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Flexibilität

Credit Suisse bulletin, 1999/01

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DAS MAGAZIN DER CREDIT SUISSE<br />

FEBRUAR/MÄRZ 1999<br />

BULLETIN<br />

1<br />

FINANZMARKT<br />

EUROPA SCHLÄGT<br />

IM NEUEN TAKT<br />

SORGENBAROMETER 1998<br />

DAS PLAGT<br />

DIE EIDGENOSSEN<br />

FLAMENCOSTAR NINA CORTI<br />

EINE LEKTION IN SACHEN<br />

LEIDENSCHAFT<br />

DIE WIRTSCHAFT SETZT AUF<br />

FLEXIBILITÄT


DIE BANK ALS BIENENHAUS: ES HERRSCHT EIN EMSIGES<br />

KOMMEN UND GEHEN.<br />

CREDIT SUISSE-ZENTRUM ÜETLIHOF, ZÜRICH, 8.27 UHR.


INHALTSVERZEICHNIS<br />

3<br />

SCHWERPUNKT<br />

4 FLEXIBILITÄT | Ein Phänomen scheidet die Geister<br />

11 MACHT DER GEFÜHLE | Wie verhalten sich Anleger ?<br />

14 NEUE ARBEITSZEITMODELLE | Exklusivumfrage<br />

18 FLEXIBLE MENSCHEN | Sie biegen und dehnen sich<br />

24 LOYALITÄT ADE | Das Marketing ist gefordert<br />

NEWS<br />

28 FONDS-SPARPLAN | So bauen Sie Ihr Vermögen auf<br />

WEGE ZUR HYPOTHEK | Internet, Telefon, Winterthur<br />

29 EURO-KONTO | Finanzielle Drehscheibe fürs Euroland<br />

BULLETIN-ONLINE | Ein Traditionsblatt geht ins Netz<br />

ECONOMIC RESEARCH<br />

30<br />

34<br />

EUROPAS BANKEN | Der Umbruch hat begonnen<br />

WIE STABIL IST DER EURO? | Experten nehmen Stellung<br />

37 UNSERE PROGNOSEN ZUR KONJUNKTUR<br />

38<br />

40<br />

AKTIENANLAGEN | Zwischen Risiko und Rendite<br />

IMMOBILIENBRANCHE | Ein Markt hat Schlagseite<br />

43 UNSERE PROGNOSEN ZU DEN FINANZMÄRKTEN<br />

SCHAUPLATZ<br />

44 INFORMATIONSFLUT | Bruno Bonati im Gespräch<br />

STUDIE<br />

46 SORGENBAROMETER | Realismus macht sich breit<br />

WIE FLEXIBEL<br />

SIND WIR ?<br />

WIE FLEXIBEL<br />

SOLLEN WIR SEIN ?<br />

DAS BULLETIN<br />

HAT SICH AN DIE FRAGEN<br />

HERANGESCHLICHEN.<br />

SERVICE<br />

50 BARGELDLOS GLÜCKLICH | Das Plastikgeld boomt<br />

54 ORIENTIERUNG | Flowteams erobern die Arbeitswelt<br />

MAGAZIN<br />

56<br />

58<br />

NINA CORTI | Zürcher Lady tanzt den Flamenco<br />

JOHANN VOGEL | Trainer, Tränen und Trophäen<br />

59 AGENDA<br />

60 FILMFESTIVAL FREIBURG | Wo der Südwind weht<br />

60 IMPRESSUM<br />

CARTE BLANCHE<br />

62 SHAREHOLDER UND STAKEHOLDER | Gianfranco Cotti<br />

INHALT<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


TOTAL FLEXIBEL<br />

FLEX<br />

FÜR SESSELKLEBER UND LERNRESISTENTE:<br />

SCHLECHTE ZEITEN<br />

DIE WIRTSCHAFT BLÄST ZUR ABSOLUTEN<br />

FLEXIBILITÄT. DIE CREDIT SUISSE SIEHT DARIN<br />

GROSSE CHANCEN.<br />

VON CHRISTIAN PFISTER, REDAKTION BULLETIN


SCHWERPUNKT<br />

5<br />

Betrieb. Rund 400 Zuhörerinnen und<br />

Zuhörer drängten sich ins Auditorium. Sie<br />

kamen, um den Mann referieren zu hören,<br />

der mit seinem Buch «Der flexible Mensch»<br />

seit Monaten auf den Bestsellerlisten zu<br />

finden ist: Richard Sennett, seines Zeichens<br />

amerikanischer Starsoziologe und<br />

kritischer Beobachter der menschlichen<br />

Spezies.<br />

Und so brillant sein Vortrag, so düster<br />

seine These: Die <strong>Flexibilität</strong>, zu der die<br />

Arbeitswelt immer mehr Menschen zwingt,<br />

zerstöre den Charakter; blindlings folge<br />

die Gesellschaft dem Ideal der <strong>Flexibilität</strong>,<br />

ohne sich klar darüber zu sein, welch hoher<br />

Preis dafür zu bezahlen sei. Darum seine<br />

Fragen: «Wie können Loyalität und Verpflichtungen<br />

in Institutionen aufrechterhalten<br />

werden, die ständig zerbrechen oder<br />

immer wieder umstrukturiert werden ? Wie<br />

bestimmen wir, was in uns von bleibendem<br />

Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen<br />

Gesellschaft leben, die sich nur auf den<br />

unmittelbaren Moment konzentriert ?»<br />

Man mag Sennetts Analyse des flexiblen<br />

Kapitalismus teilen oder nicht – die Fragen,<br />

die er aufwirft, treffen den Nerv der Zeit.<br />

I BILITÄT<br />

Noch im 19. Jahrhundert taumelte der<br />

«Im Zuge des letzten<br />

Wirtschaftsbooms hat es radikale<br />

Veränderungen gegeben.<br />

Diese Veränderungen der Arbeit<br />

haben bei den Arbeitnehmern<br />

zu eindeutigen gesellschaftlichen<br />

und persönlichen Schäden<br />

geführt.» * Eigentlich war es ein Dezemberabend<br />

von vielen. Der Winter fegte mit<br />

seinem nasskalten Treiben die Menschen<br />

nach Ladenschluss in ihre warmen Stuben.<br />

Die Strassen St. Gallens waren an diesem<br />

Dienstagabend ausgestorben. Auf dem<br />

Gelände der Uni, etwas oberhalb des<br />

Stadtzentrums, herrschte hingegen reger<br />

Kapitalismus – so Sennett – an den Börsen<br />

und bei irrationalen Investitionen von Katastrophe<br />

zu Katastrophe. Für die Menschen<br />

gab es im Wirtschaftsgefüge kaum Sicherheit.<br />

Erst in den Jahrzehnten nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg brachten die hochentwickelten<br />

Länder diese Unordnung zum<br />

Teil unter Kontrolle. «Starke Gewerkschaften,<br />

die Garantien des Wohlfahrtsstaats<br />

und grosse Unternehmen schufen gemeinsam<br />

eine Ära relativer Stabilität», schreibt<br />

Sennett in «Der flexible Mensch».<br />

Das sind «tempi passati». «Die letzten<br />

vierzig Jahre waren in der Wirtschaftsgeschichte<br />

die abnormalen», wendet Peter<br />

Lienhart von der Geschäftsleitung der<br />

CREDIT SUISSE ein. «In den Zeiten davor<br />

war der Wettbewerb immer unstet und<br />

ruppig.» So gesehen ist man in der Wirtschaft<br />

heute wieder zur Normalität zurückgekehrt<br />

– und die erklärt unbarmherzig:<br />

* Die Zitate stammen von Richard Sennett, Soziologe und Autor von «Der flexible Mensch», Berlin 1998<br />

Wer nicht flexibel auf den Markt reagiert,<br />

ist bald weg vom Fenster. Auf das haben<br />

sich alle einzustellen, Berufsleute wie Unternehmen.<br />

«Die Unternehmen sind<br />

zu instabilen Einrichtungen<br />

geworden, die andauernd<br />

ihre DNS auftrennen und neue<br />

Verbindungen eingehen.<br />

Doch die fehlende Langfristigkeit<br />

kann zur Desorientierung<br />

von Individuen und Familien<br />

führen.» Die Welt war 1998 von akuter<br />

«Fusionitis» befallen. Noch nie zuvor hatten<br />

sich so viele Unternehmen mit anderen zusammengeschlossen.<br />

Das englische Wirtschaftsmagazin<br />

«The Economist» rechnete<br />

unlängst auf, dass es 1998 in bezug auf<br />

den Aktienwert der Firmen zu 50 Prozent<br />

mehr Fusionen gekommen ist als 1997;<br />

im Vergleich mit 1996 hat sich die Zahl gar<br />

verdoppelt. Kinder dieser Zeit sind in der<br />

Schweiz etwa Novartis, aber auch die<br />

CREDIT SUISSE GROUP. Und für 1999<br />

rechnet der «Economist» erneut mit einem<br />

Zuwachs. Die Botschaft für viele Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter ist unmissverständlich.<br />

Firmen werden umgekrempelt,<br />

zusammengelegt oder – wenn’s schlecht<br />

läuft – liquidiert. Eine Beruhigung ist nicht<br />

absehbar. Der Schrei nach <strong>Flexibilität</strong> wird<br />

der Wirtschaft noch längere Zeit durch<br />

Mark und Bein fahren.<br />

«Ich bin seit zwölf Jahren am Umstrukturieren»,<br />

schmunzelt Karl P. Ruoss, der in<br />

der CREDIT SUISSE das Projekt Focus<br />

durchgezogen hat. Dabei ging es um die<br />

Infos und Links zum Thema «<strong>Flexibilität</strong>»: BULLETIN |<br />

ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin


SCHWERPUNKT<br />

6<br />

Betreuung und Unterstützung der Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, die sich nach<br />

dem Zusammengehen von Bank Leu, der<br />

Neuen Aargauer Bank, der Volksbank und<br />

der Kreditanstalt vor zweieinhalb Jahren in<br />

einem neuen Umfeld bewegen mussten.<br />

Und Ruoss’ Erfahrung und Geschick bei<br />

früheren Umstrukturierungen waren gefordert:<br />

In den vergangenen zweieinhalb<br />

Jahren hat die CREDIT SUISSE 3500<br />

Stellen abgebaut – teils durch Frühpensionierungen<br />

oder durch Neuplazieren<br />

innerhalb und ausserhalb der Bank, teils<br />

durch natürliche Fluktuation. Zu eigentlichen<br />

Entlassungen kam es nur in rund<br />

«Der flexible Kapitalismus<br />

verschiebt Angestellte abrupt von<br />

einem Arbeitsbereich in einen<br />

anderen. Das Wort ‹job›<br />

bedeutete ursprünglich einen<br />

Klumpen oder eine Ladung,<br />

die man herumschieben konnte.<br />

Die <strong>Flexibilität</strong> bringt diese<br />

vergessene Bedeutung zu neuen<br />

Ehren. Die Menschen verrichten<br />

Arbeiten wie Klumpen, mal hier,<br />

mal da.» Verschiedene Facetten entschieden<br />

in der CREDIT SUISSE über die<br />

Akzeptanz und folglich den Erfolg der<br />

neuen Strategie: Zum einen zählte die geo-<br />

LE<br />

«AM MEISTEN MÜHE MACHTE DEN MITARBEITERN<br />

DIE GEOGRAPHISCHE FLEXIBILITÄT. DAS FÜHRTE<br />

AUCH ZU UNERWÜNSCHTEN ABGÄNGEN.»<br />

KARL P. RUOSS, LEITER RESSORT PERSONELLE REALISIERUNG DER CREDIT SUISSE<br />

einen neuen Job einen längeren Anfahrtsweg<br />

oder gar einen Wohnortswechsel in<br />

Kauf zu nehmen. Hinzu kam die funktionale<br />

<strong>Flexibilität</strong>, der Wille, umzulernen und<br />

neue Aufgaben zu übernehmen. Zudem<br />

führte die Neuorientierung zur Frage der<br />

materiellen <strong>Flexibilität</strong>, der Bereitschaft,<br />

marktbedingte Saläranpassungen auch<br />

nach unten zu akzeptieren. Spezielle Anforderungen<br />

wurden an die soziale <strong>Flexibilität</strong><br />

gestellt, die Fähigkeit, neue Beziehungen<br />

zu knüpfen und sich gegenüber unbekannten<br />

Kulturkreisen zu öffnen.<br />

«Am meisten Mühe machte die geographische<br />

<strong>Flexibilität</strong>», resümiert Karl P. Ruoss<br />

seine Erfahrungen. «Das führte auch zu<br />

unerwünschten Abgängen.» Dennoch haben<br />

sich insgesamt 800 Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter für einen Wechsel des<br />

Arbeitsorts entschieden. Relativ gut stand<br />

es in den Teams der CREDIT SUISSE mit<br />

der funktionalen <strong>Flexibilität</strong>, was ein posieinem<br />

Dutzend Fällen. Ende 1998 war der<br />

Umbau abgeschlossen. Die Art und Weise,<br />

wie die CREDIT SUISSE und ihre Spezialistenteams<br />

diese schwierige Zeit gemeistert<br />

haben, brachte ihr Anerkennung ein.<br />

Die Bank gilt hier als Benchmark.<br />

Hautnah erlebte Karl P. Ruoss die<br />

Komplexität, die eine Fusion und ein Neuaufbau<br />

eines Unternehmens mit sich bringen.<br />

Nach der Umstrukturierung blieb in<br />

der CREDIT SUISSE kein Stein auf dem<br />

andern. Die neue Strategie veränderte<br />

sehr viele Berufe und Funktionen in der<br />

Firma. Neue Produkte und Vertriebskanäle<br />

wurden lanciert; allein in den Dienstleistungszentren<br />

entwarfen die Teams<br />

über 500 Arbeitsabläufe neu. «Hätten die<br />

Leute nicht mitgezogen und verstanden,<br />

warum wir diesen Weg gegangen sind,<br />

hätte die Umstrukturierung keine Chance<br />

gehabt», beschreibt Karl Ruoss diese<br />

Leistung.<br />

Und Ruoss’ Rückschau förderte einen<br />

interessanten Aspekt zu Tage: «Wir merkten<br />

schnell, wer schon mal durch einen<br />

ähnlichen Prozess gegangen ist. Wer drei<br />

Jahre keine grössere Veränderung durchgemacht<br />

hatte, bekundete viel mehr Mühe,<br />

sich anzupassen.» Es sei wie mit einem<br />

Zug: Ist er noch in Fahrt, lässt er sich<br />

besser beschleunigen; einmal gebremst,<br />

dauert das länger.<br />

XIB<br />

graphische <strong>Flexibilität</strong>, die Bereitschaft, für<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

7<br />

tives Zeichen ist für die Fitness des Unternehmens.<br />

Und in einzelnen Fällen akzeptierten<br />

Mitarbeiter auch, wenn der Stellenwechsel<br />

zu einer Lohneinbusse führte.<br />

Ein sensibles Thema ist die soziale <strong>Flexibilität</strong>.<br />

Geschäftsleitungsmitglied Peter<br />

Lienhart ist weit davon entfernt, diesen<br />

Aspekt zu unterschätzen oder zu beschönigen:<br />

«Ich selber habe innerhalb des Unternehmens<br />

einige Orts- und Stellenwechsel<br />

hinter mir. Jedesmal hinterliess ich ein Beziehungsnetz.<br />

Man zahlt für die <strong>Flexibilität</strong><br />

einen Preis, es findet eine Verarmung statt.»<br />

So oder so: <strong>Flexibilität</strong> zehrt an der<br />

Substanz. Peter Lienhart will jedoch Sen-<br />

«FLEXIBILISIEREN<br />

IST NICHT GLEICH<br />

ENTLASSEN»<br />

THOMAS KNECHT,<br />

MANAGING DIRECTOR MC KINSEY SCHWEIZ<br />

CHRISTIAN PFISTER Wie schafft man ein flexibles<br />

Unternehmen ?<br />

THOMAS KNECHT Das Topmanagement<br />

braucht eine Vision. Die Einsicht muss die<br />

ganze Firma durchdringen, dass die Veränderungen<br />

zwingend sind. Die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter müssen für den<br />

neuen Kurs motiviert werden, sonst geht<br />

es nicht. Eine erfolgreiche Veränderung<br />

allein macht ein Unternehmen aber noch<br />

nicht flexibel.<br />

ILIT Ä T<br />

Was denn ?<br />

netts Behauptung nicht unerwidert gelten<br />

lassen, dass Unternehmen ihre Angestellten<br />

mir nichts, dir nichts in der Gegend<br />

herumschöben. Vor allem nicht im Falle der<br />

CREDIT SUISSE. «Unsere Bank war sich<br />

jederzeit im klaren: Damit die Mitarbeitenden<br />

Veränderungen bewältigen können,<br />

brauchen sie Stabilität und Sicherheit»,<br />

betont Lienhart. «Und das ist kein Widerspruch<br />

zur <strong>Flexibilität</strong>.»<br />

Diese Meinung teilt Markus Gisler, Chefredaktor<br />

der Wirtschaftszeitung «Cash»:<br />

«Die Unternehmen müssen dafür sorgen,<br />

dass die Mitarbeiter auch in Phasen der Umstrukturierung<br />

das Gefühl haben, es werde<br />

für sie geschaut. Hier machen die Firmen<br />

die grössten Fehler.» Zentral ist dabei<br />

die Art und Weise, wie die Leader in den<br />

Unternehmen ihre Ziele kommunizieren.<br />

«Die Leute haben ein Recht zu verstehen,<br />

was um sie herum abläuft», betont auch<br />

Gudela Grote, Professorin am Institut für<br />

Arbeitspsychologie der ETH Zürich. Und<br />

C.P.<br />

T.K. Voraussetzung ist, dass eine Firma<br />

eine Organisation aufbaut, in der die Marktkräfte<br />

sichtbar werden. Hat ein Unternehmen<br />

viele Leute im Backoffice, aber wenige<br />

im direkten Kundenkontakt, dann<br />

besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter<br />

den Druck und die sich verändernden<br />

Regeln des Marktes nicht mehr unmittelbar<br />

erleben. Diese Kräfte erkennbar zu<br />

machen ist eine Kunst, die nicht sehr<br />

viele Firmen beherrschen.<br />

C.P. Wie halten es Schweizer Unternehmen<br />

mit der Agilität im internationalen Vergleich?<br />

T.K. Die Mentalität der Schweizer ist<br />

nicht die agilste. Was uns aber auszeichnet,<br />

ist ein ausgesprochener Realitätssinn.<br />

Man stellt sich hierzulande der Wahrheit,<br />

auch wenn sie schmerzt. Das hilft, Veränderungen<br />

schnell und zielgerichtet voranzutreiben<br />

– wenn etwa ein Unternehmen in<br />

Schieflage gerät. Vielleicht hat diese Art<br />

mit unserer geopolitischen Lage zu tun.<br />

Umgeben von grösseren Nachbarn, waren<br />

wir immer die Kleineren, die ihre Möglichkeiten<br />

realistisch einzuschätzen hatten.<br />

C.P. Wo finden wir Vorbilder in Sachen flexible<br />

Unternehmen ?<br />

T.K. Es gibt viele kleine Unternehmen,<br />

die sich sehr schnell Trends anzupassen<br />

wissen. Namen zu nennen bringt aber<br />

nichts. Wichtiger ist, was diese auszeichnet:<br />

Sie können laufend Bestehendes in<br />

Frage stellen. Und sie machen alle die<br />

Marktkräfte sichtbar, kapseln ihre Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter nicht vom<br />

Markt ab. Zudem versuchen sie nicht<br />

einfach, die Erfolge von gestern heute zu<br />

repetieren.<br />

C.P. Mc Kinsey steht für eine erfolgreiche,<br />

konsequente Managementkultur. Bedeutet<br />

Flexibilisieren immer Entlassungen ?<br />

T.K. Unsere Arbeit hat mit Schaffen von<br />

Arbeitsplätzen zu tun. Nur ist das weniger<br />

spektakulär, um darüber in den Medien zu<br />

berichten. Klar: Der Abbau von Arbeitsplätzen<br />

kann kurzfristig durchaus eine<br />

Massnahme sein, um eine Firma neu auszurichten.<br />

Aber er ist nicht langfristig ein<br />

Rezept, um erfolgreich zu sein. Gute Unternehmen<br />

schaffen Arbeitsplätze.<br />

C.P. Ist für Sie der Zwang zur ständigen<br />

<strong>Flexibilität</strong> nicht mühsam ?<br />

T.K. Er wäre nur mühsam, wenn er<br />

nicht immer wieder zu Erfolgserlebnissen<br />

führen würde. Sobald ich merke, dass ich<br />

etwas bewirken kann, scheue ich mich<br />

nicht, Veränderungen kompromisslos voranzutreiben.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

8<br />

CHRISTIAN PFISTER Sind angesichts der heute<br />

ständig geforderten Bereitschaft, sich zu<br />

wandeln, Stabilität und langfristiges Denken<br />

wertlos ?<br />

PETER LIENHART Langfristig erfolgreich ist<br />

nur, wer laufend neue Trends erkennt und<br />

darauf rechtzeitig reagiert. Stabilität und<br />

Sicherheit jedoch bieten Voraussetzungen,<br />

damit Mitarbeitende den steten Wandel<br />

bewältigen.<br />

C.P. Die CREDIT SUISSE hat eine grosse<br />

Umstrukturierung hinter sich. Was waren<br />

für die Mitarbeitenden die grössten Nöte ?<br />

P.L. Sie mussten mit Angst und Unsicherheit<br />

fertigwerden. Unser Unternehmen<br />

reagierte darauf, indem es über die Veränderungen<br />

stets offen und klar informierte.<br />

Alle vermochten so den Sinn der<br />

neuen Strategie zu erkennen. Zudem ging<br />

es darum, Vertrauen in die neue Führung<br />

und in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen.<br />

Das beste Heilmittel ist Erfolg.<br />

C.P. Die CREDIT SUISSE setzt heute auf<br />

«employability»; sie hilft den Mitarbeitenden<br />

also, marktfähig zu sein. Tut die Bank das<br />

aus reiner Nächstenliebe ?<br />

P.L. Nein, sondern aus Verantwortung.<br />

Als Bank bewegen wir uns heute in einem<br />

rasanten Konkurrenzkampf. Früher konnte<br />

eine Bank praktisch eine Garantie geben<br />

für eine Stelle auf Lebenszeit. Damit ist es<br />

vorbei. Darum müssen unsere Mitarbeiter<br />

marktfähig sein. Das heisst nicht, dass wir<br />

sie schnell los sein wollen. Viel wichtiger<br />

ist: Wir wollen unser Geschäft mit top<br />

ausgebildeten Teams weiterbringen. Sind<br />

nämlich unsere Mitarbeiterinnen und Mit-<br />

«DAS BESTE<br />

HEILMITTEL IST<br />

ERFOLG»<br />

PETER LIENHART, MITGLIED DER<br />

GESCHÄFTSLEITUNG CREDIT SUISSE<br />

arbeiter marktfähig, so ist dies auch die<br />

CREDIT SUISSE.<br />

C.P. Was bringt <strong>Flexibilität</strong> den Mitarbeitenden<br />

?<br />

P.L. Abwechslung, Chancen und Sicherheit.<br />

C.P. Warum Sicherheit ?<br />

P.L. Ist jemand flexibel und multifunktional,<br />

dann weiss er, dass er schnell einen<br />

neuen Job finden wird. Ich wünsche mir,<br />

dass die Leute bei uns arbeiten, weil sie<br />

an unser Unternehmen glauben, aber<br />

auch aus der Überzeugung, eine super<br />

Stelle zu haben. Es kann ja nicht sein,<br />

dass Mitarbeitende bei uns sind, nur weil<br />

es ihnen an Alternativen mangelt.<br />

FLEX<br />

«MARKTFÄHIGE<br />

C.P. Wissen die Teams in der CREDIT SUISSE<br />

ob des ständigen Zwangs, sich zu wandeln,<br />

und des kurzfristigen Denkens überhaupt<br />

noch, wohin die Reise geht ?<br />

P.L. Was heisst hier kurzfristiges Denken<br />

– unsere Bank hat einen Businessplan,<br />

der auf drei Jahre angelegt ist. Wir<br />

planen also weder kurz- noch lang-, sondern<br />

mittelfristig. Was nicht ausschliesst,<br />

dass wir neue Marktchancen packen würden.<br />

Wir kommunizieren die Strategie<br />

unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

stufengerecht. Die Kommunikation ist<br />

im heutigen Umfeld ein entscheidender<br />

Punkt. Die Leute haben das Recht und<br />

den Anspruch zu verstehen, in welche<br />

Richtung sich die Firma bewegt.<br />

MITARBEITENDE HALTEN<br />

DAS UNTERNEHMEN<br />

AUF TRAB.»<br />

ALFRED SCHAUFELBERGER, LEITER DES<br />

RESSORTS PERSONAL DER CREDIT SUISSE<br />

Thomas Knecht, Chef der Unternehmensberatung<br />

Mc Kinsey Schweiz, nennt als<br />

kritischen Erfolgsfaktor einer Umstrukturierung,<br />

dass in einer Firma alle den Veränderungsbedarf<br />

erkennen und akzeptieren.<br />

«Es muss einsichtig sein, wohin die<br />

Reise geht und wie man die neue Vision<br />

für das Unternehmen umsetzen kann.»<br />

Die CREDIT SUISSE machte sich nicht<br />

einfach mit dem Zweihänder an die Umstrukturierung.<br />

Sie bot ihren Mitarbeiterinnen<br />

und Mitabeitern Hilfe, damit die<br />

Veränderung für jeden einzelnen überschaubar<br />

blieb. Schliesslich geht der<br />

Abbau von rund einem Viertel der Arbeitsplätze<br />

an keiner Firma spurlos vorbei.<br />

Wichtig war eine zukunftsweisende Strategie<br />

der Geschäftsleitung. Die Veränderungen<br />

wurden klar und kontinuierlich<br />

kommuniziert. Zudem stellte das Unternehmen<br />

Gelder zur Verfügung für Frühpensionierungen<br />

mit 56 und unterstützte<br />

Mitarbeiter, ausserhalb wie innerhalb der<br />

Bank eine gleichwertige Stelle zu finden.<br />

«Für die Mitarbeitenden schnürten wir<br />

Pakete sowohl finanzieller wie sozialer Art,<br />

damit sie die Veränderungen mit Selbstvertrauen<br />

anpacken konnten», erzählt Karl<br />

P. Ruoss.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

9<br />

«In der Arbeitswelt ist<br />

die traditionelle Laufbahn<br />

im Niedergang begriffen.<br />

Heute muss ein junger<br />

Amerikaner mit mindestens<br />

zweijährigem Studium<br />

damit rechnen, in vierzig<br />

Arbeitsjahren wenigstens<br />

elfmal die Stelle zu wechseln<br />

und seine Kenntnisbasis<br />

wenigstens dreimal<br />

auszutauschen.» Alfred Schaufelberger,<br />

Leiter des Ressorts Personal der<br />

CREDIT SUISSE, hält es mit dem Sprichwort:<br />

«Lernen ist wie Rudern gegen den<br />

«Loyalität drückt sich nicht in der Verweildauer<br />

eines Mitarbeiters aus», sagt Alfred<br />

Schaufelberger und erinnert daran, dass<br />

es langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

gibt, die innerlich gekündigt haben<br />

und entsprechend schlechtere Leistungen<br />

bringen. Ein Umdenken findet statt. Der<br />

Trend zu einem flexibleren Arbeitsmarkt<br />

lässt sich belegen: Im Computerbereich<br />

etwa betrug in den siebziger und achtziger<br />

Jahren die durchschnittliche Verweildauer<br />

25 Jahre, von 1987 bis 1991 lag sie noch<br />

bei rund acht Jahren und fiel dann bis<br />

auf rund fünf im Jahr 1993. Sesselkleber<br />

schreiben im heutigen wirtschaftlichen<br />

IBILITÄ T<br />

«VIELE LEUTE SIND NICHT SCHLECHT<br />

Strom; sobald man aufhört, treibt man zurück.»<br />

Lebenslanges Lernen ist ein Trend,<br />

den die flexible Arbeitswelt zwangsläufig<br />

fordert und fördert. Die Verfallszeit von<br />

Wissen schrumpft. Einsichten von gestern<br />

sind heute schon überholt.<br />

Die Ausgangslage ist klar: Unternehmen<br />

können ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

keine Stelle mehr auf Lebenszeit<br />

garantieren. Das zeigen Phasen der Umstrukturierung<br />

immer wieder deutlich. Es<br />

gehört deshalb zu den unternehmerischen<br />

Pflichten, die Angestellten zur Marktfähigkeit<br />

anzuhalten. «Die Firmen ihrerseits<br />

sind daran interessiert, Leute zu beschäftigen,<br />

die auch am Markt gefragt sind», erklärt<br />

Personalchef Schaufelberger. «Denn<br />

marktfähige Berufsleute sind nicht nur<br />

flexibler, sie halten auch das Unternehmen<br />

auf Trab.»<br />

Bei der CREDIT SUISSE geht man seit<br />

letztem Jahr systematisch der Frage nach,<br />

wie marktfähig die Mitarbeitenden sind.<br />

AUSGEBILDET, WEIL SIE DAS GEWOLLT HÄTTEN,<br />

SONDERN WEIL SIE KEINE GELEGENHEIT<br />

ZU EINER BESSEREN AUSBILDUNG BEKAMEN.»<br />

Geführt wird die Diskussion mit allen – vom<br />

Topkader über die Anlageberaterin bis zum<br />

Portier. «Daraus gehen sowohl die Mitarbeiterinnnen<br />

und Mitarbeiter wie unsere<br />

Firma als Gewinner hervor», betont Alfred<br />

Schaufelberger. «Die Mitarbeitenden gewinnen<br />

an Sicherheit, und die Bank verbessert<br />

mit ihrem guten Humankapital ihre<br />

Markttauglichkeit.» Die CREDIT SUISSE<br />

lässt sich darum die Aus- und Weiterbildung<br />

jährlich 44 Millionen Franken kosten.<br />

Hat in Zeiten der Flexibilisierung der<br />

loyale Langzeitangestellte ausgedient ?<br />

GUDELA GROTE, PROFESSORIN AM INSTITUT<br />

FÜR ARBEITSPSYCHOLOGIE DER ETH ZÜRICH<br />

Umfeld keine Erfolgsstories. Weder für<br />

sich selber noch für das Unternehmen.<br />

«Der Trend zu ‹nichts<br />

Langfristigem› desorientiert auf<br />

lange Sicht jedes Handeln,<br />

löst die Bindungen von Vertrauen<br />

und Verpflichtung und untergräbt<br />

die wichtigsten Elemente<br />

der Selbstachtung.» Richard Sennett<br />

führte die Zuhörerinnen und Zuhörer in<br />

St. Gallen durch ein düsteres Szenario.<br />

Vom renommierten Soziologen war kaum<br />

Infos und Links zum Thema «<strong>Flexibilität</strong>»: BULLETIN |<br />

ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin


SCHWERPUNKT<br />

10<br />

ein Hoffnungsschimmer zu vernehmen.<br />

Überdies könne er nicht in die Kristallkugel<br />

schauen und die Zukunft voraussagen;<br />

das sei nicht sein Job.<br />

Doch, ist der Mensch wirklich ein so<br />

träges und auf Gewohnheit getrimmtes<br />

Wesen, dass ihn der neue Rhythmus der<br />

Wirtschaftswelt völlig aus dem Tritt bringt ?<br />

Die Arbeitspsychologin Gudela Grote<br />

zeichnet ein anderes Bild: «Die Menschen<br />

sind grundsätzlich an Neuem interessiert.<br />

Schauen wir nur, wie sie sich beispielsweise<br />

in ihrer Freizeit engagieren, plötzlich<br />

anfangen, sich mit unterschiedlichsten<br />

Dingen zu beschäftigen – sei dies nun<br />

«TOLERANZ<br />

WIDERSPRICHT DEM<br />

RUPPIGEN STIL»<br />

MARKUS GISLER, CHEFREDAKTOR<br />

DER WIRTSCHAFTSZEITUNG «CASH»<br />

CHRISTIAN PFISTER Als Chefredaktor des<br />

«Cash» nehmen Sie der Wirtschaft den<br />

Puls. Wie lautet Ihre Diagnose in bezug auf<br />

<strong>Flexibilität</strong> ?<br />

MARKUS GISLER Die Wirtschaft ist in den<br />

letzten 15 Jahren enorm flexibel geworden.<br />

Auch die Mitarbeitenden stellen an<br />

sich und die Firmen den Anspruch, flexibel<br />

zu sein. Man hat sich verabschiedet<br />

von den herkömmlichen Formen des «nine<br />

to five»-Jobs, das heisst des Absitzens der<br />

Arbeitszeit.<br />

Münzensammeln, Tiefseetauchen oder einen<br />

Verein zu präsidieren.» Ebenso machen<br />

Untersuchungen immer wieder klar, dass<br />

Mitarbeitende etwas Sinnvolles tun wollen.<br />

Und die Wissenschafterin gibt zu<br />

bedenken: «Viele Leute sind ja nicht deswegen<br />

schlecht ausgebildet, weil sie das<br />

gewollt hätten, sondern weil sie keine<br />

Gelegenheit zu einer besseren Ausbildung<br />

bekamen.» Das bestätigt die Praxis: «Der<br />

Durchschnittsmensch ist doch nicht permanent<br />

überfordert», ereifert sich Peter<br />

Lienhart, «sondern daran interessiert, weiterzuwachsen.»<br />

Viel Positives abringen<br />

vermag dem Trend zur Flexibilisierung<br />

auch Markus Gisler vom «Cash»: «Klar<br />

erhöht Schnellebigkeit auch die Bereitschaft,<br />

Traditionen zu brechen. Aber gehört<br />

es nicht zum Reifeprozess des Menschen,<br />

dass er loslassen kann und den Mut hat,<br />

etwas Neues aufzubauen ?»<br />

CHRISTIAN PFISTER, TELEFON (01) 333 57 55;<br />

E-MAIL: CHRISTIAN.PFISTER@CREDIT-<br />

SUISSE.CH<br />

TÄTReicht das im internationalen Ver-<br />

C.P.<br />

gleich ?<br />

M.G. Die Schweiz ist eher fortschrittlich.<br />

Das deutsche Arbeitsverständnis etwa ist<br />

viel rigider. Hierarchien haben noch eine<br />

grössere Bedeutung. Dasselbe gilt für<br />

Frankreich. Prägend für die Beweglichkeit<br />

der Unternehmen ist aber auch die<br />

Branche.<br />

C.P. Führt der Abbau von Bürokratie die Mitarbeitenden<br />

automatisch zu mehr Freiheit ?<br />

M.G. <strong>Flexibilität</strong> bedingt, dass man die<br />

Verantwortung für eine Arbeit in die Hände<br />

dessen legt, der sie ausführt. Vorgesetzte<br />

kontrollieren heute nicht so sehr,<br />

wie etwas gemacht wird, sondern was<br />

herausschaut. Insofern ist die Freiheit für<br />

den einzelnen grösser geworden. Verantwortung<br />

nach unten zu delegieren bedingt<br />

natürlich, dass die Mitarbeiter sie auch<br />

wahrnehmen wollen. Es gibt immer Menschen,<br />

die nur funktionieren, wenn sie<br />

enge Leitplanken haben. Nicht jeder kann<br />

und will mit dieser Freiheit umgehen.<br />

C.P. Bringt der Zwang zur Flexibilisierung<br />

rauhere Managementmethoden ?<br />

M.G. Nein. Ein flexibles Unternehmen<br />

fördert Mitarbeitende, die ihre Arbeit so<br />

einteilen, wie diese es für richtig halten.<br />

Vom Chef erfordert das Toleranz – gerade<br />

dann, wenn er eine Arbeit anders machen<br />

würde als der Mitarbeiter. Und Toleranz<br />

widerspricht der Idee des ungehobelten<br />

Stils.<br />

C.P. Was in der flexiblen Arbeitswelt passiert,<br />

ist nicht für alle nachvollziehbar. Gerade als<br />

Journalist müssen Sie deshalb dafür sorgen,<br />

Kompliziertes verständlich darzustellen.<br />

M.G. Das geschriebene Wort hat eine<br />

grosse Macht. Dem müssen wir Rechnung<br />

tragen. Journalisten tragen dazu bei, wie<br />

die Bevölkerung denkt und fühlt. Insofern<br />

ist die Verantwortung enorm.<br />

C.P. Liegt dem Journalisten nicht die Jagd<br />

nach brisanten News, den Primeurs, mehr<br />

am Herzen ?<br />

M.G. Primeurs sind nicht per se schlecht,<br />

das möchte ich hier klarstellen. Die Frage<br />

ist jedoch, ob eine harte Kritik berechtigt<br />

ist, selbst wenn sie ein Unternehmen<br />

destabilisieren könnte. Wie Journalisten<br />

damit umgehen, dafür gibt es kein Rezept.<br />

Doch eins ist klar: Eine Meinung wird erst<br />

abgegeben, wenn ein Fall gründlich analysiert<br />

worden ist.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

11<br />

MACHT DER<br />

GEFÜHLE<br />

DAS AUF UND AB DER BÖRSEN VERLANGT VON INVESTOREN<br />

FLEXIBILITÄT. HÄUFIG KOMMT DABEI RATIONALEN<br />

ÜBERLEGUNGEN ABER EMOTIONALES IN DIE QUERE.<br />

VON MASSIMO CAVALETTO UND<br />

GREGOR HIRT, ECONOMIC RESEARCH<br />

Ökonomen von heute ziehen das Instrumentarium<br />

der modernen Finanztheorie<br />

bei, wenn sie das Geschehen an den<br />

Finanzmärkten erklären und Prognosen<br />

stellen wollen. Die Finanztheorie baut auf<br />

verschiedenen Grundannahmen auf. Eine<br />

davon ist die Hypothese effizienter Märkte,<br />

also die Annahme, dass die Märkte bei<br />

der Preisbildung sämtliche Informationen<br />

optimal berücksichtigen. Eine weitere ist<br />

das rationale Verhalten der Investoren:<br />

Man nimmt an, dass diese kohärente und<br />

nachvollziehbare Entscheidungen treffen<br />

und dass sie eine Risikoaversion haben,<br />

also risikoscheu sind.<br />

Mit diesen Hypothesen lässt sich die<br />

Realität gut und konsistent modellieren<br />

und auf anlagepolitische Handlungsempfehlungen<br />

für Investoren herunterbrechen.<br />

Doch leider ist die Sache nicht so<br />

FLEX<br />

einfach. Besonders in Zeiten hoher Verwerfungen,<br />

also Turbulenzen, ist die Aussagekraft<br />

dieses Ansatzes unzureichend,<br />

da Anleger dann dazu neigen, sich nicht<br />

mehr rational zu verhalten. Deshalb sind<br />

einige Ökonomen und Psychologen über<br />

die Bücher gegangen. Daraus ist innerhalb<br />

der Finanztheorie als relativ junger Forschungszweig<br />

die sogenannte «Behavioral<br />

Finance» entstanden. Obwohl: Behavioral<br />

Finance hat noch keinen ausgereiften<br />

theoretischen Ansatz geliefert. Bisher gibt<br />

es nur eine Aufzählung von empirisch<br />

untersuchten Situationen, wo die moderne<br />

Finanztheorie an die Grenzen der Erklärbarkeit<br />

stösst. Die Ergebnisse sind dennoch<br />

interessant.<br />

Gerade nach den Turbulenzen am vergangenen<br />

31. August rückte die Behavioral<br />

Finance wieder vermehrt in die Schlagzeilen.<br />

An einem einzigen Tag büsste der<br />

Dow Jones Index an der Wall Street 6,4<br />

Prozent ein, während der S&P 500 Index<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

