Geschlechtsdifferenzierung und ihre Abweichungen - oapen
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Begrenzte Toleranz des Rechts gegenüber individueller sexueller Identität<br />
In einem im Jahr 2000 begonnenen Gerichtsverfahren hatte ein Betroffener beantragt,<br />
dass für ihn im Geburtenbuch in der Rubrik Geschlecht „Zwitter“ eingetragen<br />
werde, hilfsweise „Hermaphrodit“ oder „Intersexuell“ oder „intrasexuell“.<br />
Dies wurde in zwei Instanzen mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt. 47<br />
Der Richter der unteren Instanz sah den Antrag als auf eine nicht zulässige Eintragung<br />
gerichtet an, dem deshalb nicht entsprochen werden könne, selbst wenn die<br />
bestehende Eintragung unrichtig sei. Der Richter hat sich auch<br />
„mit der Frage auseinandergesetzt, ob intersexuellen Menschen aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r<br />
– wenn auch nicht einheitlichen – anderen physischen <strong>und</strong> psychischen<br />
Konstitution ein aus dem Selbstbestimmungsrecht (Artikel 2 Abs. 1 Gr<strong>und</strong>gesetz)<br />
<strong>und</strong> der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteter Anspruch<br />
zusteht, als Zwitter, Hermaphrodit, Intersexueller oder Intrasexueller<br />
personenstandsrechtlich behandelt <strong>und</strong> eingetragen zu werden“,<br />
dann aber aus dem Obiter dictum der 1978 ergangenen Transsexuellen-<br />
Entscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts 48, wonach<br />
„unsere Rechtsordnung <strong>und</strong> unser soziales Leben von dem Prinzip ausgehen,<br />
daß jeder Mensch entweder ‚männlichen‘ oder ‚weiblichen‘ Geschlechts<br />
ist, <strong>und</strong> zwar unabhängig von möglichen Anomalien im Genitalbereich“,<br />
gefolgert, dass nach wie vor die Zuordnung nur zu einem der beiden (anerkannten,<br />
tolerierten) Geschlechter möglich sei. Die Richter der zweiten Instanz haben offen<br />
gelassen, ob ein Eintrag „Zwitter“ bei Hermaphroditismus verus geboten erscheine,<br />
da bei dem Antragsteller die Diagnose Pseudohermaphroditismus femininus<br />
vorliege – weiblicher Chromosomensatz <strong>und</strong> weibliche Keimdrüsen mit Merkmalen<br />
des Gegengeschlechts im äußeren Erscheinungsbild –, so dass der gegenwärtige<br />
(im ersten Lebensjahr dahin korrigierte) Eintrag als weiblich richtig sei. Trotz der<br />
in der amtsgerichtlichen Entscheidung erkennbar gewordenen Sympathie für den<br />
Antragsteller haben die Richter letztlich das biologisch-medizinisch Mögliche für<br />
rechtlich unmöglich gehalten. „Das deutsche Recht kennt keine Zwitter.“ 49<br />
47 AG München, Az. 722 UR III 302/00, Beschluss vom 13.9.2001, Das Standesamt 2002, 44-46 =<br />
FamRZ 2002, 955 mit Anm. von Oliver Tolmein; Landgericht München I, Az. 16 T 19449/02, Beschluss<br />
vom 30.6.2003, Das Standesamt 2003, 303 = FamRZ 2004, 269.<br />
48 S.o. Fn. 37.<br />
49 Geringfügig paraphrasierte Aussage, wie sie sich fortlaufend in juristischer Literatur <strong>und</strong> Entscheidungen<br />
findet; vgl. Hepting, Reinhard / Gaaz, Berthold: Personenstandsrecht mit Eherecht <strong>und</strong><br />
internationalem Privatrecht: Kommentar (Loseblattsammlung, Stand: 42. Lieferung, April 2009),<br />
Frankfurt am Main / Berlin: Verlag für Standesamtswesen, 1963 ff., PStG § 21, Rdnr. 71.<br />
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