Flexibilität
Credit Suisse bulletin, 1999/01
Credit Suisse bulletin, 1999/01
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DAS MAGAZIN DER CREDIT SUISSE<br />
FEBRUAR/MÄRZ 1999<br />
BULLETIN<br />
1<br />
FINANZMARKT<br />
EUROPA SCHLÄGT<br />
IM NEUEN TAKT<br />
SORGENBAROMETER 1998<br />
DAS PLAGT<br />
DIE EIDGENOSSEN<br />
FLAMENCOSTAR NINA CORTI<br />
EINE LEKTION IN SACHEN<br />
LEIDENSCHAFT<br />
DIE WIRTSCHAFT SETZT AUF<br />
FLEXIBILITÄT
DIE BANK ALS BIENENHAUS: ES HERRSCHT EIN EMSIGES<br />
KOMMEN UND GEHEN.<br />
CREDIT SUISSE-ZENTRUM ÜETLIHOF, ZÜRICH, 8.27 UHR.
INHALTSVERZEICHNIS<br />
3<br />
SCHWERPUNKT<br />
4 FLEXIBILITÄT | Ein Phänomen scheidet die Geister<br />
11 MACHT DER GEFÜHLE | Wie verhalten sich Anleger ?<br />
14 NEUE ARBEITSZEITMODELLE | Exklusivumfrage<br />
18 FLEXIBLE MENSCHEN | Sie biegen und dehnen sich<br />
24 LOYALITÄT ADE | Das Marketing ist gefordert<br />
NEWS<br />
28 FONDS-SPARPLAN | So bauen Sie Ihr Vermögen auf<br />
WEGE ZUR HYPOTHEK | Internet, Telefon, Winterthur<br />
29 EURO-KONTO | Finanzielle Drehscheibe fürs Euroland<br />
BULLETIN-ONLINE | Ein Traditionsblatt geht ins Netz<br />
ECONOMIC RESEARCH<br />
30<br />
34<br />
EUROPAS BANKEN | Der Umbruch hat begonnen<br />
WIE STABIL IST DER EURO? | Experten nehmen Stellung<br />
37 UNSERE PROGNOSEN ZUR KONJUNKTUR<br />
38<br />
40<br />
AKTIENANLAGEN | Zwischen Risiko und Rendite<br />
IMMOBILIENBRANCHE | Ein Markt hat Schlagseite<br />
43 UNSERE PROGNOSEN ZU DEN FINANZMÄRKTEN<br />
SCHAUPLATZ<br />
44 INFORMATIONSFLUT | Bruno Bonati im Gespräch<br />
STUDIE<br />
46 SORGENBAROMETER | Realismus macht sich breit<br />
WIE FLEXIBEL<br />
SIND WIR ?<br />
WIE FLEXIBEL<br />
SOLLEN WIR SEIN ?<br />
DAS BULLETIN<br />
HAT SICH AN DIE FRAGEN<br />
HERANGESCHLICHEN.<br />
SERVICE<br />
50 BARGELDLOS GLÜCKLICH | Das Plastikgeld boomt<br />
54 ORIENTIERUNG | Flowteams erobern die Arbeitswelt<br />
MAGAZIN<br />
56<br />
58<br />
NINA CORTI | Zürcher Lady tanzt den Flamenco<br />
JOHANN VOGEL | Trainer, Tränen und Trophäen<br />
59 AGENDA<br />
60 FILMFESTIVAL FREIBURG | Wo der Südwind weht<br />
60 IMPRESSUM<br />
CARTE BLANCHE<br />
62 SHAREHOLDER UND STAKEHOLDER | Gianfranco Cotti<br />
INHALT<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
TOTAL FLEXIBEL<br />
FLEX<br />
FÜR SESSELKLEBER UND LERNRESISTENTE:<br />
SCHLECHTE ZEITEN<br />
DIE WIRTSCHAFT BLÄST ZUR ABSOLUTEN<br />
FLEXIBILITÄT. DIE CREDIT SUISSE SIEHT DARIN<br />
GROSSE CHANCEN.<br />
VON CHRISTIAN PFISTER, REDAKTION BULLETIN
SCHWERPUNKT<br />
5<br />
Betrieb. Rund 400 Zuhörerinnen und<br />
Zuhörer drängten sich ins Auditorium. Sie<br />
kamen, um den Mann referieren zu hören,<br />
der mit seinem Buch «Der flexible Mensch»<br />
seit Monaten auf den Bestsellerlisten zu<br />
finden ist: Richard Sennett, seines Zeichens<br />
amerikanischer Starsoziologe und<br />
kritischer Beobachter der menschlichen<br />
Spezies.<br />
Und so brillant sein Vortrag, so düster<br />
seine These: Die <strong>Flexibilität</strong>, zu der die<br />
Arbeitswelt immer mehr Menschen zwingt,<br />
zerstöre den Charakter; blindlings folge<br />
die Gesellschaft dem Ideal der <strong>Flexibilität</strong>,<br />
ohne sich klar darüber zu sein, welch hoher<br />
Preis dafür zu bezahlen sei. Darum seine<br />
Fragen: «Wie können Loyalität und Verpflichtungen<br />
in Institutionen aufrechterhalten<br />
werden, die ständig zerbrechen oder<br />
immer wieder umstrukturiert werden ? Wie<br />
bestimmen wir, was in uns von bleibendem<br />
Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen<br />
Gesellschaft leben, die sich nur auf den<br />
unmittelbaren Moment konzentriert ?»<br />
Man mag Sennetts Analyse des flexiblen<br />
Kapitalismus teilen oder nicht – die Fragen,<br />
die er aufwirft, treffen den Nerv der Zeit.<br />
I BILITÄT<br />
Noch im 19. Jahrhundert taumelte der<br />
«Im Zuge des letzten<br />
Wirtschaftsbooms hat es radikale<br />
Veränderungen gegeben.<br />
Diese Veränderungen der Arbeit<br />
haben bei den Arbeitnehmern<br />
zu eindeutigen gesellschaftlichen<br />
und persönlichen Schäden<br />
geführt.» * Eigentlich war es ein Dezemberabend<br />
von vielen. Der Winter fegte mit<br />
seinem nasskalten Treiben die Menschen<br />
nach Ladenschluss in ihre warmen Stuben.<br />
Die Strassen St. Gallens waren an diesem<br />
Dienstagabend ausgestorben. Auf dem<br />
Gelände der Uni, etwas oberhalb des<br />
Stadtzentrums, herrschte hingegen reger<br />
Kapitalismus – so Sennett – an den Börsen<br />
und bei irrationalen Investitionen von Katastrophe<br />
zu Katastrophe. Für die Menschen<br />
gab es im Wirtschaftsgefüge kaum Sicherheit.<br />
Erst in den Jahrzehnten nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg brachten die hochentwickelten<br />
Länder diese Unordnung zum<br />
Teil unter Kontrolle. «Starke Gewerkschaften,<br />
die Garantien des Wohlfahrtsstaats<br />
und grosse Unternehmen schufen gemeinsam<br />
eine Ära relativer Stabilität», schreibt<br />
Sennett in «Der flexible Mensch».<br />
Das sind «tempi passati». «Die letzten<br />
vierzig Jahre waren in der Wirtschaftsgeschichte<br />
die abnormalen», wendet Peter<br />
Lienhart von der Geschäftsleitung der<br />
CREDIT SUISSE ein. «In den Zeiten davor<br />
war der Wettbewerb immer unstet und<br />
ruppig.» So gesehen ist man in der Wirtschaft<br />
heute wieder zur Normalität zurückgekehrt<br />
– und die erklärt unbarmherzig:<br />
* Die Zitate stammen von Richard Sennett, Soziologe und Autor von «Der flexible Mensch», Berlin 1998<br />
Wer nicht flexibel auf den Markt reagiert,<br />
ist bald weg vom Fenster. Auf das haben<br />
sich alle einzustellen, Berufsleute wie Unternehmen.<br />
«Die Unternehmen sind<br />
zu instabilen Einrichtungen<br />
geworden, die andauernd<br />
ihre DNS auftrennen und neue<br />
Verbindungen eingehen.<br />
Doch die fehlende Langfristigkeit<br />
kann zur Desorientierung<br />
von Individuen und Familien<br />
führen.» Die Welt war 1998 von akuter<br />
«Fusionitis» befallen. Noch nie zuvor hatten<br />
sich so viele Unternehmen mit anderen zusammengeschlossen.<br />
Das englische Wirtschaftsmagazin<br />
«The Economist» rechnete<br />
unlängst auf, dass es 1998 in bezug auf<br />
den Aktienwert der Firmen zu 50 Prozent<br />
mehr Fusionen gekommen ist als 1997;<br />
im Vergleich mit 1996 hat sich die Zahl gar<br />
verdoppelt. Kinder dieser Zeit sind in der<br />
Schweiz etwa Novartis, aber auch die<br />
CREDIT SUISSE GROUP. Und für 1999<br />
rechnet der «Economist» erneut mit einem<br />
Zuwachs. Die Botschaft für viele Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter ist unmissverständlich.<br />
Firmen werden umgekrempelt,<br />
zusammengelegt oder – wenn’s schlecht<br />
läuft – liquidiert. Eine Beruhigung ist nicht<br />
absehbar. Der Schrei nach <strong>Flexibilität</strong> wird<br />
der Wirtschaft noch längere Zeit durch<br />
Mark und Bein fahren.<br />
«Ich bin seit zwölf Jahren am Umstrukturieren»,<br />
schmunzelt Karl P. Ruoss, der in<br />
der CREDIT SUISSE das Projekt Focus<br />
durchgezogen hat. Dabei ging es um die<br />
Infos und Links zum Thema «<strong>Flexibilität</strong>»: BULLETIN |<br />
ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin
SCHWERPUNKT<br />
6<br />
Betreuung und Unterstützung der Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter, die sich nach<br />
dem Zusammengehen von Bank Leu, der<br />
Neuen Aargauer Bank, der Volksbank und<br />
der Kreditanstalt vor zweieinhalb Jahren in<br />
einem neuen Umfeld bewegen mussten.<br />
Und Ruoss’ Erfahrung und Geschick bei<br />
früheren Umstrukturierungen waren gefordert:<br />
In den vergangenen zweieinhalb<br />
Jahren hat die CREDIT SUISSE 3500<br />
Stellen abgebaut – teils durch Frühpensionierungen<br />
oder durch Neuplazieren<br />
innerhalb und ausserhalb der Bank, teils<br />
durch natürliche Fluktuation. Zu eigentlichen<br />
Entlassungen kam es nur in rund<br />
«Der flexible Kapitalismus<br />
verschiebt Angestellte abrupt von<br />
einem Arbeitsbereich in einen<br />
anderen. Das Wort ‹job›<br />
bedeutete ursprünglich einen<br />
Klumpen oder eine Ladung,<br />
die man herumschieben konnte.<br />
Die <strong>Flexibilität</strong> bringt diese<br />
vergessene Bedeutung zu neuen<br />
Ehren. Die Menschen verrichten<br />
Arbeiten wie Klumpen, mal hier,<br />
mal da.» Verschiedene Facetten entschieden<br />
in der CREDIT SUISSE über die<br />
Akzeptanz und folglich den Erfolg der<br />
neuen Strategie: Zum einen zählte die geo-<br />
LE<br />
«AM MEISTEN MÜHE MACHTE DEN MITARBEITERN<br />
DIE GEOGRAPHISCHE FLEXIBILITÄT. DAS FÜHRTE<br />
AUCH ZU UNERWÜNSCHTEN ABGÄNGEN.»<br />
KARL P. RUOSS, LEITER RESSORT PERSONELLE REALISIERUNG DER CREDIT SUISSE<br />
einen neuen Job einen längeren Anfahrtsweg<br />
oder gar einen Wohnortswechsel in<br />
Kauf zu nehmen. Hinzu kam die funktionale<br />
<strong>Flexibilität</strong>, der Wille, umzulernen und<br />
neue Aufgaben zu übernehmen. Zudem<br />
führte die Neuorientierung zur Frage der<br />
materiellen <strong>Flexibilität</strong>, der Bereitschaft,<br />
marktbedingte Saläranpassungen auch<br />
nach unten zu akzeptieren. Spezielle Anforderungen<br />
wurden an die soziale <strong>Flexibilität</strong><br />
gestellt, die Fähigkeit, neue Beziehungen<br />
zu knüpfen und sich gegenüber unbekannten<br />
Kulturkreisen zu öffnen.<br />
«Am meisten Mühe machte die geographische<br />
<strong>Flexibilität</strong>», resümiert Karl P. Ruoss<br />
seine Erfahrungen. «Das führte auch zu<br />
unerwünschten Abgängen.» Dennoch haben<br />
sich insgesamt 800 Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter für einen Wechsel des<br />
Arbeitsorts entschieden. Relativ gut stand<br />
es in den Teams der CREDIT SUISSE mit<br />
der funktionalen <strong>Flexibilität</strong>, was ein posieinem<br />
Dutzend Fällen. Ende 1998 war der<br />
Umbau abgeschlossen. Die Art und Weise,<br />
wie die CREDIT SUISSE und ihre Spezialistenteams<br />
diese schwierige Zeit gemeistert<br />
haben, brachte ihr Anerkennung ein.<br />
Die Bank gilt hier als Benchmark.<br />
Hautnah erlebte Karl P. Ruoss die<br />
Komplexität, die eine Fusion und ein Neuaufbau<br />
eines Unternehmens mit sich bringen.<br />
Nach der Umstrukturierung blieb in<br />
der CREDIT SUISSE kein Stein auf dem<br />
andern. Die neue Strategie veränderte<br />
sehr viele Berufe und Funktionen in der<br />
Firma. Neue Produkte und Vertriebskanäle<br />
wurden lanciert; allein in den Dienstleistungszentren<br />
entwarfen die Teams<br />
über 500 Arbeitsabläufe neu. «Hätten die<br />
Leute nicht mitgezogen und verstanden,<br />
warum wir diesen Weg gegangen sind,<br />
hätte die Umstrukturierung keine Chance<br />
gehabt», beschreibt Karl Ruoss diese<br />
Leistung.<br />
Und Ruoss’ Rückschau förderte einen<br />
interessanten Aspekt zu Tage: «Wir merkten<br />
schnell, wer schon mal durch einen<br />
ähnlichen Prozess gegangen ist. Wer drei<br />
Jahre keine grössere Veränderung durchgemacht<br />
hatte, bekundete viel mehr Mühe,<br />
sich anzupassen.» Es sei wie mit einem<br />
Zug: Ist er noch in Fahrt, lässt er sich<br />
besser beschleunigen; einmal gebremst,<br />
dauert das länger.<br />
XIB<br />
graphische <strong>Flexibilität</strong>, die Bereitschaft, für<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
7<br />
tives Zeichen ist für die Fitness des Unternehmens.<br />
Und in einzelnen Fällen akzeptierten<br />
Mitarbeiter auch, wenn der Stellenwechsel<br />
zu einer Lohneinbusse führte.<br />
Ein sensibles Thema ist die soziale <strong>Flexibilität</strong>.<br />
Geschäftsleitungsmitglied Peter<br />
Lienhart ist weit davon entfernt, diesen<br />
Aspekt zu unterschätzen oder zu beschönigen:<br />
«Ich selber habe innerhalb des Unternehmens<br />
einige Orts- und Stellenwechsel<br />
hinter mir. Jedesmal hinterliess ich ein Beziehungsnetz.<br />
Man zahlt für die <strong>Flexibilität</strong><br />
einen Preis, es findet eine Verarmung statt.»<br />
So oder so: <strong>Flexibilität</strong> zehrt an der<br />
Substanz. Peter Lienhart will jedoch Sen-<br />
«FLEXIBILISIEREN<br />
IST NICHT GLEICH<br />
ENTLASSEN»<br />
THOMAS KNECHT,<br />
MANAGING DIRECTOR MC KINSEY SCHWEIZ<br />
CHRISTIAN PFISTER Wie schafft man ein flexibles<br />
Unternehmen ?<br />
THOMAS KNECHT Das Topmanagement<br />
braucht eine Vision. Die Einsicht muss die<br />
ganze Firma durchdringen, dass die Veränderungen<br />
zwingend sind. Die Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter müssen für den<br />
neuen Kurs motiviert werden, sonst geht<br />
es nicht. Eine erfolgreiche Veränderung<br />
allein macht ein Unternehmen aber noch<br />
nicht flexibel.<br />
ILIT Ä T<br />
Was denn ?<br />
netts Behauptung nicht unerwidert gelten<br />
lassen, dass Unternehmen ihre Angestellten<br />
mir nichts, dir nichts in der Gegend<br />
herumschöben. Vor allem nicht im Falle der<br />
CREDIT SUISSE. «Unsere Bank war sich<br />
jederzeit im klaren: Damit die Mitarbeitenden<br />
Veränderungen bewältigen können,<br />
brauchen sie Stabilität und Sicherheit»,<br />
betont Lienhart. «Und das ist kein Widerspruch<br />
zur <strong>Flexibilität</strong>.»<br />
Diese Meinung teilt Markus Gisler, Chefredaktor<br />
der Wirtschaftszeitung «Cash»:<br />
«Die Unternehmen müssen dafür sorgen,<br />
dass die Mitarbeiter auch in Phasen der Umstrukturierung<br />
das Gefühl haben, es werde<br />
für sie geschaut. Hier machen die Firmen<br />
die grössten Fehler.» Zentral ist dabei<br />
die Art und Weise, wie die Leader in den<br />
Unternehmen ihre Ziele kommunizieren.<br />
«Die Leute haben ein Recht zu verstehen,<br />
was um sie herum abläuft», betont auch<br />
Gudela Grote, Professorin am Institut für<br />
Arbeitspsychologie der ETH Zürich. Und<br />
C.P.<br />
T.K. Voraussetzung ist, dass eine Firma<br />
eine Organisation aufbaut, in der die Marktkräfte<br />
sichtbar werden. Hat ein Unternehmen<br />
viele Leute im Backoffice, aber wenige<br />
im direkten Kundenkontakt, dann<br />
besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter<br />
den Druck und die sich verändernden<br />
Regeln des Marktes nicht mehr unmittelbar<br />
erleben. Diese Kräfte erkennbar zu<br />
machen ist eine Kunst, die nicht sehr<br />
viele Firmen beherrschen.<br />
C.P. Wie halten es Schweizer Unternehmen<br />
mit der Agilität im internationalen Vergleich?<br />
T.K. Die Mentalität der Schweizer ist<br />
nicht die agilste. Was uns aber auszeichnet,<br />
ist ein ausgesprochener Realitätssinn.<br />