12<br />

um 6,8 Prozent zurückgestuft wurde und<br />

der Nasdaq 8,6 Prozent einbrach (siehe<br />

Grafik Seite 13). Diese massiven Einbrüche<br />

haben zwar ihren Ursprung in der Russlandkrise.<br />

Wieso die Verwerfung jedoch gerade<br />

am 31. August eintraf, als es von Russland<br />

keine nennenswerten Neuigkeiten gab,<br />

vermag die moderne Finanzmarkttheorie<br />

nicht zu erklären. Diese besagt, dass der<br />

Markt nie über- oder unterbewertet sein<br />

kann, da alle relevanten Informationen im<br />

Preis enthalten sind. Behavioral Finance<br />

hält einer solchen Aussage entgegen,<br />

dass Investoren nicht rational, sondern<br />

normal beziehungsweise emotional han-<br />

Sie ziehen es vor, einen Titel mit Gewinn<br />

zu veräussern. Doch ob ein einzelner Wert<br />

mit Gewinn oder Verlust verkauft wird,<br />

ändert an der Gesamtbewertung des Portfolios<br />

nichts. Behavioral Finance kommt in<br />

diesem Fall zum Schluss, dass der Mensch<br />

eine Abneigung hat, Verlierer zu verkaufen,<br />

da er hofft, sein Titel werde in Zukunft<br />

sicher wieder zulegen. Ein ähnliches Phänomen<br />

stellt man auch bei professionellen<br />

Investoren fest. Statt die Rendite ihres<br />

gesamten Portfolios in Betracht zu ziehen,<br />

reagieren sie auf Schwankungen einzelner<br />

Titel. Während ein rationaler Anleger immer<br />

sein gesamtes Portfolio im Auge hätte,<br />

stellt der normale Investor emotionale<br />

Überlegungen über die Gewinne oder Verluste<br />

einzelner Positionen an.<br />

Zahlreiche Finanzspezialisten versuchen<br />

auch von «irrationalen Märkten» zu profitieren,<br />

um höhere Gewinne zu erzielen. Es<br />

gibt zum Beispiel Fonds, die ein «meanreversion<br />

pattern» verfolgen: Ziel dieser<br />

langfristigen Strategie ist es, in Titel zu<br />

investieren, die grosse Abweichungen<br />

gegenüber der generellen Tendenz des<br />

Marktes aufweisen. Der Leiter des Fonds<br />

deln und deshalb an den Märkten auf die<br />

verschiedenste Art getäuscht werden können<br />

(siehe Box Seite 13).<br />

Auch im Falle des Long-Term Capital<br />

Management Funds (LTCM) gelangt man<br />

zu interessanten Folgerungen. Beim LTCM<br />

handelt es sich um einen US-Risikofonds,<br />

der mit derivativen Instrumenten handelte<br />

und Ende September 1998 wahrscheinlich<br />

nur durch das Eingreifen der amerikanischen<br />

Zentralbank vor der Pleite gerettet<br />

wurde. Obwohl in der Fondsleitung auch<br />

zwei Nobelpreisträger einsassen, kam es<br />

zum Eklat. Behavioral Finance liefert dazu<br />

einfache Erklärungen: Die Verhaltenseigenschaften<br />

eines normalen, im Gegensatz<br />

zum rationalen, Investor täuschten die<br />

Urteilskraft der Fondsleitung. Zu diesen<br />

Verhaltensmustern gehört übertriebener<br />

Optimismus, der empirisch belegbar ist.<br />

Dieser ist es auch, der 80 Prozent aller<br />

Autofahrer glauben lässt, sie würden besser<br />

fahren als der Durchschnitt.<br />

In den gleichen Topf gehört das übertriebene<br />

Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten,<br />

den Markt besser zu lesen als andere.<br />

Dies führt unweigerlich zur Illusion, das Geschehen<br />

unter Kontrolle zu haben. Damit<br />

lässt sich das Verhalten vieler Investoren<br />

bei hoch bewerteten Märkten erklären.<br />

Zwar befürchten viele, dass es zum Crash<br />

kommen könnte; trotzdem vertrauen sie<br />

auf ihre Fähigkeiten, die Verwerfung rechtzeitig<br />

zu erkennen und aussteigen zu können,<br />

anstatt ihre Risikoposition zu reduzieren.<br />

Andererseits bekunden zahlreiche<br />

Marktteilnehmer Mühe, einen Titel aus<br />

ihrem Portfolio mit Verlust zu verkaufen.<br />

OPTISCHE TÄUSCHUNG<br />

Gemäss Behavioral Finance funktionieren<br />

Investoren nicht rational,<br />

sondern normal beziehungsweise<br />

emotional. Deshalb können sie an<br />

den Märkten auf verschiedene Arten<br />

getäuscht werden. Die hier dargestellte<br />

optische Täuschung verdeutlicht<br />

das Argument: Beide Linien<br />

sind gleich lang; dennoch nehmen<br />

wir die eine Linie länger wahr als die<br />

andere.<br />

IBILITÄT<br />

rechnet nämlich damit, dass Titel unterbewertet<br />

sind, die während einer gewissen<br />

Zeit eine unterdurchschnittliche Rendite<br />

erzielen. Denn das Vertrauen der Marktteilnehmer<br />

wird sich nur langsam aufbauen,<br />

selbst wenn das Unternehmen aus fundamentaler<br />

Sicht wieder gesund ist. Auch<br />

kurzfristig glauben gewisse Fonds, sie<br />

könnten von der Irrationalität der Märkte<br />

profitieren. Sie verfolgen «trending patterns»:<br />

Gemäss diesen wird ein monatelang steigender<br />

Titel noch weiter zulegen, obschon<br />

er wahrscheinlich überbewertet ist. Zahlreiche<br />

Anleger würden nämlich lieber einen<br />

Verlust in Kauf nehmen, als später bereuen,<br />

den Titel nicht gekauft zu haben,<br />

wenn dieser noch weiter steigt.<br />

Die oben erwähnten Strategien haben<br />

sich manchmal als erfolgreich erwiesen,<br />

aber empirische Untersuchungen, welche<br />

die Profitabilität dieser Methoden beweisen<br />

könnten, fehlen noch. Zudem sind<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

13<br />

diese Strategien schwierig anzuwenden,<br />

da sie ein irrationales Verhalten modellhaft<br />

darstellen wollen. Statt überdurchschnittliche<br />

Performance zu erzielen, sollten An-<br />

WIE WÜRDEN SIE ENTSCHEIDEN ?<br />

leger dank der Behavioral Finance eher<br />

lernen, sich rational statt normal zu verhalten.<br />

Damit können sie nämlich Verluste<br />

verhindern. Der Investor sollte übertriebenen<br />

Optimismus vermeiden. Gefährlich<br />

sind vor allem die verzerrte und zu späte<br />

Wahrnehmung von Tatsachen, die Illusion,<br />

die Situation unter Kontrolle zu haben, und<br />

der Hang, auf Aktien mit Verlust sitzen<br />

zu bleiben und nur solche mit Gewinn zu<br />

veräussern.<br />

Geld oder Glücksspiel ?<br />

Angenommen, Sie stehen vor der Wahl: Sie können 50 Franken auf sicher haben<br />

oder an einem Glücksspiel teilnehmen, wo sie mit einer Wahrscheinlichkeit von<br />

50 Prozent 100 Franken gewinnen können. Rein rechnerisch sind beide Alternativen<br />

gleich, was dem rationalen Investor klar ist. Berücksichtigt man zusätzlich<br />

noch die Annahme der Risikoaversion, sollten Sie sich als rationaler Investor für<br />

die sicheren 50 Franken entschliessen. Behavioral Finance hat nun in empirischen<br />

Untersuchungen herausgefunden, dass viele Menschen jedoch von Emotionen<br />

getrieben das Glücksspiel wählen. Sie ziehen also das Risiko vor und verhalten<br />

sich wie ein normaler Investor.<br />

Einige Empfehlungen:<br />

– Achten Sie auf das ganze Portfolio,<br />

nicht nur auf Schwankungen einzelner<br />

Werte. Lassen Sie sich bei langfristigen<br />

Investitionen nicht von kurzfristigen<br />

Marktbewegungen beeinflussen. Verfolgen<br />

Sie die fixierte Strategie.<br />

Wieviel würden Sie zahlen ?<br />

Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einem TV-Quiz teil, wo Sie mit einer Wahrscheinlichkeit<br />

von 90 Prozent eine Weltreise im Wert von 10000 Franken gewinnen<br />

können. Der TV-Moderator gibt Ihnen nun die Gelegenheit, sich die restlichen<br />

10 Prozent Sicherheit zu erkaufen, womit sie mit 100 Prozent die Reise<br />

gewinnen würden. Wieviel sind Sie bereit zu zahlen? Aus der Warte eines rationalen<br />

Investors, also rein rechnerisch gesehen, macht es keinen Sinn, mehr als<br />

1000 Franken zu bezahlen, um das Restrisiko zu eliminieren. Empirische Untersuchungen<br />

zeigen indes, dass die meisten Leute der 90-Prozent-Wahrscheinlichkeit<br />

nicht recht trauen und weitaus mehr als 1000 Franken zu zahlen bereit<br />

sind. Sie wollen aus einem Gefühl der Unsicherheit und der Besorgnis heraus<br />

die Reise auf sicher haben. Dies entspricht dem Verhalten eines normalen<br />

Anlegers im Sinne der Behavioral Finance.<br />

IM GLEICHSCHRITT: US-BÖRSENENTWICKLUNG 1998<br />

%<br />

Dow Jones Nasdaq S&P 500<br />

140<br />

F LE<br />

– Übertriebenen Optimismus vermeiden:<br />

Langfristig ist es schwierig, den Markt<br />

zu schlagen. Auch bei kurzfristigen<br />

Investitionen ist stets die Frage angebracht,<br />

ob man wirklich besser informiert<br />

ist als der Markt.<br />

– Eigene Risikoaversion einschätzen:<br />

Versuchen Sie, sich in ähnlichen Situationen<br />

gleich zu verhalten. Wenn Sie im<br />

voraus entschieden haben, bei welchem<br />

Verlust Sie aus einer Investition<br />

aussteigen wollen, tun sie es auch. Versuchen<br />

Sie, nachher nichts zu bereuen.<br />

135<br />

130<br />

125<br />

120<br />

115<br />

110<br />

GREGOR HIRT, TELEFON (01) 333 96 48<br />

E-MAIL: GREGOR.HIRT@CREDIT-SUISSE.CH<br />

MASSIMO CAVALETTO, TEL. (01) 333 45 31<br />

MASSIMO.CAVALETTO@CREDIT-SUISSE.CH<br />

105<br />

100<br />

95<br />

90<br />

1.1.1998<br />

15.1.1998<br />

29.1.1998<br />

12.2.1998<br />

26.2.1998<br />

12.3.1998<br />

26.3.1998<br />

9.4.1998<br />

23.4.1998<br />

7.5.1998<br />

21.5.1998<br />

4.6.1998<br />

18.6.1998<br />

2.7.1998<br />

16.7.1998<br />

30.7.1998<br />

13.8.1998<br />

27.8.1998<br />

10.9.1998<br />

24.9.1998<br />

8.10.1998<br />

22.10.1998<br />

5.11.1998<br />

19.11.1998<br />

3.12.1998<br />

17.12.1998<br />

31.12.1998<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

14<br />

HER MIT FLEXIBLEN<br />

ARBEITSZEITEN!<br />

DAS BULLETIN ZEIGT EXKLUSIV<br />

DIE RESULTATE EINER STUDIE.<br />

XIBIL<br />

VON BETTINA JUNKER, REDAKTION BULLETIN<br />

Es lebe die flexible Arbeitszeit ! Heute<br />

schon setzen rund 70 Prozent der Unternehmen<br />

in der Schweiz flexible Arbeitszeitmodelle<br />

ein. Und dies täten sie wohl<br />

kaum, wenn es ihnen nicht auf die eine<br />

oder andere Weise zum Vorteil gereichen<br />

würde.<br />

Die Firmen lockern ihre starren Arbeitszeiten<br />

in erster Linie aus Gründen der<br />

Wirtschaftlichkeit – das ist nicht weiter<br />

verwunderlich. Immerhin steigen die individuelle<br />

Leistungsbereitschaft und die<br />

Arbeitsproduktivität in einem Umfeld, die<br />

dem Arbeitnehmer Freiräume gewährt.<br />

Zudem kann der Arbeitgeber Auftragsschwankungen<br />

ausgleichen, die Beschäf-<br />

tigten besser auslasten und sogar Entlassungen<br />

vermeiden. «Arbeitgeber haben<br />

ferner dank flexiblen Modellen die Chance,<br />

gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie<br />

deren Erfahrung und Know-how für<br />

sich zu erhalten», fügt Claudia Bucheli<br />

Ruffieux bei. Sie ist als Leiterin Management<br />

Support eine der wenigen, die in der<br />

CREDIT SUISSE auf Direktionsstufe Teilzeitarbeit<br />

leistet. Und sie weiss, wovon sie<br />

redet. Wäre es ihr nach der Geburt ihres<br />

Sohnes im vergangenen Jahr nicht möglich<br />

gewesen, wieder in ihren alten Job<br />

zurückzukehren, wäre eine mit hohen<br />

Kosten verbundene Neueinstellung nötig<br />

gewesen.<br />

Die Motive der Firmen in Ehren – was<br />

aber hat das Gros der Angestellten davon ?<br />

Oder anders gefragt: Wie steht es tatsächlich<br />

um den Wunsch von Erwerbstätigen<br />

nach flexiblen Arbeitszeiten ? Das<br />

BULLETIN wollte es genau wissen und<br />

hat beim GfS-Forschungsinstitut eine<br />

Studie in Auftrag gegeben (siehe Seite 17<br />

oben).<br />

Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer, so ein Befund der Studie,<br />

sehen’s realistisch: Die neuen Arbeitszeitmodelle<br />

sind für die Unternehmen<br />

einträglich. Doch die Befragten pflichten<br />

dem klassischen Vorwurf nicht bei, dass<br />

Arbeitgeber flexible Regelungen nur un-<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

15<br />

terstützen, um ihre Beschäftigten ausnutzen<br />

zu können. Die Firmen profitierten auf<br />

eine andere Art, so die verbreitete Meinung:<br />

Sie hätten nämlich, gewissermassen<br />

als Gegenleistung, motiviertere Mitarbeiter<br />

und könnten die Chance nutzen, sich<br />

rechtzeitig auf den gesellschaftlichen Wandel<br />

einzustellen. Claudia Bucheli Ruffieux<br />

weiss auch aus eigener Erfahrung: «Der<br />

Arbeitgeber fährt gut mit Teilzeitangestellten.»<br />

Obschon sie einen 70-Prozent-Vertrag<br />

in der Tasche habe, arbeite sie mehr;<br />

sie erledige beispielsweise ihre elektronische<br />

Post von zu Hause aus. Und als Teilzeitangestellte<br />

hat sie natürlich mehr Freizeit,<br />

die sie auf diese Weise der Firma zur<br />

Verfügung stellen kann – auch wenn dies<br />

nicht das Ziel sein sollte.<br />

«Ich höre ja nicht plötzlich auf zu planen,<br />

weil ich ein Baby bekommen habe», erzählt<br />

sie weiter. «Es war für mich immer<br />

klar, dass ich auch als Mutter einer verantwortungsvollen,<br />

qualifizierten Tätigkeit<br />

ausser Haus nachgehen will.» Individuell<br />

gestaltbare Arbeitszeiten erlauben, Arbeit<br />

und Kinderbetreuung – sei’s in Ein- oder<br />

Zweielternhaushalten – unter einen Hut<br />

23% weniger arbeiten<br />

2% keine Angabe<br />

2% weiss nicht/unentschieden<br />

8% mehr arbeiten<br />

65% genau richtig<br />

Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Sorgenbarometer, Welle<br />

Oktober 1998 (N = 641 erwerbstätige Schweizerinnen<br />

und Schweizer)<br />

gen. Aber nicht der einzige. Die flexiblen<br />

Modelle, so die Studie, bieten einfach in<br />

einer, gelinde gesagt, immer anspruchsvolleren<br />

Arbeitswelt eine Spur Selbstbestimmung<br />

und ein Inselchen persönlichen<br />

Freiraums. Kurzum: Flexible Arbeitszeiten<br />

steigern die Lebensqualität und helfen bei<br />

einer gerechteren Neuverteilung der Geschlechterrollen.<br />

Ausserdem sind viele der<br />

Befragten der Ansicht, dass die neuen<br />

Formen der Arbeitszeitgestaltung die vorhandene<br />

Arbeit besser auf die arbeitswilligen<br />

Menschen aufteilen.<br />

Entsprechend ist in der Schweiz die<br />

Lust auf neue Formen der Arbeitszeitge-<br />

ITÄT<br />

zu bringen und so das Leben vielfältiger zu<br />

gestalten. Das ist sicher ein Grund, warum<br />

die Arbeitnehmer Flexibilisierungsmassnahmen<br />

mit offenen Armen empfan-<br />

JEDER VIERTE WÜRDE<br />

SEIN ARBEITSPENSUM<br />

GERNE REDUZIEREN<br />

Die Frage, ob sie mit ihrem momentanen Beschäftigungsgrad<br />

zufrieden sind, bejahen 65 Prozent der<br />

Befragten.<br />

staltung gross: Ein Drittel der befragten<br />

Erwerbstätigen gaben an, mit ihrem Beschäftigungsgrad<br />

nicht gerade glücklich<br />

zu sein (siehe Grafik auf dieser Seite).<br />

Eine respektable Anzahl. Mit einer Einschränkung<br />

allerdings: Die Unzufriedenheit<br />

steigt mit der Intensität der Anstellung<br />

und ist unverhältnismässig hoch bei Erwerbstätigen<br />

mit einem Wochenpensum<br />

von über 43 Stunden. Liegt das Pensum<br />

zwischen 33 und 42 Stunden, wollen nur<br />

noch 18 Prozent den Beschäftigungsgrad<br />

reduzieren.<br />

Nicht alle Modelle rangieren indes in<br />

der Beliebtheitsskala gleich hoch: Ganz<br />

oben stehen eindeutig diejenigen, welche<br />

eine persönliche Gestaltung des Arbeitsalltags<br />

oder den gleitenden Übergang ins<br />

Rentnerdasein ermöglichen. Frühpensionierungen<br />

sind vor allem bei Schwerarbeitenden<br />

gefragt oder solchen, die ihre wirtschaftliche<br />

Lage nicht als rosig einschätzen.<br />

Geradezu als Ladenhüter erweisen sich<br />

I<br />

«ICH HABE DEN<br />

GRÖSSEREN<br />

AUSGLEICH, UND<br />

VON MEINEM<br />

WOHLERGEHEN<br />

PROFITIERT AUCH<br />

DIE FIRMA.»<br />

CLAUDIA BUCHELI RUFFIEUX,<br />

LEITERIN MANAGEMENT SUPPORT,<br />

CREDIT SUISSE<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

16<br />

«TEILZEITBESCHÄFTIGTE<br />

SIND ZWAR TEURER, ABER<br />

MOTIVIERTER»<br />

HANS KAPPELER,<br />

LEITER PERSONALDIENST, CREDIT SUISSE<br />

BETTINA JUNKER Herr Kappeler, könnten Sie<br />

sich vorstellen, Teilzeit zu arbeiten ?<br />

HANS KAPPELER Ich habe in meinen<br />

Wanderjahren lange Teilzeitarbeit geleistet.<br />

Und heute finde ich die Idee immer<br />

noch attraktiv. Da ich momentan aber<br />

praktisch nur Fach- und Linienführung<br />

innehabe, müsste man meinen Job neu<br />

definieren.<br />

H.K. In unserem Unternehmen sind alle<br />

Varianten individuell gestaltbarer Arbeitszeit<br />

möglich. Wir haben beispielsweise<br />

gleitende Arbeitszeiten, kennen Jahresarbeitszeit,<br />

stundenweise Einsätze, Arbeit<br />

auf Abruf, längere Urlaube und natürlich<br />

fixe und flexible Teilzeit. Der Anteil von<br />

Teilzeitern liegt sogar bei über 20 Prozent.<br />

Jeder fünfte arbeitet also Teilzeit – das<br />

LITÄT<br />

B.J. Heisst das, dass in oberen Führungsetagen<br />

Teilzeitpensen nicht funktionieren ?<br />

H.K. Das heisst es nicht. Heute gibt’s<br />

kaum mehr Funktionen, wo Teilzeitarbeit<br />

nicht möglich wäre. Aber Topmanager, die<br />

intensive Führungsfunktionen ausüben,<br />

sind zeitlich fremdbestimmt. Ausserdem<br />

lässt sich Entscheidungskompetenz auf<br />

höchster Stufe schlecht aufteilen.<br />

B.J. Haben Sie überhaupt Erfahrung mit Teilzeit<br />

auf Führungsebene ?<br />

H.K. Bei uns ist Teilzeitarbeit von Mitgliedern<br />

der Direktion kein Sonderfall.<br />

Demnächst werden sich sogar zwei Direktionsfrauen<br />

in einem Jobsharing die Stelle<br />

einer Departementspersonalleiterin zu je<br />

60 Prozent teilen. Da bin ich überzeugt,<br />

dass das klappen wird.<br />

B.J. Die Studie des GfS-Forschungsinstituts<br />

zeigt: Die Nachfrage nach flexiblen Arbeitszeitmodellen<br />

ist bei Arbeitnehmern gross.<br />

Was hat die CREDIT SUISSE da zu bieten ?<br />

B.J.<br />

ist viel. Inwiefern profitiert die Firma davon ?<br />

H.K. Wir wissen aus Erfahrung: Wo sich<br />

das Unternehmen flexibel zeigt, wird es<br />

mit hochmotivierten Mitarbeitern belohnt.<br />

Auch wenn ein Angestellter nicht direkt<br />

von der <strong>Flexibilität</strong> Gebrauch macht, vermittelt<br />

diese doch ein Gefühl von Selbstbestimmung.<br />

Mit der Jahresarbeitszeit lassen<br />

sich Schwankungen im Geschäftsgang<br />

auffangen; die Beschäftigten sind besser<br />

ausgelastet. Und schliesslich ist ein hoher<br />

Teilzeitanteil auch gut fürs Firmenimage.<br />

B.J. Gibt’s für die Firma auch Nachteile ?<br />

H.K. Flexible Arbeitszeiten führen zu<br />

Mehrkosten, vor allem in der Informatikinfrastruktur<br />

und der Personalbetreuung.<br />

Die Akquisitionskosten für Teilzeit- und<br />

Vollzeitbeschäftigte sind gleich hoch. Je<br />

führungsträchtiger eine Funktion ist,<br />

desto schwieriger ist es auch, realistische<br />

Kriterien für die Aufgaben zu definieren.<br />

B.J. Oft wird auch die schlechte Kontrollierbarkeit<br />

von Teilzeitarbeitenden angeführt.<br />

H.K. Wenn sich ein Chef bei mir beklagt,<br />

dass er mit Teilzeitern nicht umgehen<br />

kann, weil sie schlecht organisierbar oder<br />

kontrollierbar seien, ist das eher ein Hinweis<br />

auf das Unvermögen des Chefs.<br />

B.J. Welche Fähigkeiten müssen denn<br />

Vorgesetzte haben, die Teilzeitbeschäftigte<br />

führen ?<br />

H.K. Sie müssen Verantwortung abgeben<br />

können. Dafür braucht’s eine gute<br />

Kenntnis, klare Strukturierung und gerechte<br />

Quantifizierung der Teilzeitaufgaben.<br />

Das allerwichtigste aber ist das<br />

Vertrauen in die Mitarbeiter, gerade weil<br />

weniger Kontrollinstrumente zur Verfügung<br />

stehen.<br />

FL<br />

Eigenverantwortung will gelernt sein.<br />

B.J.<br />

Stellt die Teilzeitarbeit höhere Anforderungen<br />

an Mitarbeiter ?<br />

H.K. Je nach Komplexität der Aufgabe<br />

verlangt Teilzeitarbeit eine bessere Selbstorganisation<br />

und grössere Souplesse im<br />

Zeitmanagement. Wer einen Führungsjob<br />

hat, braucht ausgeprägtere soziale Kompetenzen:<br />

Denn um ein gutes Beziehungsnetz<br />

zu unterhalten, muss ein Teilzeiter<br />

aktiveren Kontakt mit seiner Umgebung<br />

pflegen.<br />

B.J. Wie wird die Arbeitszeit in Zukunft<br />

geregelt sein ?<br />

H.K. Da die Kommunikationsvoraussetzungen<br />

immer besser werden, ist die Präsenzzeit<br />

für hochqualifizierte Leistungen<br />

immer weniger nötig. Ich glaube auch,<br />

dass künftig nicht mehr nur junge Menschen,<br />

sondern auch vermehrt die über<br />

Vierzigjährigen Phasen in ihr Arbeitsleben<br />

einschalten, in denen sie nicht permanent<br />

arbeiten. In den Vordergrund rückt die<br />

hohe Professionalisierung; wo und wann<br />

man sich die aneignet, ist sekundär. Die<br />

lebenslange Verpflichtung gegenüber<br />

einem Arbeitgeber verschwindet.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

17<br />

WAS MEINEN DIE ERWERBSTÄTIGEN?<br />

Das BULLETIN wollte wissen, wie sich Erwerbstätige zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten<br />

stellen, und hat beim GfS-Forschungsinstitut eine für die Schweiz repräsentative Studie in<br />

Auftrag gegeben. Die Untersuchung wurde im Rahmen des jährlich erhobenen «Sorgenbarometers»<br />

durchgeführt. Insgesamt befragte das Forschungsteam 1007 stimmberechtigte<br />

Personen im Alter von mindestens 18 Jahren aus den drei grossen Sprachregionen der<br />

Schweiz. Ausgewählt wurde die Stichprobe nach dem erprobten Zufalls/Quoten-Verfahren.<br />

Die Befragungen in Form von persönlichen Interviews fanden im Oktober 1998 statt.<br />

MEHR TEILZEITSTELLEN BRAUCHT DAS LAND!<br />

«Im folgenden nenne ich Ihnen verschiedene Formen flexibler Arbeitszeitregelungen. Zunächst<br />

würde ich gerne wissen, welche der folgenden Arbeitszeitmodelle Ihrer Meinung nach eher<br />

ausgebaut beziehungsweise abgebaut werden sollten?», lautet hier die Fragestellung. (Die<br />

Grafik zeigt nur die Anteile, die für einen Ausbau sind.)<br />

Schaffung Teilzeitstellen<br />

Rahmenarbeitszeit<br />

36<br />

37<br />

44<br />

41<br />

Lohn/Ferien für Überzeit<br />

31 46<br />

Freizeitkonto<br />

37 39<br />

Blockzeiten<br />

28 47<br />

Modell für körperlich Schwerarbeitende<br />

32 36<br />

Jahresarbeitsvolumen<br />

16 37<br />

Senkung Normalarbeitszeiten auf 36 h<br />

24 27<br />

Teilzeitlohn kombiniert mit Freijahr 14 24<br />

%<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Sorgenbarometer, Welle Oktober 1998 (N = 1007 stimmberechtigte<br />

Schweizerinnen und Schweizer)<br />

hat schon genutzt<br />

stark ausbauen<br />

benutzt heute<br />

eher ausbauen<br />

MODELLE FÜR ÜBERSTUNDENKOMPENSATION<br />

Nutzung und Wunsch nach neuen Modellen wurden mit folgender Frage untersucht: «Welche<br />

der genannten Arbeitszeitmodelle nutzen Sie heute, haben Sie früher einmal benutzt, würden Sie<br />

nutzen, wenn Sie könnten, beziehungsweise würden Sie nicht nutzen, auch wenn Sie könnten?»<br />

würde nutzen, wenn möglich<br />

Lohn/Ferien für Überzeit<br />

9 15 52<br />

Blockzeiten<br />

13 23 38<br />

Freizeitkonto<br />

5 8 60<br />

Rahmenarbeitszeit<br />

9 20 43<br />

Schaffung Teilzeitstellen<br />

8 19 40<br />

Modell für körperlich Schwerarbeitende 3 4 52<br />

Senkung Normalarbeitszeiten auf 36 h 3 5 45<br />

Jahresarbeitsvolumen<br />

4 9 37<br />

Teilzeitlohn kombiniert mit Freijahr<br />

%<br />

14<br />

0 20<br />

35<br />

40 60<br />

80<br />

Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Sorgenbarometer, Welle Oktober 1998 (N = 641 erwerbstätige<br />

Schweizerinnen und Schweizer)<br />

hingegen die sogenannten Sabbaticals,<br />

weil sie den einzelnen stark an das Unternehmen<br />

fesseln. Bei diesen Langzeiturlauben<br />

bleibt das Arbeitsverhältnis, meist<br />

bei reduziertem Lohn, nämlich über lange<br />

Zeit bestehen.<br />

Am lautesten ertönt der Ruf nach individueller<br />

Gestaltung der Arbeitszeiten aus<br />

den Reihen der neuen Mittelschicht, so<br />

die Studie. Ein Ruf, der mit Sicherheit<br />

nicht ungehört verhallt. Denn diese oft<br />

noch jungen Personen mit schwerem<br />

Schulsack und noch schwererer Lohntüte<br />

werden spätestens in ein paar Jahren<br />

vollends Einzug halten in die oberen und<br />

obersten Etagen der Unternehmen und<br />

die Riege der neuen Topmanager stellen.<br />

Ein Fünkchen Hoffnung also auch für Teilzeitarbeit<br />

auf Kaderstufe; heute kennt sie<br />

nämlich hierzulande noch nicht mal jedes<br />

fünfte Unternehmen. Claudia Bucheli Ruffieux<br />

hegt diesen Wunsch schon lange:<br />

«Ich plädiere für mehr Teilzeitarbeit bei<br />

Führungspersonen. Denn verschiedene<br />

Standbeine im Leben haben untereinander<br />

eine positive Wechselwirkung.»<br />

Der Studie weiser Schluss also: Wenn’s<br />

EX I<br />

nach den Schweizer Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmern ginge, gäbe es in<br />

