeit ohne Kernarbeitszeiten) angeht und bezeichnet ihrenChef als sehr verständnisvoll. Sie verfügt zwar über keinen offi ziellgenehmigten Telearbeitsplatz, darf jedoch je nach Bedarfslage zuHause arbeiten. Zudem ist die Kappungsgrenze bei ihrem Arbeitszeitkontoaufgehoben worden, so dass ihr Zeitguthaben nichtverfällt, was ihr in Krisenzeiten besonders hilft, denn:„Wenn man Vollzeit arbeitet und dann noch pfl egt, unddann noch Überstunden anhäufen soll, damit man malwieder was zum Abfeiern hat – das kann nicht gehen, esmuss ja, energietechnisch müssen die pfl egenden Beschäftigtendas ja auch schaffen können.“Frau Schön verfügt über eine hohe Arbeitsmotivation. Sie arbeitetgerne in ihrem Beruf und sieht in der Erwerbsarbeit eine Selbstverwirklichung,die sie nicht aufgeben will. Nichtsdestotrotz habensich die gesundheitlichen Folgen der doppelten Belastung bei ihrbereits spürbar gemacht. Sie erlitt einen Kreislaufzusammenbruchund war in einem anderen Fall sogar in stationärer Behandlung. Sieleidet dauerhaft an Schlafstörungen, weshalb sie oftmals bereitsvor 6 Uhr früh arbeiten geht. Darüber hinaus war die Überlastungdurch Pfl ege und Beruf ihrer Meinung nach auch ein Grund für dasScheitern ihrer Ehe. Ihre hohe Motivation und eine gewisse Selbstüberschätzungbezüglich der Leistungsfähigkeit führen zu einerparadoxen Bewertung der eigenen Vereinbarkeitssituation:„Also zwischen Beruf und Pfl ege zu vereinbaren, da würdeich fast eine ‚1‘ geben, oder zumindest eine ‚2‘. ZwischenPfl ege und mir aber eine ‚5 – 6‘.“Frau Schön betont den Wert, den ein sozialer Austausch inGesprächen und in der Teamarbeit mit ihren Kollegen/innen hat.Die Firma und die dort herrschende Arbeitskultur wirken positivauf ihre Arbeitsmotivation und schaffen die nötige Abwechslungvom Pfl egealltag. Eine telefonische Erreichbarkeit für Notfälle inder Pfl egesituation ist am Arbeitsplatz gegeben. Außerdem wurdeeine Stelle in der Personalabteilung geschaffen, die als Ansprechpartnerin Sachen Pfl ege und Vereinbarkeit fungiert. Bewegungin die Vereinbarkeitsbemühungen im Betrieb haben jedoch nichtzuletzt die Angestellten selbst gebracht. Seit der (Mit-)Gründungdes Arbeitskreises „Elder Care“ treffen sich Frau Schön und anderevon Pfl ege Betroffene regelmäßig und informieren und berateninteressierte Beschäftigte. Sie organisieren gemeinsam Seminareund Informationsveranstaltungen zum Thema, die in Absprache mitdem Arbeitgeber auch über das Intranet angekündigt werden undderen Resonanz die Erwartungen der Initiatoren/innen weit übertroffenhat.„Und ich muss sagen, trotz der ganzen Belastung gibt mirdas unheimlich viel, da aktiv zu sein. Weil ich weiß selber, wiefassungslos du plötzlich da stehst, wie du orientierungslos bist.Und wenn man den Kollegen helfen kann, fi nde ich, da kommtviel Gutes für mich auch zurück.“Das Entgegenkommen ihres Arbeitgebers mit inoffi ziellenAusnahme- und Einzelfallregelungen ermöglicht Frau Schön sichtrotz hoher Pfl egebelastung berufl ich selbst zu verwirklichen.11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!