23.03.2017 Aufrufe

gangart 08

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Standbild aus dem Film „EX_MACHINA“ von Alex Garland<br />

Was Nietzsche nach wenigen Wochen erkannte, ist von grundsätzlicher<br />

Natur: Wir verwenden Werkzeuge nicht nur, wir werden<br />

auch von ihnen geformt. Sie kennen das Bonmot: Für einen<br />

Menschen mit einem Hammer, schaut jedes Problem aus wie ein<br />

Nagel? Das ist die eine Seite. Die andere Seite beleuchtet der große<br />

Medientheoretiker Marshall McLuhan knapp 80 Jahre später:<br />

dass nämlich kein neues Medium nur eine Erweiterung und Zuspitzung<br />

unserer Sinne darstellt, sondern immer auch bewirkt,<br />

dass Fähigkeiten, die damit ersetzt werden, verkümmern.<br />

Ist der Verlust Teil des Spiels?<br />

Wie schnell und radikal das gehen kann, sieht man bei den Inuit<br />

auf der Insel Igloolik, im Nordwesten Kanadas. Sie sind bzw.<br />

waren perfekt auf die arktische Umgebung angepasst und im<br />

Winter selbst unter widrigsten Bedingungen in der Lage, ihre<br />

Jagdwege zu finden, weil sie Wind, Schneemuster, Tierverhalten,<br />

Sterne, Gezeiten und Strömungen zu lesen und zu interpretieren<br />

wussten. Nachdem sie zur Jahrtausendwende von der Regierung<br />

GPS-Systeme zur Unterstützung erhalten hatten, häuften sich<br />

schon nach wenigen Jahren die Unfälle aufgrund von Satellitenausfällen<br />

– einfach, weil die jungen Jäger nicht mehr wie<br />

früher langsam an das jahrtausendealte Orientierungswissen<br />

herangeführt wurden und auch sonst beim Jagen mehr auf die<br />

GPS-Anweisungen als auf die Landschaft achteten.<br />

Zu weit hergeholt, denken Sie? Dann nehmen Sie den „Sicherheitshinweis<br />

für Piloten“, den die amerikanische Bundesluftfahrtbehörde<br />

(FAA) am 4. Jänner 2013 veröffentlichte; veranlasst<br />

durch Untersuchungen nach Abstürzen und Zwischenfällen, die<br />

eindeutige Hinweise lieferten, dass Piloten durch übermäßige<br />

Verwendung des Autopiloten und anderer computergesteuerter<br />

Systeme ihre Fähigkeit verlieren, auf unerwartete Situationen<br />

und in Notfällen präzise und schnell zu reagieren.<br />

Es sieht beinahe so aus, als ob der Verlust Teil des Spiels wäre.<br />

Mit den geeigneten Werkzeugen können wir vielleicht schneller<br />

sein, weiter sehen, exakter navigieren, besser entscheiden – um<br />

den Preis, dass wir an der Stelle, wo die Technologie eingreift,<br />

ein taubes Gefühl entwickeln. Das Problem<br />

dabei: Je näher und unmittelbarer uns diese<br />

Werkzeuge im Alltag begleiten, umso schwieriger<br />

wird es, die notwendige Distanz zu halten,<br />

um diese Stelle zu markieren und zu erkennen,<br />

was jeweils auf der Strecke bleibt. Wenn es<br />

dabei gar um unser Denken, Fühlen, Wahrnehmen,<br />

Erinnern geht, dann steht etwas zutiefst<br />

Menschliches auf dem Spiel.<br />

Das Internet der Dinge<br />

Sie meinen, wir übertreiben? Weil das, was<br />

durch Automatisierung bedroht wird, nur<br />

sich wiederholende, stupide, nicht-komplexe,<br />

nicht-spontane Abläufe betrifft? Das ist der<br />

nächste Mythos, den es zu widerlegen gilt.<br />

Denn seit der vierten industriellen Revolution,<br />

die neulich mit dem Internet der Dinge und<br />

der Vernetzung von allem und jedem zur Tür<br />

hereingekommen ist, erweist sich auch diese<br />

Wahrheit als frommer Wunsch.<br />

Computer sind heute in der Lage, in einer<br />

Sekunde so viele Daten zu verarbeiten, dass<br />

sie Dinge tun können, die lange Zeit dem<br />

Menschen vorbehalten waren. Maschinen sind<br />

die besseren Schachspieler, Maschinen sind<br />

die besseren Autofahrer, Maschinen schlagen<br />

uns auf Gebieten, wo wir dachten, dass es um<br />

Intuition, also um etwas zutiefst Menschliches,<br />

geht. Dabei geht es im Normalfall nur darum,<br />

Dinge mit Tags – Namensschildern – und Sensoren<br />

auszustatten und die anfallenden Daten<br />

möglichst schnell zu verarbeiten, zu vernetzen<br />

und auszuwerten. Im Jahr 2012 waren erstmals<br />

so viele Dinge – Spielzeug, Haushaltsgeräte,<br />

Störungsmelder, Maschinen – mit dem Internet<br />

verbunden, wie es Menschen auf der Erde gibt.<br />

12 <strong>gangart</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!