Sachen Flexibilisierung der Arbeitszeiten<br />

noch viel zu tun. Gerade in der Diskussion<br />

um die individuelle Vergütung von Überstunden<br />

ist längst nicht das letzte Wort<br />

gesprochen (siehe Grafik links unten). An<br />

allen Flexibilisierungsmassnahmen finden<br />

ein bis zwei Drittel der Erwerbstätigen derart<br />

Gefallen, dass sie sie nutzen würden,<br />

wenn dies möglich wäre. Dass sich gerade<br />

das Teilzeitmodell besonders bewährt,<br />

leuchtet bei Claudia Bucheli Ruffieux’<br />

Worten besonders ein: «Auch wenn die<br />

Belastung zeitweise sehr hoch ist, habe<br />

ich in meinem Leben einfach den grösseren<br />

Ausgleich – und von meinem Wohlergehen<br />

profitiert auch das Unternehmen.»<br />

BETTINA JUNKER, TELEFON (01) 333 59 42<br />

E-MAIL: BETTINA.JUNKER@CREDIT-SUISSE.CH<br />

Weitere Infos zur Studie: BULLETIN |<br />

ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin


FLEXIBLE MENSCHEN<br />

AUF BIEGEN UND<br />

BRECHEN – FLEXIBEL<br />

SEIN WOLLEN ALLE.<br />

VON BETTINA JUNKER,<br />

ANDREAS THOMANN UND<br />

PASQUALE FERRARA,<br />

REDAKTION BULLETIN<br />

Das Modewort der Epoche heisst <strong>Flexibilität</strong>.<br />

Wen wundert’s: In einer Zeit, die fast<br />

im 24-Stunden-Rhythmus altert, die immer<br />

schnellebiger, unpersönlicher und – auf<br />

Teufel komm raus – stets anspruchsvoller<br />

wird, haben’s Beschaulichkeit, Gleichförmigkeit<br />

und Rigidität schwer. Wo nichts<br />

mehr sicher und morgen schon wieder<br />

alles anders scheint, ist <strong>Flexibilität</strong> zum<br />

Ideal erkoren.<br />

Aber was, bitte schön, ist <strong>Flexibilität</strong>?<br />

Ein Instantgemisch aus Nachgiebigkeit<br />

und Unverbindlichkeit, mit einem Schuss<br />

Vergänglichkeit vielleicht?<br />

Das BULLETIN wagte den Versuch,<br />

des Begriffs habhaft zu werden. Überzeugen<br />

Sie sich selbst! <strong>Flexibilität</strong> hat viele<br />

Ausprägungen und ist im wahrsten Sinne<br />

des Wortes ein spannendes Phänomen.<br />

Das zeigen die fünf folgenden Porträts von<br />

beweglichen, vielseitigen, wandelbaren,<br />

spontanen, belastbaren, anpassungsfähigen<br />

und offenen Menschen.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

19<br />

«MEHR ALS EINMAL HABE ICH<br />

GEWEINT»<br />

<strong>Flexibilität</strong> hat viele Facetten. Doch selten<br />

zuvor hat sich das vielgebrauchte Schlagwort<br />

von einer so konkreten Seite gezeigt<br />

wie an diesem Nachmittag im zürcherischen<br />

Rüschlikon, im Zirkuszelt von «Valentinas<br />

Variété».<br />

«Wollen die wirklich nichts Schwierigeres<br />

sehen ?», scheinen sich die zwei jungen<br />

Mongolinnen zu sagen. Also legen sich die<br />

beiden der Fotografin zuliebe wieder auf<br />

den Bauch, ziehen die Beine über ihren<br />

Rücken nach vorne als wären sie aus<br />

Gummi, stellen die Füsse neben den Kopf<br />

und blicken etwas gelangweilt in die Runde.<br />

Etwa so, wie Gleichaltrige in Dutzenden<br />

von Schulzimmern auf irgendwelche<br />

Mathe-Formeln schauen. Die 15jährige<br />

Uranbileg Ceveendory und die zwei Jahre<br />

ältere Erdensuvd Ganbaatar winden aber<br />

nicht ihr Gehirn, sondern ihre Körper.<br />

Schlangenfrauen nennt man sie im Alltag,<br />

Kontorsionistinnen in der Zirkuswelt.<br />

Professionell zeigen die Frauen mit<br />

den Kautschukknochen die verschiedenen<br />

Figuren ihres Programms und lächeln.<br />

Richtig stolz wirken sie aber erst bei Nummern,<br />

die jedem Zuschauer ein ungemütliches<br />

Gefühl in die Wirbelsäule jagen würden.<br />

Etwa da, wo sie in einen gepolsterten<br />

Metallhalter beissen, mit dem Kopf nach<br />

unten ihren Körper langsam hochziehen<br />

und dabei die unglaublichsten Verrenkungen<br />

zustande bringen – freihändig natürlich.<br />

In solchen Momenten geht jeweils ein<br />

leises Raunen durchs Zelt. Verständlich,<br />

dass der Zirkusdirektor die beiden Jungstars<br />

als Schlussnummer auftreten lässt.<br />

Zehn Minuten später. Die wirbellosen<br />

Damen haben ihr gelbes Glitzerkostüm<br />

abgestreift. Sie stehen nun in Jeans, Pullover<br />

und Daunenjacke da. Ihre dünnen<br />

Finken haben sie durch klobige Schuhe<br />

mit Plateausohlen ersetzt. Nichts unterscheidet<br />

sie nun von anderen Teenagern.<br />

In der Mongolei, erklärt der Übersetzer, sei<br />

es nichts Aussergewöhnliches, dass junge<br />

Leute den Weg in die Manege fänden.<br />

Auch er ist Mongole, auch er verdient<br />

seine Brötchen als Artist. «Alle lieben den<br />

Zirkus in unserer Heimat», fährt er fort.<br />

Eltern schickten ihre Kinder in Zirkusschulen<br />

wie bei uns ins Ballett oder Kunstturnen.<br />

«Ich versuchte vor dem Fernseher,<br />

die Übungen der Artistinnen nachzumachen»,<br />

erzählt die 17jährige Erdensuvd<br />

kichernd. Eine Woche später begleitete<br />

sie ihr Vater in die Zirkusschule. Das war<br />

vor sieben Jahren. Bis zu den gekonnt vorgetragenen<br />

Nummern war es ein langer<br />

Weg. Morgens Schule, nachmittags Training.<br />

Jahrelang. Nur so wird der Körper<br />

dermassen beweglich. Vor allem der Anfang<br />

sei hart, die Übungen streng. «Mehr<br />

als einmal habe ich geweint», sagt Uranbileg.<br />

Sie stieg als Siebenjährige in ihr<br />

Metier ein.<br />

Schmerzen ? Beide verneinen. Aber ihre<br />

biegsamen Glieder verzeihen keine Ruhepause.<br />

Flexible Körper wollen gebogen<br />

sein; vier Stunden tägliches Training sind<br />

ein Muss. Das ist zurzeit gar nicht so einfach.<br />

Die Artistinnen leben auf dem Zirkuscamp<br />

und müssen ohne warme Halle auskommen.<br />

Darum schleichen sie sich, wenn<br />

die letzten Zuschauer gegangen sind,<br />

abends wieder ins geheizte Zelt und holen<br />

das Training nach. Und doch: Bei allem<br />

Drill haben die beiden dehnbaren Geschöpfe<br />

das Träumen nicht verlernt. Uranbileg<br />

würde gerne Schauspielerin werden,<br />

Erdensuvd Sängerin. Das sind nicht nur<br />

jugendliche Sehnsüchte, darin steckt auch<br />

eine Portion Realismus: Sie wissen, dass<br />

niemand ein Leben lang Kontorsionistin<br />

sein kann. Auch Gummi wird mit der Zeit<br />

spröde.<br />

PASQUALE FERRARA<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

20<br />

«AM LIEBSTEN<br />

SPIELE ICH DEN FIESEN SCHUFT»<br />

Den Mephisto ? Eher wohl gäbe er den<br />

perfekten Romeo. Schön, charmant, leidenschaftlich<br />

– so tritt er auf. Die Entourage<br />

in jenem Lausanner Bistro, wo er<br />

sich für ein Interview am Samstagnachmittag<br />

in Szene setzt, macht sich jedenfalls<br />

hervorragend als Kulisse für seine<br />

Gastvorstellung. Und wenn er so bei einem<br />

Gläschen Weissen zum Erzählen ansetzt<br />

und mit feuriger Gestik von seinem<br />

Schauspielmetier schwärmt, als wär’s die<br />

ganz grosse Liebe, fehlt nur noch das<br />

Rampenlicht. Edmond Vullioud ist nicht<br />

nur im Theater eine wahrlich spektakuläre<br />

Erscheinung.<br />

Zurzeit arbeitet der Berufsmime am<br />

Théâtre de Carouge in Genf und steht dort<br />

als Hauptdarsteller in zahlreichen Stücken<br />

von Voltaire bis Steinbeck auf der Bühne.<br />

Ein hartgesottener Profi in Sachen Wandelbarkeit<br />

– zweifelsohne. «<strong>Flexibilität</strong> ist<br />

das Herzstück der Schauspielerei. Die<br />

Rollenwechsel verlangen, dass ich mich<br />

immer wieder auf andere Charaktere einstelle.»<br />

Und das ist nicht ohne. Der leichtfüssige<br />

Domestik aus einer Komödie von<br />

Molière, der blasierte Aristokrat aus dem<br />

18. Jahrhundert oder ein hemdsärmeliger<br />

Proletarier aus den zwanziger Jahren –<br />

jeder gibt sich anders. Und das Rollenspiel<br />

will gelernt sein. «Viel dabei ist Technik.<br />

Ich beobachte die Leute auf der Strasse,<br />

in Restaurants und versuche nachher,<br />

ihre Bewegungen und ihre Sprache zu<br />

imitieren.» Dass da zuweilen Alltag und<br />

Bühne durcheinandergeraten, ist Künstlerpech.<br />

Während im Theater das Vorgaukeln<br />

Methode hat, erhebt die Lebenspartnerin<br />

Anspruch auf Aufrichtigkeit.<br />

«Zugegeben: Wenn ich mit meiner Frau<br />

streite, klingt das bei mir immer leicht<br />

theatralisch. Und ich habe mich auch<br />

schon ertappt, wie ich nach einer Wortsalve<br />

fand: ‹Das hat jetzt wirklich echt<br />

getönt.›»<br />

Kein Schauspiel ohne Verkleidung. In<br />

der Theaterankleide verleihen Maskenbildner<br />

und Kostümschneider der Figur<br />

den letzten Schliff. Doch selbst mit<br />

Schnallenschuhen, angeklebtem Zwirbelbart<br />

oder weissgepuderter Zopfperücke<br />

gilt die eiserne Regel: Der Schauspieler<br />

wird nie selber zur Figur, die er spielt. Er<br />

schlüpft nur zeitweilig in sie hinein und<br />

macht den Charakter dem Zuschauer<br />

glaubhaft. Ein Schauspieler muss sehr<br />

ausgeglichen sein – <strong>Flexibilität</strong> hin oder<br />

her. Wie sonst könnte er von einer Rolle<br />

in die nächste rutschen, ohne sich dabei<br />

selbst aus den Augen zu verlieren. «Wenn<br />

ich mir bei jeder neuen Rolle die Seele aus<br />

dem Leib reissen müsste, wäre ich lieber<br />

Pöstler geworden – oder Bankangestellter»,<br />

scherzt Vullioud.<br />

Im Gegensatz zum Büroteppich des<br />

Bankers ist die Bühne ein hartes Pflaster.<br />

Wer seine Brötchen als Schauspieler verdienen<br />

will, tingelt zumindest anfangs von<br />

einem Laientheater zum nächsten in der<br />

Hoffnung, wenigstens ein Engagement<br />

als Komparse zu angeln – nur, um drei<br />

Monate später wieder auf der Strasse zu<br />

stehen. Dass ein solches Leben Anpassungsfähigkeit<br />

und Durchhaltewillen erfordert,<br />

liegt auf der Hand. «Früher», erinnert<br />

sich Vullioud, «da musste ich der Arbeit<br />

hinterherreisen. Einmal hatte ich sogar ein<br />

Engagement in Marseille – sechs Stunden<br />

Zugfahrt!» Wer einen solchen Arbeitsweg<br />

auf sich nimmt, kann sich fürwahr flexibel<br />

nennen.<br />

Edmond Vullioud kommt zum letzten<br />

Akt seiner Vorführung. Ebenso wie Mobilität<br />

sei auch geistige <strong>Flexibilität</strong> ein Muss.<br />

Und wenn doch einmal auf der Bühne<br />

plötzlich eine Passage wie weggeblasen<br />

scheint, ist eine schnelle Reaktion gefragt.<br />

«<strong>Flexibilität</strong> heisst für mich in solchen<br />

Momenten auch: ‹Lass Dir einfach was<br />

einfallen, irgendwas – aber schnell!›»<br />

BETTINA JUNKER<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

21<br />

Ein täglicher Hochseilakt zwischen Familie<br />

und Arbeitswelt findet in einem Einelternhaushalt<br />

in der Luzerner Gemeinde<br />

Eschenbach statt.<br />

«Hallo, Mami, bin wieder da-h-a!», tönt’s<br />

aus dem Korridor der adretten Viereinhalbzimmerwohnung.<br />

Der sechsjährige<br />

Claudio, ein Wirbelwind der Sonderklasse,<br />

stürmt in die säuberlich aufgeräumte Stube.<br />

«Wenn er nach dem Chindsgi nach Hause<br />

kommt, sprudelt er los», lacht seine Mutter,<br />

«da muss ich alles andere sofort beiseite<br />

legen.»<br />

Claudio ist momentan der einzige Mann<br />

an Silvia Pilottis Seite. Und mit seinem<br />

quirligen Wesen ist er ganz die Mutter.<br />

«Am liebsten manage ich alles alleine und<br />

habe sieben Eisen gleichzeitig im Feuer»,<br />

erzählt sie und schenkt den Besucherinnen<br />

Kaffee nach. Und ihrem Naturell entsprechend,<br />

so Silvia Pilotti, habe sie sich<br />

auch in der Liegenschaftenverwaltung<br />

selbständig gemacht. Denn da läuft immer<br />

was: Ein Mieter will zügeln, beim nächsten<br />

tropft der Wasserhahn, der dritte will eine<br />

Spülmaschine – und alles soll sofort passieren.<br />

Ja, sie sei schon sehr belastbar,<br />

meint sie, und das habe ihr vor sechs Jahren<br />

die Gewissheit gegeben, dass sie das<br />

Leben als Alleinerziehende werde meistern<br />

können. Zweifelsohne: Sie kann es.<br />

«16-Stunden-Tage sind für mich heute<br />

keine Ausnahme», meint sie mit einem<br />

«AUCH MAL FÜNF<br />

GERADE SEIN<br />

LASSEN»<br />

Achselzucken. Von halb sieben bis spät in<br />

die Nacht ist die 35jährige auf Draht. Und<br />

dabei ist <strong>Flexibilität</strong> eine Selbstverständlichkeit.<br />

«Anders könnte ich nicht blitzschnell<br />

von einer Arbeitswelt in die andere<br />

hüpfen». Und das muss sie, bei ihrem<br />

Tagesablauf: Zuerst Frühstückmachen für<br />

den Jungen, nachher vormittags der Marketingjob<br />

in einer Informatikfirma, dann zu<br />

Hause hurtig einen Zmittag auf den Tisch<br />

zaubern. Danach die Nachmittagsarbeit zu<br />

Hause als Liegenschaftenverwalterin,<br />

später der Haushalt, das Nachtessen,<br />

schliesslich noch ein bisschen basteln<br />

oder spielen mit dem Junior. Und wenn<br />

dieser schläft, klemmt sie sich nochmals<br />

zwei Stunden hinter die Büroarbeit.<br />

Soviel zur Pflicht. Und wer glaubt, das<br />

sei’s gewesen, hat weit gefehlt. Jetzt kommt<br />

nämlich die Kür. Als Mitglied im Zentralvorstand<br />

des Schweizerischen Verbands<br />

alleinerziehender Mütter und Väter in Bern<br />

krempelt Silvia Pilotti zusätzlich für andere<br />

die Ärmel hoch – ehrenamtlich, versteht<br />

sich. «Es ist so wichtig, Einelternhaushalte<br />

besser in die Gesellschaft einzugliedern»,<br />

rechtfertigt sie ihren Frondienst. Ausserdem<br />

habe sie durch dieses Engagement<br />

viel in Sachen Management und im Umgang<br />

mit Menschen gelernt. «Mit unserem<br />

Fonds für Stipendien greifen wir Alleinerziehenden<br />

in knappen finanziellen Verhältnissen<br />

oder ohne Ausbildung unter die<br />

Arme. Sie sollen sich beruflich aus- und<br />

weiterbilden und eine eigene finanzielle<br />

Existenz aufbauen können, damit sie nicht<br />

mehr vom Sozialamt abhängig sind.» Denn<br />

klar ist: Wer nichts gelernt hat, krampft ein<br />

Leben lang und bringt es dennoch nie auf<br />

einen grünen Zweig.<br />

Dass zuweilen etwas Unvorhergesehenes<br />

geschieht, hat das Leben so an sich.<br />

Die grosse Kunst ist eben, gut zu organisieren,<br />

ohne an sturen Plänen festzuhalten<br />

– und vor allem, berechenbare<br />

Stressmomente auszuräumen. «Ich habe<br />

zum Beispiel eine spezielle Zusatzversicherung<br />

abgeschlossen, die mir eine<br />

professionelle Krankenschwester zahlt,<br />

wenn mein Bub einmal im Bett bleiben<br />

muss», berichtet Silvia Pilotti. Aber trotz<br />

aller Betreuungsvorkehrungen: Als einmal<br />

alle Stricke rissen, hat sie kurzerhand dem<br />

Kleinen das Rucksäckli gepackt und ihn<br />

einfach ins Büro mitgenommen.<br />

Stärke braucht’s, stets ein Quentchen<br />

Nonchalance und eine gesunde Selbsteinschätzung<br />

– sonst läuft man Gefahr,<br />

den eigenen Karren zu überladen. Aber<br />

mit Verlaub, schliesst die junge Frau<br />

selbstbewusst, bei aller <strong>Flexibilität</strong> bleibe<br />

sie stets ihrer Linie treu. «Wäre ich zu<br />

anpassungsfähig, ginge ich vermutlich an<br />

meinem Alltag kaputt.»<br />

BETTINA JUNKER<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

22<br />

«DIE IDENTITÄT IST<br />

KEIN RUCKSACK»<br />

«Gibt man Wasser in eine Schüssel und<br />

lässt es lange Zeit stehen, so beginnt es<br />

zu stinken», sagt die Frau mit den dunklen,<br />

ausdrucksvollen Augen und dem herzhaften<br />

Lachen. Wie abgestandenes Wasser<br />

hört sich die Lebensgeschichte dieser<br />

Iranerin wahrhaftig nicht an, schon eher<br />

wie ein junger Bergbach, der unaufhaltsam<br />

und an manchen Hindernissen vorbei<br />

ins Tal schiesst.<br />

Bereits in jungen Jahren zog es Sudabeh<br />

Kassraian nach Teheran. Dort arbeitete<br />

sie der Reihe nach als Primarlehrerin,<br />

Kindergärtnerin und Buchhalterin. Im Jobsharing<br />

mit ihrem Mann, einem Kunstmaler,<br />

managte sie nebenbei den Haushalt<br />

und zog ihre Tochter auf. Wie andere aufgeschlossene<br />

Bürger ihres Landes engagierten<br />

sich die Kassraians in der Politik.<br />

«In diesem Land, in dem man kaum atmen<br />

kann, kämpften wir für mehr Freiheit.» Als<br />

sie selbst keine Luft mehr zum Atmen<br />

kriegten, weil sich der Kreis aus Repression<br />

immer enger um sie zog, verliessen<br />

sie das Land. Dies war vor zehn Jahren.<br />

Von der Schweiz hatten sie nur in<br />

Büchern oder Zeitungen gelesen. Nun<br />

waren sie plötzlich hier angelangt, auf dem<br />

Flughafen Zürich-Kloten. «Mir fiel die perfekte<br />

Organisation auf und die allerorten<br />

vorherrschende Sauberkeit.» Im bernischen<br />

Schwarzenburg, ihrer ersten Destination,<br />

hatte Frau Kassraian Gelegenheit,<br />

ihren anfänglichen Eindruck von der neuen<br />

Heimat zu vertiefen. Vieles war neu für<br />

sie, doch löste der abrupte Wechsel in ihr<br />

keinen Schock aus. Die Zeit im Iran hatte<br />

wie eine Lebensschule in Sachen <strong>Flexibilität</strong><br />

gewirkt. Die erworbene Beweglichkeit<br />

kam Sudabeh Kassraian im Schweizer<br />

Alltag nun zu Hilfe. Mit Eifer machte sie<br />

sich daran, dessen Geheimnisse zu entwirren.<br />

Zuerst war die deutsche Sprache an<br />

der Reihe. Bald einmal war ihr das neue<br />

Idiom so geläufig, dass sie sich für weitere<br />

Taten gerüstet fühlte. In Schwarzenburg<br />

traf sie auf viele Emigranten, und noch auf<br />

viel mehr Emigrantinnen, die sich nicht so<br />

leicht in ihrer neuen Umgebung bewegten.<br />

«Ich wollte die Mauer durchbrechen, die<br />

diese Leute von der Schweizer Gesellschaft<br />

trennte.» So begann sie, Tamilinnen<br />

in Deutsch zu unterrichten. Nach mehreren<br />

Anläufen erhielt sie von der Gemeinde<br />

finanzielle Unterstützung. Schon bald<br />

stürzte sie sich in weitere Projekte für die<br />

Sache der Emigrantinnen, zuerst beim<br />

christlichen Friedensdienst, dann beim<br />

Roten Kreuz. Und in Bern drückte sie<br />

nochmals für sechs Monate die Schulbank,<br />

um sich als Bibliothekarin ausbilden<br />

zu lassen. Unterdessen war ihr Haushalt<br />

auf vier Personen angewachsen.<br />

Ihr mutiger Sprung in den Schweizer<br />

Alltag hinein hat nicht nur die Anpassung<br />

an ihre neue Umgebung beschleunigt,<br />

sondern auch den Blick für das Leben in<br />

diesem Land geschärft. «In meiner Heimat<br />

pflegen die Menschen einen herzlichen<br />

Kontakt untereinander. Jede Nachbarin,<br />

jeder Freund sind für einen da, wenn man<br />

mal nicht mehr weiter weiss. In der<br />

Schweiz dagegen sind die Leute zwar unabhängiger;<br />

viele, vor allem die Alten, sind<br />

aber auch einsamer.» Sudabeh Kassraians<br />

Worte widerhallen dumpf an der nackten<br />

Betondecke ihres neuen Domizils in der<br />

Berner Agglomeration. «Man darf von niemandem<br />

verlangen, dass er seine eigene<br />

Identität wie einen Rucksack ablegt», sinniert<br />

die couragierte Frau über die Grenzen<br />

der Integration. Sie selber werde immer<br />

Iranerin bleiben. Und dennoch könne<br />

sie flexibel sein, sich gegenüber der neuen<br />

Kultur öffnen, sich diejenigen Facetten<br />

und Werte zu eigen machen, die ihr zusagten.<br />

Dazu zählt sie das selbstbewusste<br />

Auftreten vieler Schweizerinnen. «Iranische<br />

Frauen sind weit weniger emanzipiert.»<br />

Ihre Augen leuchten auf, als sie<br />

dies ausspricht. Eines Tages, so meint sie,<br />

möchte sie diese Saat auch in ihrer Heimat<br />

aufgehen lassen. Eines Tages.<br />

ANDREAS THOMANN<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

23<br />

«AN MANCHEN ABENDEN DREHT ES IN<br />

MEINEM KOPF EINFACH WEITER»<br />

«Wer in meinem Business nicht ständig<br />

Tuchfühlung mit seinem Team hat, der ist<br />

schnell weg vom Fenster.» Hansruedi<br />

Stadler, Verantwortlicher für das Schweizer<br />

Emissionsgeschäft bei der CREDIT<br />

SUISSE FIRST BOSTON und Prototyp eines<br />

flexiblen Bankers, lässt darum stets<br />

beide Türen seines Büros offen. Nahe<br />

dran am Geschehen ist der sportlich wirkende<br />

Mitvierziger ohnehin: Nur eine<br />

Glaswand trennt sein Kabäuschen vom<br />

Handelsraum, dem wohl emsigsten Grossraumbüro<br />

im labyrinthartigen Komplex des<br />

Zürcher Üetlihofs. Auf Hunderten von<br />

Bildschirmen flimmern hier ununterbrochen<br />

die neuesten Daten der globalen Finanz-<br />

und Devisenmärkte. Dahinter sitzt,<br />

dicht gedrängt, ein Heer von Händlern,<br />

Analysten, Informatikern – vornehmlich<br />

Männer jüngeren Alters.<br />

«Dies hier war unser jüngster Streich.»<br />

Hansruedi Stadler zeigt auf ein Zeitungsinserat.<br />

Für die Republik Italien haben er<br />

und seine Crew eine Anleihe im Wert von<br />

1,5 Milliarden Franken an Land gezogen –<br />

eine Rekordsumme auf dem hiesigen Kapitalmarkt.<br />

Und die Frucht monatelanger<br />

Arbeit. Zuerst mussten Stadlers Analysten<br />

abklären, ob der Markt die Obligationen<br />

auch aufnehmen kann. Es folgte die Überzeugungsarbeit.<br />

In unzähligen Sitzungen,<br />

Meetings, Präsentationen legte Stadler<br />

dem italienischen Schatzmeister die Vorteile<br />

einer Emission in Schweizer Franken<br />

dar. Da kam dem Urner sein diplomatisches<br />

Geschick zu Hilfe, das er sich in zahlreichen<br />

Auslandsjahren angeeignet hat.<br />

Der bauernschlaue Kosmopolit versteht es<br />

jeweils vortrefflich, sich den wechselnden<br />

Bedürfnissen seiner Kundschaft anzupassen.<br />

«Als uns eine argentinische Delegation<br />

ihre Aufwartung machte, liessen wir<br />

sogar Tangomusik über die Lautsprecher<br />

des Handelsraums plärren.»<br />

Stadler vergleicht das Emissionsgeschäft<br />

mit einer Autofabrik. «Was vorne reinkommt,<br />

müssen wir so schnell wie möglich<br />

auf den Markt bringen. Auf keinen Fall<br />

möchten wir Luxuslimousinen produzieren,<br />

die dann auf der Halde landen.» Er<br />

und seine Leute sind deshalb in ständigem<br />

Kontakt mit den eigenen Händlern und<br />

Verkaufsleuten. «Wir erkundigen uns nach<br />

den Marktchancen und feilschen mit ihnen<br />

um Zinsen und Laufzeiten der Papiere.»<br />

Die Mittlerposition zwischen Händlern und<br />

Emittenten hat dem Banker schon manchen<br />

Spagat abverlangt. Falls er ihn<br />

schadlos übersteht, ist schon die nächste<br />

Dehnungsübung an der Reihe, diesmal<br />

gegenüber der interessierten Öffentlichkeit.<br />

So hetzt denn der flexible Investment<br />

Banker von Pressekonferenz zu Symposium<br />

und rührt dort kräftig die Werbetrommel<br />

für die neu ausgegebenen Papiere.<br />

Gewöhnlich bearbeitet Stadler zwischen<br />

zehn und zwölf Emissionen gleichzeitig.<br />

Da ziehen sich die Arbeitstage des<br />

Innerschweizers schon mal in die Länge.<br />

Die vielen Termine, das ständige Auf und<br />

Ab seines Jobs bereiteten ihm aber nur<br />

selten schlaflose Nächte, beteuert er mit<br />

ruhiger Stimme und entspanntem Blick.<br />

«In meinem Kopf dreht es nach besonders<br />

chaotischen Tagen dann einfach weiter. In<br />

solchen Fällen muss ich ein Zettelchen<br />

neben das Bett legen, auf dem ich meine<br />

Einfälle festhalte.» Für Turbulenzen auf der<br />

Stadlerschen Emissionsdrehscheibe sorgt<br />

auch die Konkurrenz. «In der Schweiz sind<br />

wir die Nummer eins, eine Position, die<br />

nur schwer zu verteidigen ist.» Zumal mit<br />

der Warburg Dillon Read ein äusserst<br />

finanzkräftiger Herausforderer auf dem<br />

Markt ist. Stadler baut stattdessen auf die<br />

grauen Zellen seiner Leute, von denen die<br />

meisten schon seit über fünfzehn Jahren<br />

mit ihm arbeiten. «Unser Business gleicht<br />

dem Schachspiel. Der Taktik des Gegners<br />

sollte man immer einen Schritt voraus<br />

sein. Nur erfahrene Cracks können da ruhig<br />

Blut bewahren.» Die letztjährige Runde<br />

ging einmal mehr an das Team vom<br />

Üetlihof. Für die Feier steht der Champagner<br />

schon bereit.<br />

ANDREAS THOMANN<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

24<br />

GESUCHT:<br />

LOYALE KUNDEN<br />

DIE FLEXIBLEN KONSUMENTEN<br />

VON HEUTE SIND GIFT FÜR<br />

DEN CASH-FLOW. «KUNDENBINDUNG»<br />

LAUTET DAS GEGENGIFT.<br />

VON ANDREAS THOMANN, REDAKTION BULLETIN<br />

«Unsere Kunden sind kritischer, autonomer<br />

und flexibler geworden», tönt es landauf<br />

landab aus den Marketingabteilungen<br />

massgebender Retailfirmen – ob Warenhäuser<br />

oder Supermärkte, Fluggesellschaften<br />

oder Reiseveranstalter, Versicherungen<br />

oder Banken. Vor allem mit der letzten<br />

Eigenschaft moderner Konsumentinnen<br />

und Konsumenten, der <strong>Flexibilität</strong>, haben<br />

die Unternehmen so ihre liebe Mühe. Denn<br />

flexibel heisst nichts anderes als untreu;<br />

ein Horror. Einmal in die Migros, dann in<br />

die Coop, und warum nicht noch schnell<br />

beim Denner vorbeischauen? Die Lebensversicherung<br />

bei der Vaudoise, die Hausratsversicherung<br />

bei der Mobiliar, aber den<br />

Vollkasko-Schutz fürs Auto am liebsten bei<br />

der Zürich. Doch nächste Woche, nächsten<br />

Monat oder nächstes Jahr könnte<br />

dann alles schon wieder ganz anders sein.<br />

Flatterhaftigkeit beherrscht die Szene<br />

und lässt die Marketingstrategen erzittern.<br />

Eine logische Entwicklung, meint Sabine<br />

F<br />

Dittrich, Marketingspezialistin an der Universität<br />

Sankt Gallen. «In unserer schnelllebigen<br />

Konsumwelt möchten sich die<br />

Verbraucher alle Optionen offenhalten.<br />

Denn laufend verändert sich das Angebot,<br />

tauchen neue Anbieter oder neue Produkte<br />

auf, und was heute noch günstig ist, wird<br />

es morgen vielleicht schon nicht mehr<br />

sein.» Weil moderne Konsumenten in der<br />

Regel besser Bescheid darüber wüssten,<br />

was wie wo zu holen sei, könnten sie sich<br />

diese Ungebundenheit auch besser leisten,<br />

denn «Information reduziert die Unsicherheit<br />

beim Kauf», präzisiert Dittrich.<br />

Auch Bankkunden werden untreu<br />

Dass auch die Finanzdienstleister von diesem<br />

Verhalten nicht verschont bleiben,<br />

belegt eine aktuelle Umfrage der Beratungsfirma<br />

Deloitte & Touche. So beklagten<br />

sich 85 Prozent der 133 befragten<br />

Entscheidungsträger europäischer Finanzinstitute<br />

über schwindende Kundenloya-<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

25<br />

Tatsächlich laufen die umworbenen Kunden<br />

Gefahr, im Dickicht von Karten, Clubs<br />

und Punkten die Orientierung zu verlieren.<br />

Wie auch immer: Die Unternehmen ziehen<br />

fast durchwegs positive Bilanzen ihrer<br />

Treueoffensiven. So hat sich die Cumulus-<br />

Karte zu einem wahren Renner entwickelt,<br />

wie Product Manager Stefan Frei bestätigt.<br />

Bereits seien 1,7 Millionen Haushalte im<br />

Besitz der Karte. Davon benützten sie<br />

1,4 Millionen regelmässig. «Und die Tendenz<br />

ist weiter steigend.» Auch die CREDIT<br />

SUISSE sonnt sich im Erfolg ihrer Kundenbindungsprogramme.<br />

BONVIVA, eine<br />

Finanzboutique mit verschiedensten Verlität.<br />

Gerade die Bankenwelt zeigt aber<br />

auch, wo die Grenzen dieser <strong>Flexibilität</strong><br />

liegen: Sobald es für den Kunden um<br />

höhere Summen geht, gewinnt die Beratung<br />

an Gewicht und damit auch das Vertrauen<br />

des Kunden gegenüber einer Bezugsperson.<br />

Und Vertrauen braucht Zeit.<br />

Ist es einmal aufgebaut, so ist der Kunde<br />

weder bereit noch in der Lage, den gleichen<br />

Service woanders zu kriegen.<br />

Das Problem der schwindenden Loyalität<br />

präsentiert sich damit nicht ganz so dramatisch<br />

für das Marketing. Wenn es denn<br />

überhaupt eines ist: Warum, so könnte<br />

man sich fragen, sollte sich eine Firma<br />

Sorgen machen, dass ihre Kunden abspringen<br />

? Solange sie konkurrenzfähige<br />

Produkte zu bieten hat, werden ebensoviele<br />

neue dazustossen; unter dem Strich<br />

bliebe alles beim alten. «Falsch», widerspricht<br />

Peter Bauer, Marketingchef für<br />

Individualkunden bei der CREDIT SUISSE:<br />

«Um einen neuen Kunden anzuwerben,<br />

muss ein Unternehmen nämlich ungleich<br />

mehr Geld in die Hand nehmen, als um<br />

einen bestehenden Kunden bei der Stange<br />

zu halten.» Und einmal angeworben, drückt<br />

der neue Kunde weiter auf das Budget der<br />

Bank, denn das Einrichten eines Kontos<br />

und die anderen administrativen Schritte<br />

sind nicht gratis. Auch hat der Kunde zu<br />

Beginn die Abläufe noch nicht so im Griff,<br />

was die Kostenrechnung zusätzlich belastet.<br />

Wenn also ein eben erst gewonnener<br />

Kunde wieder abspringe, hinterlasse er<br />

nur Kosten, so Bauer. «Je nach Bankprodukt<br />

müssen wir mit einigen Monaten, ja<br />

sogar Jahren rechnen, bis eine neue Kundenbeziehung<br />

zu rentieren beginnt.» Danach<br />

geht es aber meist nur noch bergauf<br />

mit der Rentabilitätskurve, denn die Abläufe<br />

schleifen sich ein, der Kunde lernt<br />

die Bank schätzen, empfiehlt sie weiter und<br />

wird auch empfänglicher für weitere Bankdienstleistungen.<br />

«Cross-selling» nennt<br />

man dies im Marketing-Jargon.<br />

Jetzt kommen die Bonusprogramme<br />

Wie einträglich es ist, seine Stammkundschaft<br />

auszuschöpfen, haben mittlerweile<br />

nicht nur die Banken begriffen. Mit allen<br />

möglichen Mitteln versuchen hierzulande<br />

Anbieter quer durch alle Branchen, die<br />

LEXIBILI<br />

treuen Kunden zu belohnen und die weniger<br />

treuen auf den rechten Weg zu führen.<br />

Die Swissair etwa hält die Mitglieder ihres<br />

Qualiflyer-Programms dazu an, fleissig<br />

Bonuspunkte zu sammeln. Haben die<br />

Vielflieger eine gewisse Anzahl Meilen abgeflogen,<br />

so erhalten sie ein Anrecht auf<br />

einen weiteren Flug bei der Swissair oder<br />

einer anderen Gesellschaft, die bei Qualiflyer<br />

mitmacht. Auch die Migros hat zur<br />

Jagd auf die loyalen Kunden geblasen, als<br />

sie vor anderthalb Jahren die Cumulus-<br />

Karte lancierte. Das Prinzip ist ähnlich: Je<br />

mehr man bei Migros einkauft, desto mehr<br />

Punkte kriegt man. Die Punkte entsprechen<br />

einem Rabatt von einem Prozent auf<br />

dem Umsatz, können aber auch für Aktionen<br />

verwendet werden. Es dauerte nicht<br />

lange, bis Konkurrent Coop mit Migros<br />

gleichzog und die Coop-Profitkarte auf<br />

den Markt brachte.<br />

«Rückfall in die Zeit der Rabattmärkli»,<br />

schimpfen vor allem Konsumentenschützer.<br />

günstigungen, zählt seit ihrer Einführung<br />

Anfang 1997 bereits weit über 100 000<br />

Mitglieder (siehe Box, Seite 27). Bei jungen<br />

Leuten beliebt ist auch das ACADE-<br />

MICA-Konto, welches neben einem gebührenfreien<br />

Privatkonto mit Vorzugszins<br />

allerlei Zusatzleistungen rund ums Kino<br />

und Internet zu bieten hat. Das dritte Pferd<br />

im Stall der CREDIT SUISSE-Loyalitätsangebote<br />

nennt sich POINT-UP, ein Bonussystem<br />

für Kreditkartenbenützer (siehe<br />

auch Artikel auf Seite 50). Das Novum:<br />

Alle drei Kreditkarten, welche die CREDIT<br />

SUISSE seit diesem Jahr anbietet, laufen<br />

über dasselbe Punktesystem.<br />

Soweit die Fassade des modernen<br />

Marketing. Wer einen Blick dahinter wirft,<br />

erkennt aber noch weit grundlegendere<br />

Veränderungen. Stimuliert durch die Möglichkeiten<br />

der Informationstechnologie,<br />

haben Firmen begonnen, in grossem Stil<br />

Daten über das Verhalten ihrer Kunden zu<br />

sammeln. All die Treueprogramme sind<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