Man stellt sich hierzulande der Wahrheit,<br />
auch wenn sie schmerzt. Das hilft, Veränderungen<br />
schnell und zielgerichtet voranzutreiben<br />
– wenn etwa ein Unternehmen in<br />
Schieflage gerät. Vielleicht hat diese Art<br />
mit unserer geopolitischen Lage zu tun.<br />
Umgeben von grösseren Nachbarn, waren<br />
wir immer die Kleineren, die ihre Möglichkeiten<br />
realistisch einzuschätzen hatten.<br />
C.P. Wo finden wir Vorbilder in Sachen flexible<br />
Unternehmen ?<br />
T.K. Es gibt viele kleine Unternehmen,<br />
die sich sehr schnell Trends anzupassen<br />
wissen. Namen zu nennen bringt aber<br />
nichts. Wichtiger ist, was diese auszeichnet:<br />
Sie können laufend Bestehendes in<br />
Frage stellen. Und sie machen alle die<br />
Marktkräfte sichtbar, kapseln ihre Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter nicht vom<br />
Markt ab. Zudem versuchen sie nicht<br />
einfach, die Erfolge von gestern heute zu<br />
repetieren.<br />
C.P. Mc Kinsey steht für eine erfolgreiche,<br />
konsequente Managementkultur. Bedeutet<br />
Flexibilisieren immer Entlassungen ?<br />
T.K. Unsere Arbeit hat mit Schaffen von<br />
Arbeitsplätzen zu tun. Nur ist das weniger<br />
spektakulär, um darüber in den Medien zu<br />
berichten. Klar: Der Abbau von Arbeitsplätzen<br />
kann kurzfristig durchaus eine<br />
Massnahme sein, um eine Firma neu auszurichten.<br />
Aber er ist nicht langfristig ein<br />
Rezept, um erfolgreich zu sein. Gute Unternehmen<br />
schaffen Arbeitsplätze.<br />
C.P. Ist für Sie der Zwang zur ständigen<br />
<strong>Flexibilität</strong> nicht mühsam ?<br />
T.K. Er wäre nur mühsam, wenn er<br />
nicht immer wieder zu Erfolgserlebnissen<br />
führen würde. Sobald ich merke, dass ich<br />
etwas bewirken kann, scheue ich mich<br />
nicht, Veränderungen kompromisslos voranzutreiben.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
8<br />
CHRISTIAN PFISTER Sind angesichts der heute<br />
ständig geforderten Bereitschaft, sich zu<br />
wandeln, Stabilität und langfristiges Denken<br />
wertlos ?<br />
PETER LIENHART Langfristig erfolgreich ist<br />
nur, wer laufend neue Trends erkennt und<br />
darauf rechtzeitig reagiert. Stabilität und<br />
Sicherheit jedoch bieten Voraussetzungen,<br />
damit Mitarbeitende den steten Wandel<br />
bewältigen.<br />
C.P. Die CREDIT SUISSE hat eine grosse<br />
Umstrukturierung hinter sich. Was waren<br />
für die Mitarbeitenden die grössten Nöte ?<br />
P.L. Sie mussten mit Angst und Unsicherheit<br />
fertigwerden. Unser Unternehmen<br />
reagierte darauf, indem es über die Veränderungen<br />
stets offen und klar informierte.<br />
Alle vermochten so den Sinn der<br />
neuen Strategie zu erkennen. Zudem ging<br />
es darum, Vertrauen in die neue Führung<br />
und in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen.<br />
Das beste Heilmittel ist Erfolg.<br />
C.P. Die CREDIT SUISSE setzt heute auf<br />
«employability»; sie hilft den Mitarbeitenden<br />
also, marktfähig zu sein. Tut die Bank das<br />
aus reiner Nächstenliebe ?<br />
P.L. Nein, sondern aus Verantwortung.<br />
Als Bank bewegen wir uns heute in einem<br />
rasanten Konkurrenzkampf. Früher konnte<br />
eine Bank praktisch eine Garantie geben<br />
für eine Stelle auf Lebenszeit. Damit ist es<br />
vorbei. Darum müssen unsere Mitarbeiter<br />
marktfähig sein. Das heisst nicht, dass wir<br />
sie schnell los sein wollen. Viel wichtiger<br />
ist: Wir wollen unser Geschäft mit top<br />
ausgebildeten Teams weiterbringen. Sind<br />
nämlich unsere Mitarbeiterinnen und Mit-<br />
«DAS BESTE<br />
HEILMITTEL IST<br />
ERFOLG»<br />
PETER LIENHART, MITGLIED DER<br />
GESCHÄFTSLEITUNG CREDIT SUISSE<br />
arbeiter marktfähig, so ist dies auch die<br />
CREDIT SUISSE.<br />
C.P. Was bringt <strong>Flexibilität</strong> den Mitarbeitenden<br />
?<br />
P.L. Abwechslung, Chancen und Sicherheit.<br />
C.P. Warum Sicherheit ?<br />
P.L. Ist jemand flexibel und multifunktional,<br />
dann weiss er, dass er schnell einen<br />
neuen Job finden wird. Ich wünsche mir,<br />
dass die Leute bei uns arbeiten, weil sie<br />
an unser Unternehmen glauben, aber<br />
auch aus der Überzeugung, eine super<br />
Stelle zu haben. Es kann ja nicht sein,<br />
dass Mitarbeitende bei uns sind, nur weil<br />
es ihnen an Alternativen mangelt.<br />
FLEX<br />
«MARKTFÄHIGE<br />
C.P. Wissen die Teams in der CREDIT SUISSE<br />
ob des ständigen Zwangs, sich zu wandeln,<br />
und des kurzfristigen Denkens überhaupt<br />
noch, wohin die Reise geht ?<br />
P.L. Was heisst hier kurzfristiges Denken<br />
– unsere Bank hat einen Businessplan,<br />
der auf drei Jahre angelegt ist. Wir<br />
planen also weder kurz- noch lang-, sondern<br />
mittelfristig. Was nicht ausschliesst,<br />
dass wir neue Marktchancen packen würden.<br />
Wir kommunizieren die Strategie<br />
unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
stufengerecht. Die Kommunikation ist<br />
im heutigen Umfeld ein entscheidender<br />
Punkt. Die Leute haben das Recht und<br />
den Anspruch zu verstehen, in welche<br />
Richtung sich die Firma bewegt.<br />
MITARBEITENDE HALTEN<br />
DAS UNTERNEHMEN<br />
AUF TRAB.»<br />
ALFRED SCHAUFELBERGER, LEITER DES<br />
RESSORTS PERSONAL DER CREDIT SUISSE<br />
Thomas Knecht, Chef der Unternehmensberatung<br />
Mc Kinsey Schweiz, nennt als<br />
kritischen Erfolgsfaktor einer Umstrukturierung,<br />
dass in einer Firma alle den Veränderungsbedarf<br />
erkennen und akzeptieren.<br />
«Es muss einsichtig sein, wohin die<br />
Reise geht und wie man die neue Vision<br />
für das Unternehmen umsetzen kann.»<br />
Die CREDIT SUISSE machte sich nicht<br />
einfach mit dem Zweihänder an die Umstrukturierung.<br />
Sie bot ihren Mitarbeiterinnen<br />
und Mitabeitern Hilfe, damit die<br />
Veränderung für jeden einzelnen überschaubar<br />
blieb. Schliesslich geht der<br />
Abbau von rund einem Viertel der Arbeitsplätze<br />
an keiner Firma spurlos vorbei.<br />
Wichtig war eine zukunftsweisende Strategie<br />
der Geschäftsleitung. Die Veränderungen<br />
wurden klar und kontinuierlich<br />
kommuniziert. Zudem stellte das Unternehmen<br />
Gelder zur Verfügung für Frühpensionierungen<br />
mit 56 und unterstützte<br />
Mitarbeiter, ausserhalb wie innerhalb der<br />
Bank eine gleichwertige Stelle zu finden.<br />
«Für die Mitarbeitenden schnürten wir<br />
Pakete sowohl finanzieller wie sozialer Art,<br />
damit sie die Veränderungen mit Selbstvertrauen<br />
anpacken konnten», erzählt Karl<br />
P. Ruoss.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
9<br />
«In der Arbeitswelt ist<br />
die traditionelle Laufbahn<br />
im Niedergang begriffen.<br />
Heute muss ein junger<br />
Amerikaner mit mindestens<br />
zweijährigem Studium<br />
damit rechnen, in vierzig<br />
Arbeitsjahren wenigstens<br />
elfmal die Stelle zu wechseln<br />
und seine Kenntnisbasis<br />
wenigstens dreimal<br />
auszutauschen.» Alfred Schaufelberger,<br />
Leiter des Ressorts Personal der<br />
CREDIT SUISSE, hält es mit dem Sprichwort:<br />
«Lernen ist wie Rudern gegen den<br />
«Loyalität drückt sich nicht in der Verweildauer<br />
eines Mitarbeiters aus», sagt Alfred<br />
Schaufelberger und erinnert daran, dass<br />
es langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
gibt, die innerlich gekündigt haben<br />
und entsprechend schlechtere Leistungen<br />
bringen. Ein Umdenken findet statt. Der<br />
Trend zu einem flexibleren Arbeitsmarkt<br />
lässt sich belegen: Im Computerbereich<br />
etwa betrug in den siebziger und achtziger<br />
Jahren die durchschnittliche Verweildauer<br />
25 Jahre, von 1987 bis 1991 lag sie noch<br />
bei rund acht Jahren und fiel dann bis<br />
auf rund fünf im Jahr 1993. Sesselkleber<br />
schreiben im heutigen wirtschaftlichen<br />
IBILITÄ T<br />
«VIELE LEUTE SIND NICHT SCHLECHT<br />
Strom; sobald man aufhört, treibt man zurück.»<br />
Lebenslanges Lernen ist ein Trend,<br />
den die flexible Arbeitswelt zwangsläufig<br />
fordert und fördert. Die Verfallszeit von<br />
Wissen schrumpft. Einsichten von gestern<br />
sind heute schon überholt.<br />
Die Ausgangslage ist klar: Unternehmen<br />
können ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
keine Stelle mehr auf Lebenszeit<br />
garantieren. Das zeigen Phasen der Umstrukturierung<br />
immer wieder deutlich. Es<br />
gehört deshalb zu den unternehmerischen<br />
Pflichten, die Angestellten zur Marktfähigkeit<br />
anzuhalten. «Die Firmen ihrerseits<br />
sind daran interessiert, Leute zu beschäftigen,<br />
die auch am Markt gefragt sind», erklärt<br />
Personalchef Schaufelberger. «Denn<br />
marktfähige Berufsleute sind nicht nur<br />
flexibler, sie halten auch das Unternehmen<br />
auf Trab.»<br />
Bei der CREDIT SUISSE geht man seit<br />
letztem Jahr systematisch der Frage nach,<br />
wie marktfähig die Mitarbeitenden sind.<br />
AUSGEBILDET, WEIL SIE DAS GEWOLLT HÄTTEN,<br />
SONDERN WEIL SIE KEINE GELEGENHEIT<br />
ZU EINER BESSEREN AUSBILDUNG BEKAMEN.»<br />
Geführt wird die Diskussion mit allen – vom<br />
Topkader über die Anlageberaterin bis zum<br />
Portier. «Daraus gehen sowohl die Mitarbeiterinnnen<br />
und Mitarbeiter wie unsere<br />
Firma als Gewinner hervor», betont Alfred<br />
Schaufelberger. «Die Mitarbeitenden gewinnen<br />
an Sicherheit, und die Bank verbessert<br />
mit ihrem guten Humankapital ihre<br />
Markttauglichkeit.» Die CREDIT SUISSE<br />
lässt sich darum die Aus- und Weiterbildung<br />
jährlich 44 Millionen Franken kosten.<br />
Hat in Zeiten der Flexibilisierung der<br />
loyale Langzeitangestellte ausgedient ?<br />
GUDELA GROTE, PROFESSORIN AM INSTITUT<br />
FÜR ARBEITSPSYCHOLOGIE DER ETH ZÜRICH<br />
Umfeld keine Erfolgsstories. Weder für<br />
sich selber noch für das Unternehmen.<br />
«Der Trend zu ‹nichts<br />
Langfristigem› desorientiert auf<br />
lange Sicht jedes Handeln,<br />
löst die Bindungen von Vertrauen<br />
und Verpflichtung und untergräbt<br />
die wichtigsten Elemente<br />
der Selbstachtung.» Richard Sennett<br />
führte die Zuhörerinnen und Zuhörer in<br />
St. Gallen durch ein düsteres Szenario.<br />
Vom renommierten Soziologen war kaum<br />
Infos und Links zum Thema «<strong>Flexibilität</strong>»: BULLETIN |<br />
ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin
SCHWERPUNKT<br />
10<br />
ein Hoffnungsschimmer zu vernehmen.<br />
Überdies könne er nicht in die Kristallkugel<br />
schauen und die Zukunft voraussagen;<br />
das sei nicht sein Job.<br />
Doch, ist der Mensch wirklich ein so<br />
träges und auf Gewohnheit getrimmtes<br />
Wesen, dass ihn der neue Rhythmus der<br />
Wirtschaftswelt völlig aus dem Tritt bringt ?<br />
Die Arbeitspsychologin Gudela Grote<br />
zeichnet ein anderes Bild: «Die Menschen<br />
sind grundsätzlich an Neuem interessiert.<br />
Schauen wir nur, wie sie sich beispielsweise<br />
in ihrer Freizeit engagieren, plötzlich<br />
anfangen, sich mit unterschiedlichsten<br />
Dingen zu beschäftigen – sei dies nun<br />
«TOLERANZ<br />
WIDERSPRICHT DEM<br />
RUPPIGEN STIL»<br />
MARKUS GISLER, CHEFREDAKTOR<br />
DER WIRTSCHAFTSZEITUNG «CASH»<br />
CHRISTIAN PFISTER Als Chefredaktor des<br />
«Cash» nehmen Sie der Wirtschaft den<br />
Puls. Wie lautet Ihre Diagnose in bezug auf<br />
<strong>Flexibilität</strong> ?<br />
MARKUS GISLER Die Wirtschaft ist in den<br />
letzten 15 Jahren enorm flexibel geworden.<br />
Auch die Mitarbeitenden stellen an<br />
sich und die Firmen den Anspruch, flexibel<br />
zu sein. Man hat sich verabschiedet<br />
von den herkömmlichen Formen des «nine<br />
to five»-Jobs, das heisst des Absitzens der<br />
Arbeitszeit.<br />
Münzensammeln, Tiefseetauchen oder einen<br />
Verein zu präsidieren.» Ebenso machen<br />
Untersuchungen immer wieder klar, dass<br />
Mitarbeitende etwas Sinnvolles tun wollen.<br />
Und die Wissenschafterin gibt zu<br />
bedenken: «Viele Leute sind ja nicht deswegen<br />
schlecht ausgebildet, weil sie das<br />
gewollt hätten, sondern weil sie keine<br />
Gelegenheit zu einer besseren Ausbildung<br />
bekamen.» Das bestätigt die Praxis: «Der<br />
Durchschnittsmensch ist doch nicht permanent<br />
überfordert», ereifert sich Peter<br />
Lienhart, «sondern daran interessiert, weiterzuwachsen.»<br />
Viel Positives abringen<br />
vermag dem Trend zur Flexibilisierung<br />
auch Markus Gisler vom «Cash»: «Klar<br />
erhöht Schnellebigkeit auch die Bereitschaft,<br />
Traditionen zu brechen. Aber gehört<br />
es nicht zum Reifeprozess des Menschen,<br />
dass er loslassen kann und den Mut hat,<br />
etwas Neues aufzubauen ?»<br />
CHRISTIAN PFISTER, TELEFON (01) 333 57 55;<br />
E-MAIL: CHRISTIAN.PFISTER@CREDIT-<br />
SUISSE.CH<br />
TÄTReicht das im internationalen Ver-<br />
C.P.<br />
gleich ?<br />
M.G. Die Schweiz ist eher fortschrittlich.<br />
Das deutsche Arbeitsverständnis etwa ist<br />
viel rigider. Hierarchien haben noch eine<br />
grössere Bedeutung. Dasselbe gilt für<br />
Frankreich. Prägend für die Beweglichkeit<br />
der Unternehmen ist aber auch die<br />
Branche.<br />
C.P. Führt der Abbau von Bürokratie die Mitarbeitenden<br />
automatisch zu mehr Freiheit ?<br />
M.G. <strong>Flexibilität</strong> bedingt, dass man die<br />
Verantwortung für eine Arbeit in die Hände<br />
dessen legt, der sie ausführt. Vorgesetzte<br />
kontrollieren heute nicht so sehr,<br />
wie etwas gemacht wird, sondern was<br />
herausschaut. Insofern ist die Freiheit für<br />
den einzelnen grösser geworden. Verantwortung<br />
nach unten zu delegieren bedingt<br />
natürlich, dass die Mitarbeiter sie auch<br />
wahrnehmen wollen. Es gibt immer Menschen,<br />
die nur funktionieren, wenn sie<br />
enge Leitplanken haben. Nicht jeder kann<br />
und will mit dieser Freiheit umgehen.<br />
C.P. Bringt der Zwang zur Flexibilisierung<br />
rauhere Managementmethoden ?<br />
M.G. Nein. Ein flexibles Unternehmen<br />
fördert Mitarbeitende, die ihre Arbeit so<br />
einteilen, wie diese es für richtig halten.<br />
Vom Chef erfordert das Toleranz – gerade<br />
dann, wenn er eine Arbeit anders machen<br />
würde als der Mitarbeiter. Und Toleranz<br />
widerspricht der Idee des ungehobelten<br />
Stils.<br />
C.P. Was in der flexiblen Arbeitswelt passiert,<br />
ist nicht für alle nachvollziehbar. Gerade als<br />
Journalist müssen Sie deshalb dafür sorgen,<br />
Kompliziertes verständlich darzustellen.<br />
M.G. Das geschriebene Wort hat eine<br />
grosse Macht. Dem müssen wir Rechnung<br />
tragen. Journalisten tragen dazu bei, wie<br />
die Bevölkerung denkt und fühlt. Insofern<br />
