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MEINUNG<br />

„Bitte pünktlich kommen,<br />

du bist hier in Österreich!“<br />

Von Aladin Nakshbandi<br />

Ehrenamtliche Arbeit ist besser<br />

als hundert Deutschkurse<br />

Von Ahmad Massoud Omar<br />

„Bitte pünktlich kommen, du bist hier in Österreich!“ Das<br />

kommt mir vor allem dann zu Ohren, wenn ich einen<br />

Deutschkurs besuche oder einen Termin beim Arzt wahrnehmen<br />

muss. Daraus schließe ich, dass in zahlreichen<br />

Situationen ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass<br />

ich ganz gewiss zu spät kommen werde. Dabei bemühe<br />

ich mich sogar sehr, seitdem ich in Österreich lebe, einige<br />

Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt zu erscheinen, sei<br />

es nun bei Behördengängen oder bei diversen Meetings.<br />

Ausnahmen werden nur dann toleriert, wenn es einen<br />

triftigen Grund gibt. Das ist natürlich nicht immer leicht, vor<br />

allem für jemanden wie mich, der fünf Kinder zu Hause hat.<br />

Die Pünktlichkeit geht im allmorgendlichen Stress gerne mal<br />

unter. Lustig sind dann immer meine Uni-Kollegen, wenn<br />

ein Café-Treffen ansteht: „Komm rechtzeitig, Aladin“, sagen<br />

sie. Dabei sind genau sie die notorischen Zuspätkommer –<br />

Stichwort: akademische Viertelstunde.<br />

Vor allem am Bahnhof merke ich die Wichtigkeit von<br />

Pünktlichkeit. Jede Minute wird die Durchsage gemacht:<br />

„Achtung! Zug verspätet sich.“ Jedes Mal bricht hektische<br />

Panik aus. Dass man nicht alle in einen Topf werfen soll,<br />

ist klar. Mir stellt sich dennoch die Frage, ob Pünktlichkeit<br />

eine kulturelle Sache ist. Das betrifft vor allem Menschen,<br />

die – wie auch ich – von einer Kultur zur anderen wechseln<br />

und sich mit kulturellen Unterschieden konfrontiert sehen.<br />

In meiner Heimat Syrien gilt es gar als unhöflich, punktgenau<br />

zu erscheinen. Das vermisse ich manchmal. Ja klar ist<br />

Pünktlichkeit gut, in Österreich aber viel zu übertrieben. Ob<br />

ich jetzt fünf Minuten früher oder später dran bin, sollte man<br />

öfters mit einem kleinen Augenzwinkern betrachten. Ich bin<br />

keine Maschine, ein wenig mehr Gelassenheit wünsche ich<br />

mir von meiner neuen Heimat schon. Entspannt euch, Leute!<br />

Aladin ist 51, kommt aus Syrien und ist seit fünf<br />

Jahren in Österreich. Er hat 20 Jahre lang in der<br />

Kommunikationsbranche gearbeitet. Er möchte in seiner<br />

beruflichen Zukunft gerne als Brücke zwischen Österreich<br />

und Nahost fungieren. Sein Arbeitstraining absolviert Aladin<br />

derzeit beim Presseclub Concordia.<br />

Als ich nach Österreich kam, beherrschte ich weder die<br />

deutsche Sprache, noch die Rechtschreibung. Deshalb<br />

habe ich von Anfang an eine Integrationsstrategie entwickelt,<br />

um die Sprache und Kultur in Österreich schnellstmöglich<br />

zu erlernen. Ich habe mich zuerst bei der Caritas<br />

und später auch beim Landeskrankenhaus und der Polizei<br />

als Dolmetscher beworben. Dort habe ich ehrenamtlich<br />

Sprachen wie Farsi, Dari und Paschtu auf Englisch übersetzt<br />

– auch in Fällen von anderen Flüchtlingen.<br />

Dadurch kam ich auch oft in Kontakt mit der deutschen<br />

Sprache. Im Laufe der Zeit und durch meine ehrenamtlichen<br />

Tätigkeiten konnte ich viele Menschen kennenlernen,<br />

die mir weitere Möglichkeiten vermittelten. Ich<br />

war zum Beispiel Mitglied im Schachklub und habe auch<br />

oft Volleyball gespielt, wo man mit anderen Leuten ins<br />

Gespräch kommt. Man lernt einfach viel mehr, wenn man<br />

sich außerhalb der Standard-Deutschkurse mit Menschen<br />

aus Österreich unterhält. Dabei spielt die Körpersprache<br />

der Menschen, mit denen man spricht, eine große Rolle.<br />

So kann man viele unbekannte Wörter zuordnen und<br />

verstehen.<br />

Klar, man muss das Ganze mit einem Deutschkurs kombinieren.<br />

Vor allem wegen der Rechtschreibung. Aber<br />

trotzdem habe ich das Gefühl, dass mir meine Dolmetscher-Tätigkeit<br />

um einiges mehr gebracht hat. Anstatt<br />

nur zuhause rumzusitzen und auf meine Deutschkurse zu<br />

warten, konnte ich einen Einblick in die österreichischen<br />

Grundwerte erlangen und hatte eine geregelte Tagesstruktur.<br />

Auch die Entwicklung von Soft-Skills funktioniert<br />

nur, wenn man auch Kontakt mit Menschen außerhalb von<br />

Seminarräumen und Lehrerzimmern hat. Als ich nach zwei<br />

Jahren in Österreich meinen Asylbescheid bekommen<br />

habe, konnte ich beim AMS gleich mit einem B2-Deutschkurs<br />

starten und konnte A1 und A2 überspringen.<br />

Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, sich ehrenamtlich<br />

zu engagieren. Es ist bei jeder ehrenamtlichen Arbeit ein<br />

gutes Gefühl, Österreich wieder etwas zurückzugeben.<br />

Mein Motto ist dabei: “Wollen ist Können!”<br />

Marko Mestrović<br />

54 / MIT SCHARF /

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