26<br />

«LOYALITÄT BEGINNT<br />

BEI DEN MITARBEITERN»<br />

DR. BERNHARD KUNZ, CREDIT SUISSE,<br />

LEITER MARKETING RESEARCH & DEVELOPMENT<br />

ANDREAS THOMANN Die Zeiten sind vorbei, als<br />

die Kunden ein Leben lang ihrer Bank die<br />

Treue hielten. Gerade im Retail Banking<br />

sind die Nachfrager viel flexibler geworden.<br />

Was unternimmt die CREDIT SUISSE, um ihre<br />

ÄT<br />

Kundschaft bei der Stange zu halten?<br />

BERNHARD KUNZ Einiges. Vor vier Jahren<br />

ist die CREDIT SUISSE über die Bücher gegangen<br />

und hat eine ganzheitliche Strategie<br />

definiert, das Loyalty Based Management.<br />

A.T. Dies klingt wie ein weiterer Ansatz aus<br />

der schnellebigen Management-Literatur.<br />

B.K. Ist es aber nicht. Vielmehr handelt<br />

es sich um ein Konzept, mit dem wir die<br />

Loyalität von Kunden und Mitarbeitern<br />

nachhaltig fördern wollen.<br />

A.T. Auch von Mitarbeitern?<br />

B.K. Richtig. Der Grund ist so banal,<br />

dass er häufig kaum beachtet wird: Nur<br />

loyale, zufriedene Mitarbeiter schaffen für<br />

ein Unternehmen die Basis für loyale, zufriedene<br />

Kunden.<br />

A.T. Wie das?<br />

B.K. Zunächst einmal überträgt sich die<br />

Zufriedenheit eines Mitarbeiters an der<br />

Front unmittelbar auf den Kunden. Weiter<br />

gilt, dass Mitarbeiter, die sich bei ihrer<br />

Arbeit wohl fühlen, in der Regel einem<br />

Unternehmen auch länger treu bleiben.<br />

Solche Mitarbeiter kennen die internen<br />

Abläufe besser und tragen ihrerseits zu<br />

einer höheren Servicequalität bei.<br />

A.T. Wieweit hat die CREDIT SUISSE diese<br />

Erkenntnisse bereits umgesetzt?<br />

B.K. Auf Mitarbeiterseite haben wir<br />

schon 1992 begonnen, in Umfragen deren<br />

Zufriedenheit gezielt zu erforschen und die<br />

gewonnenen Daten genau wie die anderen<br />

betrieblichen Erfolgszahlen auszuwerten.<br />

A.T. Und auf der Kundenseite?<br />

B.K. Hier haben wir uns daran gemacht,<br />

unsere Kunden besser kennenzulernen.<br />

Dank modernster Informatik ist dies heute<br />

wesentlich einfacher geworden. Unsere<br />

Kundendaten waren bisher in einer Menge<br />

von dezentralen Archiven gespeichert. Der<br />

erste Schritt bestand also darin, diese verstreuten<br />

Daten in einem zentralen Pool<br />

zusammenzufassen, einem sogenannten<br />

Data Warehouse. Mittlerweile sind es<br />

einige hundert Gigabytes an Informationen,<br />

die hier lagern.<br />

A.T. Welchen Nutzen hat dieser riesige Datenspeicher<br />

für die Bank?<br />

B.K. Unmittelbar keinen. Die Kunst besteht<br />

nun darin, aus diesem Pool diejenigen<br />

Informationen herauszufiltern, die wir dann<br />

beispielsweise für loyalitätsfördernde Marketingaktivitäten<br />

einsetzen können. Dies<br />

kann durch einfache Selektionsregeln geschehen<br />

oder aber mittels Data Mining;<br />

das sind statistische Verfahren und solche<br />

der künstlichen Intelligenz, beispielsweise<br />

neuronale Netze. Die Möglichkeiten sind<br />

ausserordentlich vielfältig.<br />

A.T. Können Sie ein Beispiel nennen?<br />

B.K. Man kann etwa ein Kundenprofil für<br />

alle Hypothekarkreditbenutzer erstellen.<br />

Anschliessend eruiert man diejenigen<br />

Kunden, die ein ähnliches Profil, aber keine<br />

Hypothek haben, um ihnen per Mailing<br />

oder Telefon die Vorzüge unseres Hypothekarangebots<br />

zu erläutern.<br />

F<br />

Inwiefern fördert eine solche Aktion die<br />

A.T.<br />

Loyalität der Kunden?<br />

B.K. Da die Wahrscheinlichkeit hoch ist,<br />

dass die ausgewählte Zielgruppe effektiv<br />

am Produkt interessiert ist, werden die<br />

Kunden positiv reagieren. Sie sehen, dass<br />

die Bank ihre Bedürfnisse richtig einschätzt.<br />

Umgekehrt verärgern wir bei einem fokussierten<br />

Marketing nicht alle andern, die<br />

mit einer Hypothek gar nichts anfangen<br />

können. Ziel dieses Loyalty Based Marketing<br />

ist es, dass jede Kundenberaterin und<br />

jeder Kundenberater bereits per Mausclick<br />

weiss, welchem Kunden sie oder er was<br />

und in welcher Form anbieten sollte.<br />

A.T. Befürchten Sie nicht, dass sich die<br />

Kunden der CREDIT SUISSE durchleuchtet<br />

vorkommen könnten?<br />

B.K. Tatsächlich besteht ein Konflikt<br />

zwischen den Bedürfnissen des modernen<br />

Marketing und dem Persönlichkeitsschutz<br />

der Kunden. Um uns abzusichern,<br />

haben wir schon früh ein Datenschutzteam<br />

eingesetzt, welches unser Projekt<br />

begleitet.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHWERPUNKT<br />

27<br />

letztlich nichts anderes als Instrumente,<br />

mit denen man an diese Daten herankommen<br />

will. Denn mit jedem Einkauf oder<br />

jedem Flug hinterlassen Karteninhaber,<br />

Vielflieger und Konsorten eine Spur. In riesigen<br />

zentralen Datenbanken – sogenannten<br />

Data Warehouses – können dann<br />

die solchermassen registrierten Informationen<br />

zusammengeführt werden (siehe<br />

auch das Interview auf Seite 26). Danach<br />

liegt der Ball bei den Statistikern und Naturwissenschaftern.<br />

Ihre Aufgabe: aus dem<br />

Datenmeer eine möglichst präzise Unterteilung<br />

von verschiedenen Kundengruppen<br />

herauszufischen. Data Mining nennt<br />

BONVIVA: VIELE SCHNÄPPCHEN ERHALTEN DIE FREUNDSCHAFT<br />

Hinter BONVIVA versteckt sich ein cleveres Kundenbindungsprogramm der<br />

CREDIT SUISSE. Das Prinzip ist einfach: Wer bei der CREDIT SUISSE ein Anlageguthaben<br />

von über 25000 Franken hat, kann mitmachen. Dabei spielt es keine<br />

Rolle, in welcher Form das Guthaben vorliegt – ob in Aktien, Obligationen oder<br />

in Form eines Privat-, Spar- oder Privilegia-Kontos. Die Angebotspalette von<br />

BONVIVA lässt sich sehen:<br />

• ein gebührenfreies Privatkonto<br />

• eine kostenlose ec-Karte<br />

• ein Zinsstufensparkonto mit einem um 3 ⁄4 Prozentpunkte höheren Einstiegszins<br />

als bei Sparkonti<br />

• kommissionsfreie Travelers Cheques<br />

• ein Startkapital von 5000 Punkten im Point-up-Bonusprogramm des neuen<br />

CREDIT SUISSE-Kreditkartenangebots.<br />

LE<br />

man die komplexen Methoden, die dabei<br />

zur Anwendung kommen. Den Firmen<br />

eröffnen sie geradezu phantastische Möglichkeiten:<br />

Fortan können sie das Marketing<br />

gezielt auf bestimmte Kundensegmente<br />

abstimmen. Und sie können testen,<br />

welche Aktionen wie bei welchen Segmenten<br />

ankommen, wobei die ausgewerteten<br />

Daten wieder in das Data Warehouse<br />

zurückfliessen. Im Extremfall lassen sich<br />

für jedes einzelne Segment eigene Produkte<br />

oder Produktbündel designen.<br />

Rosige Zeiten am Konsumhimmel<br />

Ein gewaltiger Effizienzsprung für das<br />

Marketing bahne sich hier an, ist Peter<br />

Bauer überzeugt, denn: «Das gezielte<br />

One-to-one-Marketing ist viel kostengünstiger<br />

als Direktwerbung nach dem Giesskannenprinzip».<br />

Aber auch für die Kunden<br />

springt einiges heraus. Die Zeiten jedenfalls,<br />

wo der Briefkasten voller Werbebotschaften<br />

ist, die so gar nichts mit den<br />

Soweit das Basisprogramm. Die Zusatzleistungen reichen von einem kostenlosen<br />

Schlüsselfundservice über einen 24stündigen Kartensperrdienst bis hin<br />

zu happigen Vergünstigungen in ausgewählten Hotels und Restaurants in der<br />

Schweiz und im Ausland. Und in der BONVIVA-Boutique gibt es das ganze Jahr<br />

über verschiedenste Schnäppchen zu holen. Damit niemand den Überblick verliert,<br />

kriegen die «Bonvivants» sechsmal im Jahr ein Gratismagazin zugeschickt.<br />

«BONVIVA funktioniert wie ein Salatbuffet», erklärt Marketingchef Peter Bauer<br />

den Erfolg des Pakets. «Im reichhaltigen Angebot kann sich jeder und jede<br />

herauspicken, was er oder sie will. Und weil sich die Palette saisonal verändert,<br />

bleibt das Buffet das ganze Jahr über attraktiv.»<br />

Weitere Informationen zu BONVIVA gibt es übers Gratistelefon 0800 80 90 90<br />

oder über www.credit-suisse.ch/bonviva.<br />

eigenen Bedürfnissen zu tun haben, gehören<br />

wohl bald der Vergangenheit an.<br />

Und mehr noch: «Kunden, die wir besser<br />

kennen, können wir dereinst auch bessere<br />

Produkte und Dienstleistungen bieten»,<br />

lautet die einfache Formel von Cumulus-<br />

Chef Stefan Frei. Was hierzulande noch<br />

wie Zukunftsmusik klingt, ist andernorts<br />

längst Realität – vor allem in Branchen, in<br />

denen die Informations-Revolution schon<br />

vor zehn Jahren eingesetzt hat. Zu ihnen<br />

gehört der Luftverkehr. British Airways<br />

beispielsweise hat seit Jahren sein gesamtes<br />

Angebot konsequent auf die Bedürfnisse<br />

der Kundschaft ausgerichtet. Die<br />

Folge: bessere Produkte und Dienstleistungen,<br />

höhere Bequemlichkeit und klarere<br />

Informationen zu niedrigeren Preisen.<br />

So werden 80 Prozent aller auflaufenden<br />

Beschwerden innerhalb von drei Tagen<br />

bereinigt. Das Ergebnis ist eine dramatisch<br />

gestiegene Loyalität: Mehr als 80 Prozent<br />

der Kunden, die sich 1996 beschwert hatten,<br />

wollten später wieder mit British Airways<br />

fliegen, verglichen mit 40 Prozent im<br />

Jahre 1993.<br />

Rosige Zeiten also, die sich am Konsumhimmel<br />

abzeichnen. Vieles deutet darauf<br />

hin, dass der Kunde von morgen weniger<br />

durch übertriebene <strong>Flexibilität</strong> als<br />

vielmehr durch Transparenz und Loyalität<br />

auffallen wird.<br />

ANDREAS THOMANN, TELEFON (01) 333 80 39<br />

E-MAIL: ANDREAS.THOMANN@<br />

CREDIT-SUISSE.CH<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


NEWS<br />

28<br />

ZAHLEN UND SPAREN<br />

IN EURO<br />

Das neue EURO-KONTO der CREDIT SUISSE<br />

für Private bricht mit der Tradition, denn es vereint<br />

erstmals Zahlen und Sparen in einem Konto.<br />

Ihre Zahlungen in der neuen Währung wickeln<br />

Sie bequem über das neue Konto ab.<br />

Ihr Guthaben verzinsen wir ab 2000 Euro zu<br />

0,5 Prozent. Und je mehr Geld Sie auf Ihrem<br />

EURO-KONTO haben, desto höher ist Ihr Zinssatz.<br />

Ab 8000 Euro sind es ein Prozent, und<br />

bei einem Guthaben ab 15 000 kommt der<br />

Maximalzinssatz von zurzeit zwei Prozent zur<br />

Anwendung.<br />

Das EURO-KONTO eignet sich für Private, die<br />

– in Verbindung mit einem Wertschriftendepot<br />

Anlagegeschäfte in Euro tätigen,<br />

– für eine Investition im Ausland sparen,<br />

– häufige Transaktionen in Euro abwickeln.<br />

Ihr Kundenberater erklärt Ihnen gerne die detaillierten<br />

Konditionen. Oder besuchen Sie einfach<br />

unsere Produkteinformationen im Internet unter<br />

www.credit-suisse.ch/eurokonto. Sollten Sie<br />

an weitergehenden Facts zum Euro interessiert<br />

sein, so werfen Sie doch einen Blick<br />

ins betreffende Dossier von<br />

BULLETIN Online, zu finden unter<br />

www.credit-suisse.ch/bulletin.<br />

BADELIFT, RETTUNGSBRETT<br />

UND FUSSBALLKASTEN<br />

Eine gute Sache nahm im<br />

Herbst 1997 ihren Anfang.<br />

Damals entschied die CREDIT<br />

SUISSE, fortan auf die traditionellen<br />

Kundengeschenke<br />

an Weihnachten zu verzichten<br />

und stattdessen diverse karitative<br />

Projekte in der Schweiz<br />

zu unterstützen. Im letzten<br />

Dezember erfuhr die Aktion<br />

«Helfen statt Schenken» ihre<br />

zweite Auflage. Zusammen<br />

mit den regionalen Führungseinheiten<br />

hat die Geschäftsleitung<br />

die folgenden fünf<br />

Projekte ausgewählt:<br />

Einen Badelift für die geistig<br />

und mehrfachbehinderten<br />

Heimbewohner im Beschäftigungs-<br />

und Wohnheim<br />

Dychrain, Münchenstein.<br />

Ein Ferienlager für 70 geistig<br />

schwerbehinderte Menschen<br />

und ihre Begleitpersonen<br />

sowie ein Tischfussballkasten<br />

zugunsten der Band-<br />

Genossenschaft, Bern.<br />

Die Einrichtung eines Aufenthaltsraumes<br />

mit Cheminée<br />

im Heim für geistig Behinderte<br />

«Les Fontenattes» in Boncourt.<br />

Betreiberin des Heims ist<br />

die «Fondation Les Castors»<br />

in Pruntrut.<br />

Rettungsbretter und -bälle,<br />

Wurfleinen, «Gstältli» und<br />

Handbücher zur Lebensrettung<br />

in Seen und Flüssen für<br />

die Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft,<br />

Bellinzona.<br />

Einen Beitrag für das heilpädagogische<br />

Reiten, die<br />

Anschaffung von Musikinstrumenten,<br />

Theaterkleidern und<br />

-requisiten sowie einen Stimulations-<br />

und Ruheraum für<br />

behinderte Menschen. Der<br />

Beitrag ging an das Giuvaulta<br />

Zentrum für Sonderpädagogik,<br />

Rothenbrunnen.<br />

Weitere Informationen über<br />

Telefon (01) 333 27 71 oder<br />

ursi.krienbühl@credit-suisse.ch.<br />

SO BAUEN SIE IHR VERMÖGEN AUF<br />

Gezieltes, langfristiges Fondssparen ist<br />

sowohl mit grossen wie mit kleinen Beträgen<br />

möglich: dank dem neuen FONDS-<br />

SPARPLAN der CREDIT SUISSE. Noch<br />

nie war regelmässiges Geldanlegen<br />

so bequem! Sie sagen, welchen<br />

Betrag Sie wie häufig und in welchen<br />

Fonds investieren möchten. Der<br />

Rest geschieht automatisch. Bereits<br />

mit einer Starteinlage<br />

von 1000 Franken und<br />

einem Sparbetrag von 200 Franken pro<br />

Periode sind Sie dabei.<br />

Ihr Geld überweisen Sie entweder<br />

monatlich, vierteljährlich, halbjährlich oder<br />

jährlich. Zur Auswahl stehen Ihnen<br />

acht Anlagefonds mit unterschiedlichen<br />

Aktienanteilen. Wir empfehlen<br />

eine Anlagedauer von mindestens<br />

fünf Jahren. Dennoch<br />

bleiben Sie flexibel, denn Sie<br />

können Ihr Geld jederzeit beziehen.<br />

Und nebst Ihrem regelmässigen Sparbetrag<br />

haben Sie stets die Möglichkeit, zusätzliche<br />

Einlagen zu tätigen.<br />

Der FONDS-SPARPLAN ist ein ideales<br />

Instrument zum langfristigen Vermögensaufbau<br />

mit Wertschriften! Für Sie selbst oder<br />

für Ihre Kinder, Enkel- oder Patenkinder.<br />

Für nähere Informationen zum Vermögensaufbau<br />

wenden Sie sich an Ihren<br />

Kundenberater oder wählen Sie im Internet<br />

www.credit-suisse.ch/anlagefonds.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


NEWS<br />

29<br />

DAS BULLETIN GEHT INS NETZ<br />

WWW. CREDIT-SUISSE.CH/BULLETIN<br />

Ein Printprodukt wie das BULLETIN, das im 104. Jahr<br />

seines Erscheinens steht, hat schon von manch einer<br />

VIELE WEGE FÜHREN ZUR<br />

HYPOTHEK<br />

«Der Kunde ist König», sagte<br />

sich die CREDIT SUISSE,<br />

als sie ihre Multichannel-Strategie<br />

formulierte. So rasch<br />

und bequem wie möglich<br />

soll er sich aus einem<br />

hochstehenden Angebot ein<br />

passendes Paket schnüren<br />

können – ob per Kundenberater,<br />

Telefon oder Internet. Nun<br />

ist die CREDIT SUISSE auch<br />

bei den Hypotheken diesem<br />

hohen Anspruch ein gutes<br />

Stück nähergekommen. Interessieren<br />

Sie sich für die neuen<br />

Hypothekarmodelle MIX,<br />

FLEX und FIX ? Oder möchten<br />

Sie wissen, welche Versicherungen<br />

Sie am besten mit<br />

Ihrem Hauskauf kombinieren ?<br />

Sie haben die Wahl: Wie<br />

gehabt können Sie sich an<br />

Ihren Kundenberater wenden.<br />

Oder Sie greifen zum Telefon<br />

und wählen die Nummer<br />

0844 800 200. Von Montag<br />

bis Freitag von 8 bis 21 Uhr<br />

und am Samstag von 9 bis<br />

17 Uhr kriegen Sie frei Haus<br />

eine kompetente<br />

Beratung. Sollten<br />

Sie es vorziehen,<br />

mit der Computermaus<br />

durch<br />

den Cyberspace<br />

zu surfen, erhalten<br />

Sie die<br />

gleiche Dienstleistung<br />

über die Adresse<br />

http://www.credit-suisse.ch<br />

/hypotheken. Dort finden<br />

Sie alles, was Sie an Entscheidungsgrundlagen<br />

für die<br />

Wahl Ihrer Hypothek brauchen:<br />

Von der Bedürfnisanalyse<br />

über Berechnungsbeispiele<br />

bis hin zu einer praktischen<br />

Checkliste. Und schliesslich<br />

stehen allen Hypothekarkunden<br />

neuerdings auch die<br />

Türen der Winterthur-Agenturen<br />

weit offen.<br />

technischen Neuerung profitiert. Der Offsetdruck verbesserte<br />

den optischen Auftritt. Der Vierfarbendruck<br />

ermöglichte, auch ernsthafte Inhalte mit Farbe aufzulockern.<br />

Nun geht das Traditionsmagazin<br />

BULLETIN abermals<br />

mit der Zeit und wagt den<br />

Sprung in die schöne neue,<br />

nunmehr elektronische Medienwelt.<br />

Ab dieser Nummer erscheint das BULLETIN<br />

unter dem Titel «BULLETIN online» im Internet. Damit<br />

ist unser Angebot auch über dieses neue Medium<br />

zugänglich – vorläufig nur auf deutsch.<br />

In der Internet-Ausgabe sind Artikel zu BULLETIN-<br />

Themen zu lesen. Geschichten aus der Printausgabe<br />

werden mit zusätzlichen Informationen ergänzt und<br />

weiterverfolgt. In der Rubrik «Dossier» kann man eine<br />

breite Palette von Informationen zu den Themen Euro,<br />

Allfinanz, Schweiz und Zweiter Weltkrieg, Jahr-2000-<br />

Problem, Retail Banking und Internet Banking abrufen.<br />

Zusätzlich stehen zu allen Themen Links bereit, die<br />

nützliche Ausgangspunkte für eine erfolgreiche Informationssuche<br />

auf dem Internet bieten.<br />

Besuchen Sie die Homepage von BULLETIN online<br />

unter der Internet-Adresse www.credit-suisse.ch/bulletin.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


«BEI DER UMSTELLUNG AUF<br />

DEN EURO ENTSTEHT IM<br />

WERTSCHRIFTENBEREICH EIN<br />

EIGENTLICHES PATCHWORK, DA<br />

BRÜSSEL KEIN EINHEITLICHES<br />

VORGEHEN VORSCHREIBT»,<br />

ERKLÄRT CREDIT SUISSE-<br />

ÖKONOM FRITZ STAHEL.


ECONOMIC RESEARCH<br />

31<br />

SCHNITTSTELLE<br />

BANKENWELT<br />

DER EURO IST DA! FÜR DEN FINANZSEKTOR<br />

HAT EIN NEUES ZEITALTER BEGONNEN.<br />

VON FRITZ STAHEL, ECONOMIC RESEARCH<br />

Schon beim ersten Hinsehen wird klar: der<br />

Finanzsektor der EU ist kein homogenes<br />

Gebilde. Die Unterschiede von Land zu<br />

Land sind zum Teil noch beträchtlich. Sie<br />

zeigen sich beispielsweise im zeitlichen<br />

Verlauf und in der Dynamik des bisherigen<br />

Strukturwandels. Dieser hat in Skandinavien<br />

früher begonnen und stärker gewirkt<br />

als in den meisten anderen Mitgliedstaaten.<br />

Vor allem in den südlichen EU-Ländern<br />

besteht ein erheblicher Nachholbedarf;<br />

es werden die Anzahl Banken reduziert,<br />

die Filialnetze gestrafft und die Personalbestände<br />

verringert.<br />

Auf diesen Strukturwandel wirkt die<br />

Einführung des Euro als gemeinsame<br />

Währung von elf EU-Staaten wie ein<br />

Katalysator. Der Finanzsektor wird in der<br />

dreijährigen Übergangsphase zu einer<br />

wichtigen Schnittstelle. Die meisten Finanzinstitute<br />

betrachten die Geburt des Euro<br />

nicht nur als technische Übung; vielmehr<br />

nehmen sie sie zum Anlass, die eigene<br />

strategische Position anzupassen.<br />

Die unwiderrufliche Fixierung der<br />

Wechselkurse hat im Devisenhandel alle<br />

Geschäfte mit den beteiligten EWU-<br />

Währungen untereinander überflüssig<br />

gemacht. Das sind je nach Land zwischen<br />

einem Drittel des gesamten Umsatzes in<br />

Finnland und einem Zehntel in Grossbritannien.<br />

Anfang 2002 wird sich ähnliches<br />

beim Handel mit Noten wiederholen. Die<br />

Banken versuchen diese Einbussen zu<br />

kompensieren. Dabei rechnen sie mit<br />

einer weltweit erhöhten Nachfrage nach<br />

Euro und einem wachsenden Handel mit<br />

Währungen aus den Emerging Markets.<br />

Ein verschärfter Wettbewerb zeichnet<br />

sich im Zahlungsverkehr ab. Die Kunden<br />

erwarten, dass im einheitlichen Währungsraum<br />

grenzüberschreitende Transaktionen<br />

rascher und günstiger abgewickelt werden.<br />

Das ist zwar nicht von heute auf morgen<br />

möglich, weil für den internationalen Zahlungsverkehr<br />

nach wie vor verschiedene<br />

Wege offenzuhalten sind. Der technologische<br />

Fortschritt und der Konkurrenzdruck<br />

machen jedoch mit der Zeit Euro-<br />

Zahlungen auch ins Ausland attraktiver.<br />

Die Börsen wachsen zusammen<br />

Zeit braucht die Umstellung auf den Euro<br />

ebenfalls im Wertschriftenbereich. Da<br />

Brüssel kein einheitliches Vorgehen vorschreibt,<br />

entsteht hier ein eigentliches<br />

Patchwork: Die Staatsanleihen der EU-11<br />

sind bereits redenominiert; andere Emittenten<br />

folgen erst später oder lassen ihre<br />

Papiere bis zum Verfall in den nationalen<br />

EWU-Währungen. Die Aktien müssen innerhalb<br />

von drei Jahren umgestellt werden.<br />

Beteiligungspapiere werden aber bereits<br />

seit 4.1.1999 in Euro gehandelt.<br />

Vor besonders markanten Veränderungen<br />

steht die Börsenlandschaft Europas<br />

(siehe Grafik auf Seite 22). Die bisherige<br />

Währungsvielfalt hat begünstigt, dass<br />

zahlreiche nationale Handelsplätze nebeneinander<br />

existieren konnten. Derivatbörsen,<br />

die sich auf spezifische Zins- oder Währungsinstrumente<br />

ausrichteten, sind in den<br />

letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden<br />

geschossen. Mit dem Euro fallen diese<br />

Segmentierungen weg. Zudem ändern die<br />

Investoren ihr Verhalten. Obligationenanlagen<br />

werden innerhalb der EWU nicht<br />

mehr nach Währungen, sondern nach<br />

Laufzeit und Schuldnerbonität diversifiziert.<br />

Bei den Aktienanlagen verschwinden Länderüberlegungen<br />

zwar nicht sofort. Dennoch<br />

verlieren sie schrittweise zugunsten<br />

eines pan-europäischen Branchenansatzes<br />

an Bedeutung.<br />

Die Börsen in Europa wachsen also<br />

stärker zusammen. Die rasanten Fortschritte<br />

in der Informationstechnologie<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

32<br />

und eine Liberalisierung der Zulassungsbestimmungen<br />

für die Börsen unterstützen<br />

dies. So ist heute die «remote membership»<br />

möglich: Man kann am Handel einer<br />

Börse teilnehmen, ohne im entsprechenden<br />

Land physisch präsent zu sein.<br />

Allianzen wie Eurex zwischen Frankfurt<br />

und Zürich sind grundsätzlich offen. Und<br />

dereinst könnte gar ein pan-europäischer<br />

elektronischer Handelsplatz entstehen.<br />

Entsprechende Gespräche sind angelaufen,<br />

brauchen jedoch Zeit. Gehandelt wird auch<br />

künftig dort, wo die beste Liquidität vorhanden<br />

und die Rechnungslegung fortschrittlich<br />

ist, die niedrigsten Gebühren zu zahlen<br />

sind und die regulatorischen und steuerlichen<br />

Rahmenbedingungen stimmen.<br />

Zudem schauen sich Anleger verstärkt<br />

nach Papieren mit einer attraktiven Verzinsung<br />

um. Mit der EWU sind nämlich<br />

Renditenunterschiede bei Staatsanleihen<br />

von bis zu 700 Basispunkten passé. Entscheidend<br />

sind nicht mehr Inflationsunterschiede<br />

und Währungsrisiken, sondern vor<br />

allem die Schuldnerbonität. Der Benchmark<br />

für erstklassige Obligationen der<br />

öffentlichen Hand ist Deutschland – allenfalls<br />

zusammen mit Frankreich. Höhere<br />

Renditen erzielt nur, wer bereit ist, ein<br />

grösseres Risiko in Kauf zu nehmen.<br />

In den USA besteht ein stark entwickelter<br />

Markt für Anleihen von weniger<br />

bekannten Schuldnern. Das Segment der<br />

High Yield Bonds umfasst dort mittlerweile<br />

600 Milliarden Dollar. Haben in den<br />

USA lediglich ein Drittel aller Anleihen die<br />

Bonität Aa3 oder besser, so sind es in<br />

Europa vier Fünftel. Diesseits des Atlantiks<br />

besteht also ein erhebliches Potential,<br />

das in den nächsten Jahren ausgeschöpft<br />

wird. Die Investoren müssen sich allerdings<br />

bewusst sein, dass sich solche Papiere<br />

zwar als Beimischung zum Depot eignen,<br />

gleichzeitig aber etwas stärkere Nerven<br />

fordern. Die letztjährigen Turbulenzen an<br />

den Finanzmärkten bestätigen dies.<br />

Für die Banken heisst das: Ein wachsender<br />

Teil ihrer Kunden beschafft sich<br />

Kapital direkt am Markt statt über traditionelle<br />

Bankkredite. Die Finanzinstitute fördern<br />

aber auch aktiv die Verlagerung vom<br />

Zinsdifferenzgeschäft zu Transaktionen auf<br />

Kommissionsbasis. Sie treiben durch eine<br />

Verbriefung an den Kapitalmärkten voran,<br />

dass Kredite ausgelagert werden. Auch<br />

diesbezüglich besteht in Europa im Vergleich<br />

zu den USA ein erheblicher Nachholbedarf.<br />

Für die Banken werden so<br />

eigene Mittel frei, die sie für andere Geschäfte<br />

einsetzen können.<br />

MERKMALE DES EU-BANKENSEKTORS IM INTERNATIONALEN VERGLEICH:<br />

• In der EU ist der Konzentrationsgrad überdurchschnittlich hoch. In einer Reihe<br />

von Staaten entfällt die Hälfte des Bilanzsummentotals auf die jeweils fünf<br />

grössten Banken. Das ist vergleichbar mit der Schweiz, aber deutlich mehr als<br />

in Japan und in den USA.<br />

• Die EU verfügt – zusammen mit der Schweiz – nach wie vor über eine sehr<br />

hohe Bankendichte. Während sich in Europa rund 2000 Einwohner eine Filiale<br />

teilen müssen, sind es in den USA 3700 und in Japan gar 5000.<br />

• Der erwirtschaftete Bruttoertrag in den USA pro Mitarbeiter ist mit knapp<br />

200000 Franken im Durchschnitt aller Banken deutlich niedriger als in Japan und<br />

in der Schweiz mit etwa 350 000 Franken.<br />

• Die Ertragskraft reicht bei weitem nicht an jene der USA heran. Dort betrug der<br />

Return on Equity (RoE) in den letzten fünf Jahren gut 20 Prozent, verglichen mit<br />

knapp 10 Prozent in der EU, 7 Prozent in der Schweiz und lediglich 1 Prozent in<br />

Japan.<br />

BÖRSENPLÄTZE DER EU:<br />

MARKTANTEILE IN %<br />

OBLIGATIONEN<br />

Niederlande<br />

Grossbritannien<br />

Frankreich<br />

Italien<br />

AKTIEN<br />

Italien<br />

Niederlande<br />

Frankreich<br />

Deutschland<br />

Spanien<br />

Frankreich<br />

Dänemark<br />

Deutschland<br />

Italien<br />

Österreich<br />

Belgien<br />

Grossbritannien<br />

Niederlande<br />

Irland<br />

Dänemark<br />

Belgien<br />

Schweden<br />

andere Länder<br />

Deutschland<br />

Spanien<br />

Schweden<br />

Belgien<br />

andere Länder<br />

Grossbritannien<br />

KAPITALANLAGEN VON<br />

PRIVATPERSONEN IN DER<br />

EU: AUSLANDANTEILE IN %<br />

% 0 5 10 15 20 25 30<br />

Der einheitliche Währungsraum erleichtert<br />

den Anlegern den Blick über die Grenzen.<br />

Da das Wechselkursrisiko innerhalb<br />

von Euroland weggefallen ist, haben sie<br />

einen Anreiz, vermehrt ausländische Wertpapiere<br />

zu kaufen. Gemäss der Grafik verfügen<br />

bislang einzig die Iren mit gut einem<br />

Viertel über einen markanten Anteil an<br />

Investitionen im Ausland. Ihnen stehen die<br />

Privatpersonen in Spanien und Frankreich<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

33<br />

gegenüber, die nicht einmal fünf Prozent<br />

ihrer Kapitalanlagen ausserhalb des eigenen<br />

Landes investiert haben. Diese Heimatverbundenheit<br />

wird schwinden. Das<br />

stimuliert die Aktienmärkte, freut die<br />

staatlichen Emittenten und beunruhigt die<br />

nationalen Steuerbehörden.<br />

Bankkunden wollen auch weitere Geschäfte<br />

künftig über die Grenzen hinweg<br />

abschliessen. Der Euro macht nämlich die<br />

Preise transparenter und erleichtert damit<br />

den Vergleich zwischen in- und ausländischen<br />

Anbietern. Vor allem standardisierte<br />

Produkte etwa im Hypothekar- und Versicherungsbereich<br />

bieten sich dafür an.<br />

Voraussetzung ist jedoch, dass die Konsumenten<br />

mit den elektronischen Absatzkanälen<br />

vertraut und von einem vergleichbaren<br />

Aufsichtsstandard überzeugt sind.<br />

Zudem müssen steuerliche Hindernisse<br />

verschwinden. Denn Anbieter im Ausland<br />

sind chancenlos, wenn nur inländische Hypothekarzinsen<br />

und Versicherungsprämien<br />

steuerlich abzugsfähig sind.<br />

Ähnliches gilt für die Firmenkunden,<br />

wenn der Euro das wirtschaftliche Wachstum<br />

begünstigt und den innereuropäischen<br />

Austausch von Gütern und Dienstleistungen<br />

erleichtert. Die Unternehmen<br />

werden künftig mehr grenzüberschreitende<br />

Handelsfinanzierungen, Zahlungsverkehrstransaktionen<br />

und Cash-Management-<br />

Möglichkeiten brauchen.<br />

Schweiz und EU sind eng verbunden<br />

Das Finanzgeschäft in Europa wird verstärkt<br />

internationalisiert und von einer<br />

neuen Strukturbereinigung erfasst. Institute<br />

strecken ihre Fühler elektronisch ins<br />

Ausland aus. Andere sind in bestimmten<br />

Geschäftsfeldern für Kooperationen mit<br />

Partnerbanken in einzelnen Ländern. Zu<br />

erwarten ist auch, dass die Firmenzusammenschlüsse<br />

deutlich zunehmen. Paneuropäische<br />

Fusionen bleiben wenigen<br />

Konzernen vorbehalten; aber das Potential<br />

an Instituten, die sich innerhalb eines Marktes<br />

oder zwischen kulturell verwandten<br />

Ländern zusammenschliessen, ist gross.<br />

DER EURO HAT AUCH WIRKUNGEN AUF DEN FINANZSEKTOR SCHWEIZ:<br />

• Da elf nationale Währungen im Euro aufgegangen sind, gehen dem Devisenhandel<br />

in der Schweiz gut zehn Prozent seines Volumens verloren. Sollte die<br />

Schweiz der EU beitreten und auf den Franken verzichten, wären es rund<br />

25 Prozent.<br />

• Für internationale Investoren, die ihre Portefeuilles neu diversifizieren müssen,<br />

bieten sich der US-Dollar, das britische Pfund und Anlagen in Schweizerfranken<br />

an. Dies belebt die entsprechenden Börsensegmente.<br />

• Weil bei der Redenominierung von Wertpapieren aus dem EWU-Raum in Euro<br />

kein einheitliches Verfahren vorgeschrieben ist, müssen die hiesigen Banken bei<br />

ihrer traditionell internationalen Wertschriftenverwaltung mit allen Varianten klarkommen.<br />

