In dieser Phase nimmt auch das Arbeitszeitkonto eine Schlüsselfunktionein. Wichtig ist, dass den pfl egenden Beschäftigten einmöglichst hohes Maß an Verfügungsgewalt in Bezug auf Aufbauund Entnahme der Zeitguthaben eingeräumt wird. So brauchendie Betroffenen etwa ausgedehnte Möglichkeiten zum Aufbauvon Zeitguthaben, z. B. durch Umwandlung von Prämien, Zusatzgratifikationen, Umschichtung von zusätzlichen Urlaubstagenoder der Möglichkeit zur selbstbestimmten Mehrarbeit. Auch beider Entnahme muss den Beschäftigtenbedarfen Vorrang vor denbetrieblichen Interessen eingeräumt werden.„Irgendwo so um 50 Stunden ... die lasse ich da als Polsterimmer stehen. Es kann ja auch mal ein Notfall sein, bei demich mal eben zwei, drei Tage am Stück haben müsste. Wennmit meiner Mutter mal irgendwas Ungewöhnliches passiert.(Herr Sommer)Pfl egesensibilität im Pfl egeverlauf kennzeichnet sich durch einefl exible Handhabung von Arbeitszeitlage und Arbeitsort aus, diesich an den Bedürfnissen des pfl egenden Beschäftigten orientieren.Ziel muss die Etablierung einer stärkeren Ergebnisorientierung inder Arbeit sein, anstelle einer ausgeprägten Anwesenheitskultur.Die Einführung von Gleitzeit, dort wo es möglich ist, stellt denersten Schritt dar. Eine etwaige Befreiung von den Kernarbeitszeitenkann als Ausnahmeregelung ebenso sinnvoll sein:„Wir haben ja von 6.00 bis 19.30 Uhr Gleitzeit, also zu denUhrzeiten könnte ich kommen. Ich darf mit Zustimmung desChefs aber schon früher anfangen.“(Frau Keller)Gerade weil die Beschäftigten immer wieder auf Auszeiten angewiesensind, sind vernünftige Vertretungsroutinen existenziell.Diese sind notwendig, um den Pfl egenden die Inanspruchnahme‚ohne schlechtes Gewissen‘ zu ermöglichen, die Kollegen/innenzu schützen und deren Bereitschaft zur Unterstützung aufrecht zuerhalten. Wenn die Arbeit immer liegen bleibt, oder die Kollegen/innen dauerhaft durch anfallende Mehrarbeit überlastet sind, ist esratsam, sich die Situation genauer anzusehen und funktionierendeVertretungsregelungen zu fi nden.Eine Pfl egesituation dauert im Durchschnitt etwas über acht Jahre.Um in dieser langen Zeit sowohl die Beschäftigungsfähigkeit alsauch die Pfl ege sicher zu stellen, sind betriebliche Maßnahmennotwendig, die die Betroffenen im Bemühen um ihre Selbstsorgeunterstützen. Hier bieten sich Coaching-Programme sowie SportundEntspannungsangebote an. Auch regelmäßige Infoworkshopsund Referate durch externe Experten/innen wirken unterstützend.Meist fi nden sich im Betrieb auch aktuell oder ehemals betroffeneBeschäftigte, die freiwillig an solchen Programmen mitwirken undmit ihrer Pfl egeerfahrung einen wichtigen Beitrag dazu leistenkönnen.„Wir haben hier ja den Arbeitskreis Elder Care, den wir geradeaufbauen. Wir beraten in diesem Arbeitskreis Kollegen, dieplötzlich vor einer Pfl egesituation stehen. Was könnt ihr tun?Was sind die ersten Schritte? Mein Fachgebiet ist zum Beispielhäusliche Pfl ege. Jetzt am Donnerstag haben wir einen Vortrageines Hospizleiters und wir können das Hospiz dann auchbesichtigen. Im Intranet und in der Mitarbeiterzeitung wirdanschließend alles publiziert.“(Frau Weidinger)Eine besondere Herausforderung liegt darin, den Umgang mit demThema Pfl ege zu enttabuisieren und eine Einbettung in den betrieblichenAlltag zu erreichen. Hier sind Führungskräfteschulungen einprobates Mittel. Aber Pfl ege wird auch zum Gesprächsthema, wennes regelmäßig in den fi rmeneigenen Medien vorkommt. All dieseMaßnahmen fördern das Verständnis bei Vorgesetzten und dieUnterstützung durch Kollegen/innen.„Ich glaube einfach, dass das viel zu wenig thematisiertwird. In den Etagen, die im weitesten Sinne mit Personal zutun haben, ist das Wort Pfl ege noch nie vorgekommen. Ichwar auch ein bisschen exotisch. So wie damals die erstenMänner exotisch waren, die Elternzeit nahmen.“(Frau Höhn)20
Betriebliche Unterstützungsmaßnahmenim Verlauf der Pflege:Reduzierung der Arbeitszeiten• Einführung einer „Pfl egegerechten Vollzeit“, einerspe ziellen Vollzeit mit reduzierten Stundenvolumenbei entsprechen dem Lohnausgleich• Breite Palette verschiedenster Teilzeitmodelle mitentsprechen der BefristungFreistellungen und Auszeiten• Die Dauer variiert in dieser Phase häufi g zwischeneinzelnen Tagen und zwei bis drei Wochen• Inanspruchnahme sowohl spontan als auchlangfristig geplant• Mindestens eine Teilfi nanzierung oder eine vollständigeFinanzierung etwa durch die bereits beschriebenengesetzlichen, tarifvertraglich oder betrieblich vereinbartenZeitboniArbeitszeitkonto• Hohe Verfügungsgewalt der Beschäftigten bei Ansparenund Entnahme von Zeitguthaben• Kreativer Umgang mit Zeit: Umwandlung vonGratifi ka tionen und Prämien in ZeitguthabenVertretungsregelungen• Ein möglichst hohes Ausmaß an zeitlicher Variabilitätdes Arbeitsauftrages• Doppelbesetzung/Überlappung der Qualifi kationen• Ausreichender Personalbestand• Konstante räumliche Lage des Arbeitsortes• Berücksichtigung von Leistungsreservender Beschäftigten im Normalbetrieb• Springerregelungen• Eingeschränkte Vertretungsverpfl ichtungenfür pfl egende BeschäftigteUnterstützung und Beratung (siehe auch „Beginn der Pfl ege“)• Beschäftigungsfähigkeit der pfl egenden Beschäftigtendurch Coaching, Sport- und Entspannungsangebote(autogenes Training, Fitnessstudio, …) erhalten• Infoworkshops mit externen Experten/innen zu Themenwie Pfl ege, Recht, Finanzen durchführen• Gesprächskreis, Stammtisch für Betroffene initiierenPfl egegerechte Arbeitszeitlage• Befreiung oder Lockerung von betrieblichen Kernzeitenund Anwesenheitspfl ichten• Befreiung von Wochenend- und Nachtarbeit• Möglichkeit zu kurzfristigen Unterbrechungender Arbeit im Tagesverlauf• Flexible Arbeitsorte durch Home-Offi ce und Telearbeit21