Lesebuch zum Schwerpunktthema - Evangelische Kirche in ...
Lesebuch zum Schwerpunktthema - Evangelische Kirche in ...
Lesebuch zum Schwerpunktthema - Evangelische Kirche in ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Christentums wäre für mich, hier <strong>in</strong> aller<br />
Kürze formuliert, se<strong>in</strong>e Fähigkeit, <strong>zum</strong> e<strong>in</strong>en<br />
den Gottesglauben als Wahrheitsanspruch<br />
vor dem kritischen Denken des Menschen zu<br />
verantworten, und <strong>zum</strong> anderen, nicht nur<br />
gegenüber den asiatischen Religionen, sondern<br />
auch gegenüber dem jüdischen Gottesglauben<br />
darzulegen, dass se<strong>in</strong> Gotteszugang<br />
alle<strong>in</strong> auf der Wirklichkeit des johanneischen<br />
Jesus beruht: „Wer mich gesehen hat, hat den<br />
Vater gesehen“ (Joh 14,9). Gottesglaube , der<br />
sich vor dem Denken verantwortet, und die<br />
Inkarnationsaussage („Und das Wort ist<br />
Fleisch geworden“, Joh 1,14) s<strong>in</strong>d für mich<br />
zwei Grundpfeiler des Christentums, noch<br />
vor aller konfessionellen Ausprägung. Es<br />
wird zu fragen se<strong>in</strong>, ob es jenseits der von den<br />
Konfessionsgegensätzen her geprägten<br />
„Fe<strong>in</strong>ökumene“ zu solchen Fundamentalverständigungen<br />
<strong>in</strong>nerhalb der verschiedenen<br />
„Christentümer“ kommen kann. Der <strong>in</strong>nerchristlichen<br />
Ökumene wird, so me<strong>in</strong>e feste<br />
Überzeugung, durch das kommende Gespräch<br />
der Weltreligionen Be<strong>in</strong>e gemacht<br />
werden! Kann das Jahr 2017 dafür e<strong>in</strong>en Impuls<br />
geben?<br />
4. Reformationsgedenken <strong>in</strong>mitten e<strong>in</strong>er<br />
christentumsfernen Gesellschaft<br />
Schließlich weise ich auf die auch anderswo<br />
anstehende Aufgabe h<strong>in</strong>, <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen<br />
und <strong>in</strong> Sachsen-Anhalt, im Lande Luthers<br />
e<strong>in</strong>e neue missionarische Präsenz der<br />
christlichen <strong>Kirche</strong>n <strong>in</strong> der Gesellschaft zu<br />
gew<strong>in</strong>nen. Ich er<strong>in</strong>nere an die e<strong>in</strong>drucksvolle<br />
Rede von Eberhard Jüngel <strong>zum</strong> Missionsthema<br />
vor der EKD-Synode 1999 <strong>in</strong><br />
Leipzig.<br />
Das schließt den Gedankenkreis zu me<strong>in</strong>er<br />
ersten Bemerkung: Heute steht die Gottesfrage<br />
an – aber eben buchstabiert als Frage<br />
nach dem Menschen, nach dem Humanum,<br />
nach der geme<strong>in</strong>samen Zukunft aller<br />
Menschen. Sich darauf zu bes<strong>in</strong>nen, nach<br />
Koalitionen bei der Gew<strong>in</strong>nung solcher Zukunft<br />
Ausschau zu halten, sich geme<strong>in</strong>sam<br />
e<strong>in</strong> zubr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> deren Gestaltung, das wäre<br />
für mich e<strong>in</strong> Sich-E<strong>in</strong>lassen auf das Erbe<br />
Luthers.<br />
Westliches Kulturchristentum und östliche<br />
<strong>Kirche</strong>n- und Christentumsferne:<br />
Das ist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Mischung. Ich<br />
me<strong>in</strong>e, dass die Bereitschaft zu e<strong>in</strong>em neuen<br />
Hören auf die Botschaft des christlichen<br />
Glaubens im Osten besser ausgeprägt ist als<br />
im alten Westen. Was ganz fremd geworden<br />
ist, wird wieder <strong>in</strong>teressant. Diese alte<br />
Lebensweisheit gilt wohl auch <strong>in</strong> diesem<br />
besonderen Fall. Freilich: Das erfordert<br />
auch von den Christen und <strong>Kirche</strong>n e<strong>in</strong>e<br />
vertiefte Lernbereitschaft. Wir müssen<br />
wieder neu „auskunftsfähig“ werden, so<br />
wie es Luther für se<strong>in</strong>e Zeit war, aber eben<br />
im Lebens- und Problemhorizont der Menschen<br />
von heute.<br />
Ich wandle e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Aussage von<br />
Ernst-Wolfgang Böckenförde ab, der davon<br />