• Um den Euro als Zweitwährung in der Schweiz effizient zu verarbeiten, musste<br />

man die entsprechende Infrastruktur anpassen. So wurde beispielsweise im<br />

Zahlungsverkehr das euroSIC geschaffen.<br />

• Anfang 2002 werden gewaltige Mengen von Bargeld umgetauscht, was eine<br />

verstärkte Geldwäschereitätigkeit auch in der Schweiz befürchten lässt. Deshalb<br />

gilt im Rahmen der bestehenden und bewährten Massnahmen eine erhöhte<br />

Vorsicht.<br />

Die Schweiz ist mit der EU wirtschaftlich<br />

eng und auf vielfältige Weise verbunden<br />

– das gilt ebenfalls für den Finanzplatz.<br />

Um jedoch vom gemeinsamen Finanzmarkt<br />

der EU profitieren zu können, brauchen<br />

die hiesigen Banken eine direkte<br />

Präsenz durch Tochtergesellschaften.<br />

Daran ändert auch das ausgehandelte bilaterale<br />

Vertragswerk nichts. Die EU-Einheitslizenz<br />

für Kreditinstitute, Wertpapierhäuser<br />

und Anlagefonds ist von der<br />

Schweiz aus nicht zu haben.<br />

Trotzdem rückt der Euro den Finanzplatz<br />

Schweiz ins Rampenlicht. Die Freiheit<br />

des Kapitalverkehrs wird ja begünstigt,<br />

weil das Währungsrisiko innerhalb der<br />

EWU wegfällt. Da die Union befürchtet,<br />

dass Anlagen im Ausland bei der Steuerdeklaration<br />

vergessen gehen, müssen<br />

bessere Kontrollmöglichkeiten her. Bei<br />

einem Alleingang der EU ist es nicht<br />

erfolgsversprechend, dass Kapitalerträge<br />

automatisch an die Steuerbehörden gemeldet<br />

werden oder dass eine entsprechende<br />

Quellensteuer eingeführt wird. Darum<br />

muss die Gemeinschaft auch Drittstaaten<br />

in eine Lösung einbeziehen. Die Schweiz<br />

kann aber nur zu einem kompatiblen System<br />

Hand bieten, wenn auch die Schlupflöcher<br />

in der EU gestopft werden.<br />

Der Euro mit seiner Katalysatorwirkung<br />

bewirkt schliesslich, dass der Finanzplatz<br />

Schweiz traditionelle Stärken mit anderen<br />

Zentren teilen muss. Das zwingt zu aktivem<br />

Handeln. So hat die Börse Schweiz mit<br />

ihrem System, welches Handel, Clearing<br />

und Settlement elektronisch verknüpft,<br />

einen internationalen Vorsprung. Dieses<br />

herausragende Know-how muss die<br />

Schweiz nutzen, indem sie mit anderen<br />

Börsenplätzen zusammenarbeitet oder<br />

ans Ausland verlorene Handelsaktivitäten<br />

zurückgewinnt. Hier zeigt sich indes deutlich,<br />

dass eine klare Strategie und technisches<br />

Know-how nicht genügen, wenn<br />

der Handel mit der Stempelsteuer belastet<br />

wird. Zur Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

sind nicht nur die Finanzinstitute,<br />

sondern auch die Politiker gefordert.<br />

FRITZ STAHEL, TELEFON (01) 333 32 84<br />

E-MAIL: FRITZ.STAHEL@CREDIT-SUISSE.CH<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

34<br />

ADRIANO LUCATELLI (LINKS)<br />

UND THOMAS STEINEMANN,<br />

EURO-SPEZIALISTEN IM<br />

ECONOMIC RESEARCH DER<br />

CREDIT SUISSE.<br />

EURO AUF KURS<br />

DIE NEUE WÄHRUNG IST LANCIERT. WIRD SIE<br />

IHRE UMLAUFBAHN STÖRUNGSFREI ERREICHEN?<br />

ZWEI SPEZIALISTEN NEHMEN STELLUNG.<br />

INTERVIEW: ANDREAS THOMANN,<br />

REDAKTION BULLETIN<br />

ANDREAS THOMANN Der Startschuss zum Euro A.T. Pragmatisch in welchem Sinne ?<br />

ist gefallen, und die europäische Zentralbank<br />

A.L. Zwar steht für die EZB-Verantwortlichen<br />

(EZB) hat am ersten Januar dieses<br />

Jahres ihre Amtsgeschäfte aufgenommen.<br />

Ist ihr der Start gelungen ?<br />

das Ziel der Geldwertstabilität klar<br />

im Vordergrund. Wenn es die Situation erlaubt,<br />

werden sie aber auch andere wirtschaftspolitische<br />

THOMAS STEINEMANN Durchaus, soweit<br />

Ziele berücksichtigen.<br />

man dies im jetzigen Zeitpunkt überhaupt<br />

schon sagen kann. Wie jede andere Zentralbank<br />

A.T. Ist die Leitzinssenkung nicht vielmehr<br />

hat sie zunächst die nötigen<br />

Massnahmen getroffen, um die Liquiditätsversorgung<br />

in ihrer Währungszone, dem<br />

Euroland, zu gewährleisten.<br />

unter politischem Druck zustandegekommen,<br />

namentlich seitens des deutschen<br />

Finanzministers Oskar Lafontaine ?<br />

T.S. Bestimmt nicht. Die Buba fällte den<br />

ADRIANO LUCATELLI Um den Führungsstil Entscheid völlig autonom, nämlich erst<br />

der EZB zu beurteilen, würde ich die Politik<br />

der Deutschen Bundesbank (Buba)<br />

dann, als sie kein Aufflackern der Inflation<br />

befürchten musste.<br />

in der zweiten Hälfte des Jahres 1998<br />

mitberücksichtigen. So war die Leitzinssenkung<br />

der Buba im vergangenen Herbst<br />

bereits eine EZB-Massnahme; man wollte<br />

dem Euro einen ruhigen Start erlauben.<br />

Die Massnahme hat gezeigt, dass man<br />

durchaus mit einer pragmatischen Politik<br />

der EZB rechnen kann.<br />

A.T. Dennoch haben die versuchten Einflussnahmen<br />

gewisser Politiker die Frage nach<br />

der Unabhängigkeit der EZB aufgeworfen.<br />

T.S. Hier besteht kein Grund zur Beunruhigung.<br />

Der Maastrichter Vertrag garantiert<br />

der EZB die vollständige Unabhängigkeit.<br />

Über Geldpolitik wird ausschliesslich im<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

35<br />

Rat der EZB entschieden (siehe auch Box<br />

auf Seite 36). Es gibt nur ein Gremium,<br />

das einen gewissen Einfluss auf die EZB<br />

nehmen kann: der Ecofin, also der Rat der<br />

Finanzminister. Bei den langfristigen Leitlinien<br />

der Währungspolitik hat er ein Wort<br />

mitzureden. So wäre es theoretisch möglich,<br />

dass der Ecofin gegen den Willen der<br />

EZB einen Beschluss fasst – was sehr<br />

unwahrscheinlich ist.<br />

A.T. Was hat es denn überhaupt für einen<br />

Sinn, wenn Politiker versuchen, der EZB<br />

dreinzureden ?<br />

A.L. Es ist das legitime Recht von Politikern,<br />

ihre geldpolitischen Vorstellungen in<br />

der Öffentlichkeit zu diskutieren. Die jetzige<br />

politische Konstellation in der EU wird<br />

dafür sorgen, dass es immer wieder zu<br />

Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen<br />

Regierungen und der EZB kommen<br />

wird. Denn auf der einen Seite haben wir<br />

mehrheitlich sozialdemokratisch regierte<br />

Länder mit einem gewissen Hang zu<br />

einer eher lockeren, wachstumsorientierten<br />

Geldpolitik, auf der anderen Seite die<br />

EZB, deren Statuten von einem monetaristischen<br />

Geist geprägt sind, mit der Geldwertstabilität<br />

als oberstem Ziel. Wichtig ist<br />

nun, dass die EZB jederzeit unabhängig<br />

entscheiden kann, ob und wie sie auf politische<br />

Diskussionen zu reagieren gedenkt.<br />

A.T. Ist die EZB ein europäisches Abbild der<br />

amerikanischen Zentralbank (Fed) ?<br />

T.S. Es gibt effektiv viele Gemeinsamkeiten<br />

zwischen den beiden wichtigsten<br />

Zentralbanken der Welt. Von der Unabhängigkeit<br />

haben wir bereits gesprochen.<br />

Ähnlichkeiten bestehen aber auch in der<br />

dezentralen Struktur. So sind die zwölf<br />

Fed-Distrikte vergleichbar mit den elf<br />

EWU-Mitgliedsstaaten und ihren nationalen<br />

Notenbanken, wobei letztere ein<br />

grösseres Gewicht haben. Dies zeigt sich<br />

im Abstimmungsprozess: In der EZB haben<br />

alle nationalen Notenbankenchefs<br />

eine Stimme, im Fed nur ein Teil der<br />

Distriktsvertreter. Und Alan Greenspan,<br />

der Fed-Präsident, hat ein Vetorecht. Ich<br />

gehe aber davon aus, dass dieser grössere<br />

Einfluss der nationalen Untereinheiten<br />

in der EZB mit der Zeit zurückgehen wird.<br />

Die gleiche Entwicklung hatte übrigens<br />

auch das Fed durchgemacht. Man sah mit<br />

der Zeit ein, wie wichtig eine zentrale<br />

Führung ist.<br />

A.T. Besteht nicht ein weiterer grosser<br />

Unterschied zu den USA darin, dass jeder<br />

der elf Staaten der EWU eine eigene Wirtschaftspolitik<br />

verfolgt ?<br />

A.L. Der Unterschied ist nicht so gross,<br />

wie man meinen könnte. Denn auch die<br />

amerikanischen Bundesstaaten verfolgen<br />

eine ziemlich eigenständige Wirtschaftspolitik,<br />

etwa im Bereich der Steuern.<br />

Zudem werden sich die EWU-Länder wirtschaftspolitisch<br />

noch stärker aufeinander<br />

zu bewegen.<br />

A.T. Wo sehen Sie mögliche Stolpersteine<br />

für den Euro ?<br />

T.S. Es gibt im wesentlichen zwei Szenarien,<br />

bei denen der Euro ins Straucheln<br />

geraten könnte – beide sind aber nicht<br />

sehr wahrscheinlich. Das eine wäre eine<br />

schlechte wirtschaftliche Entwicklung im<br />

Euroland mit einem massiven Anstieg der<br />

Arbeitslosigkeit. Die einzelnen Staaten<br />

ADRIANO LUCATELLI:<br />

wären versucht oder gezwungen, mit einer<br />

expansiven Fiskalpolitik die Wirtschaft<br />

wieder in Gang zu bringen. Die Folge:<br />

eine Überschreitung der im Stabilitätspakt<br />

definierten Budgetdefizitgrenzen.<br />

A.T. Und das zweite Szenario ?<br />

T.S. In diesem Fall gelänge es den Ländern<br />

nicht, ihre Konjunkturzyklen längerfristig<br />

zu koordinieren. Angenommen, die<br />

deutsche Wirtschaftslokomotive läuft mit<br />

voller Kraft voraus, die spanische dagegen<br />

kommt nicht auf Touren, dann müsste die<br />

EZB gleichwohl die geldpolitische Handbremse<br />

angezogen halten, und Spanien<br />

hätte unter hohen Zinsen zu leiden.<br />

A.T. Was wäre die Folge für den Euro, würde<br />

eines dieser Szenarien eintreffen ?<br />

T.S. Der Worst Case wäre letztlich die<br />

Auflösung der Währungsunion oder das<br />

Austreten einzelner Mitglieder. Dieser Fall<br />

ist aber sehr unwahrscheinlich und im Vertrag<br />

schon gar nicht vorgesehen. Wahrscheinlicher<br />

ist, dass man versuchen würde,<br />

einem Land mit einer angeschlagenen<br />

Wirtschaft mittels Ausgleichszahlungen<br />

über die Runden zu helfen. Oder dass man<br />

die Kriterien des Stabilitätspakts vorübergehend<br />

grosszügiger interpretiert – wie im<br />

Maastricht-Vertrag vorgesehen. Der Preis<br />

dieser Massnahmen wäre zum einen ein<br />

schwächerer Euro und zum andern höhere<br />

Zinsen – als Ausdruck einer höheren<br />

Risikoprämie für alle, die ihr Geld in Euro<br />

anlegen.<br />

A.T. Und die Folgen für die Schweiz ?<br />

A.L. Der Franken würde zur Fluchtwährung.<br />

Es flösse Kapital in die Schweiz,<br />

«DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK<br />

WIRD PRAGMATISCH VORGEHEN.»<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

36<br />

THOMAS STEINEMANN:<br />

«ES GIBT KEINEN GRUND, DEN FRANKEN<br />

AN DEN EURO ZU BINDEN.»<br />

was den Frankenkurs ansteigen liesse.<br />

Dies hätte Vorteile, etwa tiefe Zinsen<br />

und billigere Importe, doch die Nachteile<br />

wären höhere Preise unserer Exporte.<br />

A.T. Wenden wir uns ab von diesen düsteren<br />

Szenarien. Wahrscheinlicher scheint ohnehin,<br />

dass sich der Euro neben dem Dollar<br />

als weltweit zweitwichtigste Währung etablieren<br />

wird. Oder wird er dem Dollar sogar<br />

den Rang ablaufen ?<br />

A.L. Wir gehen mittelfristig nicht davon<br />

aus. Der Dollar hat sich bereits als Weltwährung<br />

etabliert. Da herrscht bei Notenbanken<br />

und Anlegern eine gewisse Trägheit,<br />

alte Gewohnheiten über den Haufen<br />

zu werfen. Und der Dollar verfügt über<br />

einen Leistungsausweis, den sich der Euro<br />

erst erarbeiten muss. Hinzu kommt: Der<br />

Dollar wurde erst durch das permanente<br />

US-Leistungsbilanzdefizit zur Weltreservewährung.<br />

Das Euroland hingegen weist<br />

einen Ertragsbilanzüberschuss aus. Dies<br />

wird sich deshalb nicht so schnell umkehren<br />

können, weil global gesehen die Summe<br />

aller Leistungsbilanzsaldi null ergibt.<br />

A.T. Der Euro wird den Dollar also so schnell<br />

nicht verdrängen. Wo kann er ihn allenfalls<br />

bedrängen ?<br />

A.L. Im Handel mit Osteuropa wird<br />

der Euro zur wichtigsten Handelswährung<br />

avancieren. Auch als Reservewährung<br />

wird er eine wachsende Rolle spielen.<br />

A.T. Die Schweiz ist vom Euroland umgeben.<br />

Ist es nicht denkbar, dass die Nationalbank<br />

den Franken an den Euro bindet ?<br />

A.L. Denkbar schon, doch nicht sehr<br />

wahrscheinlich – allein schon aus politi-<br />

schen Gründen. Denn eine Bindung des<br />

Frankens an den Euro käme de facto einer<br />

Mitgliedschaft in der EWU gleich. Sollte<br />

die Schweiz dies wollen, so würde sie<br />

den umgekehrten Weg beschreiten und<br />

zuerst der EU beitreten.<br />

A.T. Und wenn der Franken beispielsweise<br />

unter starken Aufwertungsdruck geriete ?<br />

A.L. Dann würde die Nationalbank<br />

versuchen, mit allen Mitteln ihre Unabhängigkeit<br />

zu wahren, etwa durch das<br />

Einschiessen von mehr Liquidität oder das<br />

Senken des Diskontsatzes.<br />

A.T. Eine ketzerische Frage zum Schluss:<br />

Wäre es denn überhaupt schlimm, wenn die<br />

Schweiz ihre geldpolitische Autonomie aufgäbe<br />

?<br />

T.S. Um eine Antwort zu geben, muss<br />

man den Leistungsausweis der National-<br />

bank mit demjenigen der Buba vergleichen.<br />

Und dieser Vergleich fällt zugunsten<br />

der Schweizer Geldpolitiker aus: In den<br />

letzten zwanzig Jahren war die Inflationsrate<br />

in der Schweiz mit ein paar Ausnahmen<br />

signifikant niedriger als in Deutschland.<br />

Sichtbarer Ausdruck dieser besseren<br />

Performance ist ein Zinsbonus von rund<br />

1,5 Prozent gegenüber Deutschland. Insofern<br />

gibt es keinen Grund, die eigene<br />

Geldpolitik aufzugeben.<br />

THOMAS STEINEMANN, TELEFON (01) 333 87 60;<br />

E-MAIL THOMAS.STEINEMANN@CREDIT-<br />

SUISSE.CH<br />

ADRIANO LUCATELLI, TELEFON (01) 333 23 07<br />

E-MAIL ADRIANO.LUCATELLI@CREDIT-<br />

SUISSE.CH<br />

DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK AUF EINEN BLICK<br />

Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt ist aus drei Gremien<br />

zusammengesetzt:<br />

– Dem Direktorium mit dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und weiteren<br />

vier Mitgliedern. Das Direktorium setzt die Politik der EZB um.<br />

– Dem EZB-Rat: Neben dem Direktorium sitzen hier die elf Direktoren der<br />

nationalen Zentralbanken des Euroraums. Im 17köpfigen EZB-Rat gilt «one<br />

man one vote». Der Rat bestimmt die Politik der EZB.<br />

– Dem erweiterten Rat: In ihm treffen sich der Präsident und der Vizepräsident<br />

der EZB mit den Zentralbankdirektoren der 15 EU-Länder. Der erweiterte Rat<br />

hat konsultative Funktionen und sichert den Informationsaustausch zwischen<br />

der EZB und den EU-Zentralbanken, die nicht zum Euroraum gehören.<br />

Die Leitlinien der EZB wurden im Vertrag von Maastricht festgelegt. Priorität hat<br />

die Geldwertstabilität, die momentan durch eine Inflationsrate von höchstens<br />

zwei Prozent definiert ist. Erster Präsident der EZB ist der Niederländer Wim<br />

Duisenberg. Er wurde für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt.<br />

Weitere Informationen zum Euro finden Sie im Internet unter www.creditsuisse.ch/economic-research<br />

oder unter www.credit-suisse.ch/bulletin.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

37<br />

UNSERE PROGNOSEN ZUR<br />

KONJUNKTUR<br />

DER AKTUELLE CHART<br />

ARBEITSMARKT ERHOLT SICH<br />

Ende Dezember 1998 waren in der Schweiz 124309 Arbeitslose eingeschrieben,<br />

was einer Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent entspricht. Im Jahresmittel betrug<br />

die Quote damit 3,9 Prozent gegenüber 5,2 Prozent 1997. Auch das Verhältnis<br />

von offenen Stellen zur Anzahl Arbeitslosen hat sich verbessert.<br />

%<br />

6<br />

Arbeitslosenquote in %<br />

Offene Stellen<br />

(rechte Skala)<br />

25 000<br />

BIP-WACHSTUM:<br />

AUFSCHWUNG KRIEGT DÄMPFER<br />

In den ersten beiden Quartalen von 1999 ist eine Wachstumsverlangsamung<br />

in den USA und in Europa zu erwarten, bedingt<br />

durch die anhaltende wirtschaftliche Flaute in Asien und die Probleme<br />

in Südamerika. Für die zweite Jahreshälfte rechnen wir aber<br />

mit einem erneuten Anziehen des BIP-Wachstums.<br />

Durchschnitt<br />

1990/1997 1998 1999 2000<br />

Schweiz 0.2 2.0 1.1 2.0<br />

Deutschland 3.0 2.5 2.0 2.5<br />

Frankreich 1.2 2.9 2.3 2.7<br />

Italien 1.1 1.8 2.3 2.9<br />

Grossbritannien 2.0 2.5 1.2 1.8<br />

USA 2.5 3.5 2.0 2.5<br />

Japan 2.0 – 3.0 –0.6 0.6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

20 000<br />

15 000<br />

10 000<br />

5 000<br />

INFLATION:<br />

KEIN GRUND ZUR SORGE<br />

Obwohl im ersten Quartal 1999 sowohl in den USA als auch in<br />

Europa eine Leitzinssenkung wahrscheinlich ist, besteht keine<br />

Gefahr markant steigender Preise. Dies ist einerseits auf die tiefen<br />

Rohstoffpreise zurückzuführen, andererseits auf die gedämpfte<br />

globale Güternachfrage.<br />

0<br />

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998<br />

SCHWEIZER KONJUNKTURDATEN:<br />

PREISE BLIEBEN STABIL<br />

Im Dezember des vergangenen Jahres verharrte der Konsumentenpreisindex auf<br />

seinem Stand von 103,8 Punkten. Während die Preise für Energie, Verkehr und<br />

Kommunikation nachgaben, erhöhten sich saisonbedingt jene für Nahrungsmittel,<br />

Getränke und Tabakwaren. Gegenüber dem Vorjahr sind die Preise um 0,2 Prozent<br />

zurückgegangen; im Jahresdurchschnitt 1998 sind sie stabil geblieben.<br />

1997 10.98 11.98 12.98<br />

Inflation 0.5 0.0 – 0.1 – 0.2<br />

Waren 0.6 – 0.7 – 0.9 – 1.1<br />

Dienstleistungen 0.5 0.6 0.5 0.5<br />

Inland 0.5 0.4 0.3 0.3<br />

Ausland 0.7 – 1.0 – 1.4 – 1.5<br />

Detailhandelsumsätze (real) 0.4 0.0 3.2 –<br />

Handelsbilanzsaldo (Mrd. Fr.)* 2.0 0.5 0.0 –<br />

Güterexporte (Mrd. Fr.) 105.1 9.7 9.5 –<br />

Güterimporte (Mrd. Fr.) 103.1 9.2 9.5 –<br />

Arbeitslosenquote 5.2 3.2 3.3 3.4<br />

Deutschschweiz 4.5 2.6 2.7 –<br />

Romandie 6.8 4.5 4.7 –<br />

Tessin 7.8 5.1 5.9 –<br />

* Ohne Edelmetalle, Edel- und Schmucksteine sowie Kunstgegenstände<br />

und Antiquitäten (= Total 1)<br />

0<br />

Durchschnitt<br />

1990/1997 1998 1999 2000<br />

Schweiz 2.4 0.0 0.6 1.0<br />

Deutschland 3.0 1.0 1.3 1.5<br />

Frankreich 2.0 0.8 1.1 1.3<br />

Italien 4.4 1.7 1.8 2.2<br />

Grossbritannien 3.2 2.7 2.4 2.2<br />

USA 3.0 1.5 1.6 2.1<br />

Japan 1.2 0.5 –0.1 0.1<br />

ARBEITSLOSENQUOTE:<br />

NEUES PHÄNOMEN IN JAPAN<br />

Bis vor kurzem gab es in Japan – zumindest offiziell – kaum<br />

Arbeitslose. Rezession und Strukturwandel zwangen jedoch viele<br />

Firmen zu Entlassungen. Diese für Japan neue Erfahrung wird voraussichtlich<br />

noch einige Zeit anhalten, da die politischen Reformen<br />

nur langsam greifen werden.<br />

Durchschnitt<br />

1990/1997 1998 1999 2000<br />

Schweiz 3.4 3.9 3.6 3.2<br />

Deutschland 9.6 11.1 10.7 10.4<br />

Frankreich 11.1 11.8 11.5 11.2<br />

Italien 11.4 12.0 11.7 11.3<br />

Grossbritannien 8.0 4.8 5.2 5.3<br />

USA 6.1 4.6 4.9 5.2<br />

Japan 2.7 4.3 5.1 6.0<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


«FOLGT AUF DEN HÖHENFLUG<br />

DER FREIE FALL?», SINNIERT<br />

ROGER M. KUNZ, STELLVERTRETEND<br />

FÜR VIELE, DIE IHR GELD IN AKTIEN<br />

ANLEGEN.<br />

IM CLINCH<br />

ZWISCHEN<br />

RISIKO<br />

UND<br />

RENDITE<br />

VON DR.ROGER M. KUNZ, ECONOMIC RESEARCH<br />

TROTZ FALLSTRICKEN:<br />

AUF LANGE SICHT HABEN<br />

SICH AKTIENANLAGEN FÜR<br />

DIE MEISTEN GELOHNT.<br />

«Wer nichts wagt, gewinnt nichts», sagt<br />

der Volksmund. In die Welt der Finanzmärkte<br />

übertragen, heisst dies: Wer keine<br />

Risiken eingehen kann oder will, muss sich<br />

mit einer bescheidenen Rendite zufriedengeben.<br />

Umgekehrt kann ein Anleger die<br />

Gewinnerwartungen verbessern, indem er<br />

riskantere Wertpapieranlagen tätigt. Dass<br />

Erwartungen nicht immer in Erfüllung gehen,<br />

ist ebenfalls eine bekannte Tatsache.<br />

Sie ist allerdings in den letzten paar Jahren<br />

der Börsenhausse etwas verdrängt worden.<br />

Wenn die Börsenkurse während längerer<br />

Zeit ständig steigen, erfahren die Anleger<br />

nur die positive Seite des Risikos,<br />

nämlich die Gewinne. Dies führt dazu, dass<br />

sie die Verlustmöglichkeiten unterschätzen;<br />

immer mehr Anleger tätigen immer riskantere<br />

Anlagen, um noch schneller noch mehr<br />

Geld zu verdienen. Dieses risikofreudigere<br />

Verhalten führt zu höheren Börsenkursen,<br />

weil die zu bezahlende Entschädigung für<br />

die Übernahme von Risiken sinkt. Finanzökonomen<br />

bezeichnen dies als abnehmende<br />

Risikoprämie. In solchen Zeiten<br />

sollten naheliegenderweise eher Risiken<br />

abgebaut werden. Wenn die jeweils herrschende<br />

Euphorie zudem noch zu sehr<br />

hohen Gewinnerwartungen führt, kann die<br />

Einschätzung der Marktteilnehmer viel zu<br />

optimistisch ausfallen.<br />

Im nachhinein ist es offensichtlich: Im<br />

Juli des vergangenen Jahres wurden die<br />

Zukunftsaussichten äusserst zuversichtlich<br />

eingeschätzt, die Risikoprämien waren<br />

extrem niedrig und die Börsenkurse entsprechend<br />

hoch. Erst die Finanzkrise in<br />

Russland führte zur Einsicht, dass selbst<br />

die umfangreichen Mittel des Internationalen<br />

Währungsfonds nicht ausreichten,<br />

um allen bedrängten Ländern zu helfen,<br />

ganz abgesehen davon, dass ein solches<br />

Vorgehen auch nicht sinnvoll gewesen<br />

wäre. Diese Erkenntnis erforderte schlagartig<br />

höhere Risikoprämien. Die dadurch<br />

ausgelöste Korrektur der Aktienkurse, die<br />

vielfach in der Grössenordnung von 30 bis<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

39<br />

50 Prozent lag, enthüllt die unangenehme<br />

Seite des Risikos. Besonders betroffen<br />

waren Bankaktien. In der Zwischenzeit<br />

wurde allerdings ein grosser Teil der Rückschläge<br />

wieder wettgemacht.<br />

Die Wagemutigen kamen gut weg<br />

Angesichts solch extremer Kursschwankungen<br />

lohnt es sich, die längerfristigen<br />

Auswirkungen verschiedener Anlagestrategien<br />

zu studieren (siehe Tabelle). Im<br />

betrachteten Zeitraum von elf Jahren hat<br />

eine praktisch risikolose Geldmarktanlage<br />

eine durchschnittliche jährliche Rendite von<br />

4,9 Prozent abgeworfen. Relativ risikoarme<br />

Obligationen führten zu einem Ertrag<br />

von 5,9 Prozent. Das Risiko schweizerischer<br />

Aktien lag gegenüber diesen Anlagen<br />

um ein Vielfaches höher. Gleichzeitig<br />

ergaben sich aber auch deutlich höhere<br />

Renditen. Selbst der ungeschickteste Anleger,<br />

der die Titel auf dem Höchststand<br />

vor dem letzten grossen Einbruch an den<br />

Börsen von 1987 erwarb und sie in einem<br />

Anflug von Panik auf dem Tiefstpunkt des<br />

vergangenen Jahres verkaufte, kam auf<br />

eine Jahresrendite von 9,6 Prozent (Aktienanlage<br />

1). Ein Glückspilz, der auf dem<br />

Tiefststand von 1987 kaufte und am<br />

20. Juli 1998 ausstieg, hätte sogar eine<br />

durchschnittliche Rendite von über 20 Prozent<br />

erzielt (Aktienanlage 4). Die Rendite<br />

des Durchschnittsanlegers dürfte zwischen<br />

den beiden Extremwerten bei gut<br />

14 Prozent liegen. Damit wäre der Wert<br />

einer Investition von 10 000 Franken am<br />

schweizerischen Aktienmarkt innerhalb<br />

von elf Jahren ohne Berücksichtigung von<br />

Steuern und Spesen auf zwischen 27 500<br />

Franken (175 Prozent Gesamtrendite)<br />

und 70 800 Franken (608 Prozent) gestiegen.<br />

Mit Geldmarkt- oder Obligationenanlagen<br />

hätte ein Investor dagegen<br />

lediglich knapp 17 000 beziehungsweise<br />

19 000 Franken erreicht (69 respektive<br />

89 Prozent).<br />

Aktien bringen nicht das schnelle Geld<br />

Aus dem Gesagten folgt, dass nur Personen,<br />

die kurzfristig hohe Wertschwankungen<br />

verkraften können und einen langfristigen<br />

Anlagehorizont haben, sich stark am<br />

Aktienmarkt engagieren sollten. Solche<br />

Investoren werden für ihre Geduld und die<br />

eingegangenen Risiken in der Regel mit<br />

höheren Erträgen belohnt. Dabei müssen<br />

sie sich allerdings an gewisse Anlagegrundsätze<br />

wie breite Streuung und Transparenz<br />

halten sowie seriöse und gut ausgebildete<br />

Finanzvermittler zu Rate ziehen.<br />

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist,<br />

dass diejenigen, die Aktien «blind» und um<br />

jeden Preis zu kaufen bereit sind, weil sie<br />

ja langfristig eine überdurchschnittliche<br />

Rendite abwerfen, dafür gelegentlich<br />

einen (zu) hohen Preis bezahlen. Empfehlenswert<br />

ist daher nicht nur eine Verteilung<br />

der Anlagen auf verschiedene Titel, sondern<br />

auch eine zeitliche Diversifikation: Um<br />

nicht das gesamte Vermögen in einem ungünstigen<br />

Zeitpunkt zu investieren, sollte<br />

es über einen längeren Zeitraum gestaffelt<br />

an die Börse gebracht werden. Überdies<br />

lohnt es sich, eine eigene Analyse vorzunehmen<br />

oder sich kompetent beraten zu<br />

lassen, um die Preiswürdigkeit des Aktienmarkts<br />

abschätzen zu können. Wem es<br />

gelingt, günstig einzukaufen und teuer zu<br />

verkaufen, der kann eine beachtliche<br />

«Zusatzdividende» einstreichen.<br />

DR.ROGER M. KUNZ, TELEFON (01) 333 58 85<br />

E-MAIL: ROGER.M.KUNZ@CREDIT-SUISSE.CH<br />

GEWIEFTE ANLEGER ERREICHTEN EINE 20PROZENTIGE JAHRESRENDITE<br />

Risiko und Rendite ausgewählter Anlagen zwischen 5.10.87 und 5.10.98<br />

5.10. 87 10.11. 87 20. 07. 98 5.10. 98<br />

SPI-Stand Jahreshöchst 1205.65 5237.39<br />

Gesamt- Durch - Risiko<br />

Jahrestiefst 740.23 3311.28<br />

rendite schnitts- (Standardrendite<br />

abweichung)<br />

Kurs-Verlust – 38.6% – 36.8%<br />

pro Jahr<br />

Aktien Anlage 1 Kauf – – Verkauf 175% 9.6% 18.7%<br />

Anlage 2 – Kauf – Verkauf 347% 14.7% 17.0%<br />

Anlage 3 Kauf – Verkauf – 334% 14.6% 17.5%<br />

Anlage 4 – Kauf Verkauf – 608% 20.1% 15.6%<br />

Geldmarkt Kauf – – Verkauf 69% 4.9% 0.8%<br />

Obligationen Kauf – – Verkauf 89% 5.9% 3.7%<br />

Quelle: Eigene Berechnungen aus Datastream<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


«HEUTE KÖNNEN<br />

IMMOBILIENENGAGEMENTS<br />

NICHT MEHR AUS DEM<br />

BAUCH HERAUS<br />

ENTSCHIEDEN WERDEN»,<br />

WEISS ÖKONOM<br />

MARTIN NEFF.<br />

EIN MARKT MIT<br />

SCHLAGSEITE<br />

DIE BEURTEILUNG<br />

DER CREDIT<br />

SUISSE ZEIGT:<br />

DER MARKT MIT<br />

IMMOBILIEN IST<br />

IN BEWEGUNG.<br />

VON MARTIN NEFF,<br />

ECONOMIC RESEARCH<br />

Am Immobilienmarkt tut sich was. Zumindest<br />

sind die Negativschlagzeilen rarer<br />

geworden, und vereinzelt finden sich<br />

sogar positive Meldungen. Es wird wieder<br />

gekauft. Die Marktteilnehmer gewinnen<br />

Zuversicht, auch wenn der Markt sich<br />

nach wie vor nicht in bester Verfassung<br />

befindet. Immerhin sind aber die grössten<br />

Preiskorrekturen vollzogen, und gut überlegte<br />

Engagements versprechen wieder<br />

Erfolg. Dies um so mehr, als sich die Investoren<br />

auf die eigentlichen Motive zurückbesinnen,<br />

die eher in einer langfristigen<br />

Geldanlage liegen als in schnellen Gewinnen.<br />

Kurz: Der Markt birgt wieder Chancen,<br />

aber nach wie vor bestehen grosse<br />

Risiken, die örtlich wie auch segmentsspezifisch<br />

sehr unterschiedlich sind.<br />

Es kann nicht oft genug gesagt werden:<br />

Einen Immobilienmarkt Schweiz gibt<br />

es nicht. Vielmehr gibt es hierzulande eine<br />

grosse Zahl regionaler Teilmärkte mit ungleichen<br />

Chancen-Risiken-Profilen. Konnte<br />

man vor zehn Jahren praktisch noch über-<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

41<br />

all nahezu blind in den Markt einsteigen<br />

und damit rechnen, dass das Engagement<br />

früher oder später einen angemessenen<br />

Ertrag abwerfe, ist heute eine differenziertere<br />

Vorgehensweise gefragt. Nichtsdestoweniger<br />

zeigt die Studie der CREDIT<br />

SUISSE: Die Lage am Wohnungsmarkt<br />

präsentiert sich deutlich entspannter als<br />

noch vor zwei bis drei Jahren.<br />

Selbst im Bereich der reinen Geschäftsliegenschaften<br />

hat sich das Geschehen<br />

belebt, auch wenn noch grosse Leerstände<br />

den Markt belasten. Selbst mittelfristig ist<br />

es unwahrscheinlich, dass sich die Überkapazitäten<br />

im kommerziellen Liegenschaftenbereich<br />

rasch abbauen, weil die<br />

Wachstumsperspektiven der schweizerischen<br />

Volkswirtschaft zwar intakt, aber<br />

eher moderat sind.<br />

Dafür kann von einem ausgesprochen<br />

liquiden Markt gesprochen werden. Allem<br />

Anschein nach haben sich die Marktteilnehmer<br />

an diese Situation gewöhnt und<br />

können inzwischen gut damit umgehen.<br />

Die Neubautätigkeit hat sich auf tiefem<br />

Niveau konsolidiert und dürfte sich in den<br />

kommenden Jahren auf diesem einpendeln.<br />

Das bedeutet im Klartext, dass noch immer<br />

einiges gebaut wird. Und konkreter: Die<br />

jährliche Bausumme beträgt knapp sieben<br />

Milliarden Franken. Gemessen an den<br />

Höchstständen von 1989/90, ist dies<br />

zwar nur noch etwas mehr als die Hälfte.<br />

Aber es zeugt doch noch von einem gewissen<br />

Potential neuer Objekte. Heute<br />

wird nicht mehr an der Nachfrage vorbei<br />

auf Halde produziert. Jedes Objekt ist<br />

bedarfsgerecht geplant und wird nur bei<br />

hohen Vermarktungschancen realisiert. Im<br />

Gegensatz zu den Boomjahren werden<br />

diese Chancen bereits im Vorfeld genauestens<br />

evaluiert. Die Vermarktung beginnt<br />

heute auf dem Reissbrett.<br />

Im Wohnungsmarkt hat eine neue<br />

Dynamik Einzug gehalten. Nach jahrelanger<br />

Wohnungsknappheit und einem<br />

starren Markt kam es Mitte der neunziger<br />

Jahre zu einem eigentlichen Bauboom –<br />

nicht zuletzt dank grosszügig bemessener<br />

staatlicher Wohnbauförderung. Allein in<br />

den Jahren 1994 und 1995 gelangten<br />

100 000 Wohnungen neu auf den Markt.<br />

Gleichzeitig verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum,<br />

und die Wirtschaft<br />

wuchs nur verhalten oder stagnierte gar.<br />

Die Konsequenz: eine Vielzahl leerer Wohnungen.<br />

War Ende der achtziger Jahre<br />

gerade mal ein halbes Prozent des Wohnungsbestandes<br />

unbewohnt, stieg die<br />

Quote 1994 erstmals seit den siebziger<br />

Jahren wieder über ein Prozent. Seither<br />

nahm der Leerwohnungsbestand jedes<br />

weitere Jahr bis 1997 kontinuierlich zu. Im<br />

vergangenen Jahr erreichte er 1,85 Prozent.<br />

Damit ist wahrscheinlich der Höhepunkt<br />

erreicht, zumal der Anstieg gegenüber<br />

dem Vorjahr nur noch leicht war und<br />

die Neubautätigkeit zurückging. Allerdings<br />

spricht nur wenig dafür, dass sich die<br />

Leerwohnungsquote rasch zurückbildet.<br />

Von der jüngsten Entwicklung profitieren<br />

die Mieter und Eigentümer, insbesondere<br />

aber solche, die es werden möchten.<br />

Zwei neue Trends sind auffallend: Zum<br />

einen ein spürbarer Hang zu Wohneigentum<br />

und zum andern ein stark aufgefrischtes<br />

Angebot, das qualitativ wie auch<br />

AUSGEWÄHLTE NACHFRAGETRENDS AUF DEM SCHWEIZER<br />

IMMOBILIENMARKT:<br />

• Den zusätzlichen jährlichen Bedarf an Neuwohnungen veranschlagt die CREDIT<br />