ist die Verantwortung enorm.<br />
C.P. Liegt dem Journalisten nicht die Jagd<br />
nach brisanten News, den Primeurs, mehr<br />
am Herzen ?<br />
M.G. Primeurs sind nicht per se schlecht,<br />
das möchte ich hier klarstellen. Die Frage<br />
ist jedoch, ob eine harte Kritik berechtigt<br />
ist, selbst wenn sie ein Unternehmen<br />
destabilisieren könnte. Wie Journalisten<br />
damit umgehen, dafür gibt es kein Rezept.<br />
Doch eins ist klar: Eine Meinung wird erst<br />
abgegeben, wenn ein Fall gründlich analysiert<br />
worden ist.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
11<br />
MACHT DER<br />
GEFÜHLE<br />
DAS AUF UND AB DER BÖRSEN VERLANGT VON INVESTOREN<br />
FLEXIBILITÄT. HÄUFIG KOMMT DABEI RATIONALEN<br />
ÜBERLEGUNGEN ABER EMOTIONALES IN DIE QUERE.<br />
VON MASSIMO CAVALETTO UND<br />
GREGOR HIRT, ECONOMIC RESEARCH<br />
Ökonomen von heute ziehen das Instrumentarium<br />
der modernen Finanztheorie<br />
bei, wenn sie das Geschehen an den<br />
Finanzmärkten erklären und Prognosen<br />
stellen wollen. Die Finanztheorie baut auf<br />
verschiedenen Grundannahmen auf. Eine<br />
davon ist die Hypothese effizienter Märkte,<br />
also die Annahme, dass die Märkte bei<br />
der Preisbildung sämtliche Informationen<br />
optimal berücksichtigen. Eine weitere ist<br />
das rationale Verhalten der Investoren:<br />
Man nimmt an, dass diese kohärente und<br />
nachvollziehbare Entscheidungen treffen<br />
und dass sie eine Risikoaversion haben,<br />
also risikoscheu sind.<br />
Mit diesen Hypothesen lässt sich die<br />
Realität gut und konsistent modellieren<br />
und auf anlagepolitische Handlungsempfehlungen<br />
für Investoren herunterbrechen.<br />
Doch leider ist die Sache nicht so<br />
FLEX<br />
einfach. Besonders in Zeiten hoher Verwerfungen,<br />
also Turbulenzen, ist die Aussagekraft<br />
dieses Ansatzes unzureichend,<br />
da Anleger dann dazu neigen, sich nicht<br />
mehr rational zu verhalten. Deshalb sind<br />
einige Ökonomen und Psychologen über<br />
die Bücher gegangen. Daraus ist innerhalb<br />
der Finanztheorie als relativ junger Forschungszweig<br />
die sogenannte «Behavioral<br />
Finance» entstanden. Obwohl: Behavioral<br />
Finance hat noch keinen ausgereiften<br />
theoretischen Ansatz geliefert. Bisher gibt<br />
es nur eine Aufzählung von empirisch<br />
untersuchten Situationen, wo die moderne<br />
Finanztheorie an die Grenzen der Erklärbarkeit<br />
stösst. Die Ergebnisse sind dennoch<br />
interessant.<br />
Gerade nach den Turbulenzen am vergangenen<br />
31. August rückte die Behavioral<br />
Finance wieder vermehrt in die Schlagzeilen.<br />
An einem einzigen Tag büsste der<br />
Dow Jones Index an der Wall Street 6,4<br />
Prozent ein, während der S&P 500 Index<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
12<br />
um 6,8 Prozent zurückgestuft wurde und<br />
der Nasdaq 8,6 Prozent einbrach (siehe<br />
Grafik Seite 13). Diese massiven Einbrüche<br />
haben zwar ihren Ursprung in der Russlandkrise.<br />
Wieso die Verwerfung jedoch gerade<br />
am 31. August eintraf, als es von Russland<br />
keine nennenswerten Neuigkeiten gab,<br />
vermag die moderne Finanzmarkttheorie<br />
nicht zu erklären. Diese besagt, dass der<br />
Markt nie über- oder unterbewertet sein<br />
kann, da alle relevanten Informationen im<br />
Preis enthalten sind. Behavioral Finance<br />
hält einer solchen Aussage entgegen,<br />
dass Investoren nicht rational, sondern<br />
normal beziehungsweise emotional han-<br />
Sie ziehen es vor, einen Titel mit Gewinn<br />
zu veräussern. Doch ob ein einzelner Wert<br />
mit Gewinn oder Verlust verkauft wird,<br />
ändert an der Gesamtbewertung des Portfolios<br />
nichts. Behavioral Finance kommt in<br />
diesem Fall zum Schluss, dass der Mensch<br />
eine Abneigung hat, Verlierer zu verkaufen,<br />
da er hofft, sein Titel werde in Zukunft<br />
sicher wieder zulegen. Ein ähnliches Phänomen<br />
stellt man auch bei professionellen<br />
Investoren fest. Statt die Rendite ihres<br />
gesamten Portfolios in Betracht zu ziehen,<br />
reagieren sie auf Schwankungen einzelner<br />
Titel. Während ein rationaler Anleger immer<br />
sein gesamtes Portfolio im Auge hätte,<br />
stellt der normale Investor emotionale<br />
Überlegungen über die Gewinne oder Verluste<br />
einzelner Positionen an.<br />
Zahlreiche Finanzspezialisten versuchen<br />
auch von «irrationalen Märkten» zu profitieren,<br />
um höhere Gewinne zu erzielen. Es<br />
gibt zum Beispiel Fonds, die ein «meanreversion<br />
pattern» verfolgen: Ziel dieser<br />
langfristigen Strategie ist es, in Titel zu<br />
investieren, die grosse Abweichungen<br />
gegenüber der generellen Tendenz des<br />
Marktes aufweisen. Der Leiter des Fonds<br />
deln und deshalb an den Märkten auf die<br />
verschiedenste Art getäuscht werden können<br />
(siehe Box Seite 13).<br />
Auch im Falle des Long-Term Capital<br />
Management Funds (LTCM) gelangt man<br />
zu interessanten Folgerungen. Beim LTCM<br />
handelt es sich um einen US-Risikofonds,<br />
der mit derivativen Instrumenten handelte<br />
und Ende September 1998 wahrscheinlich<br />
nur durch das Eingreifen der amerikanischen<br />
Zentralbank vor der Pleite gerettet<br />
wurde. Obwohl in der Fondsleitung auch<br />
zwei Nobelpreisträger einsassen, kam es<br />
zum Eklat. Behavioral Finance liefert dazu<br />
einfache Erklärungen: Die Verhaltenseigenschaften<br />
eines normalen, im Gegensatz<br />
zum rationalen, Investor täuschten die<br />
Urteilskraft der Fondsleitung. Zu diesen<br />
Verhaltensmustern gehört übertriebener<br />
Optimismus, der empirisch belegbar ist.<br />
Dieser ist es auch, der 80 Prozent aller<br />
Autofahrer glauben lässt, sie würden besser<br />
fahren als der Durchschnitt.<br />
In den gleichen Topf gehört das übertriebene<br />
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten,<br />
den Markt besser zu lesen als andere.<br />
Dies führt unweigerlich zur Illusion, das Geschehen<br />
unter Kontrolle zu haben. Damit<br />
lässt sich das Verhalten vieler Investoren<br />
bei hoch bewerteten Märkten erklären.<br />
Zwar befürchten viele, dass es zum Crash<br />
kommen könnte; trotzdem vertrauen sie<br />
auf ihre Fähigkeiten, die Verwerfung rechtzeitig<br />
zu erkennen und aussteigen zu können,<br />
anstatt ihre Risikoposition zu reduzieren.<br />
Andererseits bekunden zahlreiche<br />
Marktteilnehmer Mühe, einen Titel aus<br />
ihrem Portfolio mit Verlust zu verkaufen.<br />
OPTISCHE TÄUSCHUNG<br />
Gemäss Behavioral Finance funktionieren<br />
Investoren nicht rational,<br />
sondern normal beziehungsweise<br />
emotional. Deshalb können sie an<br />
den Märkten auf verschiedene Arten<br />
getäuscht werden. Die hier dargestellte<br />
optische Täuschung verdeutlicht<br />
das Argument: Beide Linien<br />
sind gleich lang; dennoch nehmen<br />
wir die eine Linie länger wahr als die<br />
andere.<br />
IBILITÄT<br />
rechnet nämlich damit, dass Titel unterbewertet<br />
sind, die während einer gewissen<br />
Zeit eine unterdurchschnittliche Rendite<br />
erzielen. Denn das Vertrauen der Marktteilnehmer<br />
wird sich nur langsam aufbauen,<br />
selbst wenn das Unternehmen aus fundamentaler<br />
Sicht wieder gesund ist. Auch<br />
kurzfristig glauben gewisse Fonds, sie<br />
könnten von der Irrationalität der Märkte<br />
profitieren. Sie verfolgen «trending patterns»:<br />
Gemäss diesen wird ein monatelang steigender<br />
Titel noch weiter zulegen, obschon<br />
er wahrscheinlich überbewertet ist. Zahlreiche<br />
Anleger würden nämlich lieber einen<br />
Verlust in Kauf nehmen, als später bereuen,<br />
den Titel nicht gekauft zu haben,<br />
wenn dieser noch weiter steigt.<br />
Die oben erwähnten Strategien haben<br />
sich manchmal als erfolgreich erwiesen,<br />
aber empirische Untersuchungen, welche<br />
die Profitabilität dieser Methoden beweisen<br />
könnten, fehlen noch. Zudem sind<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
13<br />
diese Strategien schwierig anzuwenden,<br />
da sie ein irrationales Verhalten modellhaft<br />
darstellen wollen. Statt überdurchschnittliche<br />
Performance zu erzielen, sollten An-<br />
WIE WÜRDEN SIE ENTSCHEIDEN ?<br />
leger dank der Behavioral Finance eher<br />
lernen, sich rational statt normal zu verhalten.<br />
Damit können sie nämlich Verluste<br />
verhindern. Der Investor sollte übertriebenen<br />
Optimismus vermeiden. Gefährlich<br />
sind vor allem die verzerrte und zu späte<br />
Wahrnehmung von Tatsachen, die Illusion,<br />
die Situation unter Kontrolle zu haben, und<br />
der Hang, auf Aktien mit Verlust sitzen<br />
zu bleiben und nur solche mit Gewinn zu<br />
veräussern.<br />
Geld oder Glücksspiel ?<br />
Angenommen, Sie stehen vor der Wahl: Sie können 50 Franken auf sicher haben<br />
oder an einem Glücksspiel teilnehmen, wo sie mit einer Wahrscheinlichkeit von<br />
50 Prozent 100 Franken gewinnen können. Rein rechnerisch sind beide Alternativen<br />
gleich, was dem rationalen Investor klar ist. Berücksichtigt man zusätzlich<br />
noch die Annahme der Risikoaversion, sollten Sie sich als rationaler Investor für<br />
die sicheren 50 Franken entschliessen. Behavioral Finance hat nun in empirischen<br />
Untersuchungen herausgefunden, dass viele Menschen jedoch von Emotionen<br />
getrieben das Glücksspiel wählen. Sie ziehen also das Risiko vor und verhalten<br />
sich wie ein normaler Investor.<br />
Einige Empfehlungen:<br />
– Achten Sie auf das ganze Portfolio,<br />
nicht nur auf Schwankungen einzelner<br />
Werte. Lassen Sie sich bei langfristigen<br />
Investitionen nicht von kurzfristigen<br />
Marktbewegungen beeinflussen. Verfolgen<br />
Sie die fixierte Strategie.<br />
Wieviel würden Sie zahlen ?<br />
Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einem TV-Quiz teil, wo Sie mit einer Wahrscheinlichkeit<br />
von 90 Prozent eine Weltreise im Wert von 10000 Franken gewinnen<br />
können. Der TV-Moderator gibt Ihnen nun die Gelegenheit, sich die restlichen<br />
10 Prozent Sicherheit zu erkaufen, womit sie mit 100 Prozent die Reise<br />
gewinnen würden. Wieviel sind Sie bereit zu zahlen? Aus der Warte eines rationalen<br />
Investors, also rein rechnerisch gesehen, macht es keinen Sinn, mehr als<br />
1000 Franken zu bezahlen, um das Restrisiko zu eliminieren. Empirische Untersuchungen<br />
zeigen indes, dass die meisten Leute der 90-Prozent-Wahrscheinlichkeit<br />
nicht recht trauen und weitaus mehr als 1000 Franken zu zahlen bereit<br />
sind. Sie wollen aus einem Gefühl der Unsicherheit und der Besorgnis heraus<br />
die Reise auf sicher haben. Dies entspricht dem Verhalten eines normalen<br />
Anlegers im Sinne der Behavioral Finance.<br />
IM GLEICHSCHRITT: US-BÖRSENENTWICKLUNG 1998<br />
%<br />
Dow Jones Nasdaq S&P 500<br />
140<br />
F LE<br />
– Übertriebenen Optimismus vermeiden:<br />
Langfristig ist es schwierig, den Markt<br />
zu schlagen. Auch bei kurzfristigen<br />
Investitionen ist stets die Frage angebracht,<br />
ob man wirklich besser informiert<br />
ist als der Markt.<br />
– Eigene Risikoaversion einschätzen:<br />
Versuchen Sie, sich in ähnlichen Situationen<br />
gleich zu verhalten. Wenn Sie im<br />
voraus entschieden haben, bei welchem<br />
Verlust Sie aus einer Investition<br />
aussteigen wollen, tun sie es auch. Versuchen<br />
Sie, nachher nichts zu bereuen.<br />
135<br />
130<br />
125<br />
120<br />
115<br />
110<br />
GREGOR HIRT, TELEFON (01) 333 96 48<br />
E-MAIL: GREGOR.HIRT@CREDIT-SUISSE.CH<br />
MASSIMO CAVALETTO, TEL. (01) 333 45 31<br />
MASSIMO.CAVALETTO@CREDIT-SUISSE.CH<br />
105<br />
100<br />
95<br />
90<br />
1.1.1998<br />
15.1.1998<br />
29.1.1998<br />
12.2.1998<br />
26.2.1998<br />
12.3.1998<br />
26.3.1998<br />
9.4.1998<br />
23.4.1998<br />
7.5.1998<br />
21.5.1998<br />
4.6.1998<br />
18.6.1998<br />
2.7.1998<br />
16.7.1998<br />
30.7.1998<br />
13.8.1998<br />
27.8.1998<br />
10.9.1998<br />
24.9.1998<br />
8.10.1998<br />
22.10.1998<br />
5.11.1998<br />
19.11.1998<br />
3.12.1998<br />
17.12.1998<br />
31.12.1998<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
14<br />
HER MIT FLEXIBLEN<br />
ARBEITSZEITEN!<br />
DAS BULLETIN ZEIGT EXKLUSIV<br />
DIE RESULTATE EINER STUDIE.<br />
XIBIL<br />
VON BETTINA JUNKER, REDAKTION BULLETIN<br />
Es lebe die flexible Arbeitszeit ! Heute<br />
schon setzen rund 70 Prozent der Unternehmen<br />
in der Schweiz flexible Arbeitszeitmodelle<br />
ein. Und dies täten sie wohl<br />
kaum, wenn es ihnen nicht auf die eine<br />
oder andere Weise zum Vorteil gereichen<br />
würde.<br />
Die Firmen lockern ihre starren Arbeitszeiten<br />
in erster Linie aus Gründen der<br />
Wirtschaftlichkeit – das ist nicht weiter<br />
verwunderlich. Immerhin steigen die individuelle<br />
Leistungsbereitschaft und die<br />
Arbeitsproduktivität in einem Umfeld, die<br />
dem Arbeitnehmer Freiräume gewährt.<br />
Zudem kann der Arbeitgeber Auftragsschwankungen<br />
ausgleichen, die Beschäf-<br />
tigten besser auslasten und sogar Entlassungen<br />
vermeiden. «Arbeitgeber haben<br />
ferner dank flexiblen Modellen die Chance,<br />
gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie<br />
deren Erfahrung und Know-how für<br />
sich zu erhalten», fügt Claudia Bucheli<br />
Ruffieux bei. Sie ist als Leiterin Management<br />
Support eine der wenigen, die in der<br />
CREDIT SUISSE auf Direktionsstufe Teilzeitarbeit<br />
leistet. Und sie weiss, wovon sie<br />
redet. Wäre es ihr nach der Geburt ihres<br />
Sohnes im vergangenen Jahr nicht möglich<br />
gewesen, wieder in ihren alten Job<br />
zurückzukehren, wäre eine mit hohen<br />
Kosten verbundene Neueinstellung nötig<br />
gewesen.<br />
Die Motive der Firmen in Ehren – was<br />
aber hat das Gros der Angestellten davon ?<br />
Oder anders gefragt: Wie steht es tatsächlich<br />
um den Wunsch von Erwerbstätigen<br />
nach flexiblen Arbeitszeiten ? Das<br />
BULLETIN wollte es genau wissen und<br />
hat beim GfS-Forschungsinstitut eine<br />
Studie in Auftrag gegeben (siehe Seite 17<br />
oben).<br />
Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen<br />
und Arbeitnehmer, so ein Befund der Studie,<br />
sehen’s realistisch: Die neuen Arbeitszeitmodelle<br />
sind für die Unternehmen<br />
einträglich. Doch die Befragten pflichten<br />
dem klassischen Vorwurf nicht bei, dass<br />
Arbeitgeber flexible Regelungen nur un-<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
15<br />
terstützen, um ihre Beschäftigten ausnutzen<br />
