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gangart 08

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Schafe hier herauftreiben und einem gemeinsamen Hüter anvertrauen.<br />

Der Haken dabei: Von den 2000 Hektar Wirtschaftsfläche sind<br />

nur 400 Hektar als Weidegebiet ausgewiesen. Der Rest birgt hohes<br />

Konfliktpotenzial – vor allem mit der Jägerschaft. „Das hab ich<br />

den Schafen auch so gesagt,“ lacht Helga, als wir am nächsten Tag<br />

gemeinsam eine Runde drehen, „aber die halten sich nicht daran.“<br />

Zirka 300 Stück sind es dieses Jahr, von 25 verschiedenen Bauern,<br />

die in größeren und kleineren Gruppen über die Hügel ziehen. Das<br />

Problem ist, wie mir Helga erklärt, dass die Schafe nur „geringfügig<br />

standorttreu sind. Die Schafe von der Gsenghofalm werde ich nie auf<br />

der anderen Seite vom Gerzkopf auf dem Hüttelboden finden. Aber innerhalb<br />

bestimmter Grenzen ist vieles möglich. Da braucht man schon<br />

viel Ausdauer beim Gehen, Erfahrung und ein bisschen Intuition, um<br />

zu erraten, was sie gerade antreibt. Ich weiß, wo Schafe gerne auftauchen<br />

und wo sie nicht hingehören. Ich weiß, dass sie gerne Richtung<br />

Tal ziehen und dass du nur am Abend eine Chance hast, sie wieder<br />

nach oben zu bringen. Ich weiß, dass die Schafe vom Buschen und vom<br />

Nest zur Zeit hinter meiner Hütte in Richtung Langeggsattel stehen. Ich<br />

weiß aber nicht, ob und wann sie aufgeschreckt werden und was dann<br />

passiert.“<br />

Vieles lässt sich hier heroben nicht kontrollieren. Vor allem, wenn<br />

man allein ist. Helga schaut liebevoll hinunter zu ihren Füßen. Okay,<br />

Boney, ihr quereingestiegener Hirtenhund, hat sich gut entwickelt<br />

in den letzten Jahren. Aber es kommt auch heute noch vor, dass er<br />

einen zu engen Kreis zieht, wenn er die Schafe von hinten aufrollen<br />

soll und dann das nervös gewordene Tierknäuel unter lautem Blöken<br />

auseinanderstiebt. Das kann auch einer erfahrenen Schäferin Stress<br />

machen. Weil es einfach nicht möglich ist, 30 Schafe wohin zu bewegen,<br />

wenn sie nicht wollen. Aber wenn sie trickreich ist und alles<br />

richtig macht und auch noch etwas Glück hat – denn ohne Glück<br />

geht gar nichts –, dann kann es schon einmal passieren, dass sie mit<br />

einer kleinen Gruppe leichtfüßig von Futterrille zu Futterrille turnt –<br />

„itschi, itschi, itschalan“ – und am Ende ganz unvermittelt vor ihrer<br />

Schäferhütte steht. Das sind die kleinen Siege, die die stundenlangen<br />

Streifzüge in steilem Gelände, die unbelohnt bleiben,<br />

mehr als wettmachen.<br />

Nach speziellen Schnittmustern in den Ohren kann Helga die<br />

Schafe zuordnen, wenn sich die Herden durchmischen oder<br />

einzelne Schafe sich abspalten und zu neuen Gruppen zusammentun.<br />

Was eher selten, aber doch immer wieder vorkommt.<br />

Normal ist hingegen, dass die Widder nirgendwo dazugehören<br />

und von Herde zu Herde ziehend die Schafe besteigen. Und<br />

dann gibt es noch das Unvorsehbare. Die Geschichten, die das<br />

Almleben schreibt. Wie letztes Jahr mit Hanni und Nanni. Das<br />

eine ein schwarzes Schaf, das andere ein weißes. Das eine aus<br />

Neuberg, das andere aus Neubachl. Sie stammten aus verschiedenen<br />

Herden und waren dann den ganzen Sommer allein zu<br />

zweit. Manchmal den ganzen Tag in Hüttennähe. Zwei Herzen,<br />

die sich gefunden hatten.<br />

Als Helga im Winter 2013 zum ersten Mal vor der Schäferhütte<br />

stand, im hüfthohen Schnee, wusste sie sofort, dass das ihr<br />

Platz ist. Und ihre Hütte. Der Geruch des alten Holzes führte<br />

sie geradewegs zurück in die Kindheit nach Kärnten, wo sie, die<br />

ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammt, mit ihren Eltern viele<br />

unvergessliche Sommer auf einem Bergbauernhof verbracht<br />

hatte. Sie trieb die Kühe aufs Feld, balgte sich im Heu und lebte<br />

mit den Tieren. Fernseher gab es keinen, nur ein altes Radio,<br />

das in der Küche stand und Nachrichten vor sich hersagte, auf<br />

die niemand wartete. Damals war die Welt heil und sie Teil von<br />

allem, zu Hause.<br />

Helga hat gelernt, dass sie nicht überall sein kann. Und dass<br />

sich dreihundert nicht eingezäunte Schafe eben auch nicht<br />

hundertprozentig kontrollieren lassen. Und dass es in den<br />

meisten Fällen, wenn das Telefon klingelt, weil irgendein Schaf<br />

> Fortsetzung Seite 9<br />

<strong>gangart</strong> 7

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