SUISSE auf etwa 30000 bis maximal 35000 Wohnungen. Was mehr produziert<br />

wird, stösst anfänglich auf Vermarktungsschwierigkeiten oder erhöht andernorts<br />

das Leerstandsrisiko.<br />

• Die Schätzung des Potentials beruht auf den Annahmen, dass der Flächenbedarf<br />

demographisch bedingt noch etwas zunimmt: er wird auf etwa 45 Quadratmeter<br />

ansteigen.<br />

• Die Belegungsdichte nimmt nicht noch weiter ab.<br />

Bei diesen Prognosen geht die CREDIT SUISSE von einem optimistischen<br />

Bevölkerungszugang von 0,5 Prozent jährlich aus und nimmt ein Wirtschaftswachstum<br />

an, das etwa dem Potentialwachstum der Schweizer Volkswirtschaft<br />

von 1,8 Prozent entspricht.<br />

• Demographische und sozioökonomische Entwicklungen gewinnen am Wohnungsmarkt<br />

Relevanz:<br />

– Die Bevölkerung wird immer älter.<br />

– In den nächsten fünf Jahren kommen die geburtenstarken Jahrgänge in ein<br />

Alter, wo sie entweder einen Haushalt oder eine Familie gründen und die im<br />

Lebenszyklus höchsten Zuwachsraten ihrer Einkommen erzielen.<br />

– Die Zivilstandsentwicklung: Heute sind fast fünf Prozent aller Einwohner der<br />

Schweiz geschieden, 1960 waren es noch 1,6 Prozent und 1980 3,2 Prozent.<br />

– Entgegen bisheriger Trends ist inskünftig eine Stadtflucht zumindest nicht<br />

überall auszuschliessen. Der Anteil der Stadtbevölkerung hat in der Vergangenheit<br />

zwar kontinuierlich zugenommen. Seit 1960 erhöhte er sich alle zehn<br />

Jahre um etwa fünf Prozentpunkte. Ausnahme: die Stadt Zürich. Sie verlor<br />

Einwohner. Basel könnte die nächste Stadt sein, für die das der Fall ist.<br />

– Der Anteil von Ausländern, die in der Schweiz geboren und daher statistisch<br />

nicht als solche registriert sind, nimmt zu.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

42<br />

kostenmässig den Bestand im Mietwohnungsmarkt<br />

stark konkurrenziert. Weil<br />

derzeit die Finanzierungsbedingungen<br />

günstig und Baukosten sowie Landpreise<br />

gefallen sind, hat sich nicht nur die Differenz<br />

zwischen Kauf und Miete eingeebnet.<br />

Auch Mieter können heute wählen, ob sie<br />

in eine Wohnung umziehen, die sie bei<br />

gleicher Qualität, Ausstattung und Grösse<br />

weniger kostet, oder ob sie eine luxuriösere,<br />

grosszügigere Wohnung wählen,<br />

ohne dafür mehr auslegen zu müssen.<br />

Der momentane Leerstand ist folglich<br />

nicht der Leerstand der Zukunft – im Gegenteil.<br />

Langfristig werden nämlich nicht<br />

die in jüngster Zeit neuerstellten Wohnungen<br />

zu Problemfällen avancieren, selbst<br />

wenn sie momentan schwer zu vermarkten<br />

sind. Vielmehr dürften die Hochpreiswohnungen<br />

aus der Boomperiode mittelfristig<br />

problematisch abzusetzen oder zu vermieten<br />

sein. Denn diese wurden zu hohen<br />

Baukosten und auf überrissen teurem<br />

Bauland erstellt und mussten noch zu<br />

hohen Zinsen finanziert werden. Ebenfalls<br />

gefährdet sind ältere Wohnungen oder<br />

solche an unattraktiver Lage, die qualitativ<br />

mit dem aufgefrischten Angebot nicht<br />

mehr Schritt halten können. Wo die Differenz<br />

von Alt- zu Neumieten bis zu 20 Prozent<br />

oder mehr beträgt, lohnt es sich, die<br />

älteren Wohnungen durch Umbau und<br />

Auffrischung auf Marktkonformität hin zu<br />

trimmen. Dass dies gegenwärtig auch der<br />

Fall ist, dokumentiert die stark gestiegene<br />

Renovationstätigkeit im Wohnungsbau.<br />

Die beschriebenen Entwicklungen am<br />

Wohnungsmarkt sind bereits seit drei<br />

Jahren in vollem Gange – und ein Ende ist<br />

nicht in Sicht. Denn die Neubautätigkeit<br />

steht keineswegs still, auch wenn sie das<br />

HIGHLIGHTS AUF DER ANGEBOTSSEITE DES SCHWEIZER<br />

IMMOBILIENMARKTS:<br />

• Schweizweit stehen derzeit etwa 62000 Wohnungen leer – ohne Einfamilienhäuser.<br />

• Die regionalen Unterschiede sind gross: In Genf sind 41 Prozent der leerstehenden<br />

Wohnungen Einzimmerwohnungen, in Zürich sind es gerade mal<br />

14 Prozent und in etlichen Kantonen deutlich weniger als zehn Prozent.<br />

• Die Leerstandsquote von Wohnungen, welche nicht älter als zwei Jahre sind,<br />

sinkt. Sie fiel nach unseren Schätzungen von fast 14 Prozent im Jahre 1994 auf<br />

etwa acht Prozent im vergangenen Jahr.<br />

• Der Anteil der leerstehenden Neuwohnungen (in den letzten zwei Jahren gebaut)<br />

am gesamten Leerstand beträgt elf Prozent gesamtschweizerisch bei einer Leerstandsquote<br />

von 1,85 Prozent.<br />

• In Zürich liegt der Anteil von Neuwohnungen bei fast 17 Prozent. Trotz tieferer<br />

Leerstandsquote (1,15 Prozent) sind Neuwohnungen also in Zürich derzeit<br />

schwieriger zu vermarkten als beispielsweise in Solothurn. Dort beträgt der<br />

Anteil der neuerstellten Wohnungen am Leerstand «nur» 8,5 Prozent; die Leerwohnungsquote<br />

liegt allerdings auf hohen drei Prozent.<br />

Spitzenniveau von 1994/95 bei weitem<br />

nicht mehr erreicht. Die Anpassungsprozesse<br />

haben Mieten und Preise auf<br />

breiter Front ins Rutschen gebracht, wenn<br />

auch nicht in dem vermuteten Ausmass.<br />

Zwar sind Preisrückgänge von mehr als<br />

«DIE VERMARKTUNG VON<br />

IMMOBILIEN BEGINNT HEUTE<br />

SCHON AUF DEM REISSBRETT.»<br />

20 Prozent durchaus keine Seltenheit,<br />

doch trifft dies nicht auf den Gesamtmarkt<br />

zu. Dies liegt auch daran, dass für etliche<br />

ältere Wohnungen das Mietertragspotential<br />

nicht voll ausgeschöpft wurde. Renovationen<br />

sind dort nicht nur nötig, damit<br />

der eventuell drohende Leerstand vermieden<br />

wird, sondern sie können durchaus<br />

Ertragssteigerungen ermöglichen.<br />

Der Markt befindet sich in einem ständigen<br />

Wandel. Deshalb ist es wichtig, sämtliche<br />

Erfolgsfaktoren eventueller Immobilienengagements<br />

zu kennen und richtig zu<br />

antizipieren. Dazu gehört die Kenntnis<br />

des Nachfragepotentials einerseits und<br />

sämtlicher Angebotstrends andererseits<br />

(siehe die beiden Kästen auf Seite 41 und<br />

42). Nicht zu unterschätzen sind aber<br />

auch regionalspezifische Ausprägungen.<br />

Insbesondere die variierende regionale<br />

Standortattraktivität verlangt von allen<br />

Akteuren, von den Promotoren und den<br />

Investoren hauptsächlich, eine professionellere<br />

Marktbeurteilung, als dies in der<br />

Vergangenheit der Fall gewesen ist.<br />

Makrogrössen sind zuverlässigere Gradmesser<br />

der zukünftigen Entwicklungstrends<br />

als Mikrofaktoren. Standortevaluation oder<br />

regionale und objektspezifische Diversifikationsstrategien<br />

im Management von<br />

Liegenschaftenportefeuilles müssen inskünftig<br />

auf einer integrierten Marktanalyse<br />

fussen, um auch langfristig den Markt<br />

schlagen zu können. Die Zeiten, in denen<br />

die Engagements aus dem Bauch heraus<br />

entschieden wurden, sind definitiv vorbei.<br />

MARTIN NEFF, TELEFON (01) 333 24 84<br />

E-MAIL: MARTIN.NEFF@CREDIT-SUISSE.CH<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


ECONOMIC RESEARCH<br />

43<br />

UNSERE PROGNOSEN<br />

ZU DEN FINANZMÄRKTEN<br />

GELDMARKT:<br />

ZINSEN GEHEN RUNTER<br />

Es ist damit zu rechnen, dass die Zentralbanken der USA, Europas<br />

und Grossbritanniens ihre Leitzinsen senken werden. Der Grund<br />

liegt im verlangsamten Wachstum der Weltwirtschaft sowie im<br />

veränderten Risikobewusstsein – hervorgerufen durch die Krisen<br />

in Russland und Brasilien.<br />

Prognosen<br />

Ende 98 1.99 3 Mte. 12 Mte.<br />

Schweiz 1.41 1.27 1.4 1.9<br />

EU-11 3.24 3.18 2.9 2.7<br />

Grossbritannien 6.26 5.89 5.7 5.5<br />

USA 5.07 5.03 4.8 4.6<br />

Japan 0.54 0.53 0.4 1.0<br />

OBLIGATIONENMARKT:<br />

ANLEGER SUCHEN SICHERHEIT<br />

Die Investoren scheuen nach wie vor das Risiko: Als sich zu Jahresbeginn<br />

der brasilianische Real abwertete, sanken die Renditen der<br />

sicheren Staatspapiere innert kürzester Zeit deutlich ab. Das<br />

langsamere Wachstum wird die Zinsen in der ersten Jahreshälfte<br />

tief halten, doch ab Mitte Jahr ist mit einer Steigerung zu rechnen.<br />

Prognosen<br />

Ende 98 1.99 3 Mte. 12 Mte.<br />

Schweiz 2.49 2.48 2.3 2.7<br />

Deutschland 3.87 3.70 3.6 4.1<br />

Grossbritannien 4.36 4.28 4.0 4.6<br />

USA 4.65 4.73 4.5 5.0<br />

Japan 1.88 1.85 1.5 2.0<br />

WECHSELKURSE:<br />

KEIN HÖHENFLUG FÜR FRANKEN<br />

Wegen der Turbulenzen in den Emerging Markets wird der<br />

Wechselkurs zwischen Euro und US-Dollar volatil bleiben, jedoch<br />

um ein festes Durchschnittsniveau herum schwanken. Der Schweizerfranken<br />

wird gegenüber dem Euro kurzfristig zulegen, mittelfristig<br />

aber wegen der Stabilität der neuen Währung wieder an<br />

Wert verlieren.<br />

Prognosen<br />

Ende 98 1.99 3 Mte. 12 Mte.<br />

CHF/EUR* 1.61 1.56 1.60 1.65<br />

CHF/GBP 2.28 2.23 2.22 2.23<br />

CHF/USD 1.37 1.36 1.38 1.46<br />

CHF/JPY 1.22 1.19 1.17 1.12<br />

Gold $/Unze 288 290 290 270<br />

Gold Fr./kg 12765 12921 12860 12675<br />

*Umrechnungskurse: DEM/EUR 1.956; FRF/EUR 6.559; ITL/EUR 1936<br />

INTERNATIONALE BÖRSEN:<br />

MÄRKTE BLEIBEN VOLATIL<br />

Die Abwertung des brasilianischen Real führte zu Verlusten an sämtlichen Börsen.<br />

Weil dadurch aber ein grosser Unsicherheitsfaktor verschwand, legten die<br />

Aktienindices schon kurz nach der Freigabe des Reals wieder zu. Es ist zu erwarten,<br />

dass auf Grund der noch anstehenden Strukturreformen sowohl in<br />

Südamerika als auch in Asien die Märkte weiterhin volatil sein werden.<br />

Index Jan. 1995 = 100<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

Deutschland DAX<br />

Schweiz SMI<br />

USA S&P500<br />

1995 1996<br />

SCHWEIZER BÖRSE:<br />

TOPS UND FLOPS<br />

Grossbritannien FT-SE 100<br />

Japan NIKKEI<br />

Prognosen<br />

1997 1998 1999<br />

Trotz Turbulenzen im Jahr 1998 legte der Sammelindex SPI um gut 15 Prozent zu.<br />

Die Gewinner waren dabei eindeutig die Nahrungsmittel- und Versicherungsbranche,<br />

aber auch die Sektoren Bau und Detailhandel. Weniger erfolgreich<br />

schnitten die Subindices Elektro und Maschinen ab. Zudem vermochten die<br />

Banken im Durchschnitt nicht wirklich zu überzeugen.<br />

Gewinn- Div.-<br />

Ende KGV wachstum Rendite Prog.<br />

1997 12.98 1999E 1998E 1999E 1998E 12 Mte.<br />

SPI Gesamt 3 898 4 162 20.6 0.13 0.15 0.02<br />

Industrie 5 361 5 926 25.3 0.13 0.12 0.01<br />

Maschinen 2 048 2 040 10.5 0.24 0.09 0.03 •<br />

Chemie 10 474 11 220 28.1 0.08 0.14 0.01 •••<br />

Bau 2 069 2 483 15.8 0.43 0.07 0.02 ••<br />

Nahrung 3 978 5 258 27.1 0.12 0.06 0.01 •••<br />

Elektro 2 776 2 685 13.6 0.65 0.19 0.03 •<br />

Dienstleistungen 2 662 2 664 16.0 0.12 0.19 0.02<br />

Banken 2 964 2 758 13.2 –0.06 0.27 0.03 ••<br />

Versicherungen 4 367 4 880 21.2 0.08 0.12 0.02 ••<br />

Detailhandel 800 970 19.1 0.15 0.16 0.02 ••<br />

Gegenüber dem Sektor<br />

• unterdurchschnittliche Performance<br />

•• Marktperformance<br />

••• überdurchschnittliche Performance<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


GESCHÄFTSLEITUNGSMITGLIED BRUNO BONATI<br />

HEISST BALD ALLE KUNDINNEN UND KUNDEN<br />

WILLKOMMEN<br />

BRUNO BONATI:<br />

«ENTSCHEIDEND SIND<br />

IN DER INFORMATIK<br />

DIE MENSCHEN.»<br />

VON CHRISTIAN PFISTER,<br />

REDAKTION BULLETIN<br />

CHRISTIAN PFISTER Die Bedeutung der Informatik<br />

ist enorm. Wie zeigt sich das bei der<br />

CREDIT SUISSE ?<br />

BRUNO BONATI Unser Geschäft ist heute<br />

total verwoben mit der Informatik. Nehmen<br />

wir unsere zwei Rechenzentren in der<br />

Schweiz. Zwischen 1994 und 1998 hat<br />

unser Geschäftsvolumen dramatisch zugelegt;<br />

die Informationstransaktionen verdoppelten<br />

sich von knapp vier Millionen<br />

pro Tag auf knapp zehn Millionen.<br />

C.P. Die Bank ist also völlig abhängig von<br />

der Informationstechnologie ?<br />

B.B. Ja. Wäre unser System einmal mehr<br />

als ein paar Stunden nicht verfügbar, wäre<br />

unsere Bank praktisch ausser Betrieb.<br />

Das zeigt auch den Druck, dem sich meine<br />

Teams Tag für Tag stellen müssen, obwohl<br />

wir natürlich ein Ausweichverfahren haben<br />

für den Katastrophenfall.<br />

C.P. Schlafen Sie gut ?<br />

B.B. Ja, danke der Nachfrage. Warum?<br />

C.P. Weil Unternehmen der Entwicklung immer<br />

einen Schritt hinterher hinken.<br />

B.B. Das ist tatsächlich eine Herausforderung.<br />

Wir müssen die neuen Technologien<br />

rechtzeitig und stabil in unsere Geschäfte<br />

integrieren. Es ist ein wesentliches<br />

Ziel unserer Strategie zu wissen,<br />

was für uns in drei, vier Jahren relevant<br />

wird. Besonders bei der Frage, wie wir unsere<br />

Infrastruktur ausbauen und für kommende<br />

Bedürfnisse bereitstellen müssen,<br />

sind solche Überlegungen sehr wichtig.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SCHAUPLATZ<br />

45<br />

IM CYBERSPACE<br />

C.P. Was entscheidet über Erfolg oder Nichterfolg<br />

in Ihrem Bereich ?<br />

ermöglicht. Heute stehen wir mit 45 000<br />

Benutzern und mit der Art und Weise, wie<br />

B.B. Entscheidend sind in der Informatik<br />

wir arbeiten, in Europa an der Spitze.<br />

die Menschen. Denn die hochkomple-<br />

xen Informatikplattformen bringen unsere C.P. Liegt Bill Gates richtig, wenn er sagt,<br />

Teams zum Laufen. Und ob die sehr gut<br />

oder nur gut sind, ist entscheidend. Ein<br />

dass es immer Bankgeschäfte geben werde,<br />

es dazu aber keine Banken brauche ?<br />

Beispiel: Es gibt bei den Anwendungsprogrammierern<br />

B.B. Menschen werden immer finanzielle<br />

Mitarbeiter, die mehrfach<br />

schneller sind als andere in der gleichen<br />

Funktion. Sie können sich selber ausrechnen,<br />

was ein pfiffiger, motivierter Mitarbeiter<br />

unserer Firma bringt, wenn wir ihn in<br />

einem attraktiven Umfeld arbeiten lassen.<br />

Bedürfnisse haben. Darum wird es<br />

immer Unternehmen geben, die solche<br />

Bedürfnisse befriedigen. Ob man diesen<br />

Betrieben dann noch Bank sagt, ist für die<br />

Kunden irrelevant. Sicher ist: Die CREDIT<br />

SUISSE wird auch im Cyberspace ein gewichtiges<br />

Wort mitreden.<br />

C.P. Wie wird die Informationstechnologie<br />

den Alltag unserer Kunden verändern ? C.P. Ist das Schweizer Bildungssystem für<br />

B.B. Wer heute will, ist via Internet auch diese neue Welt gerüstet ?<br />

von zu Hause aus sieben Tage rund um B.B. Qualitativ ist unser System in der<br />

die Uhr in eine Informatikwelt eingebettet.<br />

Das war bis vor kurzem nicht der Fall. Die<br />

Vernetzung der CREDIT SUISSE mit dem<br />

Kunden wird zunehmen. Hier kommen<br />

spektakuläre Veränderungen auf uns zu.<br />

In drei bis vier Jahren sind wir soweit,<br />

dass unsere Kunden auf praktisch alle<br />

unsere Datenbanken zugreifen können<br />

und ihre Geschäfte und die für sie relevanten<br />

Informationen selbständig einsehen –<br />

Lage, für die Wirtschaft gute Leute vorzubereiten.<br />

Wir haben im Bereich Informatik<br />

tolle Absolventen von höheren Schulen.<br />

Quantitativ hingegen sieht die Sache<br />

anders aus. In der Schweiz herrscht ein<br />

enormer Unterbestand an Informatikern.<br />

Darum gehen Firmen mit ihren Softwareentwicklungen<br />

ins Ausland. In den Hochund<br />

Mittelschulen sowie in der Lehrausbildung<br />

müsste darauf reagiert werden.<br />

selbstverständlich innerhalb der gleich<br />

hohen Sicherheitsvorkehrungen wie heute. C.P. Welche neuen Berufsbilder entstehen ?<br />

B.B. Es wird grundsätzlich neue Berufe<br />

C.P. Welche Dynamik entfacht das Internet ?<br />

B.B. Vor vier Jahren hatten die meisten<br />

Manager in unserem Unternehmen vom<br />

Internet noch nie gehört. Für Spezialisten<br />

gab’s indes keine Zweifel, dass das Internet<br />

das Bankgeschäft massiv verändern<br />

würde. Wir lagen richtig. Vor knapp zwei<br />

Jahren hat die CREDIT SUISSE in der<br />

Schweiz als erste das Internet-Banking<br />

geben, keine Frage. Doch das ist nicht<br />

der zentrale Punkt. Die Entwicklungen in<br />

der Informationstechnologie werden alle<br />

Arbeitsplätze in der Bank verändern – das<br />

ist die spektakuläre Veränderung. Zudem<br />

verliert der Raum, der herkömmliche<br />

Arbeitsplatz, an Bedeutung. Grundsätzlich<br />

lassen sich Geschäfte via Handy an einem<br />

Strand abwickeln. Mitarbeiter könnten aber<br />

auch von zu Hause aus via Fernseher und<br />

PC mit uns arbeiten.<br />

C.P. Was heisst das für das Unternehmen ?<br />

B.B. Wenn der Kunde via Handy, PC<br />

oder Fernseher in die Bank gelangt, müssen<br />

neue Schnittstellen betreut werden.<br />

Dies zu bewältigen nennen wir Multichannel-Management.<br />

Der Kunde wird auf dieselben<br />

Informationen Zugriff haben wie<br />

wir. Wir haben keinen Informationsvorsprung<br />

mehr; der Kunde wird seine<br />

täglichen Bankgeschäfte selber tätigen.<br />

Die Anforderungen an die Beratung werden<br />

noch höher.<br />

C.P. Wie sieht’s in zwanzig Jahren aus ?<br />

B.B. Die technologische Entwicklung<br />

ist so horrend, dass ich unmöglich eine<br />

Prognose auf 20 Jahre hinaus wagen<br />

kann. In fünf Jahren wird das operative<br />

Bankgeschäft vornehmlich über Telefonund<br />

Internetkanäle erfolgen; daneben wird<br />

es hauptsächlich hochwertige Berater<br />

brauchen.<br />

C.P. Näher liegt da schon der Wechsel ins<br />

neue Jahrtausend. Hat die CREDIT SUISSE<br />

die Jahr-2000-Problematik im Griff ?<br />

B.B. Ja. Wir arbeiten schon seit 1996 an<br />

der Lösung. Alle Stufen im Unternehmen<br />

sind eingebunden; spezielle Projektteams<br />

testen und analysieren unsere Systeme. Sie<br />

haben bisher alle Anwendungen geprüft,<br />

rund 40 Millionen Zeilencodes, und diese,<br />

wenn nötig, angepasst. Zudem liessen wir<br />

in einem viermonatigen Test alle kritischen<br />

Daten überprüfen. Auch eine externe Revisionsfirma<br />

und die Eidgenössische Bankenkommission<br />

haben uns attestiert, dass<br />

wir die Millennium-Frage im Griff haben.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


STUDIE<br />

46<br />

NEUER REALISMUS MACHT<br />

SICH BREIT WAS PLAGT DIE MENSCHEN<br />

IN DER SCHWEIZ? DAS<br />

BULLETIN WEISS BESCHEID.<br />

SORGENBAROMETER 1998 – ARBEITSLOSIGKEIT STEHT AN DER SPITZE.<br />

So viele Prozent der Stimmberechtigten nennen das Problem an erster bis fünfter Stelle.<br />

So viele Prozent der Stimmberechtigten möchten dieses Problem an erster Stelle lösen.<br />

Rang<br />

1998<br />

Problem<br />

Rang<br />

1997<br />

1.<br />

Arbeitslosigkeit<br />

27<br />

74<br />

1.<br />

2.<br />

Flüchtlinge<br />

14<br />

47<br />

5.<br />

3.<br />

Gesundheit<br />

8<br />

46<br />

2.<br />

4.<br />

AHV<br />

9<br />

45<br />

3.<br />

5.<br />

Europa<br />

9<br />

40<br />

3.<br />

6.<br />

AusländerInnen<br />

3<br />

24<br />

8.<br />

7.<br />

Drogen<br />

2<br />

22<br />

6.<br />

8.<br />

Umwelt<br />

2<br />

19<br />

7.<br />

9.<br />

Neue Armut<br />

4<br />

17<br />

10.<br />

10.<br />

Steuern/Finanzen<br />

2<br />

17<br />

7.<br />

11.<br />

Wirtschaftslage allgemein<br />

3<br />

15<br />

9.<br />

12.<br />

Soziale Sicherheit<br />

2<br />

15<br />

12.<br />

13.<br />

Kriminalität<br />

1<br />

15<br />

14.<br />

14.<br />

Löhne<br />

1<br />

12<br />

13.<br />

15.<br />

Verkehr<br />

1<br />

12<br />

17.<br />

16.<br />

Globalisierung<br />

2<br />

10<br />

16.<br />

17.<br />

Inflation/Teuerung<br />

1<br />

8<br />

15.<br />

18.<br />

Gentechnik<br />

1<br />

7<br />

17.<br />

19.<br />

Gleichstellung<br />

1<br />

7<br />

28.<br />

20.<br />

Sozialpartnerschaft<br />

0<br />

7<br />

20.<br />

21.<br />

Landwirtschaft<br />

0<br />

7<br />

17.<br />

% 0<br />

10 20 30 40 50 60 70 80<br />

Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Datenbank «Sorgenbarometer 1988–1998», Stand November 1998


STUDIE<br />

47<br />

VON CLAUDE LONGCHAMP<br />

Ende 1998 hat das GfS-Forschungsinstitut<br />

im Auftrag des «Bulletin» der<br />

CREDIT SUISSE 1007 repräsentativ ausgewählte<br />

Schweizerinnen und Schweizer zu<br />

ihren Sorgen und Nöten befragt. Zuoberst<br />

auf der aktuellen Hitliste der ungelösten<br />

Probleme steht unverändert die Arbeitslosigkeit,<br />

gefolgt von der Asylpolitik, Fragen<br />

des Gesundheitswesens, der Sicherheit der<br />

AHV und dem europäischen Integrationsprozess<br />

(Grafik links).<br />

Das Tessin und die Romandie kennen<br />

eine andere Reihenfolge. So rangiert die<br />

Flüchtlingsfrage in der französisch- und<br />

italienischsprachigen Schweiz nur an fünfter<br />

Stelle. Im Tessin werden Probleme<br />

rund um die europäische Integration gar<br />

erst an sechster Stelle erwähnt, während<br />

hier die Drogenfrage die vierte Stelle<br />

einnimmt.<br />

Gesamtschweizerisch folgen auf den<br />

Plätzen 6 bis 10 «Überfremdung», die<br />

«Drogen», die «Umwelt», die «Neue Armut»<br />

und die «Probleme um die öffentlichen<br />

Haushalte». Nicht mehr unter den 20<br />

wichtigsten Themen befindet sich die Aufarbeitung<br />

des Verhaltens der Schweiz im<br />

Zweiten Weltkrieg.<br />

Das Vorgehen in der BULLETIN-Umfrage<br />

war gleich wie in den Vorjahren, was<br />

zuverlässige Zeitvergleiche über Jahre<br />

hinweg erlaubt.<br />

Neuer Trend seit den letzten Wahlen<br />

Der Vergleich seit 1995, also seit den letzten<br />

Nationalratswahlen, macht deutlich,<br />

wie sich das Problembewusstsein der<br />

Schweizerinnen und Schweizer entwickelt<br />

hat. Eine klar steigende Tendenz ergibt sich<br />

– in der Flüchtlingsfrage,<br />

– bei der Altersvorsorge und<br />

– in Gesundheitsfragen (Grafik unten).<br />

Noch in den achtziger Jahren bewegte<br />

die Schweiz vor allem eine einzige Thematik:<br />

die Umweltfrage. Anders Mitte der<br />

neunziger Jahre: Nun reagiert das Bewusstsein<br />

auf unterschiedliche Probleme.<br />

Das Thema «Asyl» hat vor allem 1998<br />

bei fast allen Bevölkerungsgruppen an<br />

Relevanz gewonnen. Selbst wenn bei den<br />

Lösungen entgegengesetzte Forderungen<br />

gestellt werden: Praktisch alle Bevölkerungsschichten<br />

sind sich angesichts der<br />

Flüchtlingsbewegungen namentlich aus<br />

DIESE THEMEN PRÄGTEN DIE 80ER UND 90ER JAHRE<br />

%<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

1988<br />

Soziales/AHV<br />

Arbeitslosigkeit<br />

Gesundheit<br />

Umwelt<br />

Drogen<br />

Europa<br />

1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998<br />

Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Datenbank «Sorgenbarometer 1988–1998», Stand November 1998<br />

Ex-Jugoslawien und Albanien der neu<br />

aufgeflammten Problematik bewusster<br />

geworden.<br />

Fragen der Altersvorsorge sind in den<br />

letzten Jahren wieder tiefer ins Bewusstsein<br />

der Schweizerinnen und Schweizer<br />

gerückt. Sie beschäftigen insbesondere<br />

Personen ab 50 deutlich mehr als den<br />

Durchschnitt. Aber auch Personen, die<br />

mit einem kleinen Haushaltsbudget ihr<br />

Leben bestreiten müssen, nennen diese<br />

Problematik überdurchschnittlich häufig.<br />

Für Gesundheitsfragen haben die anhaltenden<br />

Diskussionen um die Revision<br />

des Krankenversicherungsgesetzes verschiedene<br />

Gruppen sensibilisiert. Sowohl<br />

Menschen über 60 – insgesamt vor allem<br />

aber Frauen – und Personen mittleren<br />

Einkommens sprechen dieses Problem<br />

vermehrt an.<br />

Der Langzeitvergleich zeigt auch, dass<br />

sich die Schweizerinnen und Schweizer<br />

der europäischen Integrationsproblematik<br />

bewusster geworden sind. Seit Anfang<br />

der 90er Jahre ergibt sich eine absteigende<br />

Linie, die 1992 im Zusammenhang<br />

mit dem negativen EWR-Entscheid und<br />

1995 mit den Nationalratswahlen kurzfristig<br />

starke Ausschläge kannte. Die heutigen<br />

Trendgruppen, welche diese Frage<br />

überdurchschnittlich bewegt, sind Personen<br />

im Management und Sachbearbeiterinnen<br />

und -bearbeiter privater Firmen<br />

und der Verwaltungen. Hinzu kommen<br />

Menschen, die in politischen Fragen gerne<br />

meinungsbildend wirken.<br />

Umweltfrage verliert an Brisanz<br />

Verschiedene andere Themen haben 1998<br />

weiterhin an Bedeutung im Problemhaushalt<br />

der Schweizerinnen und Schweizer<br />

verloren. Hierzu zählen insbesondere<br />

Umweltfragen, das Drogenproblem sowie<br />

Probleme rund um den Bundeshaushalt<br />

und die Steuerbelastungen.<br />

Zieht man Bilanz zum «Sorgenbarometer<br />

98», kann man festhalten: Die anhaltende<br />

wirtschaftliche Stagnation mit der Arbeitslosigkeit<br />

als zentraler Herausforderung hat<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SERVICE<br />

48<br />

das Schweizer Volk in den neunziger Jahren<br />

geprägt. Die Veränderungen gegenüber<br />

dem Problembewusstsein der achtziger<br />

Jahre, als immaterielle Forderungen<br />

im Zentrum standen, sind augenfällig.<br />

Arbeitslosigkeit wurde verdrängt<br />

In den neunziger Jahren ist es noch zu<br />

keiner so fundamentalen Umkehrung des<br />

Problembewusstseins gekommen; wir<br />

können deshalb noch nicht von einem<br />

Wertewandel sprechen. Immerhin verweist<br />

die Entwicklung der letzten Jahre<br />

auf neue Spuren:<br />

– Anfänglich wurde die Arbeitslosenproblematik<br />

namentlich in der deutschsprachigen<br />

Schweiz verdrängt.<br />

– In einer zweiten Phase, während der<br />

Jahre 1996 und 1997, ist dies einer<br />

schockartigen Reaktion gewichen, die<br />

eine breite Verunsicherung in der<br />

Bevölkerung ausgelöst hat.<br />

– 1998 scheinen sich die Schweizerinnen<br />

und Schweizer vermehrt auf das Hauptproblem<br />

und seine Folgen einzustellen;<br />

sie suchen vermehrt nach Auswegen.<br />

Willkommen auf der Grossbaustelle<br />

Eine Art «neuer Realismus» macht sich<br />

breit, bei dem das Problembewusstsein<br />

verstärkt auf die längerfristigen Folgen<br />

und Zusammenhänge der Wirtschaftslage<br />

ausgerichtet ist. Die hauptsächlichen Probleme<br />

werden immer mehr als «Grossbaustellen»<br />

verstanden, bei denen es keinen<br />

raschen Umbau gibt und bei deren Neukonstruktion<br />

es für den einzelnen wie<br />

auch für die Politik und Wirtschaft darauf<br />

ankommt, neue Wege zu gehen und neue<br />

Koalitionen zu suchen.<br />

DER AUTOR DIESES BEITRAGS,<br />

CLAUDE LONGCHAMP,<br />

IST POLITIKWISSENSCHAFTER UND CO-LEITER<br />

DES GFS-FORSCHUNGSINSTITUTS IN BERN.<br />

EMAIL: CLONGCHAMP@GFS-BE.CH<br />

ZUKUNFTS-<br />

AUSSICHTEN<br />

ZUKUNFTSFORSCHER ROLF HOMANN<br />

REIST INS JAHR 2020 UND ZURÜCK.<br />

INTERVIEW: CHRISTIAN PFISTER,<br />

REDAKTION BULLETIN<br />

CHRISTIAN PFISTER Eigentlich ist unser Gespräch<br />

überflüssig, Herr Homann, schliesslich<br />

wird dieses Jahr die Welt untergehen.<br />

ROLF HOMANN Das sehe ich ziemlich<br />

anders. Ich halte solche Prognosen für eine<br />

typische Spätentwicklung einer Gesellschaft,<br />

in der die Religionen zusammenbrechen.<br />

Auch dieses ganze Traritrara<br />

ums Jahr 2000 ist nichts anderes als esoterisches<br />

Marketing und insofern idiotisch.<br />

C.P. Ein Weltuntergang ist also für Sie kein<br />

Szenario, das zu studieren sich lohnt ?<br />

R.H. In der Zukunftsforschung arbeiten<br />

wir immer mit verschiedenen Szenarien.<br />

Solchen, die wünschenswert sind, solchen,<br />

die wahrscheinlich sind, und Szenarien,<br />

die sehr negativ formuliert sind, damit die<br />

Gesellschaft sie abwenden kann.<br />

C.P. Sei’s drum, die Schweizerinnen und<br />

Schweizer beschäftigten 1998 keine esoterischen<br />

Nöte, sondern Fragen wie Arbeitslosigkeit<br />

und die Sorge um die Gesundheit.<br />

Was bewegt unser Land in zwanzig Jahren ?<br />

R.H. Zum einen leben wir in einer Übergangsgesellschaft;<br />

wir entwickeln uns zu<br />

einer elektronischen Informationsgesellschaft.<br />

Hier gibt es Probleme für jene<br />

Leute, die von der herkömmlichen Industriegesellschaft<br />

abhängen. Wir müssen uns<br />

damit abfinden, dass viele Jobs im industriellen<br />

Sektor und im Dienstleistungsbereich<br />

unwiderruflich verschwinden werden.<br />

Zudem wird in der Diskussion um die<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SERVICE<br />