zu können. Die Firmen profitierten auf<br />
eine andere Art, so die verbreitete Meinung:<br />
Sie hätten nämlich, gewissermassen<br />
als Gegenleistung, motiviertere Mitarbeiter<br />
und könnten die Chance nutzen, sich<br />
rechtzeitig auf den gesellschaftlichen Wandel<br />
einzustellen. Claudia Bucheli Ruffieux<br />
weiss auch aus eigener Erfahrung: «Der<br />
Arbeitgeber fährt gut mit Teilzeitangestellten.»<br />
Obschon sie einen 70-Prozent-Vertrag<br />
in der Tasche habe, arbeite sie mehr;<br />
sie erledige beispielsweise ihre elektronische<br />
Post von zu Hause aus. Und als Teilzeitangestellte<br />
hat sie natürlich mehr Freizeit,<br />
die sie auf diese Weise der Firma zur<br />
Verfügung stellen kann – auch wenn dies<br />
nicht das Ziel sein sollte.<br />
«Ich höre ja nicht plötzlich auf zu planen,<br />
weil ich ein Baby bekommen habe», erzählt<br />
sie weiter. «Es war für mich immer<br />
klar, dass ich auch als Mutter einer verantwortungsvollen,<br />
qualifizierten Tätigkeit<br />
ausser Haus nachgehen will.» Individuell<br />
gestaltbare Arbeitszeiten erlauben, Arbeit<br />
und Kinderbetreuung – sei’s in Ein- oder<br />
Zweielternhaushalten – unter einen Hut<br />
23% weniger arbeiten<br />
2% keine Angabe<br />
2% weiss nicht/unentschieden<br />
8% mehr arbeiten<br />
65% genau richtig<br />
Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Sorgenbarometer, Welle<br />
Oktober 1998 (N = 641 erwerbstätige Schweizerinnen<br />
und Schweizer)<br />
gen. Aber nicht der einzige. Die flexiblen<br />
Modelle, so die Studie, bieten einfach in<br />
einer, gelinde gesagt, immer anspruchsvolleren<br />
Arbeitswelt eine Spur Selbstbestimmung<br />
und ein Inselchen persönlichen<br />
Freiraums. Kurzum: Flexible Arbeitszeiten<br />
steigern die Lebensqualität und helfen bei<br />
einer gerechteren Neuverteilung der Geschlechterrollen.<br />
Ausserdem sind viele der<br />
Befragten der Ansicht, dass die neuen<br />
Formen der Arbeitszeitgestaltung die vorhandene<br />
Arbeit besser auf die arbeitswilligen<br />
Menschen aufteilen.<br />
Entsprechend ist in der Schweiz die<br />
Lust auf neue Formen der Arbeitszeitge-<br />
ITÄT<br />
zu bringen und so das Leben vielfältiger zu<br />
gestalten. Das ist sicher ein Grund, warum<br />
die Arbeitnehmer Flexibilisierungsmassnahmen<br />
mit offenen Armen empfan-<br />
JEDER VIERTE WÜRDE<br />
SEIN ARBEITSPENSUM<br />
GERNE REDUZIEREN<br />
Die Frage, ob sie mit ihrem momentanen Beschäftigungsgrad<br />
zufrieden sind, bejahen 65 Prozent der<br />
Befragten.<br />
staltung gross: Ein Drittel der befragten<br />
Erwerbstätigen gaben an, mit ihrem Beschäftigungsgrad<br />
nicht gerade glücklich<br />
zu sein (siehe Grafik auf dieser Seite).<br />
Eine respektable Anzahl. Mit einer Einschränkung<br />
allerdings: Die Unzufriedenheit<br />
steigt mit der Intensität der Anstellung<br />
und ist unverhältnismässig hoch bei Erwerbstätigen<br />
mit einem Wochenpensum<br />
von über 43 Stunden. Liegt das Pensum<br />
zwischen 33 und 42 Stunden, wollen nur<br />
noch 18 Prozent den Beschäftigungsgrad<br />
reduzieren.<br />
Nicht alle Modelle rangieren indes in<br />
der Beliebtheitsskala gleich hoch: Ganz<br />
oben stehen eindeutig diejenigen, welche<br />
eine persönliche Gestaltung des Arbeitsalltags<br />
oder den gleitenden Übergang ins<br />
Rentnerdasein ermöglichen. Frühpensionierungen<br />
sind vor allem bei Schwerarbeitenden<br />
gefragt oder solchen, die ihre wirtschaftliche<br />
Lage nicht als rosig einschätzen.<br />
Geradezu als Ladenhüter erweisen sich<br />
I<br />
«ICH HABE DEN<br />
GRÖSSEREN<br />
AUSGLEICH, UND<br />
VON MEINEM<br />
WOHLERGEHEN<br />
PROFITIERT AUCH<br />
DIE FIRMA.»<br />
CLAUDIA BUCHELI RUFFIEUX,<br />
LEITERIN MANAGEMENT SUPPORT,<br />
CREDIT SUISSE<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
16<br />
«TEILZEITBESCHÄFTIGTE<br />
SIND ZWAR TEURER, ABER<br />
MOTIVIERTER»<br />
HANS KAPPELER,<br />
LEITER PERSONALDIENST, CREDIT SUISSE<br />
BETTINA JUNKER Herr Kappeler, könnten Sie<br />
sich vorstellen, Teilzeit zu arbeiten ?<br />
HANS KAPPELER Ich habe in meinen<br />
Wanderjahren lange Teilzeitarbeit geleistet.<br />
Und heute finde ich die Idee immer<br />
noch attraktiv. Da ich momentan aber<br />
praktisch nur Fach- und Linienführung<br />
innehabe, müsste man meinen Job neu<br />
definieren.<br />
H.K. In unserem Unternehmen sind alle<br />
Varianten individuell gestaltbarer Arbeitszeit<br />
möglich. Wir haben beispielsweise<br />
gleitende Arbeitszeiten, kennen Jahresarbeitszeit,<br />
stundenweise Einsätze, Arbeit<br />
auf Abruf, längere Urlaube und natürlich<br />
fixe und flexible Teilzeit. Der Anteil von<br />
Teilzeitern liegt sogar bei über 20 Prozent.<br />
Jeder fünfte arbeitet also Teilzeit – das<br />
LITÄT<br />
B.J. Heisst das, dass in oberen Führungsetagen<br />
Teilzeitpensen nicht funktionieren ?<br />
H.K. Das heisst es nicht. Heute gibt’s<br />
kaum mehr Funktionen, wo Teilzeitarbeit<br />
nicht möglich wäre. Aber Topmanager, die<br />
intensive Führungsfunktionen ausüben,<br />
sind zeitlich fremdbestimmt. Ausserdem<br />
lässt sich Entscheidungskompetenz auf<br />
höchster Stufe schlecht aufteilen.<br />
B.J. Haben Sie überhaupt Erfahrung mit Teilzeit<br />
auf Führungsebene ?<br />
H.K. Bei uns ist Teilzeitarbeit von Mitgliedern<br />
der Direktion kein Sonderfall.<br />
Demnächst werden sich sogar zwei Direktionsfrauen<br />
in einem Jobsharing die Stelle<br />
einer Departementspersonalleiterin zu je<br />
60 Prozent teilen. Da bin ich überzeugt,<br />
dass das klappen wird.<br />
B.J. Die Studie des GfS-Forschungsinstituts<br />
zeigt: Die Nachfrage nach flexiblen Arbeitszeitmodellen<br />
ist bei Arbeitnehmern gross.<br />
Was hat die CREDIT SUISSE da zu bieten ?<br />
B.J.<br />
ist viel. Inwiefern profitiert die Firma davon ?<br />
H.K. Wir wissen aus Erfahrung: Wo sich<br />
das Unternehmen flexibel zeigt, wird es<br />
mit hochmotivierten Mitarbeitern belohnt.<br />
Auch wenn ein Angestellter nicht direkt<br />
von der <strong>Flexibilität</strong> Gebrauch macht, vermittelt<br />
diese doch ein Gefühl von Selbstbestimmung.<br />
Mit der Jahresarbeitszeit lassen<br />
sich Schwankungen im Geschäftsgang<br />
auffangen; die Beschäftigten sind besser<br />
ausgelastet. Und schliesslich ist ein hoher<br />
Teilzeitanteil auch gut fürs Firmenimage.<br />
B.J. Gibt’s für die Firma auch Nachteile ?<br />
H.K. Flexible Arbeitszeiten führen zu<br />
Mehrkosten, vor allem in der Informatikinfrastruktur<br />
und der Personalbetreuung.<br />
Die Akquisitionskosten für Teilzeit- und<br />
Vollzeitbeschäftigte sind gleich hoch. Je<br />
führungsträchtiger eine Funktion ist,<br />
desto schwieriger ist es auch, realistische<br />
Kriterien für die Aufgaben zu definieren.<br />
B.J. Oft wird auch die schlechte Kontrollierbarkeit<br />
von Teilzeitarbeitenden angeführt.<br />
H.K. Wenn sich ein Chef bei mir beklagt,<br />
dass er mit Teilzeitern nicht umgehen<br />
kann, weil sie schlecht organisierbar oder<br />
kontrollierbar seien, ist das eher ein Hinweis<br />
auf das Unvermögen des Chefs.<br />
B.J. Welche Fähigkeiten müssen denn<br />
Vorgesetzte haben, die Teilzeitbeschäftigte<br />
führen ?<br />
H.K. Sie müssen Verantwortung abgeben<br />
können. Dafür braucht’s eine gute<br />
Kenntnis, klare Strukturierung und gerechte<br />
Quantifizierung der Teilzeitaufgaben.<br />
Das allerwichtigste aber ist das<br />
Vertrauen in die Mitarbeiter, gerade weil<br />
weniger Kontrollinstrumente zur Verfügung<br />
stehen.<br />
FL<br />
Eigenverantwortung will gelernt sein.<br />
B.J.<br />
Stellt die Teilzeitarbeit höhere Anforderungen<br />
an Mitarbeiter ?<br />
H.K. Je nach Komplexität der Aufgabe<br />
verlangt Teilzeitarbeit eine bessere Selbstorganisation<br />
und grössere Souplesse im<br />
Zeitmanagement. Wer einen Führungsjob<br />
hat, braucht ausgeprägtere soziale Kompetenzen:<br />
Denn um ein gutes Beziehungsnetz<br />
zu unterhalten, muss ein Teilzeiter<br />
aktiveren Kontakt mit seiner Umgebung<br />
pflegen.<br />
B.J. Wie wird die Arbeitszeit in Zukunft<br />
geregelt sein ?<br />
H.K. Da die Kommunikationsvoraussetzungen<br />
immer besser werden, ist die Präsenzzeit<br />
für hochqualifizierte Leistungen<br />
immer weniger nötig. Ich glaube auch,<br />
dass künftig nicht mehr nur junge Menschen,<br />
sondern auch vermehrt die über<br />
Vierzigjährigen Phasen in ihr Arbeitsleben<br />
einschalten, in denen sie nicht permanent<br />
arbeiten. In den Vordergrund rückt die<br />
hohe Professionalisierung; wo und wann<br />
man sich die aneignet, ist sekundär. Die<br />
lebenslange Verpflichtung gegenüber<br />
einem Arbeitgeber verschwindet.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
17<br />
WAS MEINEN DIE ERWERBSTÄTIGEN?<br />
Das BULLETIN wollte wissen, wie sich Erwerbstätige zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten<br />
stellen, und hat beim GfS-Forschungsinstitut eine für die Schweiz repräsentative Studie in<br />
Auftrag gegeben. Die Untersuchung wurde im Rahmen des jährlich erhobenen «Sorgenbarometers»<br />
durchgeführt. Insgesamt befragte das Forschungsteam 1007 stimmberechtigte<br />
Personen im Alter von mindestens 18 Jahren aus den drei grossen Sprachregionen der<br />
Schweiz. Ausgewählt wurde die Stichprobe nach dem erprobten Zufalls/Quoten-Verfahren.<br />
Die Befragungen in Form von persönlichen Interviews fanden im Oktober 1998 statt.<br />
MEHR TEILZEITSTELLEN BRAUCHT DAS LAND!<br />
«Im folgenden nenne ich Ihnen verschiedene Formen flexibler Arbeitszeitregelungen. Zunächst<br />
würde ich gerne wissen, welche der folgenden Arbeitszeitmodelle Ihrer Meinung nach eher<br />
ausgebaut beziehungsweise abgebaut werden sollten?», lautet hier die Fragestellung. (Die<br />
Grafik zeigt nur die Anteile, die für einen Ausbau sind.)<br />
Schaffung Teilzeitstellen<br />
Rahmenarbeitszeit<br />
36<br />
37<br />
44<br />
41<br />
Lohn/Ferien für Überzeit<br />
31 46<br />
Freizeitkonto<br />
37 39<br />
Blockzeiten<br />
28 47<br />
Modell für körperlich Schwerarbeitende<br />
32 36<br />
Jahresarbeitsvolumen<br />
16 37<br />
Senkung Normalarbeitszeiten auf 36 h<br />
24 27<br />
Teilzeitlohn kombiniert mit Freijahr 14 24<br />
%<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Sorgenbarometer, Welle Oktober 1998 (N = 1007 stimmberechtigte<br />
Schweizerinnen und Schweizer)<br />
hat schon genutzt<br />
stark ausbauen<br />
benutzt heute<br />
eher ausbauen<br />
MODELLE FÜR ÜBERSTUNDENKOMPENSATION<br />
Nutzung und Wunsch nach neuen Modellen wurden mit folgender Frage untersucht: «Welche<br />
der genannten Arbeitszeitmodelle nutzen Sie heute, haben Sie früher einmal benutzt, würden Sie<br />
nutzen, wenn Sie könnten, beziehungsweise würden Sie nicht nutzen, auch wenn Sie könnten?»<br />
würde nutzen, wenn möglich<br />
Lohn/Ferien für Überzeit<br />
9 15 52<br />
Blockzeiten<br />
13 23 38<br />
Freizeitkonto<br />
5 8 60<br />
Rahmenarbeitszeit<br />
9 20 43<br />
Schaffung Teilzeitstellen<br />
8 19 40<br />
Modell für körperlich Schwerarbeitende 3 4 52<br />
Senkung Normalarbeitszeiten auf 36 h 3 5 45<br />
Jahresarbeitsvolumen<br />
4 9 37<br />
Teilzeitlohn kombiniert mit Freijahr<br />
%<br />
14<br />
0 20<br />
35<br />
40 60<br />
80<br />
Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Sorgenbarometer, Welle Oktober 1998 (N = 641 erwerbstätige<br />
Schweizerinnen und Schweizer)<br />
hingegen die sogenannten Sabbaticals,<br />
weil sie den einzelnen stark an das Unternehmen<br />
fesseln. Bei diesen Langzeiturlauben<br />
bleibt das Arbeitsverhältnis, meist<br />
bei reduziertem Lohn, nämlich über lange<br />
Zeit bestehen.<br />
Am lautesten ertönt der Ruf nach individueller<br />
Gestaltung der Arbeitszeiten aus<br />
den Reihen der neuen Mittelschicht, so<br />
die Studie. Ein Ruf, der mit Sicherheit<br />
nicht ungehört verhallt. Denn diese oft<br />
noch jungen Personen mit schwerem<br />
Schulsack und noch schwererer Lohntüte<br />
werden spätestens in ein paar Jahren<br />
vollends Einzug halten in die oberen und<br />
obersten Etagen der Unternehmen und<br />
die Riege der neuen Topmanager stellen.<br />
Ein Fünkchen Hoffnung also auch für Teilzeitarbeit<br />
auf Kaderstufe; heute kennt sie<br />
nämlich hierzulande noch nicht mal jedes<br />
fünfte Unternehmen. Claudia Bucheli Ruffieux<br />
hegt diesen Wunsch schon lange:<br />
«Ich plädiere für mehr Teilzeitarbeit bei<br />
Führungspersonen. Denn verschiedene<br />
Standbeine im Leben haben untereinander<br />
eine positive Wechselwirkung.»<br />
Der Studie weiser Schluss also: Wenn’s<br />
EX I<br />
nach den Schweizer Arbeitnehmerinnen<br />
und Arbeitnehmern ginge, gäbe es in<br />
Sachen Flexibilisierung der Arbeitszeiten<br />
noch viel zu tun. Gerade in der Diskussion<br />
um die individuelle Vergütung von Überstunden<br />
ist längst nicht das letzte Wort<br />
gesprochen (siehe Grafik links unten). An<br />
allen Flexibilisierungsmassnahmen finden<br />
ein bis zwei Drittel der Erwerbstätigen derart<br />
Gefallen, dass sie sie nutzen würden,<br />
wenn dies möglich wäre. Dass sich gerade<br />
das Teilzeitmodell besonders bewährt,<br />
leuchtet bei Claudia Bucheli Ruffieux’<br />
Worten besonders ein: «Auch wenn die<br />
Belastung zeitweise sehr hoch ist, habe<br />
ich in meinem Leben einfach den grösseren<br />
Ausgleich – und von meinem Wohlergehen<br />
profitiert auch das Unternehmen.»<br />
BETTINA JUNKER, TELEFON (01) 333 59 42<br />
E-MAIL: BETTINA.JUNKER@CREDIT-SUISSE.CH<br />
Weitere Infos zur Studie: BULLETIN |<br />
ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin
FLEXIBLE MENSCHEN<br />
AUF BIEGEN UND<br />
BRECHEN – FLEXIBEL<br />
SEIN WOLLEN ALLE.<br />
VON BETTINA JUNKER,<br />
ANDREAS THOMANN UND<br />
PASQUALE FERRARA,<br />
REDAKTION BULLETIN<br />
Das Modewort der Epoche heisst <strong>Flexibilität</strong>.<br />
Wen wundert’s: In einer Zeit, die fast<br />
im 24-Stunden-Rhythmus altert, die immer<br />
schnellebiger, unpersönlicher und – auf<br />
Teufel komm raus – stets anspruchsvoller<br />
wird, haben’s Beschaulichkeit, Gleichförmigkeit<br />
und Rigidität schwer. Wo nichts<br />
mehr sicher und morgen schon wieder<br />
alles anders scheint, ist <strong>Flexibilität</strong> zum<br />
Ideal erkoren.<br />
Aber was, bitte schön, ist <strong>Flexibilität</strong>?<br />
Ein Instantgemisch aus Nachgiebigkeit<br />
und Unverbindlichkeit, mit einem Schuss<br />
Vergänglichkeit vielleicht?<br />
Das BULLETIN wagte den Versuch,<br />
