„Wie eine Allergie“ Aus Henrik* wurde Hannah*: Warum eine Direktorin ein Transgender-Kind nicht an ihrer Schule haben wollte. Von Alexandra Stanić (Text und Fotos) 24 / POLITIKA /
Hannah * ist ein fröhliches und offenes Kind. Sie hat wachsame, neugierige Augen und hört aufmerksam zu. Ihr langes blondes Haar reicht ihr fast bis zur Hüfte. Hannah hat einen großen Freundeskreis, klettert gerne, liebt Biologie und ihren Hund Luna. Die Zehnjährige mag es, sich zu verkleiden und zu singen. Mit sechs Jahren stellt sie ein Theaterstück mit gleichaltrigen Kindern ohne die Hilfe von LehrerInnen auf die Beine und führt es in der Schule auf. „Wenn Hannah nicht zu Hause ist, ist es bei uns ruhig wie im Kloster“, sagt Andrea * über ihre Tochter. Hannah wächst behütet mit ihren Geschwistern auf und begeistert sich schnell für Dinge – wie das in diesem Alter oft der Fall ist. Sie unterscheidet sich kaum von anderen Mädchen. Es gibt nur einen Unterschied: Hannah wurde als Bub geboren. Im Herbst 2016 bewirbt sie sich für die Montessori Schule „MOKIWE“ in Brunn am Gebirge in Niederösterreich. Nachdem ihr Stiefvater Peter * einen Hospitationstag absolviert hat, darf Hannah im Dezember einen Vormittag lang schnuppern. Sie mag die Schule, weil die Lernumgebung ruhig und entspannt ist. Sie versteht sich auf Anhieb mit den LehrerInnen, die Schule ist zu Fuß erreichbar und den großen Garten mag sie besonders – Hannah verbringt ihre Freizeit am liebsten draußen. Umso größer ist ihre Freude, als sie die Zusage für die alternative Schule bekommt. Auch die Direktorin und die LehrerInnen sind sehr zufrieden mit Hannah und glauben, dass sie gut in die Schule passen wird – nicht umsonst geben sie ihr einen der wenigen Plätze in der Privatschule. OFFIZIELL EIN MÄDCHEN 2012 wurde die Lehreinrichtung im Bezirk Mödling eröffnet, sechs bis 15-Jährige werden dort unterrichtet. Das Ziel der alternativen Schulform ist es, auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Ein eigener Lernrhythmus soll gefunden werden, PädagogInnen treten dabei in den Hintergrund und unterstützen SchülerInnen bei der Selbstständigkeit. „Wir fanden das Konzept gut für Hannah“, so ihre Mutter, die von Beruf Psychologin und Sonder- und Heilpädagogin ist. „Zudem haben wir uns speziell von einer Montessori-Schule Weltoffenheit erhofft.“ Weltoffenheit für ihr Kind, das transgender ist. Hannah wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen, sie identifiziert sich jedoch als Mädchen. Sie trägt Röcke und Kleider, hat hüftlange Haare und einen weiblichen Namen. „Sie ist auch auf dem Papier ein Mädchen, wir haben eine Personenstandsänderung vollzogen“, erklärt Andrea. Den Personenstand muss man ändern, um offiziell im gelebten Geschlecht anerkannt zu werden. Dazu braucht es das Statement einer transkundigen Fachperson aus Psychotherapie, klinischer Psychologie oder Psychiatrie. Bei Kindern müssen zudem die leiblichen Eltern zustimmen. Mit diesem Gutachten kann man „Wenn Hannah nicht zu Hause ist, ist es bei uns ruhig wie im Kloster.“ Hannah ist ein aufgewecktes Kind, das am liebsten draußen in der Natur ist. beim Standesamt (in Wien die MA26, in den Bundesländern die Bezirkshauptmannschaft) die Personenstands- und Vornamensänderung einreichen. Seit 2014 verläuft diese Prozedur in allen Bundesländern gleich. Geburtsurkunde, E-Card, Personalausweis: Hannah ist auch rechtlich ein Mädchen. Als sie vier Jahre alt ist, bemerkt ihre Mutter schon, dass sie sich eher für „Mädchensachen“ interessiert. Es begann mit Hello Kitty-Socken. Dann wünscht sich Hannah, damals noch Henrik * , ein Kleid. Andrea schränkt sie bei ihrer Entwicklung nicht ein, Hannah stößt nie auf Gegenwehr. Bald darauf malt sie sich als Prinzessin, spielt lieber mit Mädchen als mit Burschen, verkleidet sich und behängt sich mit Schmuck. Sie experimentiert immer öfters mit weiblichen Namen und trägt nur noch Kleidung für Mädchen. Jahre vergehen. „Wenn ich mit Hannah auf dem Spielplatz war und dann nach Henrik gerufen habe, wurde ich von allen Müttern neugierig angesehen“, erinnert sich Andrea. „Mit der Zeit haben wir dann eine Namensänderung in Betracht gezogen, weil wir das für sinnvoll hielten.“ Hannah durfte mitentscheiden, wie sie heißen sollte. Ob bei den Pfadfindern, beim Reiten oder in ihrer alten Schule: Nie wurde sie aufgrund ihrer Transidentität mit Problemen konfrontiert. Deswegen rechnet auch niemand mit dem, was als Nächstes folgen wird. Die Zehnjährige plant, was sie in ihre neue Schule anziehen wird, freut sich besonders auf Biologie und auf die Aus- / POLITIKA / 25