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O+P Fluidtechnik 5/2016

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KONSTRUKTION<br />

1 EINLEITUNG<br />

Besonders bei geringem Bauraum und hohen Drücken stößt der<br />

Konstrukteur bei der Gestaltung von Bauteilen und der Wahl der<br />

Werkstoffe an die Grenzen des Möglichen. Die Geometrieoptimierung<br />

mit Hilfe von FE-Analysen und der Griff zu hochlegierten Werkstoffen<br />

sind oft der letzte Ausweg. Mit dem sicherheitsrelevanten<br />

Nachteil, dass hochfeste Werkstoffe bei dynamischer Beanspruchung<br />

aufgrund der reduzierten Bruchdehnung kerbempfindlicher sind.<br />

Aber was, wenn diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen?<br />

In der Hochdrucktechnik haben sich (mehrschichtige) Pressverbände<br />

bewährt – zumindest bei zylindrischen Geometrien. Dabei<br />

wird das durch Druck belastete Bauteil durch äußere Pressverbände<br />

abgestützt und im inneren Bauteil Druckeigenspannungen erzeugt.<br />

Die Druckeigenspannungen sollten dabei betragsmäßig größer<br />

sein als die im Betrieb mit Maximaldruck induzierten Zugspannungen,<br />

so dass insgesamt das druckbeaufschlagte Bauteil keine<br />

Zugspannungen erfährt und Rissbildung verhindert wird. Dadurch<br />

können hochfeste Werkstoffe mit sehr geringen Bruchdehnungen<br />

und sprödem Bruchverhalten (z. B. Hartmetalle) eingesetzt werden.<br />

Die aufgepressten Bauteile aus mittelfesten, duktilen Werkstoffen<br />

sind vorgespannt und erfahren eine schwellende Zugbeanspruchung.<br />

Die entsprechenden radialen und tangentialen Normalspannungen<br />

eines Zylinderpressverbands unter Betriebslast und<br />

im lastfreien Zustand sind in Bild 01 links dargestellt.<br />

Ein alternatives Verfahren zur Festigkeitssteigerung hochbeanspruchter<br />

Bauteile ist unter dem Namen Autofrettage bekannt (aus<br />

dem Französischen sinngemäß für „Selbstschrumpfung“ oder<br />

„Selbstberingung“). Anwendungen sind beispielsweise Common-<br />

Rail-Einspritzsysteme, Hochdruck-Hydraulikleitungen, aber auch<br />

Läufe von Schusswaffen. Anstatt einen höherfesten Werkstoff zu<br />

verwenden, wird hierbei bewusst ein duktiler Werkstoff mit ausgeprägter<br />

Streckgrenze und ausreichender Bruchdehnung eingesetzt.<br />

Das Bauteil wird so gestaltet, dass aufgrund der geringen Festigkeit<br />

bereits durch die Betriebslasten die Streckgrenze lokal überschritten<br />

wird. Zur Festigkeitssteigerung wird durch eine einmalige gezielte<br />

Überlastung des Bauteils – die Autofrettage – ein Eigenspannungszustand<br />

erzeugt, der die späteren Betriebsspannungen auf ein Niveau<br />

unterhalb der Streckgrenze reduziert. Durch die Über lastung fließt<br />

der Werkstoff lokal in den Bereichen hoher Spannungskonzentrationen<br />

(Kerben, dünne Querschnitte, Zylinderinnenwände). Nach<br />

dem Entspannen führt die elastische Verformung des umgebenden<br />

Materials zu Druckeigenspannungen in der plastischen Werkstoffzone.<br />

Im anschließenden Betrieb überlagern sich die Druckeigenspannungen<br />

mit den Betriebsspannungen und reduzieren die wirksame<br />

Beanspruchung (vgl. Bild 01 rechts). Die Zeitfestigkeit kann<br />

so bis hin zur Dauerfestigkeit gesteigert werden.<br />

Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem resultierenden<br />

Eigenspannungszustand und Höhe der Überlastung? In Bild 02<br />

sind Spannungen und plastische Dehnungen eines dickwandigen<br />

Rohres unter Betriebslast (Innendruck) für unterschiedliche Autofrettagedrücke<br />