des Begriffs habhaft zu werden. Überzeugen<br />
Sie sich selbst! <strong>Flexibilität</strong> hat viele<br />
Ausprägungen und ist im wahrsten Sinne<br />
des Wortes ein spannendes Phänomen.<br />
Das zeigen die fünf folgenden Porträts von<br />
beweglichen, vielseitigen, wandelbaren,<br />
spontanen, belastbaren, anpassungsfähigen<br />
und offenen Menschen.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
19<br />
«MEHR ALS EINMAL HABE ICH<br />
GEWEINT»<br />
<strong>Flexibilität</strong> hat viele Facetten. Doch selten<br />
zuvor hat sich das vielgebrauchte Schlagwort<br />
von einer so konkreten Seite gezeigt<br />
wie an diesem Nachmittag im zürcherischen<br />
Rüschlikon, im Zirkuszelt von «Valentinas<br />
Variété».<br />
«Wollen die wirklich nichts Schwierigeres<br />
sehen ?», scheinen sich die zwei jungen<br />
Mongolinnen zu sagen. Also legen sich die<br />
beiden der Fotografin zuliebe wieder auf<br />
den Bauch, ziehen die Beine über ihren<br />
Rücken nach vorne als wären sie aus<br />
Gummi, stellen die Füsse neben den Kopf<br />
und blicken etwas gelangweilt in die Runde.<br />
Etwa so, wie Gleichaltrige in Dutzenden<br />
von Schulzimmern auf irgendwelche<br />
Mathe-Formeln schauen. Die 15jährige<br />
Uranbileg Ceveendory und die zwei Jahre<br />
ältere Erdensuvd Ganbaatar winden aber<br />
nicht ihr Gehirn, sondern ihre Körper.<br />
Schlangenfrauen nennt man sie im Alltag,<br />
Kontorsionistinnen in der Zirkuswelt.<br />
Professionell zeigen die Frauen mit<br />
den Kautschukknochen die verschiedenen<br />
Figuren ihres Programms und lächeln.<br />
Richtig stolz wirken sie aber erst bei Nummern,<br />
die jedem Zuschauer ein ungemütliches<br />
Gefühl in die Wirbelsäule jagen würden.<br />
Etwa da, wo sie in einen gepolsterten<br />
Metallhalter beissen, mit dem Kopf nach<br />
unten ihren Körper langsam hochziehen<br />
und dabei die unglaublichsten Verrenkungen<br />
zustande bringen – freihändig natürlich.<br />
In solchen Momenten geht jeweils ein<br />
leises Raunen durchs Zelt. Verständlich,<br />
dass der Zirkusdirektor die beiden Jungstars<br />
als Schlussnummer auftreten lässt.<br />
Zehn Minuten später. Die wirbellosen<br />
Damen haben ihr gelbes Glitzerkostüm<br />
abgestreift. Sie stehen nun in Jeans, Pullover<br />
und Daunenjacke da. Ihre dünnen<br />
Finken haben sie durch klobige Schuhe<br />
mit Plateausohlen ersetzt. Nichts unterscheidet<br />
sie nun von anderen Teenagern.<br />
In der Mongolei, erklärt der Übersetzer, sei<br />
es nichts Aussergewöhnliches, dass junge<br />
Leute den Weg in die Manege fänden.<br />
Auch er ist Mongole, auch er verdient<br />
seine Brötchen als Artist. «Alle lieben den<br />
Zirkus in unserer Heimat», fährt er fort.<br />
Eltern schickten ihre Kinder in Zirkusschulen<br />
wie bei uns ins Ballett oder Kunstturnen.<br />
«Ich versuchte vor dem Fernseher,<br />
die Übungen der Artistinnen nachzumachen»,<br />
erzählt die 17jährige Erdensuvd<br />
kichernd. Eine Woche später begleitete<br />
sie ihr Vater in die Zirkusschule. Das war<br />
vor sieben Jahren. Bis zu den gekonnt vorgetragenen<br />
Nummern war es ein langer<br />
Weg. Morgens Schule, nachmittags Training.<br />
Jahrelang. Nur so wird der Körper<br />
dermassen beweglich. Vor allem der Anfang<br />
sei hart, die Übungen streng. «Mehr<br />
als einmal habe ich geweint», sagt Uranbileg.<br />
Sie stieg als Siebenjährige in ihr<br />
Metier ein.<br />
Schmerzen ? Beide verneinen. Aber ihre<br />
biegsamen Glieder verzeihen keine Ruhepause.<br />
Flexible Körper wollen gebogen<br />
sein; vier Stunden tägliches Training sind<br />
ein Muss. Das ist zurzeit gar nicht so einfach.<br />
Die Artistinnen leben auf dem Zirkuscamp<br />
und müssen ohne warme Halle auskommen.<br />
Darum schleichen sie sich, wenn<br />
die letzten Zuschauer gegangen sind,<br />
abends wieder ins geheizte Zelt und holen<br />
das Training nach. Und doch: Bei allem<br />
Drill haben die beiden dehnbaren Geschöpfe<br />
das Träumen nicht verlernt. Uranbileg<br />
würde gerne Schauspielerin werden,<br />
Erdensuvd Sängerin. Das sind nicht nur<br />
jugendliche Sehnsüchte, darin steckt auch<br />
eine Portion Realismus: Sie wissen, dass<br />
niemand ein Leben lang Kontorsionistin<br />
sein kann. Auch Gummi wird mit der Zeit<br />
spröde.<br />
PASQUALE FERRARA<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
20<br />
«AM LIEBSTEN<br />
SPIELE ICH DEN FIESEN SCHUFT»<br />
Den Mephisto ? Eher wohl gäbe er den<br />
perfekten Romeo. Schön, charmant, leidenschaftlich<br />
– so tritt er auf. Die Entourage<br />
in jenem Lausanner Bistro, wo er<br />
sich für ein Interview am Samstagnachmittag<br />
in Szene setzt, macht sich jedenfalls<br />
hervorragend als Kulisse für seine<br />
Gastvorstellung. Und wenn er so bei einem<br />
Gläschen Weissen zum Erzählen ansetzt<br />
und mit feuriger Gestik von seinem<br />
Schauspielmetier schwärmt, als wär’s die<br />
ganz grosse Liebe, fehlt nur noch das<br />
Rampenlicht. Edmond Vullioud ist nicht<br />
nur im Theater eine wahrlich spektakuläre<br />
Erscheinung.<br />
Zurzeit arbeitet der Berufsmime am<br />
Théâtre de Carouge in Genf und steht dort<br />
als Hauptdarsteller in zahlreichen Stücken<br />
von Voltaire bis Steinbeck auf der Bühne.<br />
Ein hartgesottener Profi in Sachen Wandelbarkeit<br />
– zweifelsohne. «<strong>Flexibilität</strong> ist<br />
das Herzstück der Schauspielerei. Die<br />
Rollenwechsel verlangen, dass ich mich<br />
immer wieder auf andere Charaktere einstelle.»<br />
Und das ist nicht ohne. Der leichtfüssige<br />
Domestik aus einer Komödie von<br />
Molière, der blasierte Aristokrat aus dem<br />
18. Jahrhundert oder ein hemdsärmeliger<br />
Proletarier aus den zwanziger Jahren –<br />
jeder gibt sich anders. Und das Rollenspiel<br />
will gelernt sein. «Viel dabei ist Technik.<br />
Ich beobachte die Leute auf der Strasse,<br />
in Restaurants und versuche nachher,<br />
ihre Bewegungen und ihre Sprache zu<br />
imitieren.» Dass da zuweilen Alltag und<br />
Bühne durcheinandergeraten, ist Künstlerpech.<br />
Während im Theater das Vorgaukeln<br />
Methode hat, erhebt die Lebenspartnerin<br />
Anspruch auf Aufrichtigkeit.<br />
«Zugegeben: Wenn ich mit meiner Frau<br />
streite, klingt das bei mir immer leicht<br />
theatralisch. Und ich habe mich auch<br />
schon ertappt, wie ich nach einer Wortsalve<br />
fand: ‹Das hat jetzt wirklich echt<br />
getönt.›»<br />
Kein Schauspiel ohne Verkleidung. In<br />
der Theaterankleide verleihen Maskenbildner<br />
und Kostümschneider der Figur<br />
den letzten Schliff. Doch selbst mit<br />
Schnallenschuhen, angeklebtem Zwirbelbart<br />
oder weissgepuderter Zopfperücke<br />
gilt die eiserne Regel: Der Schauspieler<br />
wird nie selber zur Figur, die er spielt. Er<br />
schlüpft nur zeitweilig in sie hinein und<br />
macht den Charakter dem Zuschauer<br />
glaubhaft. Ein Schauspieler muss sehr<br />
ausgeglichen sein – <strong>Flexibilität</strong> hin oder<br />
her. Wie sonst könnte er von einer Rolle<br />
in die nächste rutschen, ohne sich dabei<br />
selbst aus den Augen zu verlieren. «Wenn<br />
ich mir bei jeder neuen Rolle die Seele aus<br />
dem Leib reissen müsste, wäre ich lieber<br />
Pöstler geworden – oder Bankangestellter»,<br />
scherzt Vullioud.<br />
Im Gegensatz zum Büroteppich des<br />
Bankers ist die Bühne ein hartes Pflaster.<br />
Wer seine Brötchen als Schauspieler verdienen<br />
will, tingelt zumindest anfangs von<br />
einem Laientheater zum nächsten in der<br />
Hoffnung, wenigstens ein Engagement<br />
als Komparse zu angeln – nur, um drei<br />
Monate später wieder auf der Strasse zu<br />
stehen. Dass ein solches Leben Anpassungsfähigkeit<br />
und Durchhaltewillen erfordert,<br />
liegt auf der Hand. «Früher», erinnert<br />
sich Vullioud, «da musste ich der Arbeit<br />
hinterherreisen. Einmal hatte ich sogar ein<br />
Engagement in Marseille – sechs Stunden<br />
Zugfahrt!» Wer einen solchen Arbeitsweg<br />
auf sich nimmt, kann sich fürwahr flexibel<br />
nennen.<br />
Edmond Vullioud kommt zum letzten<br />
Akt seiner Vorführung. Ebenso wie Mobilität<br />
sei auch geistige <strong>Flexibilität</strong> ein Muss.<br />
Und wenn doch einmal auf der Bühne<br />
plötzlich eine Passage wie weggeblasen<br />
scheint, ist eine schnelle Reaktion gefragt.<br />
«<strong>Flexibilität</strong> heisst für mich in solchen<br />
Momenten auch: ‹Lass Dir einfach was<br />
einfallen, irgendwas – aber schnell!›»<br />
BETTINA JUNKER<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
21<br />
Ein täglicher Hochseilakt zwischen Familie<br />
und Arbeitswelt findet in einem Einelternhaushalt<br />
in der Luzerner Gemeinde<br />
Eschenbach statt.<br />
«Hallo, Mami, bin wieder da-h-a!», tönt’s<br />
aus dem Korridor der adretten Viereinhalbzimmerwohnung.<br />
Der sechsjährige<br />
Claudio, ein Wirbelwind der Sonderklasse,<br />
stürmt in die säuberlich aufgeräumte Stube.<br />
«Wenn er nach dem Chindsgi nach Hause<br />
kommt, sprudelt er los», lacht seine Mutter,<br />
«da muss ich alles andere sofort beiseite<br />
legen.»<br />
Claudio ist momentan der einzige Mann<br />
an Silvia Pilottis Seite. Und mit seinem<br />
quirligen Wesen ist er ganz die Mutter.<br />
«Am liebsten manage ich alles alleine und<br />
habe sieben Eisen gleichzeitig im Feuer»,<br />
erzählt sie und schenkt den Besucherinnen<br />
Kaffee nach. Und ihrem Naturell entsprechend,<br />
so Silvia Pilotti, habe sie sich<br />
auch in der Liegenschaftenverwaltung<br />
selbständig gemacht. Denn da läuft immer<br />
was: Ein Mieter will zügeln, beim nächsten<br />
tropft der Wasserhahn, der dritte will eine<br />
Spülmaschine – und alles soll sofort passieren.<br />
Ja, sie sei schon sehr belastbar,<br />
meint sie, und das habe ihr vor sechs Jahren<br />
die Gewissheit gegeben, dass sie das<br />
Leben als Alleinerziehende werde meistern<br />
können. Zweifelsohne: Sie kann es.<br />
«16-Stunden-Tage sind für mich heute<br />
keine Ausnahme», meint sie mit einem<br />
«AUCH MAL FÜNF<br />
GERADE SEIN<br />
LASSEN»<br />
Achselzucken. Von halb sieben bis spät in<br />
die Nacht ist die 35jährige auf Draht. Und<br />
dabei ist <strong>Flexibilität</strong> eine Selbstverständlichkeit.<br />
«Anders könnte ich nicht blitzschnell<br />
von einer Arbeitswelt in die andere<br />
hüpfen». Und das muss sie, bei ihrem<br />
Tagesablauf: Zuerst Frühstückmachen für<br />
den Jungen, nachher vormittags der Marketingjob<br />
in einer Informatikfirma, dann zu<br />
Hause hurtig einen Zmittag auf den Tisch<br />
zaubern. Danach die Nachmittagsarbeit zu<br />
Hause als Liegenschaftenverwalterin,<br />
später der Haushalt, das Nachtessen,<br />
schliesslich noch ein bisschen basteln<br />
oder spielen mit dem Junior. Und wenn<br />
dieser schläft, klemmt sie sich nochmals<br />
zwei Stunden hinter die Büroarbeit.<br />
Soviel zur Pflicht. Und wer glaubt, das<br />
sei’s gewesen, hat weit gefehlt. Jetzt kommt<br />
nämlich die Kür. Als Mitglied im Zentralvorstand<br />
des Schweizerischen Verbands<br />
alleinerziehender Mütter und Väter in Bern<br />
krempelt Silvia Pilotti zusätzlich für andere<br />
die Ärmel hoch – ehrenamtlich, versteht<br />
sich. «Es ist so wichtig, Einelternhaushalte<br />
besser in die Gesellschaft einzugliedern»,<br />
rechtfertigt sie ihren Frondienst. Ausserdem<br />
habe sie durch dieses Engagement<br />
viel in Sachen Management und im Umgang<br />
mit Menschen gelernt. «Mit unserem<br />
Fonds für Stipendien greifen wir Alleinerziehenden<br />
in knappen finanziellen Verhältnissen<br />
oder ohne Ausbildung unter die<br />
Arme. Sie sollen sich beruflich aus- und<br />
weiterbilden und eine eigene finanzielle<br />
Existenz aufbauen können, damit sie nicht<br />
mehr vom Sozialamt abhängig sind.» Denn<br />
klar ist: Wer nichts gelernt hat, krampft ein<br />
Leben lang und bringt es dennoch nie auf<br />
einen grünen Zweig.<br />
Dass zuweilen etwas Unvorhergesehenes<br />
geschieht, hat das Leben so an sich.<br />
Die grosse Kunst ist eben, gut zu organisieren,<br />
ohne an sturen Plänen festzuhalten<br />
– und vor allem, berechenbare<br />
Stressmomente auszuräumen. «Ich habe<br />
zum Beispiel eine spezielle Zusatzversicherung<br />
abgeschlossen, die mir eine<br />
professionelle Krankenschwester zahlt,<br />
wenn mein Bub einmal im Bett bleiben<br />
muss», berichtet Silvia Pilotti. Aber trotz<br />
aller Betreuungsvorkehrungen: Als einmal<br />
alle Stricke rissen, hat sie kurzerhand dem<br />
Kleinen das Rucksäckli gepackt und ihn<br />
einfach ins Büro mitgenommen.<br />
Stärke braucht’s, stets ein Quentchen<br />
Nonchalance und eine gesunde Selbsteinschätzung<br />
– sonst läuft man Gefahr,<br />
den eigenen Karren zu überladen. Aber<br />
mit Verlaub, schliesst die junge Frau<br />
selbstbewusst, bei aller <strong>Flexibilität</strong> bleibe<br />
sie stets ihrer Linie treu. «Wäre ich zu<br />
anpassungsfähig, ginge ich vermutlich an<br />
meinem Alltag kaputt.»<br />
BETTINA JUNKER<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
22<br />
«DIE IDENTITÄT IST<br />
KEIN RUCKSACK»<br />
«Gibt man Wasser in eine Schüssel und<br />
lässt es lange Zeit stehen, so beginnt es<br />
zu stinken», sagt die Frau mit den dunklen,<br />
ausdrucksvollen Augen und dem herzhaften<br />
Lachen. Wie abgestandenes Wasser<br />
hört sich die Lebensgeschichte dieser<br />
Iranerin wahrhaftig nicht an, schon eher<br />
wie ein junger Bergbach, der unaufhaltsam<br />
und an manchen Hindernissen vorbei<br />
ins Tal schiesst.<br />
Bereits in jungen Jahren zog es Sudabeh<br />
Kassraian nach Teheran. Dort arbeitete<br />
sie der Reihe nach als Primarlehrerin,<br />
Kindergärtnerin und Buchhalterin. Im Jobsharing<br />
mit ihrem Mann, einem Kunstmaler,<br />
managte sie nebenbei den Haushalt<br />
und zog ihre Tochter auf. Wie andere aufgeschlossene<br />
Bürger ihres Landes engagierten<br />
sich die Kassraians in der Politik.<br />
«In diesem Land, in dem man kaum atmen<br />
kann, kämpften wir für mehr Freiheit.» Als<br />
sie selbst keine Luft mehr zum Atmen<br />
kriegten, weil sich der Kreis aus Repression<br />
immer enger um sie zog, verliessen<br />
sie das Land. Dies war vor zehn Jahren.<br />
Von der Schweiz hatten sie nur in<br />
Büchern oder Zeitungen gelesen. Nun<br />
waren sie plötzlich hier angelangt, auf dem<br />
Flughafen Zürich-Kloten. «Mir fiel die perfekte<br />
Organisation auf und die allerorten<br />
vorherrschende Sauberkeit.» Im bernischen<br />
Schwarzenburg, ihrer ersten Destination,<br />