49<br />

Arbeitslosigkeit ein Graben aufgebaut<br />

zwischen Jung und Alt. Das halte ich für<br />

gefährlich. Klar müssen wir den Jungen<br />

eine Chance geben – aber nicht auf<br />

Kosten der Älteren.<br />

C.P. Wo sehen Sie eine Lösung ?<br />

R.H. In Amerika hat sich deutlich gezeigt,<br />

dass die Aufhebung der Altersguillotine<br />

von 65 dem Arbeitsmarkt nicht geschadet<br />

hat. Neue Betriebe, neue Formen der virtuellen<br />

Arbeit zu finden, wo Jung und Alt<br />

vernünftig zusammenarbeiten, das scheint<br />

mir wesentlich. Und wir dürfen keine Ausbildungen<br />

mehr forcieren, die in die Sackgasse<br />

und damit unweigerlich in die<br />

Arbeitslosigkeit führen.<br />

C.P. Wie sieht denn Ihre persönliche Themen-<br />

Hitliste aus?<br />

R.H. Da wäre als erstes die Frage, wie<br />

wir Arbeit und Güter weltweit sinnvoll verteilen.<br />

Dazu gehören aber auch die Wiedergewinnung<br />

individueller Freiheit und die<br />

Rückkehr zu einem besseren Leben.<br />

C.P. Was verstehen Sie unter «besserem<br />

Leben» ?<br />

R.H. Das ist von Mensch zu Mensch verschieden.<br />

Für viele würde es allerdings<br />

heissen, sich nicht mehr den Zwängen zu<br />

beugen, die heute vielerorts herrschen.<br />

C.P. Werden in den nächsten zwanzig Jahren<br />

keine völlig neuen Themen auftauchen ?<br />

R.H. Die neuen Medien werden unser<br />

Leben gehörig auf den Kopf stellen. Grundsätzlich<br />

andere Probleme in der Geschichte<br />

der Menschheit schaffen sie aber nicht.<br />

Gewisse Konflikte bestehen schon heute,<br />

werden aber unterschätzt.<br />

C.P. Beispiel ?<br />

R.H. Nehmen wir die Verteilproblematik:<br />

Wir produzieren rund um den Globus<br />

genug, um die ganze Weltbevölkerung zu<br />

ernähren und mit Konsumgütern auszustatten.<br />

Doch die Verteilung klappt nicht.<br />

Konkret: Wasser wird eins der kostbar-<br />

sten Güter der Zukunft. Schon heute gibt<br />

es kriegerische Auseinandersetzungen,<br />

die auch auf die Verteilung von Wasser<br />

zurückzuführen sind.<br />

C.P. Wie können sich die Menschen rüsten,<br />

um gelassen in die Zukunft zu schreiten ?<br />

R.H. Sie brauchen Aus- und Weiterbildung.<br />

Man kann sich nicht mehr auf eine<br />

Grundausbildung verlassen. Sie müssen<br />

multifunktional werden. Denn sie haben<br />

damit klarzukommen, dass wir in einer<br />

Gesellschaft leben, wo klassische Wertsysteme<br />

zerbrechen und Mischformen<br />

entstehen.<br />

C.P. Welche Art Wissen wird gefragt sein ?<br />

R.H. Das Wissen wird eng heranrücken<br />

an die Probleme, die zu lösen sind. Wir werden<br />

uns das Wissen dann holen, wenn es<br />

uns zur Lösung von Problemen nützt. Das<br />

hat Konsequenzen fürs Bildungssystem: Es<br />

werden nicht mehr irgendwelche klugen<br />

Köpfe an Universitäten und Mittelschulen<br />

Ausbildungsgänge vorbestimmen und Berufsleute<br />

auf Vorrat produzieren – fernab<br />

von der Praxis. Wissen geht von einer anbieterorientierten<br />

Gesellschaft über in eine<br />

abnehmerorientierte.<br />

C.P. Das verstehe ich nicht.<br />

R.H. Nehmen wir das Internet. Wenn Sie<br />

etwas lösen wollen, werden Sie künftig im<br />

Internet bei neuen Dienstleistern anfragen,<br />

wer Ihnen das Problem lösen kann. Alle<br />

Berufs- und Angebotszweige mit Mittlerfunktion,<br />

wie etwa der Handel, werden in<br />

den nächsten fünf bis fünfzehn Jahren<br />

mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes<br />

ans Internet verlieren.<br />

C.P. Überschätzen Sie das Internet nicht ?<br />

R.H. Überhaupt nicht. Was ich beschreibe,<br />

ist schon Gegenwart: In den USA wurde<br />

1998 via Internet allein im Tourismus ein<br />

Umsatz von jährlich 1,5 Milliarden Dollar<br />

erzielt. Der Bereich Electronic-Commerce<br />

steigt wesentlich schneller, als wir gedacht<br />

haben.<br />

C.P. Und in Zukunft ?<br />

R.H. Hochrechnungen besagen, dass<br />

wir im Jahr 2001 bereits bis zu 300<br />

Milliarden Dollar Umsatz über das Internet<br />

generieren. Davon betroffen sind auch traditionelle<br />

Berufe wie Ärzte oder Juristen.<br />

Effiziente Systeme können mir heute den<br />

Blutdruck messen und morgen Körperfunktionen<br />

abchecken. Hierauf kann ich<br />

auf Datenbanken zugreifen, die mir zu<br />

97 Prozent sagen, was ich machen soll,<br />

wenn’s mir schlecht geht. Intelligente<br />

Datenbanken erzwingen einen dramatischen<br />

Wandel.<br />

C.P. Worauf beruhen Ihre Annahmen, lesen<br />

Sie im Kaffeesatz ?<br />

R.H. Wir Zukunftsforscher leben davon,<br />

dass wir aufgrund verschiedener Methoden<br />

Wissen zusammentragen. Wir arbeiten<br />

unter anderem mit Szenarien und Trends.<br />

Der Forscher hat ein Wissenssystem, das<br />

er erlernt. Doch damit hat es sich noch<br />

nicht: Etwas Neues zu finden verlangt<br />

wiederum Kreativität.<br />

C.P. Sie erfinden also die Zukunft ?<br />

R.H. Ja und nein. Aber nehmen wir etwa<br />

Science-fiction in Buch und Film. Häufig<br />

beeinflusst dieses Genre die Gedanken<br />

an die Zukunft, es ist der Schlüssel zum<br />

Erdenken von Zukünften. Den Begriff<br />

«Cyberspace» beispielsweise, der heute in<br />

aller Munde ist, hat ein Science-fiction-<br />

Autor erfunden.<br />

HEUTE DENKEN, MORGEN SEIN<br />

Rolf Homann promovierte in Sinologie<br />

an der Universität Tübingen.<br />

Unter anderm arbeitete er mehrere<br />

Jahre am Gottlieb-Duttweiler-Institut<br />

als Projektleiter. Seit 1989 ist er<br />

selbständiger Zukunftsforscher und<br />

Journalist, Berater und Trainer. Sein<br />

jüngstes Buch heisst «Zukünfte<br />

heute denken, morgen sein», Zürich<br />

1998.<br />

Infos und Links zum Sorgenbarometer: BULLETIN |<br />

ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin


SERVICE<br />

50<br />

DAS PLASTIKGELD BOOMT IN DER SCHWEIZ. IMMER<br />

MEHR LEUTE ERLEDIGEN IHRE ZAHLUNGEN,<br />

OHNE NACH DEM PORTEMONNAIE ZU GREIFEN.<br />

BARGELDLOS<br />

GLÜCKLICH<br />

«ICH BRAUCHE JE LÄNGER<br />

JE WENIGER CASH.»<br />

RENÉ JEANNERET,<br />

GESCHÄFTSFÜHRER DER<br />

ZÜRCHER FIRMA RADIKAL<br />

REINIGUNGEN AG, LIEGT<br />

DAMIT VOLL IM TREND.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SERVICE<br />

51<br />

VON PASQUALE FERRARA<br />

Kreditkarte, ec-Karte, Kontokarte, Tankkarte,<br />

Telefonkarte. «Wir tragen enorm viel<br />

Plastik mit uns herum», stöhnt René<br />

Jeanneret, Geschäftsführer der Zürcher<br />

Reinigungsfirma Radikal Reinigungen AG.<br />

Ob das nicht alles auf einer Karte Platz<br />

hätte, fragt er sich manchmal. Doch<br />

eigentlich dürfte er ja nicht klagen: auch er<br />

hat sich an die Vorzüge des bargeldlosen<br />

Zahlens gewöhnt. «Ich brauche je länger<br />

je weniger Bargeld», sagt Unternehmer<br />

Jeanneret. So geht es vielen anderen auch:<br />

Rund zwei Millionen Personen besitzen in<br />

der Schweiz eine Kreditkarte, rund drei<br />

Millionen eine ec-Karte.<br />

Noch sind wir keine bargeldlose Gesellschaft.<br />

Aber die Konsumenten greifen<br />

immer mehr zur Plastikkarte. Mehr als<br />

zehn Prozent des Endkonsums wird in der<br />

Schweiz bereits heute via Karten bezahlt –<br />

Tendenz steigend. Plastikgeld ersetzt<br />

nicht nur Bargeld, sondern auch andere<br />

Zahlungsformen wie Checks oder Überweisungen.<br />

Eine Studie der Universität<br />

Sankt Gallen beziffert den maximal<br />

erreichbaren Umsatz für Karten in der<br />

Schweiz auf 140 Milliarden Franken. Zum<br />

Vergleich: Heute werden Waren und<br />

Dienstleistungen für rund 20 Milliarden<br />

Franken über Karten bezahlt. «Der Trend<br />

zum Ersatz von Bargeld durch Plastikgeld<br />

wird anhalten», sagt Peter Rikli, Leiter<br />

Zahlungssysteme der CREDIT SUISSE<br />

(siehe Interview).<br />

Ec-Karte wurde zum Renner<br />

Dieser Trend bringt das Kreditkartengeschäft<br />

in der Schweiz in Bewegung.<br />

Kreditkartenorganisation und Banken werben<br />

um neue Kunden. Dem wachsenden<br />

DREI KARTEN AUS EINER HAND<br />

Die CREDIT SUISSE ist seit Januar mit einer Weltneuheit auf dem Markt: Erstmals<br />

bietet eine Bank ihren Kunden alle drei Weltmarken Eurocard/MasterCard, Visa<br />

und American Express an. Die CREDIT SUISSE ging dafür mit American Express<br />

ein Joint Venture ein: Swisscard AECS heisst die gemeinsame neue Gesellschaft.<br />

«Bei uns erhält der Kunde nicht wie bis anhin nur Eurocard, sondern jene Karte<br />

und Kartenkombination, die er will und braucht», sagt Swisscard-Marketingleiterin<br />

Ingrid Deltenre. Was für mehrere Karten spricht? «Mit zwei oder drei<br />

Karten erreicht der Kunde weltweit eine maximale Akzeptanz, ob in Hotels, in<br />

Restaurants, an Tankstellen oder beim Autoverleih», sagt die Kartenmanagerin.<br />

Gleichzeitig steigt die Kostentransparenz, «denn mit zwei Karten lassen sich<br />

Firmenspesen und private Ausgaben problemlos trennen».<br />

Im neuen Kartenpaket steckt aber noch mehr drin: Die Kunden zahlen bei Swisscard<br />

für zwei oder für alle drei Weltkarten weniger als die Summe der Einzelgebühren.<br />

«Zudem gibt es nur eine Help Line, also nur einen Kundendienst für<br />

alle drei Karten», fährt Ingrid Deltenre fort. Und alle drei Karten laufen über<br />

dasselbe Bonusprogramm «Point-up». Kartenbenützern werden bei jedem Einsatz<br />

Punkte gutgeschrieben, die dann für vergünstigte Reisen, Einkäufe oder<br />

Bankprodukte verwendet werden können.<br />

Für weitere Informationen wählen Sie die Nummer 0848 848 210 oder wenden<br />

sich an Ihren Kundenberater.<br />

Bedürfnis nach bargeldlosem Verkehr<br />

kommt auch die CREDIT SUISSE entgegen<br />

und erweitert ihr Kartenangebot.<br />

Kunden der Bank können seit Januar alle<br />

drei Weltmarken Eurocard/MasterCard,<br />

Visa und American Express beziehen.<br />

Eine Weltneuheit (siehe Box «Drei Karten<br />

aus einer Hand»).<br />

Plastikgeld boomt in der Schweiz seit<br />

Anfang der neunziger Jahre. Dazu beigetragen<br />

hat auch die ec-Karte. Einst für<br />

den Bargeldbezug am Bancomaten gedacht,<br />

wird sie seit 1988 auch für die<br />

Direktbezahlung von Dienstleistungen und<br />

Waren benutzt, und zwar rege: 1990 wurden<br />

über ec-direct 430 Millionen Franken<br />

umgesetzt, 1997 waren es bereits 5,2 Milliarden<br />

Franken. EFT/POS heisst das<br />

zukunftsweisende Konzept. EFT/POS<br />

steht für «Electronic Funds Transfer at the<br />

Point of Sale», also den bargeldlosen<br />

Zahlungsverkehr am Verkaufsort. Dasselbe<br />

Prinzip kommt bei der Postcard zur<br />

Anwendung. Beeindruckend sind auch die<br />

Zuwachszahlen bei den Kreditkarten:<br />

Marktleader Eurocard wies 1989 in der<br />

Schweiz Umsätze von zwei Milliarden<br />

Franken aus; mittlerweile sind es fast zehn<br />

Milliarden Franken mit über 1,5 Millionen<br />

Karteninhabern.<br />

Schweizer halten sich noch zurück<br />

Der Markt ist noch nicht gesättigt: «Wir<br />

gehen davon aus, dass in den nächsten<br />

Jahren in der Schweiz zwischen 500 000<br />

und 800 000 neue Kartennutzer dazukommen<br />

werden», sagt Ingrid Deltenre,<br />

Marketingleiterin bei der Swisscard, der<br />

neuen Kartengesellschaft der CREDIT<br />

SUISSE. Wie gross das Potential für<br />

Plastikgeld in der Schweiz ist, zeigt auch<br />

ein Vergleich mit dem Ausland. Schweizer<br />

Konsumenten nutzen Karten nämlich noch<br />

relativ wenig. In den USA beispielsweise<br />

werden rund 20 Prozent des privaten<br />

Konsums über Karten abgewickelt, hier-<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SERVICE<br />

52<br />

EIN CHIP<br />

FÜR ALLE FÄLLE<br />

PETER RIKLI, LEITER<br />

ZAHLUNGSSYSTEME DER<br />

CREDIT SUISSE,<br />

SKIZZIERT DIE BARGELDLOSE<br />

WELT VON MORGEN<br />

PASQUALE FERRERA Herr Rikli, brauchen Sie<br />

im Alltag noch Bargeld ?<br />

PETER RIKLI Ja. Im Café beispielsweise,<br />

fürs Taxi und in Läden, die keine Karten<br />

akzeptieren.<br />

P.F. Wird man auch in Zukunft für kleinere<br />

Beträge zum Bargeld greifen ?<br />

P.R. Nein. Neue technische Möglichkeiten<br />

werden die Gesellschaft noch bargeldloser<br />

machen. Wir werden vom Rappenbetrag<br />

bis zur grossen Zahlung alles<br />

ab Karte erledigen können – und zwar von<br />

jedem Ort aus.<br />

P.F. Wie wird dies möglich ?<br />

P.R. Treibende Kraft werden die Smartcards<br />

sein. Die Chips, die heute schon auf<br />

den meisten ec-Karten eingebaut sind,<br />

werden viel leistungsfähiger. Man wird sie<br />

mit einem kleinen PC vergleichen können,<br />

der verschiedene Anwendungen nutzen,<br />

aber auch neue Anwendungen laden und<br />

entladen kann. Es ist also vorstellbar, dass<br />

wir mit derselben Karte im Laden einkaufen,<br />

das Kinoticket darauf reservieren,<br />

bezahlen und an der Kasse am Abend dann<br />

abbuchen. Oder via Internet etwas bestellen<br />

und die Rechnung gleich begleichen.<br />

Und wohlverstanden: dies alles weltweit.<br />

P.F. Nicht alles, was technisch möglich ist,<br />

setzt sich auch durch. Wie steht es mit den<br />

Smartcards ?<br />

P.R. Bedingung ist, dass diese neue<br />

Technologie einfach und kundenfreundlich<br />

ist. Dann werden die Kunden sich von selber<br />

vom Nutzen überzeugen. Und der lässt<br />

sich sehen: Kein Kopfzerbrechen mehr<br />

über Geldbeträge, die man beispielsweise<br />

ins Ausland mitnehmen muss; nicht ständig<br />

zur Bank oder zu einem Automaten<br />

gehen müssen, um Geld abzuheben oder<br />

Dienstleistungen zu beanspruchen. Über<br />

PC oder Natel kann sich jeder die Bankverbindung<br />

selber herstellen.<br />

P.F. Was hemmt diese Entwicklung ?<br />

P.R. Der grösste Hemmfaktor ist die<br />

Gewohnheit: Die Schweiz ist nach wie vor<br />

ein Bargeld-Land. Ein Zahlenvergleich: In<br />

der Schweiz werden im Durchschnitt 73<br />

Transaktionen pro Jahr und pro Person<br />

mit Karten getätigt, in den USA sind es<br />

300. Doch die Generation, die heranwächst,<br />

ist aufgeschlossener gegenüber<br />

Plastikgeld. Das wird den Trend zur bargeldlosen<br />

Gesellschaft verstärken.<br />

P.F. Eine wichtige Rolle spielt aber auch der<br />

Handel. Detaillisten, Restaurants, Kinos usw.<br />

müssen zuerst in die neue Technologie<br />

investieren. Das ist nicht selbstverständlich.<br />

P.R. Richtig. Am Anfang ist eine Investition<br />

nötig. Sie zahlt sich aber aus. Die Anbieter<br />

profitieren von Zusatzverkäufen und<br />

von einer erhöhten Sicherheit, weil keine<br />

grossen Geldbestände mehr nötig sind.<br />

Und ausserdem: Auch das Bargeld-Handling<br />

kostet; dort wird man sparen.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SERVICE<br />

53<br />

zulande sind es nur zwölf Prozent. Auch in<br />

Frankreich und in Grossbritannien zücken<br />

die Konsumenten häufiger die Kreditkarte<br />

als in der Schweiz.<br />

Ob das Potential ausgeschöpft wird,<br />

hängt aber auch vom Willen der Wirtschaft<br />

ab, Plastikgeld zu akzeptieren: Detailhandel,<br />

Gastgewerbe und Dienstleistungsunternehmen<br />

müssen in Geräte investieren.<br />

Für Kreditkartenbeträge sind ausserdem<br />

Kommissionsgebühren zu entrichten. «Auch<br />

für uns muss der Ertrag grösser sein als<br />

die Kosten», sagt darum Pierre-André<br />

Steim, Präsident des Verbands Elektronischer<br />

Zahlungsverkehr (VEZ). Der VEZ<br />

vertritt die Interessen fast aller Branchen<br />

bei der Entwicklung des bargeldlosen<br />

Zahlungsverkehrs. Gestritten wird zurzeit<br />

über die Beteiligung des Handels an ecdirect,<br />

denn ec- und Postcard sind nur<br />

noch bis Ende 1999 gebührenfrei.<br />

Doch die Kosten sind das eine, die Technologie<br />

das andere. Die neue Generation<br />

elektronischer Kassen muss laut Steim vor<br />

allem eine Bedingung erfüllen: Sie muss<br />

für alle Zahlarten geeignet sein. Das heisst,<br />

sowohl ec-direct, verschiedenste Kreditkarten<br />

als auch das neue Wertkartensystem<br />

CASH sollten über dasselbe Gerät laufen.<br />

Gerade an der Einführung von CASH<br />

haben die VEZ-Mitglieder wenig Freude.<br />

«Zu teuer und nicht integrierbar», lautet<br />

das Urteil von Steim.<br />

Nun kommen die Alleskönner<br />

Die Wünsche des VEZ stossen bei den<br />

Spezialisten der Banken auf offene Ohren.<br />

«Wir arbeiten an international standardisierten<br />

und integrierten Systemen», sagt<br />

Peter Rikli, Leiter Zahlungssysteme bei<br />

der CREDIT SUISSE. Die technischen<br />

Möglichkeiten seien bei weitem nicht ausgeschöpft.<br />

Multifunktionalität lautet das<br />

Schlagwort. Eine Karte wird zugleich als<br />

Kredit-, Debit-, wie auch als Wertkarte<br />

dienen. Man wird damit sowohl an der<br />

Parking-Kasse als auch im Kino bezahlen,<br />

ja sogar die Kinoreservation darauf speichern<br />

können, und zwar egal ob in Zürich<br />

SO ZAHLEN SIE OHNE BARGELD<br />

KREDITKARTEN<br />

Die Pionierin des Plastikgelds. Rund zwei Millionen Personen besitzen in der<br />

Schweiz eine Kreditkarte. Tendenz steigend. Jetzt einkaufen oder konsumieren,<br />

Ende Monat bezahlen lautet das Prinzip (pay later).<br />

DEBITKARTE<br />

ec-Karte oder Postcard finden sich mittlerweile fast in jedem Portemonnaie. Sie<br />

dienen zum einen dem Bargeldbezug am Automaten, mit ihr werden aber auch<br />

direkt Güter und Dienstleistungen bezahlt. Der entsprechende Betrag wird direkt<br />

vom Konto abgezogen (pay now).<br />

WERTKARTEN<br />

Seit 1997 sind in der Schweiz ec-Karten und Postcards mit einem Chip ausgerüstet.<br />

Damit kann am Bankomaten Geld auf die Karte geladen werden. Die<br />

Karte wird damit zu einem elektronischen Portmonnaie. Beim Zahlen wird das<br />

Geld wieder abgebucht – elektronisch versteht sich (pay before).<br />

CHECK<br />

Bis vor wenigen Jahren waren die Checks die meistbenutzte Art, bargeldlos zu<br />

zahlen. Ihre Bedeutung nimmt aber ab. Kredit- und Debitkarten ersetzen sie.<br />

VIRTUELLES GELD<br />

Virtuelles Geld bezeichnet Geld, das nur in elektronischer Form existiert und als<br />

Ersatz für Bargeld dient. Wertkarten sind eine erste Variante von elektronischem<br />

Geld. Virtuelles Geld kommt aber auch schon im Internet zum Zug: Das virtuelle<br />

Geld ist dabei auf einer lokalen Festplatte gespeichert und wird mittels Computer<br />

übers Internet an einen Empfänger gesendet. E-Cash heisst das entsprechende<br />

Projekt, das CREDIT SUISSE in einem Pilotversuch testet.<br />

ÜBERWEISUNGEN<br />

Auch bei den Überweisungsaufträgen hält die Elektronik Einzug. Die verschiedenen<br />

Formen von Zahlungsaufträgen können nicht nur auf Papier, sondern<br />

mittlerweile auch elektronisch ausgelöst werden, sei es via Internet oder Videotex<br />

oder mittels sogenanntem Datenträgeraustausch (DTA). Üblich ist auch das<br />

Lastschriftverfahren (LSV), bei dem der Kunde jemanden ermächtigt, Abzüge auf<br />

seinem Konto zu veranlassen.<br />

oder in London (siehe Interview). Möglich<br />

machen es neue, leistungsfähigere Chips<br />

auf den Karten der Zukunft. «Solche Chips<br />

sind auch der Schlüssel für den Handel im<br />

Internet», sagt Rikli. Denn es werde keinen<br />

Unterschied mehr machen, ob man im<br />

Verkaufsladen steht und an der elektronischen<br />

Kasse bezahlt oder via Internet oder<br />

sogar Natel die Verbindung herstellt.<br />

«Vieles davon wird schon in zwei bis drei<br />

Jahren Realität sein», ist Rikli überzeugt.<br />

Gute Nachrichten also für Leute wie<br />

den Zürcher Unternehmer Jeanneret:<br />

Brieftaschen, die vor lauter Karten fast<br />

platzen, werden schon bald der Vergangenheit<br />

angehören.<br />

Infos und Links zu Zahlungsmittel: BULLETIN |<br />

ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin


SERVICE<br />

54<br />

FLOWTEAMS –<br />

SELBSTORGANISATION<br />

IN ARBEITSGRUPPEN<br />

B<br />

VON JAN MAREK<br />

ORGANISIEREN SIE SICH SELBER –<br />

DIE NEUE ORIENTIERUNG<br />

SAGT IHNEN WIE.<br />

Wer hat nicht schon bei einer Strassenkreuzung<br />

geduldig vor «Rot» gewartet,<br />

obwohl einer flotten Durchfahrt nichts im<br />

Wege stand, und sich bei anderer Gelegenheit<br />

gewundert, warum es bei einem<br />

Strassenkreisel selbst bei dichtestem Verkehr<br />

praktisch keine Staus gibt ? Des Rätsels<br />

Lösung: Die Lichtsignalanlage wird<br />

von aussen «fremdgesteuert», der Strassenkreisel<br />

ist so angelegt, dass sich die<br />

Autofahrer selbst organisieren.<br />

Die Idee der erfolgreichen Selbstorganisation<br />

gilt nicht nur für den Strassenverkehr,<br />

sie lässt sich auch auf andere<br />

Bereiche übertragen. Das beweist die<br />

neuste Ausgabe der CREDIT SUISSE-<br />

Publikation «Orientierung» mit dem Titel<br />

«FlowTeams – Selbstorganisation in Arbeitsgruppen».<br />

Die beiden Autoren Martin<br />

Gerber und Heinz Gruner zeigen darin auf<br />

anschauliche Weise, wie sich die Zusammenarbeit<br />

mit Hilfe einfacher Regeln verbessern<br />

lässt.<br />

Es sind Regeln, die aus der Systemund<br />

Chaosforschung abgeleitet wurden.<br />

Das heisst: Sogenannt komplexe Systeme<br />

wie das Wetter oder die Börse sind gar<br />

nicht so chaotisch, wie sie auf den ersten<br />

Blick erscheinen. Es gibt darin verdeckte<br />

Prinzipien der Selbstorganisation, die unter<br />

bestimmten Bedingungen eine höhere<br />

Ordnung und eine verbesserte Effizienz<br />

hervorbringen. Mit Hilfe dieser Prinzipien<br />

lässt sich auch die Teamarbeit optimieren.<br />

Die Orientierung 108 führt jedoch die<br />

systemtheoretischen Überlegungen nur<br />

so weit aus, als sie für das Verständnis der<br />

praktischen Anwendung absolut notwendig<br />

sind. Umfangmässig den grössten<br />

Platz beanspruchen die 12 «Focus-Bereiche»,<br />

welche Schritt für Schritt in die<br />

FlowTeam-Methode einführen. Damit können<br />

unerfahrene Anwenderinnen und Anwender<br />

sofort mit der Umsetzung in ihrem<br />

Alltag beginnen und – wenn sie wollen –<br />

auch nur Teilaspekte verwenden. Denn die<br />

FlowTeam-Methode kennt keine fixfertigen<br />

Rezepte – nur Anregungen und Denkanstösse,<br />

die in jedem Team individuell<br />

umgesetzt werden können.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


SERVICE<br />

55<br />

INTERVIEW MIT HEINZ GRUNER,<br />

LEITER DES CREDIT SUISSE<br />

COMMUNICATION CENTERS IN<br />

HORGEN: «ERWACHSENE<br />

SIND IN DER TEAMARBEIT OFT<br />

BLOCKIERT.»<br />

JAN MAREK Herr Gruner, wann sind Sie der<br />

FlowTeam-Methode zum ersten Mal begegnet<br />

?<br />

HEINZ GRUNER Ich habe schon immer nach<br />

Ideen und Möglichkeiten gesucht, die Gruppenarbeit<br />

effizienter und effektiver zu gestalten.<br />

Ende der 80er Jahre bin ich dann<br />

zum ersten Mal auf die sogenannte «Moderations-Methode»<br />

gestossen. Diese versucht<br />

in Workshops, die kollektive Intelligenz der<br />

Mitarbeiter besser zu nutzen. Die Ideen<br />

dieser Methode haben wir bei der Planung<br />

und Errichtung des CREDIT SUISSE Communication<br />

Centers (CSCC) einfliessen<br />

lassen. Doch hatten wir bald das Gefühl:<br />

Das ist zwar gut, doch muss es noch etwas<br />

Besseres geben… Anfang der 90er<br />

Jahre bin ich dann auf die FlowTeam-<br />

Methode gestossen und habe sie ab 1994<br />

mit meinem Team im CSCC ausprobiert.<br />

Seither arbeiten wir erfolgreich damit.<br />

regulation bereitstellt. Dadurch organisieren<br />

sich die Teilnehmer selbst, geben sich<br />

eigene Regeln und arbeiten so effizienter<br />

und effektiver.<br />

J.M. Was ist für Sie der wichtigste Punkt der<br />

FlowTeam-Methode ?<br />

H.G. Es sind mehrere Punkte: Als erstes<br />

ist die FlowTeam-Methode sehr ziel- und<br />

kundenorientiert. Man überlegt sich jederzeit<br />

sehr genau, was für wen und zu<br />

welchem Zweck am Ende der Zusammenarbeit<br />

vorliegen soll. Zum zweiten wird<br />

dabei nicht nur im Kreis herum geredet,<br />

sondern immer etwas Konkretes hergestellt:<br />

etwa Konzepte, Problemlösungsvorschläge,<br />

Vorgehenspläne, Checklists.<br />

Drittens können alle Teilnehmer ihre individuellen<br />

Fähigkeiten und Talente wirklich<br />

einbringen. Und nicht zuletzt macht es den<br />

Beteiligten auch Spass, so zu arbeiten.<br />

Orientierung 108<br />

FlowTeams – Selbstorganisation in Arbeitsgruppen<br />

Martin Gerber<br />

Heinz Gruner<br />

g<br />

SIE KÖNNEN DIE NEUE<br />

«ORIENTIERUNG» BESTELLEN BEI:<br />

CREDIT SUISSE-BESTELLSERVICE,<br />

SULZSTRASSE 10, 9403 GOLDACH,<br />

UND VIA INTERNET UNTER<br />

WWW.CREDIT-SUISSE.CH/<br />

ORIENTIERUNG<br />

J.M. Was ist Ihre persönliche Beziehung zur<br />

FlowTeam-Methode ?<br />

H.G. Irgendeinmal habe ich realisiert,<br />

dass Erwachsene in der Teamarbeit oft<br />

«blockiert» sind. Als Kinder waren sie jedoch<br />

lebendig, kreativ und initiativ. Was ist<br />

mit ihnen geschehen, als sie erwachsen<br />

wurden und sich an gesellschaftliche Normen<br />

anpassten ? Deshalb habe ich mich<br />

gefragt: Wie lassen sich die ursprüngliche<br />

Kreativität, Initiative und der Spass am<br />

Entdecken von Neuem wieder herstellen ?<br />

Wie kann man Leuten Mut machen, sich<br />

mit ihrer Person, ihrem Wissen und ihren<br />

Talenten voll in eine gemeinsame Aufgabe<br />

einzubringen ? Genau das bezweckt die<br />

FlowTeam-Methode.<br />

J.M. Können Sie die Grundidee der Flow-<br />

Team-Methode kurz beschreiben ?<br />

H.G. Jedes System, das überreguliert ist,<br />

besitzt die Tendenz, die Regeln zu brechen.<br />

Und jedes System, das unterreguliert ist,<br />

neigt dazu, Regeln zu schaffen. Dieses<br />

Prinzip nutzt die FlowTeam-Methode, indem<br />

sie in Meetings Freiräume für Selbst-<br />

J.M. Wie verwenden Sie die FlowTeam-<br />

Methode in Ihrem Arbeitsalltag ?<br />

H.G. Teilkonzepte dieser anderen Art zu<br />

arbeiten und zu lernen gebrauche ich, wann<br />

und wo auch immer sich die Möglichkeit<br />

ergibt. Die ganze FlowTeam-Methode verwenden<br />

wir im CSCC bei jedem Projekt.<br />

Auch in meiner Funktion als Berater für<br />

Anlässe wie Management-Foren, Tagungen,<br />

Meetings, Workshops benutze ich<br />

FlowTeam-Ideen und versuche, möglichst<br />

viel Interaktion und Selbstorganisation<br />

einzubringen, weil dies deren Effizienz und<br />

Effektivität erhöht.<br />

J.M. Wo und wie kommt die FlowTeam-<br />

Methode in der CREDIT SUISSE zum Zug ?<br />

H.G. Die FlowTeam-Methode wird bei<br />

uns erst in einzelnen Organisationseinheiten<br />

angewandt. Beispielsweise in den<br />

Bereichen Informatik, Marketing, Personal<br />

oder – ganz neu – Bau und Immobilien.<br />

Doch interessieren sich immer mehr auch<br />

Mitglieder der Geschäftsleitung für die<br />

FlowTeam-Methode – was mich natürlich<br />

sehr freut.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


VON BETTINA JUNKER,<br />

REDAKTION BULLETIN<br />

Ohne Wenn und Aber: Nina<br />

Corti, Königin des Flamenco,<br />

ist ein Star von Weltformat –<br />

vom präzis gezogenen Scheitel<br />

bis zur heissgetanzten<br />

Sohle.<br />

Mal stolz, mal verführerisch,<br />

aber stets leidenschaftlich<br />

und bis in die Fingerspitzen<br />

von vollendeter Anmut.<br />

Perfekt geschminkte spanische<br />

Mandelaugen und strenger<br />

Chignon im Nacken, erhabene<br />

Haltung und grazile Bewegungen,<br />

stampfende Schritte und<br />

gelenkige Handdrehungen –<br />

so kennt man Nina Corti in<br />

Aktion. Und wer die gebürtige<br />

Zürcherin einmal mit ihrem<br />

Ensemble erlebt, merkt sodann,<br />

dass sie nicht nur beim<br />

Tanz den Zipfel des Rüschenkleids,<br />

sondern vor allem die<br />

Fäden der ganzen Aufführung<br />

in der Hand hat – auch wenn<br />

die Musiker scheinbar den<br />

Ton angeben.<br />

Die schmucklose, unscheinbare<br />

Frau, die an jenem kalten<br />

Winternachmittag bis über<br />

die Ohren im Mantelkragen<br />

versunken daherkommt, hat<br />

so gar nichts mit dem heissblütigen<br />

Energiebündel auf<br />

der Bühne gemein. Wer hätte<br />

das gedacht! Eine Königin<br />

begegnet einem auf der<br />

Strasse, und man wird dessen<br />

nicht mal gewahr. Ihr Mann<br />

und Manager, meist mit Handy<br />

und Terminkalender bewaffnet,<br />

schleppt ihr den Requisitenkoffer<br />

hinterher – wahrscheinlich<br />

auch bis ans Ende der<br />

Welt, wenn’s denn sein<br />

müsste. Die Eheleute sind<br />

OLÉ<br />

NINA CORTI HAT ZWAR<br />

EINEN SCHWEIZER PASS,<br />

ABER EIN SPANISCHES HERZ.<br />

DEM BULLETIN HAT SIE<br />

ERZÄHLT, WIE ES DAZU KAM.<br />

ein eingespieltes Paar. «Ohne<br />

die Unterstützung meines<br />

Mannes hätte ich es nie so weit<br />

gebracht», sagt Nina Corti<br />

liebevoll später im Gespräch.<br />

Drinnen, als der Koffer<br />

geöffnet wird, weht einem<br />

alsbald ein Hauch von Sevilla<br />

entgegen: Verschiedene<br />

antike Fächer treten zum Vorschein,<br />

teils bemalt oder<br />

bestickt, eine Vielzahl fransiger<br />

Schals und natürlich Kastagnetten,<br />

ohne die der Flamenco<br />

wie ungesalzenes Brot<br />

daherkäme. Entseelt liegen<br />

die Tücher da; erst wenn man<br />

sie sich um den Leib der Tänzerin<br />

geschlungen oder durch<br />

die Luft gewirbelt vorstellt,<br />

erwachen sie zum Leben.<br />

Nina Corti macht es sich<br />

bequem, soweit das am<br />

Schminktisch möglich ist, und<br />

überlässt sich getrost den<br />

geübten Händen der Stylistin.<br />

Die langwierige Prozedur mit<br />

Lockenstab und Puderquaste<br />

ist für die Vielfotografierte<br />

eine Alltäglichkeit. Das feurige<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