sprach, dass „der freiheitliche säkularisierte<br />
Staat von Voraussetzungen (lebt), die er<br />
selbst nicht garantieren kann“. 3 Dieser Satz<br />
gilt analog auch von den <strong>Kirche</strong>n, letztlich<br />
von der e<strong>in</strong>en <strong>Kirche</strong> Jesu Christi als geglaubter,<br />
von den Christen im Credo bekannten<br />
Wirklichkeit. Die <strong>Kirche</strong> kann sich<br />
nicht selbst „garantieren“. Sie ist Widersche<strong>in</strong><br />
des Evangeliums. Sie ist für das Evangelium,<br />
um des Evangeliums willen da. Sie<br />
ist – im Bild gesprochen – nicht die Melodie<br />
selbst, sondern nur deren Resonanzraum.<br />
Sie muss und darf das österliche Lied, das<br />
alle<strong>in</strong> von Gott ausgeht, <strong>zum</strong> Kl<strong>in</strong>gen br<strong>in</strong>gen.<br />
Davon lebt sie. Das ist ihre Aufgabe.<br />
Nicht mehr und nicht weniger.<br />
Dieses uns tragende und aufgetragene<br />
Evangelium <strong>zum</strong> „Erkl<strong>in</strong>gen“ zu br<strong>in</strong>gen –<br />
1945<br />
GrüNDuNG DEr EKD<br />
In Treysa treffen sich im August 1945 Geistliche aus 28 Landeskirchen und schaffen die<br />
vorläufige Ordnung für die <strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Deutschland (EKD). Die Eigenständigkeit<br />
der Landeskirchen wird betont, auf e<strong>in</strong> Bekenntnis wird verzichtet. Geleitet wird die EKD<br />
von e<strong>in</strong>em zwölf Personen umfassenden Rat an der Spitze, e<strong>in</strong>e Lehre aus der Nazizeit.<br />
Erster Ratsvorsitzender ist Theophil Wurm, se<strong>in</strong> Stellvertreter ist Mart<strong>in</strong> Niemöller.<br />
DEBATTEN<br />
das wäre e<strong>in</strong> Reformationsgedenken mit<br />
„geistlicher Nachhaltigkeit“.<br />
2. Was könnte dem reformationsgedenken<br />
e<strong>in</strong>en ökumenischen<br />
charakter geben?<br />
Me<strong>in</strong>e Erwartungen s<strong>in</strong>d bescheiden.<br />
Ich wünschte mir, dass sich <strong>in</strong> den kommenden<br />
Jahren die Fremdheiten zwischen uns<br />
nicht vergrößern. Wir sollten kle<strong>in</strong>e Zeichen<br />
setzen, aber ehrliche. Nötigen wir uns nicht<br />
gegenseitig etwas ab, sondern laden wir uns<br />
e<strong>in</strong>, das <strong>in</strong> diesen Dekadejahren zu tun, was<br />
uns guten Gewissens mite<strong>in</strong>ander möglich<br />
ist und uns zusammenbr<strong>in</strong>gt. Und das<br />
sche<strong>in</strong>t mehr als auf den ersten Blick zu vermuten<br />
ist.<br />
Zudem sollte grundsätzlich auch an die<br />
E<strong>in</strong>beziehung anderer <strong>Kirche</strong>n und besonders<br />
auch jene Geme<strong>in</strong>schaften gedacht werden,<br />
die sich auf das reformatorische Erbe<br />
berufen. Die E<strong>in</strong>beziehung der ACK-<strong>Kirche</strong>n<br />
ist für unsere beiden <strong>Kirche</strong>n nicht immer<br />
eitel Freude, aber deren geistliches Erbe<br />
gehört mit zur Fülle des „Katholischen“ und<br />
„Reformatorischen“, deren essentielle Elemente<br />
nicht verloren gehen dürfen.<br />
Es gilt ernst zu machen mit der Tatsache,<br />
dass wir <strong>in</strong> der Tiefe, nicht unbed<strong>in</strong>gt an der<br />
Oberfläche <strong>in</strong> der getrennten Christenheit<br />
mehr haben, was uns untere<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>det,<br />
als was uns trennt. Johannes Paul II. hatte<br />
dies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ökumene-Enzyklika Ut unum<br />
s<strong>in</strong>t (Nr. 22) selbst so formuliert. Der jetzige<br />
Papst Benedikt XVI. hat noch als Präfekt der<br />
Glaubenskongregation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an die<br />
Theologische Quartalschrift Tüb<strong>in</strong>gen 1986<br />
die glückliche Formulierung gebraucht, man<br />
müsse „die bestehende E<strong>in</strong>heit operativ<br />
machen“. Wie kann das geschehen? Ich beschränke<br />
mich im Folgenden wieder auf<br />
vier Impulse.<br />
Reformationsjubiläum 2017 91