hatte Frau Kassraian Gelegenheit,<br />
ihren anfänglichen Eindruck von der neuen<br />
Heimat zu vertiefen. Vieles war neu für<br />
sie, doch löste der abrupte Wechsel in ihr<br />
keinen Schock aus. Die Zeit im Iran hatte<br />
wie eine Lebensschule in Sachen <strong>Flexibilität</strong><br />
gewirkt. Die erworbene Beweglichkeit<br />
kam Sudabeh Kassraian im Schweizer<br />
Alltag nun zu Hilfe. Mit Eifer machte sie<br />
sich daran, dessen Geheimnisse zu entwirren.<br />
Zuerst war die deutsche Sprache an<br />
der Reihe. Bald einmal war ihr das neue<br />
Idiom so geläufig, dass sie sich für weitere<br />
Taten gerüstet fühlte. In Schwarzenburg<br />
traf sie auf viele Emigranten, und noch auf<br />
viel mehr Emigrantinnen, die sich nicht so<br />
leicht in ihrer neuen Umgebung bewegten.<br />
«Ich wollte die Mauer durchbrechen, die<br />
diese Leute von der Schweizer Gesellschaft<br />
trennte.» So begann sie, Tamilinnen<br />
in Deutsch zu unterrichten. Nach mehreren<br />
Anläufen erhielt sie von der Gemeinde<br />
finanzielle Unterstützung. Schon bald<br />
stürzte sie sich in weitere Projekte für die<br />
Sache der Emigrantinnen, zuerst beim<br />
christlichen Friedensdienst, dann beim<br />
Roten Kreuz. Und in Bern drückte sie<br />
nochmals für sechs Monate die Schulbank,<br />
um sich als Bibliothekarin ausbilden<br />
zu lassen. Unterdessen war ihr Haushalt<br />
auf vier Personen angewachsen.<br />
Ihr mutiger Sprung in den Schweizer<br />
Alltag hinein hat nicht nur die Anpassung<br />
an ihre neue Umgebung beschleunigt,<br />
sondern auch den Blick für das Leben in<br />
diesem Land geschärft. «In meiner Heimat<br />
pflegen die Menschen einen herzlichen<br />
Kontakt untereinander. Jede Nachbarin,<br />
jeder Freund sind für einen da, wenn man<br />
mal nicht mehr weiter weiss. In der<br />
Schweiz dagegen sind die Leute zwar unabhängiger;<br />
viele, vor allem die Alten, sind<br />
aber auch einsamer.» Sudabeh Kassraians<br />
Worte widerhallen dumpf an der nackten<br />
Betondecke ihres neuen Domizils in der<br />
Berner Agglomeration. «Man darf von niemandem<br />
verlangen, dass er seine eigene<br />
Identität wie einen Rucksack ablegt», sinniert<br />
die couragierte Frau über die Grenzen<br />
der Integration. Sie selber werde immer<br />
Iranerin bleiben. Und dennoch könne<br />
sie flexibel sein, sich gegenüber der neuen<br />
Kultur öffnen, sich diejenigen Facetten<br />
und Werte zu eigen machen, die ihr zusagten.<br />
Dazu zählt sie das selbstbewusste<br />
Auftreten vieler Schweizerinnen. «Iranische<br />
Frauen sind weit weniger emanzipiert.»<br />
Ihre Augen leuchten auf, als sie<br />
dies ausspricht. Eines Tages, so meint sie,<br />
möchte sie diese Saat auch in ihrer Heimat<br />
aufgehen lassen. Eines Tages.<br />
ANDREAS THOMANN<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
23<br />
«AN MANCHEN ABENDEN DREHT ES IN<br />
MEINEM KOPF EINFACH WEITER»<br />
«Wer in meinem Business nicht ständig<br />
Tuchfühlung mit seinem Team hat, der ist<br />
schnell weg vom Fenster.» Hansruedi<br />
Stadler, Verantwortlicher für das Schweizer<br />
Emissionsgeschäft bei der CREDIT<br />
SUISSE FIRST BOSTON und Prototyp eines<br />
flexiblen Bankers, lässt darum stets<br />
beide Türen seines Büros offen. Nahe<br />
dran am Geschehen ist der sportlich wirkende<br />
Mitvierziger ohnehin: Nur eine<br />
Glaswand trennt sein Kabäuschen vom<br />
Handelsraum, dem wohl emsigsten Grossraumbüro<br />
im labyrinthartigen Komplex des<br />
Zürcher Üetlihofs. Auf Hunderten von<br />
Bildschirmen flimmern hier ununterbrochen<br />
die neuesten Daten der globalen Finanz-<br />
und Devisenmärkte. Dahinter sitzt,<br />
dicht gedrängt, ein Heer von Händlern,<br />
Analysten, Informatikern – vornehmlich<br />
Männer jüngeren Alters.<br />
«Dies hier war unser jüngster Streich.»<br />
Hansruedi Stadler zeigt auf ein Zeitungsinserat.<br />
Für die Republik Italien haben er<br />
und seine Crew eine Anleihe im Wert von<br />
1,5 Milliarden Franken an Land gezogen –<br />
eine Rekordsumme auf dem hiesigen Kapitalmarkt.<br />
Und die Frucht monatelanger<br />
Arbeit. Zuerst mussten Stadlers Analysten<br />
abklären, ob der Markt die Obligationen<br />
auch aufnehmen kann. Es folgte die Überzeugungsarbeit.<br />
In unzähligen Sitzungen,<br />
Meetings, Präsentationen legte Stadler<br />
dem italienischen Schatzmeister die Vorteile<br />
einer Emission in Schweizer Franken<br />
dar. Da kam dem Urner sein diplomatisches<br />
Geschick zu Hilfe, das er sich in zahlreichen<br />
Auslandsjahren angeeignet hat.<br />
Der bauernschlaue Kosmopolit versteht es<br />
jeweils vortrefflich, sich den wechselnden<br />
Bedürfnissen seiner Kundschaft anzupassen.<br />
«Als uns eine argentinische Delegation<br />
ihre Aufwartung machte, liessen wir<br />
sogar Tangomusik über die Lautsprecher<br />
des Handelsraums plärren.»<br />
Stadler vergleicht das Emissionsgeschäft<br />
mit einer Autofabrik. «Was vorne reinkommt,<br />
müssen wir so schnell wie möglich<br />
auf den Markt bringen. Auf keinen Fall<br />
möchten wir Luxuslimousinen produzieren,<br />
die dann auf der Halde landen.» Er<br />
und seine Leute sind deshalb in ständigem<br />
Kontakt mit den eigenen Händlern und<br />
Verkaufsleuten. «Wir erkundigen uns nach<br />
den Marktchancen und feilschen mit ihnen<br />
um Zinsen und Laufzeiten der Papiere.»<br />
Die Mittlerposition zwischen Händlern und<br />
Emittenten hat dem Banker schon manchen<br />
Spagat abverlangt. Falls er ihn<br />
schadlos übersteht, ist schon die nächste<br />
Dehnungsübung an der Reihe, diesmal<br />
gegenüber der interessierten Öffentlichkeit.<br />
So hetzt denn der flexible Investment<br />
Banker von Pressekonferenz zu Symposium<br />
und rührt dort kräftig die Werbetrommel<br />
für die neu ausgegebenen Papiere.<br />
Gewöhnlich bearbeitet Stadler zwischen<br />
zehn und zwölf Emissionen gleichzeitig.<br />
Da ziehen sich die Arbeitstage des<br />
Innerschweizers schon mal in die Länge.<br />
Die vielen Termine, das ständige Auf und<br />
Ab seines Jobs bereiteten ihm aber nur<br />
selten schlaflose Nächte, beteuert er mit<br />
ruhiger Stimme und entspanntem Blick.<br />
«In meinem Kopf dreht es nach besonders<br />
chaotischen Tagen dann einfach weiter. In<br />
solchen Fällen muss ich ein Zettelchen<br />
neben das Bett legen, auf dem ich meine<br />
Einfälle festhalte.» Für Turbulenzen auf der<br />
Stadlerschen Emissionsdrehscheibe sorgt<br />
auch die Konkurrenz. «In der Schweiz sind<br />
wir die Nummer eins, eine Position, die<br />
nur schwer zu verteidigen ist.» Zumal mit<br />
der Warburg Dillon Read ein äusserst<br />
finanzkräftiger Herausforderer auf dem<br />
Markt ist. Stadler baut stattdessen auf die<br />
grauen Zellen seiner Leute, von denen die<br />
meisten schon seit über fünfzehn Jahren<br />
mit ihm arbeiten. «Unser Business gleicht<br />
dem Schachspiel. Der Taktik des Gegners<br />
sollte man immer einen Schritt voraus<br />
sein. Nur erfahrene Cracks können da ruhig<br />
Blut bewahren.» Die letztjährige Runde<br />
ging einmal mehr an das Team vom<br />
Üetlihof. Für die Feier steht der Champagner<br />
schon bereit.<br />
ANDREAS THOMANN<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
24<br />
GESUCHT:<br />
LOYALE KUNDEN<br />
DIE FLEXIBLEN KONSUMENTEN<br />
VON HEUTE SIND GIFT FÜR<br />
DEN CASH-FLOW. «KUNDENBINDUNG»<br />
LAUTET DAS GEGENGIFT.<br />
VON ANDREAS THOMANN, REDAKTION BULLETIN<br />
«Unsere Kunden sind kritischer, autonomer<br />
und flexibler geworden», tönt es landauf<br />
landab aus den Marketingabteilungen<br />
massgebender Retailfirmen – ob Warenhäuser<br />
oder Supermärkte, Fluggesellschaften<br />
oder Reiseveranstalter, Versicherungen<br />
oder Banken. Vor allem mit der letzten<br />
Eigenschaft moderner Konsumentinnen<br />
und Konsumenten, der <strong>Flexibilität</strong>, haben<br />
die Unternehmen so ihre liebe Mühe. Denn<br />
flexibel heisst nichts anderes als untreu;<br />
ein Horror. Einmal in die Migros, dann in<br />
die Coop, und warum nicht noch schnell<br />
beim Denner vorbeischauen? Die Lebensversicherung<br />
bei der Vaudoise, die Hausratsversicherung<br />
bei der Mobiliar, aber den<br />
Vollkasko-Schutz fürs Auto am liebsten bei<br />
der Zürich. Doch nächste Woche, nächsten<br />
Monat oder nächstes Jahr könnte<br />
dann alles schon wieder ganz anders sein.<br />
Flatterhaftigkeit beherrscht die Szene<br />
und lässt die Marketingstrategen erzittern.<br />
Eine logische Entwicklung, meint Sabine<br />
F<br />
Dittrich, Marketingspezialistin an der Universität<br />
Sankt Gallen. «In unserer schnelllebigen<br />
Konsumwelt möchten sich die<br />
Verbraucher alle Optionen offenhalten.<br />
Denn laufend verändert sich das Angebot,<br />
tauchen neue Anbieter oder neue Produkte<br />
auf, und was heute noch günstig ist, wird<br />
es morgen vielleicht schon nicht mehr<br />
sein.» Weil moderne Konsumenten in der<br />
Regel besser Bescheid darüber wüssten,<br />
was wie wo zu holen sei, könnten sie sich<br />
diese Ungebundenheit auch besser leisten,<br />
denn «Information reduziert die Unsicherheit<br />
beim Kauf», präzisiert Dittrich.<br />
Auch Bankkunden werden untreu<br />
Dass auch die Finanzdienstleister von diesem<br />
Verhalten nicht verschont bleiben,<br />
belegt eine aktuelle Umfrage der Beratungsfirma<br />
Deloitte & Touche. So beklagten<br />
sich 85 Prozent der 133 befragten<br />
Entscheidungsträger europäischer Finanzinstitute<br />
über schwindende Kundenloya-<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
25<br />
Tatsächlich laufen die umworbenen Kunden<br />
Gefahr, im Dickicht von Karten, Clubs<br />
und Punkten die Orientierung zu verlieren.<br />
Wie auch immer: Die Unternehmen ziehen<br />
fast durchwegs positive Bilanzen ihrer<br />
Treueoffensiven. So hat sich die Cumulus-<br />
Karte zu einem wahren Renner entwickelt,<br />
wie Product Manager Stefan Frei bestätigt.<br />
Bereits seien 1,7 Millionen Haushalte im<br />
Besitz der Karte. Davon benützten sie<br />
1,4 Millionen regelmässig. «Und die Tendenz<br />
ist weiter steigend.» Auch die CREDIT<br />
SUISSE sonnt sich im Erfolg ihrer Kundenbindungsprogramme.<br />
BONVIVA, eine<br />
Finanzboutique mit verschiedensten Verlität.<br />
Gerade die Bankenwelt zeigt aber<br />
auch, wo die Grenzen dieser <strong>Flexibilität</strong><br />
liegen: Sobald es für den Kunden um<br />
höhere Summen geht, gewinnt die Beratung<br />
an Gewicht und damit auch das Vertrauen<br />
des Kunden gegenüber einer Bezugsperson.<br />
Und Vertrauen braucht Zeit.<br />
Ist es einmal aufgebaut, so ist der Kunde<br />
weder bereit noch in der Lage, den gleichen<br />
Service woanders zu kriegen.<br />
Das Problem der schwindenden Loyalität<br />
präsentiert sich damit nicht ganz so dramatisch<br />
für das Marketing. Wenn es denn<br />
überhaupt eines ist: Warum, so könnte<br />
man sich fragen, sollte sich eine Firma<br />
Sorgen machen, dass ihre Kunden abspringen<br />
? Solange sie konkurrenzfähige<br />
Produkte zu bieten hat, werden ebensoviele<br />
neue dazustossen; unter dem Strich<br />
bliebe alles beim alten. «Falsch», widerspricht<br />
Peter Bauer, Marketingchef für<br />
Individualkunden bei der CREDIT SUISSE:<br />
«Um einen neuen Kunden anzuwerben,<br />
muss ein Unternehmen nämlich ungleich<br />
mehr Geld in die Hand nehmen, als um<br />
einen bestehenden Kunden bei der Stange<br />
zu halten.» Und einmal angeworben, drückt<br />
der neue Kunde weiter auf das Budget der<br />
Bank, denn das Einrichten eines Kontos<br />
und die anderen administrativen Schritte<br />
sind nicht gratis. Auch hat der Kunde zu<br />
Beginn die Abläufe noch nicht so im Griff,<br />
was die Kostenrechnung zusätzlich belastet.<br />
Wenn also ein eben erst gewonnener<br />
Kunde wieder abspringe, hinterlasse er<br />
nur Kosten, so Bauer. «Je nach Bankprodukt<br />
müssen wir mit einigen Monaten, ja<br />
sogar Jahren rechnen, bis eine neue Kundenbeziehung<br />
zu rentieren beginnt.» Danach<br />
geht es aber meist nur noch bergauf<br />
mit der Rentabilitätskurve, denn die Abläufe<br />
schleifen sich ein, der Kunde lernt<br />
die Bank schätzen, empfiehlt sie weiter und<br />
wird auch empfänglicher für weitere Bankdienstleistungen.<br />
«Cross-selling» nennt<br />
man dies im Marketing-Jargon.<br />
Jetzt kommen die Bonusprogramme<br />
Wie einträglich es ist, seine Stammkundschaft<br />
auszuschöpfen, haben mittlerweile<br />
nicht nur die Banken begriffen. Mit allen<br />
möglichen Mitteln versuchen hierzulande<br />
Anbieter quer durch alle Branchen, die<br />
LEXIBILI<br />
treuen Kunden zu belohnen und die weniger<br />
treuen auf den rechten Weg zu führen.<br />
Die Swissair etwa hält die Mitglieder ihres<br />
Qualiflyer-Programms dazu an, fleissig<br />
Bonuspunkte zu sammeln. Haben die<br />
Vielflieger eine gewisse Anzahl Meilen abgeflogen,<br />
so erhalten sie ein Anrecht auf<br />
einen weiteren Flug bei der Swissair oder<br />
einer anderen Gesellschaft, die bei Qualiflyer<br />
mitmacht. Auch die Migros hat zur<br />
Jagd auf die loyalen Kunden geblasen, als<br />
sie vor anderthalb Jahren die Cumulus-<br />
Karte lancierte. Das Prinzip ist ähnlich: Je<br />
mehr man bei Migros einkauft, desto mehr<br />
Punkte kriegt man. Die Punkte entsprechen<br />
einem Rabatt von einem Prozent auf<br />
dem Umsatz, können aber auch für Aktionen<br />
verwendet werden. Es dauerte nicht<br />
lange, bis Konkurrent Coop mit Migros<br />
gleichzog und die Coop-Profitkarte auf<br />
den Markt brachte.<br />
«Rückfall in die Zeit der Rabattmärkli»,<br />
schimpfen vor allem Konsumentenschützer.<br />
günstigungen, zählt seit ihrer Einführung<br />
Anfang 1997 bereits weit über 100 000<br />
Mitglieder (siehe Box, Seite 27). Bei jungen<br />
Leuten beliebt ist auch das ACADE-<br />
MICA-Konto, welches neben einem gebührenfreien<br />
Privatkonto mit Vorzugszins<br />
allerlei Zusatzleistungen rund ums Kino<br />
und Internet zu bieten hat. Das dritte Pferd<br />
im Stall der CREDIT SUISSE-Loyalitätsangebote<br />
nennt sich POINT-UP, ein Bonussystem<br />
für Kreditkartenbenützer (siehe<br />
auch Artikel auf Seite 50). Das Novum:<br />
Alle drei Kreditkarten, welche die CREDIT<br />
SUISSE seit diesem Jahr anbietet, laufen<br />
über dasselbe Punktesystem.<br />
Soweit die Fassade des modernen<br />
Marketing. Wer einen Blick dahinter wirft,<br />
erkennt aber noch weit grundlegendere<br />
Veränderungen. Stimuliert durch die Möglichkeiten<br />