MAGAZIN<br />

57<br />

Temperament, mit dem sie<br />

auf der Bühne ihrem Publikum<br />

einheizt, scheint sie mit dem<br />

Mantel an der Garderobe<br />

abgelegt zu haben. Ergeben<br />

lässt sie das x-te Interview über<br />

sich ergehen.<br />

Sie sei nicht die Frau der<br />

grossen Worte, räumt sie<br />

gleich zu Anfang ein. «Mein<br />

Ausdrucksmittel ist der Tanz».<br />

Doch nach einer Erläuterung<br />

des Flamenco befragt, wird<br />

sie gesprächig: «Flamenco ist<br />

nichts Schöngeistiges, er<br />

kommt vielmehr mitten aus<br />

dem Leben.» Den Ursprung<br />

hat dieser andalusische<br />

Volkstanz nämlich gewissermassen<br />

in der Gosse, bei<br />

den Allerärmsten, die tagtäglich<br />

von der Hand in den<br />

Mund leben. Zu heissen<br />

Rhythmen werden Not und<br />

Entbehrungen in Grund und<br />

Boden getrampelt. Trauer,<br />

Schmerz, aber auch Liebe,<br />

Glück und Lebensfreude –<br />

kurzum: die ganze Palette<br />

menschlicher Empfindungen –<br />

werden fassbar, wenn Nina<br />

Corti tanzt. Flamenco, das sei<br />

Auseinandersetzung mit dem<br />

Leben. «Ich stampfe und<br />

spüre den Boden», erzählt sie,<br />

«nicht wie beim Ballett, wo<br />

man möglichst in der Luft<br />

schwebt und damit den Bezug<br />

zur Erde verliert.»<br />

Die Suche nach Tiefe und<br />

Wahrheit begleitet Nina Corti<br />

schon lang. «Man sieht viel<br />

Schönes erst, wenn man<br />

ehrlich ist und sich nichts mehr<br />

vormacht. Und ich suche<br />

immer und überall nach dem,<br />

was wahr ist.» Dem Leben<br />

auf die Spur kommen wollen –<br />

wer kennt das nicht. Aber<br />

vermutlich wird nur ein paar<br />

Handverlesenen das Glück<br />

beschert, von ihrer Bestimmung<br />

so klar geführt zu werden.<br />

Als Nina Corti nämlich einmal<br />

mit 17 aus Jux einer Freundin<br />

in eine Flamencoschule<br />

folgte, da wusste sie sofort:<br />

Der Flamenco gehört zu ihr.<br />

So einfach war das. «Ich hatte<br />

das Gefühl, diesen Rhythmus<br />

schon lange zu kennen», fährt<br />

sie fort. Und: Wenn man offen<br />

durch die Welt ginge, dann<br />

finde ein jeder sein Schicksal.<br />

Sie tanzt in Jeans zu Jazz<br />

Die Stylistin zupft ein paar<br />

widerspenstige Locken<br />

zurecht, die sich hochgesteckt<br />

nicht recht kringeln wollen.<br />

Noch flugs der Haarspray,<br />

fertig. Jetzt das Make-up.<br />

Genau wie Maske und<br />

Kostüme, die Nina Corti im<br />

übrigen selber schneidert,<br />

sind auch die Tanzschritte und<br />

Körperbewegungen Programm.<br />

«Das meiste ist einstudiert.<br />

Wenn ich eine neue<br />

Choreographie übe, trainiere<br />

ich an die fünf Stunden am<br />

Tag», so Nina Corti, dieweil<br />

sich ihr Teint unter den Händen<br />

des Schminkprofis langsam<br />

zu demjenigen wandelt, das<br />

aller Welt vertraut ist. «Die<br />

traditionellen Schritte müssen<br />

unbedingt stimmen. Erst wenn<br />

man den Flamenco in seiner<br />

Ursprünglichkeit begriffen<br />

hat, kann man ihn neu interpretieren.»<br />

Das gewisse Etwas an<br />

Nina Cortis Tanz macht indes<br />

gerade die Improvisation<br />

aus, ihr spontaner Ausdruck<br />

von Gefühlen – jenseits der<br />

gelernten Technik. Doch diese<br />

künstlerische Freiheit ist<br />

nicht nach jedermanns Gusto.<br />

Für die Traditionshüter ist<br />

Nina Cortis Arbeit das dreiste<br />

Werk einer Abtrünnigen.<br />

Dass sie in abgewetzten Jeans<br />

auftritt, ist schon allerhand.<br />

Dass sie sich aber nicht<br />

mit Gitarre und Kastagnetten<br />

begnügen kann und gar<br />

zu zeitgenössischem Jazz<br />

tanzt, geht entschieden<br />

zu weit. Glücklicherweise stört<br />

das keinen der Gäste, die<br />

sich Abend für Abend an Nina<br />

Cortis Tanz kaum sattsehen<br />

können, in der Musik schwelgen<br />

und sich im siebten<br />

Himmel wähnen, wenn die<br />

Umjubelte unter frenetischem<br />

Applaus den Rufen nach<br />

Zugaben nachgibt.<br />

Wunderschön und sehr<br />

spanisch sieht sie jetzt aus –<br />

bereit für die Fotoaufnahmen.<br />

Die Stylistin hat ihre Schuldigkeit<br />

getan und versorgt<br />

die letzten ihrer tausend Farbtöpfchen.<br />

Verflogen ist das<br />

Alltagsgesicht, verschwunden<br />

die Unscheinbarkeit einer<br />

Durchschnittsfrau, die am<br />

liebsten in ihrem Garten<br />

im Zürcher Säuliamt Unkraut<br />

jätet. Bevor sie sich nach<br />

den Anweisungen der Fotografin<br />

in Szene setzt, fügt sie<br />

noch bei: «Es ist mir ein<br />

Bedürfnis, viel Gefühl rüberzubringen.<br />

Nach der Vorstellung<br />

sollen die Leute<br />

sagen: ‹Ach, war das schön!<br />

Davon kann ich noch eine<br />

Weile zehren.›»<br />

Im März treten Nina Corti und ihr Ensemble mit dem neuen<br />

Programm «Primavera» in der Schweiz auf. Die CREDIT SUISSE<br />

veranstaltet die Tournee.<br />

TOURNEEPLAN:<br />

14.3. Luzern . . . . . . . . . . Kultur- und Kongresszentrum<br />

15.3. Biel . . . . . . . . . . . Kongresshaus<br />

16.3. Olten . . . . . . . . . . Stadttheater<br />

17.3. Baden . . . . . . . . . Kurtheater<br />

18.3. Rapperswil/Jona. . Gasthof Kreuz<br />

19.3. Fribourg . . . . . . . . Aula Magna, Université<br />

20.3. Vevey . . . . . . . . . . Théâtre de Vevey<br />

21.3. Sion . . . . . . . . . . . Salle de la Matze<br />

22.3. Bern . . . . . . . . . . . Kursaal<br />

23.3. St.Gallen . . . . . . . Tonhalle<br />

24.3. Chur. . . . . . . . . . . Stadttheater<br />

25.3. Zürich . . . . . . . . . Theater Stadthof 11<br />

26.3. Zürich . . . . . . . . . Theater Stadthof 11<br />

27.3. Locarno . . . . . . . . Teatro di Locarno<br />

28.3. Lugano. . . . . . . . . Palazzo dei Congressi<br />

29.3. Grenchen. . . . . . . Parktheater<br />

30.3. Basel . . . . . . . . . . Musical-Theater<br />

31.3. Zug . . . . . . . . . . . Theater Casino<br />

Ticketphone:<br />

(01) 269 81 81 oder alle Vorverkaufsstellen<br />

Infos und Links zu Nina Corti: BULLETIN |<br />

ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin


KRISE HIN ODER HER –<br />

DER LEDERBALL IST UND<br />

BLEIBT DAS LIEBSTE<br />

SPIELZEUG DES<br />

WELSCHEN GC-KICKERS.<br />

TRAINER, TRÄNEN<br />

UND TROPHÄEN<br />

HOCHGEJUBELT UND FALLENGELASSEN –<br />

JOHANN VOGEL HAT SCHON VIEL ERLEBT.<br />

den bekam ich dann mit Rolf<br />

Fringer. Ein 30jähriger Spieler<br />

kann mit seiner Erfahrung<br />

Krisen sicher besser und<br />

schneller bewältigen als ein<br />

junger. Ich jedenfalls habe<br />

einfach meine Zeit gebraucht.<br />

BETTINA JUNKER Einst wurden Sie<br />

als Wunderkind des Schweizer<br />

Fussballs gehandelt. Dann<br />

plötzlich folgte der Euphorie<br />

die Ernüchterung. Was ist<br />

passiert ?<br />

JOHANN VOGEL Der Leistungsdruck<br />

nach meinem<br />

EM-Hoch 1996 war enorm.<br />

Zudem ist es halt immer<br />

schwieriger, einen Erfolg, den<br />

man bereits erzielt hat, zu<br />

bestätigen. Das ist eine Frage<br />

der Motivation: Man strengt<br />

sich eher für etwas an, das<br />

man sich lange herbeigesehnt<br />

hat, als für bereits Erreichtes.<br />

Nach meinem Erfolg konnte<br />

ich die Erwartungen nicht<br />

mehr erfüllen und wurde dafür<br />

INTERVIEW: BETTINA JUNKER, REDAKTION BULLETIN<br />

von den Medien von dem<br />

Sockel runtergestossen, auf<br />

den sie mich zuvor gehievt<br />

hatten.<br />

B.J. Wie haben Sie das emotionale<br />

Wechselbad verkraftet ?<br />

J.V. Nach der EM fiel ich in<br />

ein Tief. Ich bin sehr sensibel,<br />

und die ganze Kritik ging nicht<br />

spurlos an mir vorbei. Mit<br />

der Zeit habe ich die Berichterstattung<br />

über mich in den<br />

Zeitungen gar nicht mehr gelesen.<br />

Die Freude am Fussball<br />

ist mir fast vergangen; ich<br />

kam jeweils morgens ziemlich<br />

lustlos ins Training. Als ich<br />

ganz oben war, hatte ich jede<br />

Menge Kollegen und Freunde;<br />

als die Erfolge ausblieben,<br />

verschwanden die meisten.<br />

Da weisst du plötzlich, wer<br />

wirklich auf deiner Seite steht<br />

und wer nicht. Es gibt so viele<br />

Leute im Fussballbusiness,<br />

denen es nicht primär um den<br />

Menschen geht.<br />

B.J. Wer hat Sie wieder aufgerichtet<br />

?<br />

J.V. Ein Trainerwechsel war<br />

nötig, damit ich wieder auf<br />

Erfolgskurs kam. Ich wurde<br />

während meiner 18monatigen<br />

Krise zuwenig betreut und<br />

unterstützt. Ich hätte einen<br />

Trainer gebraucht, der mir Verantwortung<br />

überträgt und<br />

voll auf mich setzt. Und genau<br />

B.J. Was ist denn das für eine<br />

Beziehung zum Trainer ?<br />

J.V. Der Trainer kann nicht<br />

ein Kollege sein – er ist der<br />

Chef. Ich setze diese Grenze<br />

und konzentriere mich auf<br />

den beruflichen Kontakt mit<br />

ihm; eine Privatbeziehung<br />

gibt es nicht. Man sieht sich<br />

jeden Tag, aber immer nur bei<br />

der Arbeit auf dem Fussballplatz.<br />

Klar, da reden wir viel<br />

miteinander, denn schliesslich<br />

gibt’s keine Organisation ohne<br />

Kommunikation.<br />

B.J. Wie steht’s um Sie heute ?<br />

J.V. Im Augenblick geht’s<br />

mir gut. Im letzten Jahr war<br />

ich viel unterwegs. Ich habe<br />

bereits im Januar mit dem<br />

Training angefangen, dann<br />

kam die Sport-RS dazwischen.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


Darauf blieben mir nur zehn<br />

Tage Ferien, bis das Training<br />

wieder anfing. Und das ging<br />

dann volle Pulle bis im Dezember.<br />

Überall war ich dabei:<br />

Nati, Europacup, Schweizer<br />

Meisterschaften. Am 25. Februar<br />

1999 fängt das Training<br />

für die Finalrunde an, und ich<br />

bin zuversichtlich.<br />

B.J. Verraten Sie Ihre Zukunftspläne<br />

?<br />

J.V. Als Schweizer Spieler<br />

ist es klar, dass ich mal<br />

ins Ausland wechseln möchte.<br />

Aber der Club darf nicht<br />

weniger gut sein als GC. Von<br />

meiner Art her, wie ich Fussball<br />

spiele, wäre Spanien oder<br />

Italien ideal – einfach ein<br />

südliches Land. Aber konkrete<br />

Pläne für die nächsten<br />

zwei oder drei Jahre habe ich<br />

nicht. Ich bin mit Fussball<br />

aufgewachsen und habe den<br />

Fussball einfach im Blut.<br />

Auch wenn ich einmal nicht<br />

mehr spiele, würde ich<br />

gerne in diesem Geschäft<br />

weiterarbeiten.<br />

B.J. Gibt’s in Ihrem Leben noch<br />

was anderes als Fussball ?<br />

J.V. Im Moment lerne ich<br />

Italienisch und Englisch. Wenn<br />

ich genug Freizeit habe, treffe<br />

ich meine alten Kollegen aus<br />

Genf; das macht mir Freude.<br />

Natürlich habe ich mittlerweile<br />

auch hier meinen Freundeskreis,<br />

nach fast sieben Jahren<br />

in Zürich. Zudem stammt<br />

auch meine Freundin aus<br />

der Deutschschweiz. Aber vor<br />

allem meine alten Freundschaften<br />

bedeuten mir sehr<br />

viel: Ob ich morgen Weltmeister<br />

werde oder den Fuss-<br />

ball an den Nagel hänge –<br />

meine dicksten Freunde werden<br />

immer da sein. Früher<br />

bin ich noch skifahren gegangen,<br />

aber heute wegen der<br />

Verletzungsgefahr nicht mehr.<br />

Grundsätzlich lebe ich gesund.<br />

Unter der Woche baue<br />

ich mich für das Spiel am<br />

Wochenende auf. Fussball ist<br />

halt mein Beruf. Es ist für<br />

mich wichtig, dass ich jeden<br />

Tag meine Leistung bringe<br />

und am Wochenende gut<br />

spielen kann.<br />

B.J. Sie sind für Jugendliche ein<br />

Vorbild. Was würden Sie einem<br />

Teenager raten, der von einer<br />

Fussballkarriere träumt ?<br />

J.V. Ich würde ihm vor allem<br />

eins sagen: In der Schweiz<br />

kann man nicht nur auf den<br />

Fussball setzen. Man muss<br />

unbedingt eine Ausbildung<br />

haben und kann dann nebenher<br />

noch Fussball spielen.<br />

Ich selber habe trotz meiner<br />

französischen Muttersprache<br />

in Zürich eine Lehre abgeschlossen,<br />

übrigens in einer<br />

Baukeramik-Firma ganz in der<br />

Nähe vom Hardturm. Am<br />

Morgen habe ich trainiert, und<br />

dann bin ich mit dem Töffli<br />

rübergefahren nach Schlieren<br />

zur Arbeit.<br />

B.J. Was sind Ihre Prognosen<br />

für die EM-Qualifikationsspiele<br />

gegen Weissrussland und<br />

Wales ?<br />

J.V. Die Schweiz gewinnt –<br />

das ist ja klar. Wir müssen<br />

einfach sechs Punkte holen,<br />

das heisst zwei Siege. Mein<br />

Tip für Weissrussland gegen<br />

die Schweiz: 0 zu 2. Und<br />

Schweiz gegen Wales: 3 zu 1.<br />

AGENDA<br />

Aus dem Kultur- und Sportengagement von CREDIT SUISSE<br />

und CREDIT SUISSE PRIVATE BANKING<br />

BELLINZONA<br />

15.3. Jazz Classics: Franco<br />

Ambrosetti Quartet feat. John<br />

Abercrombie, Teatro sociale<br />

26.4. Jazz Classics: Cyrus<br />

Chestnut Trio feat. Stanley<br />

Turrentine, Teatro sociale<br />

GENF<br />

10.3. Jazz Classics: Jacky<br />

Terrasson Trio, Casino-Théâtre<br />

LAUSANNE<br />

28.4. Jazz Classics: Cyrus<br />

Chestnut Trio feat. Stanley Turrentine,<br />

Casino de Montbenon<br />

LES RASSES SUR STE-CROIX<br />

7.3. Langlauf: Mara,<br />

CREDIT SUISSE Loppet<br />

LUGANO<br />

27.3. Jazz Classics: Jacky<br />

Terrasson Trio, RSI Auditorium<br />

30.4. Welt Musik: Paco de Lucia<br />

e Grupo, Palazzo dei Congressi<br />

MALOJA–S-CHANF<br />

14.3. Langlauf: Engadin<br />

Skimarathon<br />

OBERGOMS<br />

7.3. Langlauf: Gommer Lauf,<br />

CREDIT SUISSE Loppet<br />

STANS<br />

20.–25.4. Stanser Musiktage<br />

ST.GALLEN<br />

13.3.–30.5. Giovanni<br />

Segantini, Kunstmuseum<br />

WINTERTHUR<br />

10.4. Nacht-OL-Schweizermeisterschaften,<br />

Hettlingen<br />

ZÜRICH<br />

12.3. Jazz Recitals: Kenny<br />

Baron & Charlie Haden Duo,<br />

Charlie Haden Quartet West,<br />

Tonhalle<br />

15.3. Welt Musik: Ruth Yaakov<br />

Ensemble, Kirche St. Peter<br />

25.3. Jazz: Dianne Reeves<br />

Group, Volkshaus<br />

25.3.–7.4. Variété-Theater,<br />

Miller Studio<br />

29.4. Jazz Recitals: Cyrus<br />

Chestnut Trio, Stanley<br />

Turrentine Trio, Kenny Drew Jr.,<br />

Tonhalle<br />

KEINER ZU KLEIN, EIN MEISTER ZU SEIN<br />

Mit 15 Jahren kam der Genfer Johann Vogel zu den Junioren<br />

des Grasshoppers Clubs. Bald war er bei den Zürchern<br />

Stammspieler, und es folgte ein steiler Aufstieg. Den Gipfel<br />

des Ruhms erreichte der damals nicht mal 20jährige an<br />

der Europameisterschaft 1996 in England, wo er als stärkster<br />

Spieler neben Türkyilmaz und Sforza glänzte. Doch<br />

wie gewonnen, so zerronnen – der Erfolg blieb aus, und<br />

der Jubel verhallte. Dann kam der Abstieg: Vogel wirkte<br />

plötzlich ausgebrannt, steckte einen Rückschlag nach<br />

dem andern ein und verletzte sich sogar. Die Krise war tief<br />

und dauerte an. Doch jetzt scheint Johann Vogel wieder<br />

auf dem Weg nach oben.<br />

Als Hauptsponsor des SFV unterstützt die CREDIT SUISSE<br />

auch die Qualifikationsspiele der Schweizer Nationalelf<br />

für die Europa-Meisterschaft.<br />

27.3.99 Weissrussland–Schweiz in Minsk<br />

31.3.99 Schweiz–Wales im Zürcher Hardturm<br />

Tickets für das Spiel in Zürich über Fastbox 0848 800 800.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


MAGAZIN<br />

60<br />

«ICH GLAUBE AN MEIN<br />

PUBLIKUM»<br />

VON LUKAS EGLI, REDAKTION BULLETIN-ONLINE<br />

MARTIAL KNÄBEL LÄDT ZUM<br />

«FESTIVAL DES FILMS DU SUD».<br />

«HOLLYWOOD IST<br />

DER TOD DER<br />

FILMSPRACHE.»<br />

MARTIAL KNÄBEL,<br />

FILMFESTIVAL-<br />

DIREKTOR VON<br />

FREIBURG.<br />

Ein Jahr lang hat man an der<br />

Rue de Locarno in Freiburg<br />

nach festem Boden gesucht.<br />

Die Bagger verschwanden<br />

immer tiefer in der Baugrube,<br />

bis sie endlich auf soliden<br />

Grund stiessen. Der mächtige<br />

Stahlbeton-Bürokomplex<br />

und die frisch asphaltierte<br />

schwarze Strasse vermögen<br />

über diese Mühen nicht hinwegzutäuschen;<br />

die Strasse<br />

ist eigenwillig gewellt, durchsetzt<br />

mit Buckeln, die man<br />

anderenorts für teures Geld zur<br />

Verkehrsberuhigung anbringt.<br />

An dieser widerspenstigen<br />

Rue de Locarno befinden sich<br />

die Büros des Internationalen<br />

Filmfestivals von Freiburg.<br />

Auch Martial Knäbel, der<br />

Festivaldirektor, musste lange<br />

den Untergrund absuchen, bis<br />

sich sein Filmfestival etablierte.<br />

In vier von Papier überstellten<br />

Büroräumen organisieren der<br />

feingliedrige Mann und sein<br />

vierköpfiges Team ein höchst<br />

aussergewöhnliches Spektakel.<br />

Was 1980 als Ciné-Club<br />

für Dritte-Welt-Filme begann,<br />

nennt sich seit 1992 selbstbewusst<br />

«Festival des Films du<br />

Sud». In den Anfangsjahren<br />

noch ein Anlass «für militante<br />

Dritte-Welt-Kämpfer, Freizeitmissionare<br />

und pensionierte<br />

Nonnen», wie es Knäbel<br />

schalkhaft bezeichnet, präsentiert<br />

sich das Festival heute<br />

als international bekannte,<br />

qualitativ hochstehende Auswahl<br />

von Filmen aus Asien,<br />

Afrika und Südamerika.<br />

Reisen als Programm<br />

«Zuerst zeigten wir Filme, die<br />

in europäischen Cinetheken<br />

greifbar waren. Doch dieses<br />

Kontingent war innert kürzester<br />

Zeit ausgeschöpft», erzählt<br />

er leise. Mit viel Geduld<br />

machte sich der gebürtige<br />

Strassburger daran, Kontakte<br />

zu anderen Festivals und zu<br />

Regisseuren in der südlichen<br />

Hemisphäre zu knüpfen. In unermüdlicher<br />

Kleinarbeit baute<br />

er sein Netzwerk aus. Heute<br />

ist Reisen neben der Programmgestaltung<br />

seine<br />

Hauptbeschäftigung. «Wenn<br />

ich in Cannes bin, rollt man<br />

mir zwar keinen roten Teppich<br />

aus», kommentiert er schmunzelnd<br />

den Stellenwert von<br />

Freiburg, «aber Produzenten<br />

und Regisseure wissen, wer<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


MAGAZIN<br />

61<br />

EIN BREITES SPEKTRUM FÜR LIEBHABER<br />

Die 13. Ausgabe des «Festival International de Films de Fribourg»<br />

findet vom 7. bis 14. März 1999 in Freiburg statt.<br />

Am diesjährigen Spielfilm-Wettbewerb beteiligen sich elf<br />

Produktionen. Ausserdem feiert das Festival mit einer<br />

Carte Blanche die zehnjährige Aktivität des Verleihs trigonfilm<br />

und präsentiert ein Panorama des kasachischen Films<br />

der neunziger Jahre. Die CREDIT SUISSE ist am Festival als<br />

Sponsorin beteiligt.<br />

Weitere Informationen unter Telefon 026 322 22 32 und auf<br />

dem Internet unter www.fiff.ch<br />

ten 20 000 Interessierte die<br />

Filmvorstellungen in der Universitätsstadt<br />

Freiburg, die<br />

selbst nur 34 000 Einwohner<br />

zählt. Im Vergleich zu 1997<br />

bedeutet das eine Zunahme<br />

von 30 Prozent.<br />

Kraft der Unabhängigkeit<br />

Das Publikum, das aus der<br />

Schweiz und Europa anreist,<br />

nimmt das anspruchsvolle<br />

Programm dankbar auf. Doch<br />

als Protestveranstaltung will<br />

der Nonkonformist Knäbel<br />

sein Festival keinesfalls verstanden<br />

wissen. Eher sieht er<br />

darin eine Alternative zum zunehmend<br />

homogenen, von<br />

Hollywood geprägten Kino.<br />

«Als Milos Forman noch in Europa<br />

drehte, zeigte er starke<br />

Filme. Seit er in den USA<br />

produziert, verlieren seine Bilder<br />

an Kraft», ereifert sich der<br />

Direktor. An seinem kleinen<br />

Schreibtisch und auf seinen<br />

Reisen betreibt er aktiven Widerstand<br />

gegen diese Vereinheitlichung<br />

der Filmsprache.<br />

«Nur wenn das unabhängige<br />

Kino überlebt, bleibt das Kino<br />

lebendig», sagt er dezidiert.<br />

Leider stiessen aber die Filme<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber<br />

CREDIT SUISSE, Postfach 100, 8070 Zürich<br />

Telefon (01) 333 1111, Fax (01) 3325555<br />

Redaktionssekretariat: Rosmarie Schultheiss, Telefon (01) 3337394,<br />

Fax (01) 3336404, E-Mail-Adresse: bulletin@credit-suisse.ch,<br />

Internet: www.credit-suisse.ch/bulletin<br />

Redaktion<br />

Christian Pfister (Leitung), Andreas Thomann, Bettina Junker;<br />

Bulletin-online: Lukas Egli, Thomas Hauser, Thomas Ströhla<br />

Gestaltung<br />

www.arnolddesign.ch<br />

Urs Arnold, Karin Bolliger, Adrian Goepel, Alice Kälin, Muriel Lässer,<br />

Esther Rieser, Andrea Studer, Bea Neresheimer (Assistenz)<br />

Fotos<br />

Pia Zanetti (S. 1, 4–27, 30–61),<br />

Rainer Wolfsberger (S. 24–27), Esther Rieser (S. 2, 63), PhotoDisc<br />

Litho/Druck<br />

NZZ Fretz AG/Zollikofer AG<br />

ich bin.» Als Entdecker von<br />

Talenten will er sich nicht bezeichnen.<br />

Seine Aufgabe sieht<br />

er vielmehr im kontinuierlichen<br />

Kulturaustausch.<br />

«Ich träume viel», offenbart<br />

Knäbel, obwohl er eher wie<br />

ein Macher wirkt. Hingen da<br />

nicht zwei Brillen an seinem<br />

Hals, könnte man ihn in seinen<br />

Jeans und seinem Wollpullover<br />

glatt für einen Handwerker<br />

halten. Vom Filmhandwerk<br />

erwartet er viel: Die Werke<br />

sollen eine Authentizität vermitteln,<br />

sollen Geschichten in<br />

ihrem Umfeld zeigen, sich<br />

aktueller Themen annehmen<br />

und latente Probleme bewusst<br />

machen. Und sie sollen originell<br />

sein in ihrer Umsetzung.<br />

«Die Ausdrucksformen südlicher<br />

Kulturen sind uns zum<br />

grössten Teil fremd. Ein Afrikaner<br />

erzählt seine Geschichte<br />

anders als ein Amerikaner.<br />

Das ist eine enorme Bereicherung»,<br />

präzisiert Knäbel<br />

seine Überzeugung.<br />

Obwohl es schwerer fällt,<br />

in fremde Geschichten und Erzählweisen<br />

einzudringen, gibt<br />

der Publikumserfolg seiner Offenheit<br />

recht. 1998 besuchaus<br />

dem Süden auf wenig Resonanz<br />

in den Medien. Es sei<br />

eben einfacher, einen bekannten<br />

Regisseur zu besprechen,<br />

als sich auf einen unbekannten<br />

einzulassen. Dem Trend<br />

zum Trotz lässt Knäbel sich<br />

nicht beirren. Konsequent gestaltet<br />

er mit seinem Team ein<br />

vielseitiges multikulturelles<br />

Festival und zeigt eine Auswahl<br />

der Filme als Zyklus in<br />

europäischen Städten.<br />

In den engen Büros an der<br />

Rue de Locarno prallen Welten<br />

aufeinander. Neben Papierbergen<br />

surrt ein Laptop;<br />

während die linke Hand eine<br />

filterlose Zigarette zum Mund<br />

führt, hantiert die Rechte mit<br />

dem Handy. Der Mann, der zu<br />

jung ist, um als Kauz zu gelten,<br />

und zu alt für einen Freak,<br />

kennt keine Berührungsängste.<br />

«Wenn wir heute mit<br />

Sponsoren zusammenarbeiten,<br />

dann nicht nur, um zu Geld<br />

zu kommen, sondern auch,<br />

um die Verbindung zwischen<br />

Wirtschaft und Kultur nicht<br />

abbrechen zu lassen», sagt<br />

der realistische Idealist. Kultur<br />

und Wirtschaft seien eng<br />

miteinander verflochten. «Eine<br />

Wirtschaft bleibt nur lebendig,<br />

wenn es ein Kulturleben gibt.<br />

Der Reichtum der Börse<br />

macht nicht den Reichtum der<br />

Welt.» Doch so wichtig wie die<br />

Verbindung zur Wirtschaft ist<br />

Knäbel die ideelle Unabhängigkeit<br />

von ihr. Wie Cannes<br />

Hollywoodfilme zu zeigen,<br />

käme für ihn nicht in Frage;<br />

ein Zugeständnis an den vermeintlichen<br />

Publikumswillen<br />

ist kein Thema: «Ich glaube an<br />

mein Publikum.»<br />

Redaktionskommission<br />

Dr. Daniel Mollet (Unternehmenskommunikation), Ruth Stadelmann<br />

(Media Relations), Fritz Stahel (Economic Research), Samuel Holzach<br />

(Marketing Services)<br />

Erscheint im 104. Jahrgang (6 ´ pro Jahr in deutscher und französischer<br />

Sprache). Nachdruck nur gestattet mit dem Hinweis «Aus dem BULLETIN<br />

der CREDIT SUISSE».<br />

Adressänderungen<br />

Adressänderungen bitte schriftlich und unter Beilage des Original-<br />

Zustellcouverts an Ihre CREDIT SUISSE-Geschäftsstelle oder an:<br />

CREDIT SUISSE, Abt. Cif 24, 8070 Zürich<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


CARTE BLANCHE:<br />

GIANFRANCO COTTI<br />

SHAREHOLDER UND STAKEHOLDER<br />

VALUE SIND WIE DIE ZWEI SEITEN<br />

DESSELBEN SCHAUFENSTERS<br />

GIANFRANCO COTTI,<br />

MITGLIED DES VERWALTUNGSRATES<br />

DER CREDIT SUISSE<br />

«<br />

In geschäftlichen Kreisen und insbesondere<br />

im Verwaltungsrat wird man immer wieder<br />

mit den Fragen konfrontiert: Was ist die<br />

Aufgabe eines Verwaltungsrates ? Welche<br />

Ziele soll er verfolgen ? Wer ist berechtigt,<br />

an eine Unternehmung Forderungen zu<br />

stellen ? Immer noch aktuell ist die Frage<br />

der Gegenüberstellung des eigentümerbezogenen<br />

Shareholder Values mit dem gesellschaftsorientierten<br />

Stakeholder Value.<br />

Wie sollen sich die Unternehmungen in<br />

einem marktwirtschaftlichen System bewegen<br />

? Welche ist ihre Rolle ? Gerade die<br />

Banken mit ihrer zentralen Funktion im Wirtschafts-<br />

und Geldkreislauf stehen in dieser<br />

Diskussion im Mittelpunkt. Die Antworten<br />

fallen vielschichtig und nicht eindeutig aus.<br />

Shareholders und Stakeholders bilden<br />

schliesslich ein Ganzes im Wirtschaftsraum.<br />

In erfolgreichen Volkswirtschaften<br />

geht man auf die Erwartungen aller Beteiligten<br />

ein. Es ist unmöglich, Shareholder<br />

Value nachhaltig zu maximieren, wenn man<br />

den Konsumenten schlechte Ware anbietet,<br />

die Arbeitnehmer mit tiefen Löhnen<br />

«ausbeutet» oder die Ansprüche der öffentlichen<br />

Hand negiert. Es braucht die<br />

Unterstützung all dieser Beteiligten, um<br />

dauerhaft unternehmerischen Wert zu<br />

schaffen. Der Erfolg eines Unternehmens<br />

hängt ja weitgehend sowohl von der Weitsicht<br />

der leitenden Gremien wie auch vom<br />

Können und Einsatz seiner Mitarbeiter und<br />

Mitarbeiterinnen ab, die jedoch nur dann<br />

herausragende Leistungen erbringen,<br />

wenn sie motiviert sind und sich mit ihrem<br />

Unternehmen identifizieren. Und schliesslich<br />

soll auch die öffentliche Hand, welche<br />

weitgehend, wenn nicht ausschliesslich,<br />

die Rahmenbedingung festlegt, zu ihrem<br />

Recht kommen. Das Aktionariat darf sich<br />

deshalb nicht isolieren und im Alleingang<br />

handeln. Es liegt durchaus in seinem Interesse,<br />

dass die Stakeholders in einem Umfang<br />

am Gewinn partizipieren – sei dies direkt<br />

oder indirekt –, welcher das Ansehen<br />

des Unternehmens in der Gesellschaft<br />

und besonders bei den Kunden gewährleistet<br />

und erhöht. Nur so wird es dem<br />

Unternehmen gelingen, seine wirtschaftlichen<br />

Ziele nachhaltig und langfristig zu<br />

erreichen. Shareholder und Stakeholder<br />

Value sind wie die zwei Seiten eines und<br />

desselben Schaufensters, einmal von innen<br />

und einmal von aussen betrachtet. Die<br />

Effizienz, die Organisation und die operativen<br />

Aspekte gehören zu den wichtigsten<br />

Werten eines Unternehmens. Sie sind<br />

jedoch wertlos ohne die gesellschaftliche,<br />

die politische und insbesondere die menschliche<br />

Dimension.<br />

Beide Sichtweisen, die eigentümerbezogene<br />

und die gesellschaftsorientierte,<br />

dürfen nicht extrem und einseitig interpretiert<br />

werden oder gar als Gegensätze<br />

betrachtet werden. Shareholder- und Stakeholder-Optik<br />

müssen gemeinsame Ziele<br />

verfolgen. Wird dies unterlassen, kann es<br />

unerwünschte und gefährliche Folgen nach<br />

sich ziehen, etwa dann, wenn im Namen<br />

der gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen<br />

Verantwortung die Erhaltung nicht<br />

mehr lebensfähiger Strukturen gefordert<br />

wird.<br />

Die Optik des Shareholders muss deshalb<br />

in diejenige des Stakeholders integriert<br />

werden. Dies ist die Aufgabe des Verwaltungsrates.<br />

Weil er aus Personen unterschiedlicher<br />

Herkunft und Ausrichtung<br />

und mit verschiedenen Erfahrungen besteht,<br />

ist er qualifiziert, die Ansprüche der<br />

interessierten Kreise einander gegenüberzustellen,<br />

zu gewichten und zu berücksichtigen.<br />

Nur so ist der Verwaltungsrat<br />

imstande, seine Aufgaben erfolgreich<br />

wahrzunehmen, sei es bei der Konzipierung<br />

einer Strategie, die zum Erfolg<br />

»<br />

führt,<br />

sei es bei der dynamischen Oberaufsicht.<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99


EINE CREDIT SUISSE-MITARBEITERIN WAGT DEN BALANCEAKT.<br />

KANTINE «ALFRED-ESCHER-HAUS»,<br />

CREDIT SUISSE, ZÜRICH, 11.55 UHR.

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