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Zakarya Ibrahem, 27, träumt nachts von Soldaten, die sein Haus in Syrien stürmen.<br />
Gefahr darstellt? Prinzipiell schon, doch<br />
das Traumagedächtnis spielt Erlebtes<br />
eben nicht ganz genau nach, sondern<br />
nur ähnlich. Der äußere Anlass mag nicht<br />
real sein, die Angst der Betroffenen aber<br />
umso mehr, denn das Erlebnis fühlt sich<br />
exakt so an, als ob es im Hier und Jetzt<br />
geschehen würde. Bei manchen äußert<br />
sich die Reaktion auf die Trigger in einer<br />
sofortigen Panikattacke, bei manchen<br />
eben als Albtraum in der Nacht.<br />
Krieg ist eine<br />
Bedrohung des<br />
Herzens. Und das<br />
Herz vergisst nicht.<br />
EXISTENZÄNGSTE UND<br />
SUIZIDGEDANKEN<br />
Die dritte große Art von Albträumen<br />
Geflüchteter ist jene am Rande eines<br />
Abgrunds zu stehen oder in einen<br />
Abgrund zu fallen. „Krieg ist eine existenzielle<br />
Wunde, wo es um Sein- oder<br />
Nichtsein geht, man fühlt sich ‚aus dem<br />
Leben geworfen‘“, erläutert Baer. Mit<br />
Existenzängsten kommen die Menschen<br />
über die Grenze und legen diese auch<br />
lange nicht ab. Manche haben gerade in<br />
dieser Anfangsphase verstärkt Albträume,<br />
weil so vieles neu, ungewohnt<br />
und beängstigend ist. Andere haben<br />
die Albträume aber erst, wenn sie alles<br />
Bürokratische erledigt haben und richtig<br />
angekommen sind. Baer veranschaulicht:<br />
„Wenn das vorbei ist, hat die Seele Zeit<br />
sich zu melden. Krieg ist eine existenzielle<br />
Bedrohung des Herzens und das<br />
Herz vergisst nicht.“<br />
Diese Albträume haben nicht nur<br />
Geflüchtete aus Syrien. Vor allem aus der<br />
Betreuung ex-jugoslawischer Geflüchteter<br />
kennt Udo Baer ähnliche Erzählungen:<br />
„Die Trigger sind vielleicht anders,<br />
aber das Traumagedächtnis funktioniert<br />
gleich.“ Bei manchen Menschen mit<br />
Fluchterlebnissen kommen die Albträume<br />
erst, wenn sie über 60 sind und die Kraft<br />
zur Kontrolle nachlässt. Doch auch wenn<br />
das Trauma früher erkannt wird, kann die<br />
Wartezeit für einen Therapieplatz lange<br />
dauern: „Bis dahin sind viele depressiv,<br />
Alkoholiker, halten sich für verrückt, sind<br />
suizidal oder bringen sich sogar wirklich<br />
um“, erzählt Baer und nennt die vorherrschende<br />
Situation unmenschlich. Für den<br />
Journalisten Zakarya ist die Realität viel<br />
frustrierender, als ein Albtraum es je sein<br />
könnte. Die Lösung sieht er im Ende des<br />
Krieges. „Seit fünf Jahren habe ich meine<br />
Familie nicht gesehen und das kann<br />
noch zehn Jahre dauern. Der Traum hört<br />
auf, wenn die Person ihr Ziel erreicht.<br />
Meine Albträume werde ich also los sein,<br />
wenn ich meine Familie sehe.“ ●<br />
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