der Informationstechnologie,<br />
haben Firmen begonnen, in grossem Stil<br />
Daten über das Verhalten ihrer Kunden zu<br />
sammeln. All die Treueprogramme sind<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
26<br />
«LOYALITÄT BEGINNT<br />
BEI DEN MITARBEITERN»<br />
DR. BERNHARD KUNZ, CREDIT SUISSE,<br />
LEITER MARKETING RESEARCH & DEVELOPMENT<br />
ANDREAS THOMANN Die Zeiten sind vorbei, als<br />
die Kunden ein Leben lang ihrer Bank die<br />
Treue hielten. Gerade im Retail Banking<br />
sind die Nachfrager viel flexibler geworden.<br />
Was unternimmt die CREDIT SUISSE, um ihre<br />
ÄT<br />
Kundschaft bei der Stange zu halten?<br />
BERNHARD KUNZ Einiges. Vor vier Jahren<br />
ist die CREDIT SUISSE über die Bücher gegangen<br />
und hat eine ganzheitliche Strategie<br />
definiert, das Loyalty Based Management.<br />
A.T. Dies klingt wie ein weiterer Ansatz aus<br />
der schnellebigen Management-Literatur.<br />
B.K. Ist es aber nicht. Vielmehr handelt<br />
es sich um ein Konzept, mit dem wir die<br />
Loyalität von Kunden und Mitarbeitern<br />
nachhaltig fördern wollen.<br />
A.T. Auch von Mitarbeitern?<br />
B.K. Richtig. Der Grund ist so banal,<br />
dass er häufig kaum beachtet wird: Nur<br />
loyale, zufriedene Mitarbeiter schaffen für<br />
ein Unternehmen die Basis für loyale, zufriedene<br />
Kunden.<br />
A.T. Wie das?<br />
B.K. Zunächst einmal überträgt sich die<br />
Zufriedenheit eines Mitarbeiters an der<br />
Front unmittelbar auf den Kunden. Weiter<br />
gilt, dass Mitarbeiter, die sich bei ihrer<br />
Arbeit wohl fühlen, in der Regel einem<br />
Unternehmen auch länger treu bleiben.<br />
Solche Mitarbeiter kennen die internen<br />
Abläufe besser und tragen ihrerseits zu<br />
einer höheren Servicequalität bei.<br />
A.T. Wieweit hat die CREDIT SUISSE diese<br />
Erkenntnisse bereits umgesetzt?<br />
B.K. Auf Mitarbeiterseite haben wir<br />
schon 1992 begonnen, in Umfragen deren<br />
Zufriedenheit gezielt zu erforschen und die<br />
gewonnenen Daten genau wie die anderen<br />
betrieblichen Erfolgszahlen auszuwerten.<br />
A.T. Und auf der Kundenseite?<br />
B.K. Hier haben wir uns daran gemacht,<br />
unsere Kunden besser kennenzulernen.<br />
Dank modernster Informatik ist dies heute<br />
wesentlich einfacher geworden. Unsere<br />
Kundendaten waren bisher in einer Menge<br />
von dezentralen Archiven gespeichert. Der<br />
erste Schritt bestand also darin, diese verstreuten<br />
Daten in einem zentralen Pool<br />
zusammenzufassen, einem sogenannten<br />
Data Warehouse. Mittlerweile sind es<br />
einige hundert Gigabytes an Informationen,<br />
die hier lagern.<br />
A.T. Welchen Nutzen hat dieser riesige Datenspeicher<br />
für die Bank?<br />
B.K. Unmittelbar keinen. Die Kunst besteht<br />
nun darin, aus diesem Pool diejenigen<br />
Informationen herauszufiltern, die wir dann<br />
beispielsweise für loyalitätsfördernde Marketingaktivitäten<br />
einsetzen können. Dies<br />
kann durch einfache Selektionsregeln geschehen<br />
oder aber mittels Data Mining;<br />
das sind statistische Verfahren und solche<br />
der künstlichen Intelligenz, beispielsweise<br />
neuronale Netze. Die Möglichkeiten sind<br />
ausserordentlich vielfältig.<br />
A.T. Können Sie ein Beispiel nennen?<br />
B.K. Man kann etwa ein Kundenprofil für<br />
alle Hypothekarkreditbenutzer erstellen.<br />
Anschliessend eruiert man diejenigen<br />
Kunden, die ein ähnliches Profil, aber keine<br />
Hypothek haben, um ihnen per Mailing<br />
oder Telefon die Vorzüge unseres Hypothekarangebots<br />
zu erläutern.<br />
F<br />
Inwiefern fördert eine solche Aktion die<br />
A.T.<br />
Loyalität der Kunden?<br />
B.K. Da die Wahrscheinlichkeit hoch ist,<br />
dass die ausgewählte Zielgruppe effektiv<br />
am Produkt interessiert ist, werden die<br />
Kunden positiv reagieren. Sie sehen, dass<br />
die Bank ihre Bedürfnisse richtig einschätzt.<br />
Umgekehrt verärgern wir bei einem fokussierten<br />
Marketing nicht alle andern, die<br />
mit einer Hypothek gar nichts anfangen<br />
können. Ziel dieses Loyalty Based Marketing<br />
ist es, dass jede Kundenberaterin und<br />
jeder Kundenberater bereits per Mausclick<br />
weiss, welchem Kunden sie oder er was<br />
und in welcher Form anbieten sollte.<br />
A.T. Befürchten Sie nicht, dass sich die<br />
Kunden der CREDIT SUISSE durchleuchtet<br />
vorkommen könnten?<br />
B.K. Tatsächlich besteht ein Konflikt<br />
zwischen den Bedürfnissen des modernen<br />
Marketing und dem Persönlichkeitsschutz<br />
der Kunden. Um uns abzusichern,<br />
haben wir schon früh ein Datenschutzteam<br />
eingesetzt, welches unser Projekt<br />
begleitet.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHWERPUNKT<br />
27<br />
letztlich nichts anderes als Instrumente,<br />
mit denen man an diese Daten herankommen<br />
will. Denn mit jedem Einkauf oder<br />
jedem Flug hinterlassen Karteninhaber,<br />
Vielflieger und Konsorten eine Spur. In riesigen<br />
zentralen Datenbanken – sogenannten<br />
Data Warehouses – können dann<br />
die solchermassen registrierten Informationen<br />
zusammengeführt werden (siehe<br />
auch das Interview auf Seite 26). Danach<br />
liegt der Ball bei den Statistikern und Naturwissenschaftern.<br />
Ihre Aufgabe: aus dem<br />
Datenmeer eine möglichst präzise Unterteilung<br />
von verschiedenen Kundengruppen<br />
herauszufischen. Data Mining nennt<br />
BONVIVA: VIELE SCHNÄPPCHEN ERHALTEN DIE FREUNDSCHAFT<br />
Hinter BONVIVA versteckt sich ein cleveres Kundenbindungsprogramm der<br />
CREDIT SUISSE. Das Prinzip ist einfach: Wer bei der CREDIT SUISSE ein Anlageguthaben<br />
von über 25000 Franken hat, kann mitmachen. Dabei spielt es keine<br />
Rolle, in welcher Form das Guthaben vorliegt – ob in Aktien, Obligationen oder<br />
in Form eines Privat-, Spar- oder Privilegia-Kontos. Die Angebotspalette von<br />
BONVIVA lässt sich sehen:<br />
• ein gebührenfreies Privatkonto<br />
• eine kostenlose ec-Karte<br />
• ein Zinsstufensparkonto mit einem um 3 ⁄4 Prozentpunkte höheren Einstiegszins<br />
als bei Sparkonti<br />
• kommissionsfreie Travelers Cheques<br />
• ein Startkapital von 5000 Punkten im Point-up-Bonusprogramm des neuen<br />
CREDIT SUISSE-Kreditkartenangebots.<br />
LE<br />
man die komplexen Methoden, die dabei<br />
zur Anwendung kommen. Den Firmen<br />
eröffnen sie geradezu phantastische Möglichkeiten:<br />
Fortan können sie das Marketing<br />
gezielt auf bestimmte Kundensegmente<br />
abstimmen. Und sie können testen,<br />
welche Aktionen wie bei welchen Segmenten<br />
ankommen, wobei die ausgewerteten<br />
Daten wieder in das Data Warehouse<br />
zurückfliessen. Im Extremfall lassen sich<br />
für jedes einzelne Segment eigene Produkte<br />
oder Produktbündel designen.<br />
Rosige Zeiten am Konsumhimmel<br />
Ein gewaltiger Effizienzsprung für das<br />
Marketing bahne sich hier an, ist Peter<br />
Bauer überzeugt, denn: «Das gezielte<br />
One-to-one-Marketing ist viel kostengünstiger<br />
als Direktwerbung nach dem Giesskannenprinzip».<br />
Aber auch für die Kunden<br />
springt einiges heraus. Die Zeiten jedenfalls,<br />
wo der Briefkasten voller Werbebotschaften<br />
ist, die so gar nichts mit den<br />
Soweit das Basisprogramm. Die Zusatzleistungen reichen von einem kostenlosen<br />
Schlüsselfundservice über einen 24stündigen Kartensperrdienst bis hin<br />
zu happigen Vergünstigungen in ausgewählten Hotels und Restaurants in der<br />
Schweiz und im Ausland. Und in der BONVIVA-Boutique gibt es das ganze Jahr<br />
über verschiedenste Schnäppchen zu holen. Damit niemand den Überblick verliert,<br />
kriegen die «Bonvivants» sechsmal im Jahr ein Gratismagazin zugeschickt.<br />
«BONVIVA funktioniert wie ein Salatbuffet», erklärt Marketingchef Peter Bauer<br />
den Erfolg des Pakets. «Im reichhaltigen Angebot kann sich jeder und jede<br />
herauspicken, was er oder sie will. Und weil sich die Palette saisonal verändert,<br />
bleibt das Buffet das ganze Jahr über attraktiv.»<br />
Weitere Informationen zu BONVIVA gibt es übers Gratistelefon 0800 80 90 90<br />
oder über www.credit-suisse.ch/bonviva.<br />
eigenen Bedürfnissen zu tun haben, gehören<br />
wohl bald der Vergangenheit an.<br />
Und mehr noch: «Kunden, die wir besser<br />
kennen, können wir dereinst auch bessere<br />
Produkte und Dienstleistungen bieten»,<br />
lautet die einfache Formel von Cumulus-<br />
Chef Stefan Frei. Was hierzulande noch<br />
wie Zukunftsmusik klingt, ist andernorts<br />
längst Realität – vor allem in Branchen, in<br />
denen die Informations-Revolution schon<br />
vor zehn Jahren eingesetzt hat. Zu ihnen<br />
gehört der Luftverkehr. British Airways<br />
beispielsweise hat seit Jahren sein gesamtes<br />
Angebot konsequent auf die Bedürfnisse<br />
der Kundschaft ausgerichtet. Die<br />
Folge: bessere Produkte und Dienstleistungen,<br />
höhere Bequemlichkeit und klarere<br />
Informationen zu niedrigeren Preisen.<br />
So werden 80 Prozent aller auflaufenden<br />
Beschwerden innerhalb von drei Tagen<br />
bereinigt. Das Ergebnis ist eine dramatisch<br />
gestiegene Loyalität: Mehr als 80 Prozent<br />
der Kunden, die sich 1996 beschwert hatten,<br />
wollten später wieder mit British Airways<br />
fliegen, verglichen mit 40 Prozent im<br />
Jahre 1993.<br />
Rosige Zeiten also, die sich am Konsumhimmel<br />
abzeichnen. Vieles deutet darauf<br />
hin, dass der Kunde von morgen weniger<br />
durch übertriebene <strong>Flexibilität</strong> als<br />
vielmehr durch Transparenz und Loyalität<br />
auffallen wird.<br />
ANDREAS THOMANN, TELEFON (01) 333 80 39<br />
E-MAIL: ANDREAS.THOMANN@<br />
CREDIT-SUISSE.CH<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
NEWS<br />
28<br />
ZAHLEN UND SPAREN<br />
IN EURO<br />
Das neue EURO-KONTO der CREDIT SUISSE<br />
für Private bricht mit der Tradition, denn es vereint<br />
erstmals Zahlen und Sparen in einem Konto.<br />
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EURO-KONTO haben, desto höher ist Ihr Zinssatz.<br />
Ab 8000 Euro sind es ein Prozent, und<br />
bei einem Guthaben ab 15 000 kommt der<br />
Maximalzinssatz von zurzeit zwei Prozent zur<br />
Anwendung.<br />
Das EURO-KONTO eignet sich für Private, die<br />
– in Verbindung mit einem Wertschriftendepot<br />
Anlagegeschäfte in Euro tätigen,<br />
– für eine Investition im Ausland sparen,<br />
– häufige Transaktionen in Euro abwickeln.<br />
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sein, so werfen Sie doch einen Blick<br />
ins betreffende Dossier von<br />
BULLETIN Online, zu finden unter<br />
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BADELIFT, RETTUNGSBRETT<br />
UND FUSSBALLKASTEN<br />
Eine gute Sache nahm im<br />
Herbst 1997 ihren Anfang.<br />
Damals entschied die CREDIT<br />
SUISSE, fortan auf die traditionellen<br />
Kundengeschenke<br />
an Weihnachten zu verzichten<br />
und stattdessen diverse karitative<br />
Projekte in der Schweiz<br />
zu unterstützen. Im letzten<br />
Dezember erfuhr die Aktion<br />
«Helfen statt Schenken» ihre<br />
zweite Auflage. Zusammen<br />
mit den regionalen Führungseinheiten<br />
hat die Geschäftsleitung<br />
die folgenden fünf<br />
Projekte ausgewählt:<br />
Einen Badelift für die geistig<br />
und mehrfachbehinderten<br />
Heimbewohner im Beschäftigungs-<br />
und Wohnheim<br />
Dychrain, Münchenstein.<br />
Ein Ferienlager für 70 geistig<br />
schwerbehinderte Menschen<br />
und ihre Begleitpersonen<br />
sowie ein Tischfussballkasten<br />
zugunsten der Band-<br />
Genossenschaft, Bern.<br />
Die Einrichtung eines Aufenthaltsraumes<br />
mit Cheminée<br />
im Heim für geistig Behinderte<br />
«Les Fontenattes» in Boncourt.<br />
Betreiberin des Heims ist<br />
die «Fondation Les Castors»<br />
in Pruntrut.<br />
Rettungsbretter und -bälle,<br />
Wurfleinen, «Gstältli» und<br />
Handbücher zur Lebensrettung<br />
in Seen und Flüssen für<br />
die Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft,<br />
Bellinzona.<br />
Einen Beitrag für das heilpädagogische<br />
Reiten, die<br />
Anschaffung von Musikinstrumenten,<br />
Theaterkleidern und<br />
-requisiten sowie einen Stimulations-<br />
und Ruheraum für<br />
behinderte Menschen. Der<br />
Beitrag ging an das Giuvaulta<br />
Zentrum für Sonderpädagogik,<br />
Rothenbrunnen.<br />
Weitere Informationen über<br />
Telefon (01) 333 27 71 oder<br />
ursi.krienbühl@credit-suisse.ch.<br />
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CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
NEWS<br />
29<br />
DAS BULLETIN GEHT INS NETZ<br />
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seines Erscheinens steht, hat schon von manch einer<br />
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HYPOTHEK<br />
«Der Kunde ist König», sagte<br />
sich die CREDIT SUISSE,<br />
als sie ihre Multichannel-Strategie<br />
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soll er sich aus einem<br />
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Oder Sie greifen zum Telefon<br />
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Türen der Winterthur-Agenturen<br />
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den optischen Auftritt. Der Vierfarbendruck<br />
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Nun geht das Traditionsmagazin<br />
BULLETIN abermals<br />
mit der Zeit und wagt den<br />
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nunmehr elektronische Medienwelt.<br />
Ab dieser Nummer erscheint das BULLETIN<br />
unter dem Titel «BULLETIN online» im Internet. Damit<br />
ist unser Angebot auch über dieses neue Medium<br />
zugänglich – vorläufig nur auf deutsch.<br />
In der Internet-Ausgabe sind Artikel zu BULLETIN-<br />
Themen zu lesen. Geschichten aus der Printausgabe<br />
werden mit zusätzlichen Informationen ergänzt und<br />
weiterverfolgt. In der Rubrik «Dossier» kann man eine<br />
breite Palette von Informationen zu den Themen Euro,<br />
Allfinanz, Schweiz und Zweiter Weltkrieg, Jahr-2000-<br />
Problem, Retail Banking und Internet Banking abrufen.<br />
Zusätzlich stehen zu allen Themen Links bereit, die<br />
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auf dem Internet bieten.<br />
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CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
«BEI DER UMSTELLUNG AUF<br />
DEN EURO ENTSTEHT IM<br />
WERTSCHRIFTENBEREICH EIN<br />
EIGENTLICHES PATCHWORK, DA<br />
BRÜSSEL KEIN EINHEITLICHES<br />
VORGEHEN VORSCHREIBT»,<br />
ERKLÄRT CREDIT SUISSE-<br />
ÖKONOM FRITZ STAHEL.
