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Schafe hier herauftreiben und einem gemeinsamen Hüter anvertrauen.<br />
Der Haken dabei: Von den 2000 Hektar Wirtschaftsfläche sind<br />
nur 400 Hektar als Weidegebiet ausgewiesen. Der Rest birgt hohes<br />
Konfliktpotenzial – vor allem mit der Jägerschaft. „Das hab ich<br />
den Schafen auch so gesagt,“ lacht Helga, als wir am nächsten Tag<br />
gemeinsam eine Runde drehen, „aber die halten sich nicht daran.“<br />
Zirka 300 Stück sind es dieses Jahr, von 25 verschiedenen Bauern,<br />
die in größeren und kleineren Gruppen über die Hügel ziehen. Das<br />
Problem ist, wie mir Helga erklärt, dass die Schafe nur „geringfügig<br />
standorttreu sind. Die Schafe von der Gsenghofalm werde ich nie auf<br />
der anderen Seite vom Gerzkopf auf dem Hüttelboden finden. Aber innerhalb<br />
bestimmter Grenzen ist vieles möglich. Da braucht man schon<br />
viel Ausdauer beim Gehen, Erfahrung und ein bisschen Intuition, um<br />
zu erraten, was sie gerade antreibt. Ich weiß, wo Schafe gerne auftauchen<br />
und wo sie nicht hingehören. Ich weiß, dass sie gerne Richtung<br />
Tal ziehen und dass du nur am Abend eine Chance hast, sie wieder<br />
nach oben zu bringen. Ich weiß, dass die Schafe vom Buschen und vom<br />
Nest zur Zeit hinter meiner Hütte in Richtung Langeggsattel stehen. Ich<br />
weiß aber nicht, ob und wann sie aufgeschreckt werden und was dann<br />
passiert.“<br />
Vieles lässt sich hier heroben nicht kontrollieren. Vor allem, wenn<br />
man allein ist. Helga schaut liebevoll hinunter zu ihren Füßen. Okay,<br />
Boney, ihr quereingestiegener Hirtenhund, hat sich gut entwickelt<br />
in den letzten Jahren. Aber es kommt auch heute noch vor, dass er<br />
einen zu engen Kreis zieht, wenn er die Schafe von hinten aufrollen<br />
soll und dann das nervös gewordene Tierknäuel unter lautem Blöken<br />
auseinanderstiebt. Das kann auch einer erfahrenen Schäferin Stress<br />
machen. Weil es einfach nicht möglich ist, 30 Schafe wohin zu bewegen,<br />
wenn sie nicht wollen. Aber wenn sie trickreich ist und alles<br />
richtig macht und auch noch etwas Glück hat – denn ohne Glück<br />
geht gar nichts –, dann kann es schon einmal passieren, dass sie mit<br />
einer kleinen Gruppe leichtfüßig von Futterrille zu Futterrille turnt –<br />
„itschi, itschi, itschalan“ – und am Ende ganz unvermittelt vor ihrer<br />
Schäferhütte steht. Das sind die kleinen Siege, die die stundenlangen<br />
Streifzüge in steilem Gelände, die unbelohnt bleiben,<br />
mehr als wettmachen.<br />
Nach speziellen Schnittmustern in den Ohren kann Helga die<br />
Schafe zuordnen, wenn sich die Herden durchmischen oder<br />
einzelne Schafe sich abspalten und zu neuen Gruppen zusammentun.<br />
Was eher selten, aber doch immer wieder vorkommt.<br />
Normal ist hingegen, dass die Widder nirgendwo dazugehören<br />
und von Herde zu Herde ziehend die Schafe besteigen. Und<br />
dann gibt es noch das Unvorsehbare. Die Geschichten, die das<br />
Almleben schreibt. Wie letztes Jahr mit Hanni und Nanni. Das<br />
eine ein schwarzes Schaf, das andere ein weißes. Das eine aus<br />
Neuberg, das andere aus Neubachl. Sie stammten aus verschiedenen<br />
Herden und waren dann den ganzen Sommer allein zu<br />
zweit. Manchmal den ganzen Tag in Hüttennähe. Zwei Herzen,<br />
die sich gefunden hatten.<br />
Als Helga im Winter 2013 zum ersten Mal vor der Schäferhütte<br />
stand, im hüfthohen Schnee, wusste sie sofort, dass das ihr<br />
Platz ist. Und ihre Hütte. Der Geruch des alten Holzes führte<br />
sie geradewegs zurück in die Kindheit nach Kärnten, wo sie, die<br />
ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammt, mit ihren Eltern viele<br />
unvergessliche Sommer auf einem Bergbauernhof verbracht<br />
hatte. Sie trieb die Kühe aufs Feld, balgte sich im Heu und lebte<br />
mit den Tieren. Fernseher gab es keinen, nur ein altes Radio,<br />
das in der Küche stand und Nachrichten vor sich hersagte, auf<br />
die niemand wartete. Damals war die Welt heil und sie Teil von<br />
allem, zu Hause.<br />
Helga hat gelernt, dass sie nicht überall sein kann. Und dass<br />
sich dreihundert nicht eingezäunte Schafe eben auch nicht<br />
hundertprozentig kontrollieren lassen. Und dass es in den<br />
meisten Fällen, wenn das Telefon klingelt, weil irgendein Schaf<br />
> Fortsetzung Seite 9<br />
<strong>gangart</strong> 7