dargestellt. Die linke Darstellung entspricht dem<br />

Betriebszustand ohne Autofrettage, bei dem die Spannungsmaxima<br />

wie gewohnt an der Innenwandung auftreten. Mit zunehmendem<br />

Autofrettagedruck verschiebt sich der Bereich maximaler Spannungen<br />

radial ins Werkstoffinnere bei gleichzeitiger Reduktion der<br />

Spannungsamplituden. Genau dies entspricht dem gewünschten<br />

Effekt, denn so wirken die Zugspannungen nicht an oberflächlichen<br />

Kerben und die Entstehung von Rissen wird vermieden.<br />

Steigt der Autofrettagedruck weiter an, verschiebt sich der Bereich<br />

maximaler Spannung zunehmend zur Zylinderaußenwand, die<br />

Spannungsamplituden steigen und der Fließbereich wird größer,<br />

bist letztendlich das gesamte Rohr plastifiziert wird.<br />

Die Kunst der Autofrettage besteht also darin, den optimalen<br />

Grad der Überlastung zu bestimmen. Obwohl das Verfahren schon<br />

alt ist, konzentriert sich das Know-how auf wenige Unternehmen<br />

01 Normalspannungen radial (σ r<br />

) und tangential (σ t<br />

) eines<br />

Zylinderpressverbands und eines auto-frettierten Rohres mit<br />

und ohne Drucklast<br />

02 Einfluss des Autofrettagedruckes am Beispiel eines<br />

dickwandigen Rohres<br />

und ist verknüpft mit viel Erfahrungswissen. Durch Einsatz von elastoplastischen<br />

Finite-Elemente-Analysen wird die Thematik wissenschaftlich<br />

zugänglich; es können das Fließen des Werkstoffs, die<br />

Druckeigenspannungen bei Entlastung und der spätere Betriebsspannungszustand<br />

simuliert und so die Verfahrensparameter der<br />

Autofrettage optimiert werden. Dadurch ist auch kleineren Unternehmen<br />

der Zugang zu der Technologie möglich. Als Entwicklungsdienstleister<br />

mit langjähriger Erfahrung in der <strong>Fluidtechnik</strong> sowie in<br />

der FE-Simulation bieten wir Unterstützung bei der Umsetzung an.<br />

2 ELASTOPLASTIZITÄT IN DER SIMULATION<br />

Wie lässt sich elasto-plastisches Materialverhalten mathematisch abbilden?<br />

In linearelastischen strukturmechanischen Berechnungen<br />

kann das Werkstoffverhalten allein durch Elastizitätsmodul, Querkontraktion<br />

(und ggf. Dichte bei Berücksichtigung der Erdbeschleunigung)<br />

beschrieben werden. Für elasto-plastische Analysen ist eine<br />

Erweiterung des Materialmodells notwendig, um das Fließen des<br />

Werkstoffs oberhalb der Streckgrenze abzubilden. Diese Daten werden<br />

im Allgemeinen aus Zugversuchen gewonnen. In Berechnungen<br />

bzw. Simulationen werden diese Spannungs-Dehnungs-Funktionen<br />

üblicherweise durch vereinfachte Modelle approximiert.<br />

Das Modell der bilinearen Verfestigung wird durch zwei Geraden<br />

im Spannungs-Dehnungs-Diagramm charakterisiert (siehe Bild 03).<br />

Die erste Gerade, die Hooksche Gerade, beschreibt das linear -<br />

e lastische Werkstoffverhalten bis zur Streckgrenze. Die zweite Gerade<br />

approximiert die Werkstoffelastizität im plastischen Bereich<br />

durch das Tangentenmodul E T<br />

.<br />

Bei hohen Genauigkeitsanforderungen ist es sinnvoll, multilineare<br />

Spannungs-Dehnungs-Funktionen mit weiteren Stützstellen zu<br />

verwenden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die vollständige<br />

Funktion aus dem Zugversuch als Datentabelle zu hinterlegen.<br />

Allerdings führt eine Verfeinerung des Materialmodells stets zu einer<br />

höheren Komplexität der Berechnungsmodelle mit mehr Fallunterscheidungen<br />

bzw. Nichtlinearitäten und folglich einem höheren<br />

Rechenaufwand.<br />

<strong>O+P</strong> – Ölhydraulik und Pneumatik 5/<strong>2016</strong> 77

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