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Gehört.<br />
Gesehen.<br />
Gelesen.<br />
Ausgesucht, gelesen<br />
und bewertet von der<br />
Literaturrunde Abtenau<br />
BÜCHERVORSTELLUNGEN<br />
Ein Wort ist ein Wort ist ein Wort.<br />
Die Literaturrunde „Wir lesen“ feiert ihr zehnjähriges Bestehen.<br />
Einmal im Monat treffen sie sich. Am Abend. Die Frauen der Literaturrunde Abtenau.<br />
In den Räumlichkeiten der Bücherei, wo es im Winter schon mal kühl werden<br />
kann, weil die Heizung längst abgeschalten ist. Sie versammeln sich um einen<br />
Tisch, breiten ihre Bücher und Notizen vor sich aus und legen los. In medias res.<br />
Springen hinein in die Welt der Literatur, als ob es nichts anderes gäbe. Kein Wein,<br />
der geöffnet, kein Wasser, das gereicht wird. Und es fällt ihnen nicht mal auf. Weil<br />
sie dabei aufgehen, Worte zu buchstabieren und Türen zu Anderswelten zu öffnen,<br />
von denen sie zehren. Eine ziemlich spartanische Runde, wie wir finden, aber keine<br />
trockene. Da werden Sichtweisen freigelegt, Weltbilder aneinander gerieben. Da wird<br />
über Bedeutungen gefeilscht und gelacht und erzählt, dass sich die Balken biegen.<br />
Dass Bücher Menschen verbinden, sieht man an dieser Runde. Warum es nur Frauen<br />
sind, ist ein Zufall. Ein Zufall, der irgendwie auch Bedeutung hat. Weil Männer sich<br />
meist nur sehen lassen, wenn die namhaften Literaten gefeiert werden. Beim leisen<br />
Geschäft des Lesens, beim Abtragen verborgenen Sinns machen sie sich rar. Haben<br />
keine Zeit. Was soviel heißt, wie, dass sie ihre Zeit lieber so nutzen, dass sie dabei<br />
sichtbar sind. Die Literaturrunde kennt man in Abtenau kaum. Überraschung macht<br />
sich breit, wenn frau aufbrechen muss, weil sie zum beinahe heiligen Monatstreffen<br />
geht, wo auch das Buch, das frau selber ist, offen vor ihr liegen kann. Heiliger – und<br />
weniger trocken – sind da nur die Rauriser Literaturtage, zu denen einmal im Jahr<br />
gepilgert wird, um am Puls des Schreibens zu sein. Fünf Tage lang in einem Dorf<br />
zu leben, in dem die Bücher das Sagen haben; und die Begeisterung im Publikum<br />
ansteckend ist. Mehr dazu vielleicht schon bald.<br />
Christine Haidegger – „Zum Fenster hinaus“<br />
Otto Müller Verlag, ISBN: 9783701312399<br />
Christine Haidegger schildert eindringlich eine Kindheit während und nach dem<br />
zweiten Weltkrieg. Gut beschreibt sie die herrschende Armut und die Kaltherzigkeit<br />
so mancher Nachbarn. Vielleicht weil ich selber damals Kind war und noch gut<br />
die Verzweiflung, die Angst und den Hunger der Menschen im Gedächtnis habe,<br />
war dieses Buch für mich etwas Besonderes. Ich weis noch gut die Trauer der<br />
Menschen, wenn ein Sohn oder Vater gefallen war. Christine Haidegger erzählt<br />
meisterhaft aus der Sicht eines Kindes vom fehlenden Vater und den Sorgen und<br />
Schwierigkeiten der Mutter. Die Schilderung des tristen Internatsleben und der<br />
stereotypen, täglichen Abläufe verbunden mit Heimweh und Schuldgefühlen macht<br />
den Leser traurig. Und der Schluss erschütternd!<br />
David Grossman – „Kommt ein Pferd in eine Bar“<br />
Hanser, ISBN: 9783446250505<br />
Für eine gute Pointe gab der Stand-Up-Comedian<br />
Dovele Grindstein schon immer alles. Ein letztes Mal<br />
steht er an seinem 57. Geburtstag in seiner Heimatgemeinde<br />
in Israel auf der Bühne. Der komplette Roman<br />
beschreibt diesen einen bitterschwarzen Abend. Was<br />
Dovele hier erzählt bzw. auf der Bühne performend sind<br />
nicht wie das Publikum sich erwartet, lustig komische<br />
„Alltagskatastophen“. Es erzählt vielmehr seine<br />
höchtpersönliche tragische Familiengeschichte – eine<br />
Geschichte eines verwaisten Kindes, Sohn zweier<br />
hilfloser Überlebender der Shoa. Seine Komik ist pure<br />
Verzweiflung.<br />
Eingeladen hat Dovele seinen Jugendfreund, der als<br />
Richter Karriere machte. Dieser ist auch der Erzähler<br />
des Abends. Dovele will gesehen werden und erhofft<br />
sich vom Richter eine Beobachtung der Wirkung<br />
eines Menschen. Unerwarteterweise sitzt auch das<br />
zwergwüchsige ehemalige Nachbarsmädchen im Saal.<br />
Sie bringt ihn mit dem Satz „Du warst ein guter Junge“<br />
völlig aus dem Konzept.<br />
Vom Comedy Standpunkt ein vergnüglicher Abend, aus<br />
literarischer Sicht ein äußerst gelungener Roman.<br />
sehr lesenswert<br />
Valerie Fritsch – „Winters Garten“<br />
Shurkamp, ISBN: 9783518424711<br />
Sprachgewaltig und in sinnlichen Bildern erzählt Valerie<br />
Fritsch von einer Welt die komplett aus den Fugen<br />
gerät. Es ist ein Buch über die Apokalypse und über die<br />
Liebe. Ihre Protagonisten sind der faszinierte Anton, ein<br />
weltfremder Vogelzüchter, und seine emotionale Freundin<br />
Friederike, die unsterblich ineinander verliebt sind.<br />
Die fiktive Welt von Valerie Fritsch befindet sich im<br />
Ausnahmezustand.<br />
Ein überwältigender, sensationeller und zugleich harter<br />
Roman, der trotzdem mehrere Fragen aufwirft.<br />
lesenswert<br />
Buch-Bewertungen<br />
1 Kauz – lesenswert<br />
2 Käuze – sehr lesenswert<br />
3 Käuze – besonders lesenswert<br />
sehr lesenswert<br />
Zeichnungen: Buch und Kauz von Roswitha Kößner<br />
<strong>gangart</strong> 45