ECONOMIC RESEARCH<br />
31<br />
SCHNITTSTELLE<br />
BANKENWELT<br />
DER EURO IST DA! FÜR DEN FINANZSEKTOR<br />
HAT EIN NEUES ZEITALTER BEGONNEN.<br />
VON FRITZ STAHEL, ECONOMIC RESEARCH<br />
Schon beim ersten Hinsehen wird klar: der<br />
Finanzsektor der EU ist kein homogenes<br />
Gebilde. Die Unterschiede von Land zu<br />
Land sind zum Teil noch beträchtlich. Sie<br />
zeigen sich beispielsweise im zeitlichen<br />
Verlauf und in der Dynamik des bisherigen<br />
Strukturwandels. Dieser hat in Skandinavien<br />
früher begonnen und stärker gewirkt<br />
als in den meisten anderen Mitgliedstaaten.<br />
Vor allem in den südlichen EU-Ländern<br />
besteht ein erheblicher Nachholbedarf;<br />
es werden die Anzahl Banken reduziert,<br />
die Filialnetze gestrafft und die Personalbestände<br />
verringert.<br />
Auf diesen Strukturwandel wirkt die<br />
Einführung des Euro als gemeinsame<br />
Währung von elf EU-Staaten wie ein<br />
Katalysator. Der Finanzsektor wird in der<br />
dreijährigen Übergangsphase zu einer<br />
wichtigen Schnittstelle. Die meisten Finanzinstitute<br />
betrachten die Geburt des Euro<br />
nicht nur als technische Übung; vielmehr<br />
nehmen sie sie zum Anlass, die eigene<br />
strategische Position anzupassen.<br />
Die unwiderrufliche Fixierung der<br />
Wechselkurse hat im Devisenhandel alle<br />
Geschäfte mit den beteiligten EWU-<br />
Währungen untereinander überflüssig<br />
gemacht. Das sind je nach Land zwischen<br />
einem Drittel des gesamten Umsatzes in<br />
Finnland und einem Zehntel in Grossbritannien.<br />
Anfang 2002 wird sich ähnliches<br />
beim Handel mit Noten wiederholen. Die<br />
Banken versuchen diese Einbussen zu<br />
kompensieren. Dabei rechnen sie mit<br />
einer weltweit erhöhten Nachfrage nach<br />
Euro und einem wachsenden Handel mit<br />
Währungen aus den Emerging Markets.<br />
Ein verschärfter Wettbewerb zeichnet<br />
sich im Zahlungsverkehr ab. Die Kunden<br />
erwarten, dass im einheitlichen Währungsraum<br />
grenzüberschreitende Transaktionen<br />
rascher und günstiger abgewickelt werden.<br />
Das ist zwar nicht von heute auf morgen<br />
möglich, weil für den internationalen Zahlungsverkehr<br />
nach wie vor verschiedene<br />
Wege offenzuhalten sind. Der technologische<br />
Fortschritt und der Konkurrenzdruck<br />
machen jedoch mit der Zeit Euro-<br />
Zahlungen auch ins Ausland attraktiver.<br />
Die Börsen wachsen zusammen<br />
Zeit braucht die Umstellung auf den Euro<br />
ebenfalls im Wertschriftenbereich. Da<br />
Brüssel kein einheitliches Vorgehen vorschreibt,<br />
entsteht hier ein eigentliches<br />
Patchwork: Die Staatsanleihen der EU-11<br />
sind bereits redenominiert; andere Emittenten<br />
folgen erst später oder lassen ihre<br />
Papiere bis zum Verfall in den nationalen<br />
EWU-Währungen. Die Aktien müssen innerhalb<br />
von drei Jahren umgestellt werden.<br />
Beteiligungspapiere werden aber bereits<br />
seit 4.1.1999 in Euro gehandelt.<br />
Vor besonders markanten Veränderungen<br />
steht die Börsenlandschaft Europas<br />
(siehe Grafik auf Seite 22). Die bisherige<br />
Währungsvielfalt hat begünstigt, dass<br />
zahlreiche nationale Handelsplätze nebeneinander<br />
existieren konnten. Derivatbörsen,<br />
die sich auf spezifische Zins- oder Währungsinstrumente<br />
ausrichteten, sind in den<br />
letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden<br />
geschossen. Mit dem Euro fallen diese<br />
Segmentierungen weg. Zudem ändern die<br />
Investoren ihr Verhalten. Obligationenanlagen<br />
werden innerhalb der EWU nicht<br />
mehr nach Währungen, sondern nach<br />
Laufzeit und Schuldnerbonität diversifiziert.<br />
Bei den Aktienanlagen verschwinden Länderüberlegungen<br />
zwar nicht sofort. Dennoch<br />
verlieren sie schrittweise zugunsten<br />
eines pan-europäischen Branchenansatzes<br />
an Bedeutung.<br />
Die Börsen in Europa wachsen also<br />
stärker zusammen. Die rasanten Fortschritte<br />
in der Informationstechnologie<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
32<br />
und eine Liberalisierung der Zulassungsbestimmungen<br />
für die Börsen unterstützen<br />
dies. So ist heute die «remote membership»<br />
möglich: Man kann am Handel einer<br />
Börse teilnehmen, ohne im entsprechenden<br />
Land physisch präsent zu sein.<br />
Allianzen wie Eurex zwischen Frankfurt<br />
und Zürich sind grundsätzlich offen. Und<br />
dereinst könnte gar ein pan-europäischer<br />
elektronischer Handelsplatz entstehen.<br />
Entsprechende Gespräche sind angelaufen,<br />
brauchen jedoch Zeit. Gehandelt wird auch<br />
künftig dort, wo die beste Liquidität vorhanden<br />
und die Rechnungslegung fortschrittlich<br />
ist, die niedrigsten Gebühren zu zahlen<br />
sind und die regulatorischen und steuerlichen<br />
Rahmenbedingungen stimmen.<br />
Zudem schauen sich Anleger verstärkt<br />
nach Papieren mit einer attraktiven Verzinsung<br />
um. Mit der EWU sind nämlich<br />
Renditenunterschiede bei Staatsanleihen<br />
von bis zu 700 Basispunkten passé. Entscheidend<br />
sind nicht mehr Inflationsunterschiede<br />
und Währungsrisiken, sondern vor<br />
allem die Schuldnerbonität. Der Benchmark<br />
für erstklassige Obligationen der<br />
öffentlichen Hand ist Deutschland – allenfalls<br />
zusammen mit Frankreich. Höhere<br />
Renditen erzielt nur, wer bereit ist, ein<br />
grösseres Risiko in Kauf zu nehmen.<br />
In den USA besteht ein stark entwickelter<br />
Markt für Anleihen von weniger<br />
bekannten Schuldnern. Das Segment der<br />
High Yield Bonds umfasst dort mittlerweile<br />
600 Milliarden Dollar. Haben in den<br />
USA lediglich ein Drittel aller Anleihen die<br />
Bonität Aa3 oder besser, so sind es in<br />
Europa vier Fünftel. Diesseits des Atlantiks<br />
besteht also ein erhebliches Potential,<br />
das in den nächsten Jahren ausgeschöpft<br />
wird. Die Investoren müssen sich allerdings<br />
bewusst sein, dass sich solche Papiere<br />
zwar als Beimischung zum Depot eignen,<br />
gleichzeitig aber etwas stärkere Nerven<br />
fordern. Die letztjährigen Turbulenzen an<br />
den Finanzmärkten bestätigen dies.<br />
Für die Banken heisst das: Ein wachsender<br />
Teil ihrer Kunden beschafft sich<br />
Kapital direkt am Markt statt über traditionelle<br />
Bankkredite. Die Finanzinstitute fördern<br />
aber auch aktiv die Verlagerung vom<br />
Zinsdifferenzgeschäft zu Transaktionen auf<br />
Kommissionsbasis. Sie treiben durch eine<br />
Verbriefung an den Kapitalmärkten voran,<br />
dass Kredite ausgelagert werden. Auch<br />
diesbezüglich besteht in Europa im Vergleich<br />
zu den USA ein erheblicher Nachholbedarf.<br />
Für die Banken werden so<br />
eigene Mittel frei, die sie für andere Geschäfte<br />
einsetzen können.<br />
MERKMALE DES EU-BANKENSEKTORS IM INTERNATIONALEN VERGLEICH:<br />
• In der EU ist der Konzentrationsgrad überdurchschnittlich hoch. In einer Reihe<br />
von Staaten entfällt die Hälfte des Bilanzsummentotals auf die jeweils fünf<br />
grössten Banken. Das ist vergleichbar mit der Schweiz, aber deutlich mehr als<br />
in Japan und in den USA.<br />
• Die EU verfügt – zusammen mit der Schweiz – nach wie vor über eine sehr<br />
hohe Bankendichte. Während sich in Europa rund 2000 Einwohner eine Filiale<br />
teilen müssen, sind es in den USA 3700 und in Japan gar 5000.<br />
• Der erwirtschaftete Bruttoertrag in den USA pro Mitarbeiter ist mit knapp<br />
200000 Franken im Durchschnitt aller Banken deutlich niedriger als in Japan und<br />
in der Schweiz mit etwa 350 000 Franken.<br />
• Die Ertragskraft reicht bei weitem nicht an jene der USA heran. Dort betrug der<br />
Return on Equity (RoE) in den letzten fünf Jahren gut 20 Prozent, verglichen mit<br />
knapp 10 Prozent in der EU, 7 Prozent in der Schweiz und lediglich 1 Prozent in<br />
Japan.<br />
BÖRSENPLÄTZE DER EU:<br />
MARKTANTEILE IN %<br />
OBLIGATIONEN<br />
Niederlande<br />
Grossbritannien<br />
Frankreich<br />
Italien<br />
AKTIEN<br />
Italien<br />
Niederlande<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
Spanien<br />
Frankreich<br />
Dänemark<br />
Deutschland<br />
Italien<br />
Österreich<br />
Belgien<br />
Grossbritannien<br />
Niederlande<br />
Irland<br />
Dänemark<br />
Belgien<br />
Schweden<br />
andere Länder<br />
Deutschland<br />
Spanien<br />
Schweden<br />
Belgien<br />
andere Länder<br />
Grossbritannien<br />
KAPITALANLAGEN VON<br />
PRIVATPERSONEN IN DER<br />
EU: AUSLANDANTEILE IN %<br />
% 0 5 10 15 20 25 30<br />
Der einheitliche Währungsraum erleichtert<br />
den Anlegern den Blick über die Grenzen.<br />
Da das Wechselkursrisiko innerhalb<br />
von Euroland weggefallen ist, haben sie<br />
einen Anreiz, vermehrt ausländische Wertpapiere<br />
zu kaufen. Gemäss der Grafik verfügen<br />
bislang einzig die Iren mit gut einem<br />
Viertel über einen markanten Anteil an<br />
Investitionen im Ausland. Ihnen stehen die<br />
Privatpersonen in Spanien und Frankreich<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
33<br />
gegenüber, die nicht einmal fünf Prozent<br />
ihrer Kapitalanlagen ausserhalb des eigenen<br />
Landes investiert haben. Diese Heimatverbundenheit<br />
wird schwinden. Das<br />
stimuliert die Aktienmärkte, freut die<br />
staatlichen Emittenten und beunruhigt die<br />
nationalen Steuerbehörden.<br />
Bankkunden wollen auch weitere Geschäfte<br />
künftig über die Grenzen hinweg<br />
abschliessen. Der Euro macht nämlich die<br />
Preise transparenter und erleichtert damit<br />
den Vergleich zwischen in- und ausländischen<br />
Anbietern. Vor allem standardisierte<br />
Produkte etwa im Hypothekar- und Versicherungsbereich<br />
bieten sich dafür an.<br />
Voraussetzung ist jedoch, dass die Konsumenten<br />
mit den elektronischen Absatzkanälen<br />
vertraut und von einem vergleichbaren<br />
Aufsichtsstandard überzeugt sind.<br />
Zudem müssen steuerliche Hindernisse<br />
verschwinden. Denn Anbieter im Ausland<br />
sind chancenlos, wenn nur inländische Hypothekarzinsen<br />
und Versicherungsprämien<br />
steuerlich abzugsfähig sind.<br />
Ähnliches gilt für die Firmenkunden,<br />
wenn der Euro das wirtschaftliche Wachstum<br />
begünstigt und den innereuropäischen<br />
Austausch von Gütern und Dienstleistungen<br />
erleichtert. Die Unternehmen<br />
werden künftig mehr grenzüberschreitende<br />
Handelsfinanzierungen, Zahlungsverkehrstransaktionen<br />
und Cash-Management-<br />
Möglichkeiten brauchen.<br />
Schweiz und EU sind eng verbunden<br />
Das Finanzgeschäft in Europa wird verstärkt<br />
internationalisiert und von einer<br />
neuen Strukturbereinigung erfasst. Institute<br />
strecken ihre Fühler elektronisch ins<br />
Ausland aus. Andere sind in bestimmten<br />
Geschäftsfeldern für Kooperationen mit<br />
Partnerbanken in einzelnen Ländern. Zu<br />
erwarten ist auch, dass die Firmenzusammenschlüsse<br />
deutlich zunehmen. Paneuropäische<br />
Fusionen bleiben wenigen<br />
Konzernen vorbehalten; aber das Potential<br />
an Instituten, die sich innerhalb eines Marktes<br />
oder zwischen kulturell verwandten<br />
Ländern zusammenschliessen, ist gross.<br />
DER EURO HAT AUCH WIRKUNGEN AUF DEN FINANZSEKTOR SCHWEIZ:<br />
• Da elf nationale Währungen im Euro aufgegangen sind, gehen dem Devisenhandel<br />
in der Schweiz gut zehn Prozent seines Volumens verloren. Sollte die<br />
Schweiz der EU beitreten und auf den Franken verzichten, wären es rund<br />
25 Prozent.<br />
• Für internationale Investoren, die ihre Portefeuilles neu diversifizieren müssen,<br />
bieten sich der US-Dollar, das britische Pfund und Anlagen in Schweizerfranken<br />
an. Dies belebt die entsprechenden Börsensegmente.<br />
• Weil bei der Redenominierung von Wertpapieren aus dem EWU-Raum in Euro<br />
kein einheitliches Verfahren vorgeschrieben ist, müssen die hiesigen Banken bei<br />
ihrer traditionell internationalen Wertschriftenverwaltung mit allen Varianten klarkommen.<br />
• Um den Euro als Zweitwährung in der Schweiz effizient zu verarbeiten, musste<br />
man die entsprechende Infrastruktur anpassen. So wurde beispielsweise im<br />
Zahlungsverkehr das euroSIC geschaffen.<br />
• Anfang 2002 werden gewaltige Mengen von Bargeld umgetauscht, was eine<br />
verstärkte Geldwäschereitätigkeit auch in der Schweiz befürchten lässt. Deshalb<br />
gilt im Rahmen der bestehenden und bewährten Massnahmen eine erhöhte<br />
Vorsicht.<br />
Die Schweiz ist mit der EU wirtschaftlich<br />
eng und auf vielfältige Weise verbunden<br />
– das gilt ebenfalls für den Finanzplatz.<br />
Um jedoch vom gemeinsamen Finanzmarkt<br />
der EU profitieren zu können, brauchen<br />
die hiesigen Banken eine direkte<br />
Präsenz durch Tochtergesellschaften.<br />
Daran ändert auch das ausgehandelte bilaterale<br />
Vertragswerk nichts. Die EU-Einheitslizenz<br />
für Kreditinstitute, Wertpapierhäuser<br />
und Anlagefonds ist von der<br />
Schweiz aus nicht zu haben.<br />
Trotzdem rückt der Euro den Finanzplatz<br />
Schweiz ins Rampenlicht. Die Freiheit<br />
des Kapitalverkehrs wird ja begünstigt,<br />
weil das Währungsrisiko innerhalb der<br />
EWU wegfällt. Da die Union befürchtet,<br />
dass Anlagen im Ausland bei der Steuerdeklaration<br />
vergessen gehen, müssen<br />
bessere Kontrollmöglichkeiten her. Bei<br />
einem Alleingang der EU ist es nicht<br />
erfolgsversprechend, dass Kapitalerträge<br />
automatisch an die Steuerbehörden gemeldet<br />
werden oder dass eine entsprechende<br />
Quellensteuer eingeführt wird. Darum<br />
muss die Gemeinschaft auch Drittstaaten<br />
in eine Lösung einbeziehen. Die Schweiz<br />
kann aber nur zu einem kompatiblen System<br />
Hand bieten, wenn auch die Schlupflöcher<br />
in der EU gestopft werden.<br />
Der Euro mit seiner Katalysatorwirkung<br />
bewirkt schliesslich, dass der Finanzplatz<br />
Schweiz traditionelle Stärken mit anderen<br />
Zentren teilen muss. Das zwingt zu aktivem<br />
Handeln. So hat die Börse Schweiz mit<br />
ihrem System, welches Handel, Clearing<br />
und Settlement elektronisch verknüpft,<br />
einen internationalen Vorsprung. Dieses<br />
herausragende Know-how muss die<br />
Schweiz nutzen, indem sie mit anderen<br />
Börsenplätzen zusammenarbeitet oder<br />
ans Ausland verlorene Handelsaktivitäten<br />
zurückgewinnt. Hier zeigt sich indes deutlich,<br />
dass eine klare Strategie und technisches<br />
Know-how nicht genügen, wenn<br />
der Handel mit der Stempelsteuer belastet<br />
wird. Zur Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
sind nicht nur die Finanzinstitute,<br />
sondern auch die Politiker gefordert.<br />
FRITZ STAHEL, TELEFON (01) 333 32 84<br />
E-MAIL: FRITZ.STAHEL@CREDIT-SUISSE.CH<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
34<br />
ADRIANO LUCATELLI (LINKS)<br />
UND THOMAS STEINEMANN,<br />
EURO-SPEZIALISTEN IM<br />
ECONOMIC RESEARCH DER<br />
CREDIT SUISSE.<br />
EURO AUF KURS<br />
DIE NEUE WÄHRUNG IST LANCIERT. WIRD SIE<br />
IHRE UMLAUFBAHN STÖRUNGSFREI ERREICHEN?<br />
ZWEI SPEZIALISTEN NEHMEN STELLUNG.<br />
INTERVIEW: ANDREAS THOMANN,<br />
REDAKTION BULLETIN<br />
ANDREAS THOMANN Der Startschuss zum Euro A.T. Pragmatisch in welchem Sinne ?<br />
ist gefallen, und die europäische Zentralbank<br />
A.L. Zwar steht für die EZB-Verantwortlichen<br />
(EZB) hat am ersten Januar dieses<br />
Jahres ihre Amtsgeschäfte aufgenommen.<br />
Ist ihr der Start gelungen ?<br />
das Ziel der Geldwertstabilität klar<br />
im Vordergrund. Wenn es die Situation erlaubt,<br />
werden sie aber auch andere wirtschaftspolitische<br />
THOMAS STEINEMANN Durchaus, soweit<br />
Ziele berücksichtigen.<br />
man dies im jetzigen Zeitpunkt überhaupt<br />
schon sagen kann. Wie jede andere Zentralbank<br />
A.T. Ist die Leitzinssenkung nicht vielmehr<br />
hat sie zunächst die nötigen<br />
Massnahmen getroffen, um die Liquiditätsversorgung<br />
in ihrer Währungszone, dem<br />
Euroland, zu gewährleisten.<br />
unter politischem Druck zustandegekommen,<br />
namentlich seitens des deutschen<br />
Finanzministers Oskar Lafontaine ?<br />
T.S. Bestimmt nicht. Die Buba fällte den<br />
ADRIANO LUCATELLI Um den Führungsstil Entscheid völlig autonom, nämlich erst<br />
der EZB zu beurteilen, würde ich die Politik<br />
der Deutschen Bundesbank (Buba)<br />
dann, als sie kein Aufflackern der Inflation<br />
befürchten musste.<br />
in der zweiten Hälfte des Jahres 1998<br />
mitberücksichtigen. So war die Leitzinssenkung<br />
der Buba im vergangenen Herbst<br />
bereits eine EZB-Massnahme; man wollte<br />
dem Euro einen ruhigen Start erlauben.<br />
Die Massnahme hat gezeigt, dass man<br />
durchaus mit einer pragmatischen Politik<br />
der EZB rechnen kann.<br />
A.T. Dennoch haben die versuchten Einflussnahmen<br />
gewisser Politiker die Frage nach<br />
der Unabhängigkeit der EZB aufgeworfen.<br />
T.S. Hier besteht kein Grund zur Beunruhigung.<br />
Der Maastrichter Vertrag garantiert<br />
der EZB die vollständige Unabhängigkeit.<br />
Über Geldpolitik wird ausschliesslich im<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
35<br />
Rat der EZB entschieden (siehe auch Box<br />
auf Seite 36). Es gibt nur ein Gremium,<br />
das einen gewissen Einfluss auf die EZB<br />
nehmen kann: der Ecofin, also der Rat der<br />
Finanzminister. Bei den langfristigen Leitlinien<br />
der Währungspolitik hat er ein Wort<br />
mitzureden. So wäre es theoretisch möglich,<br />
dass der Ecofin gegen den Willen der<br />
EZB einen Beschluss fasst – was sehr<br />
unwahrscheinlich ist.<br />
A.T. Was hat es denn überhaupt für einen<br />
Sinn, wenn Politiker versuchen, der EZB<br />
dreinzureden ?<br />
A.L. Es ist das legitime Recht von Politikern,<br />
ihre geldpolitischen Vorstellungen in<br />
der Öffentlichkeit zu diskutieren. Die jetzige<br />
politische Konstellation in der EU wird<br />
dafür sorgen, dass es immer wieder zu<br />
Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen<br />
Regierungen und der EZB kommen<br />
wird. Denn auf der einen Seite haben wir<br />
mehrheitlich sozialdemokratisch regierte<br />
Länder mit einem gewissen Hang zu<br />
einer eher lockeren, wachstumsorientierten<br />
Geldpolitik, auf der anderen Seite die<br />
EZB, deren Statuten von einem monetaristischen<br />
Geist geprägt sind, mit der Geldwertstabilität<br />
als oberstem Ziel. Wichtig ist<br />
nun, dass die EZB jederzeit unabhängig<br />
entscheiden kann, ob und wie sie auf politische<br />
Diskussionen zu reagieren gedenkt.<br />
A.T. Ist die EZB ein europäisches Abbild der<br />
amerikanischen Zentralbank (Fed) ?<br />
T.S. Es gibt effektiv viele Gemeinsamkeiten<br />
zwischen den beiden wichtigsten<br />
Zentralbanken der Welt. Von der Unabhängigkeit<br />
haben wir bereits gesprochen.<br />
Ähnlichkeiten bestehen aber auch in der<br />
dezentralen Struktur. So sind die zwölf<br />
Fed-Distrikte vergleichbar mit den elf<br />
EWU-Mitgliedsstaaten und ihren nationalen<br />
Notenbanken, wobei letztere ein<br />
grösseres Gewicht haben. Dies zeigt sich<br />
im Abstimmungsprozess: In der EZB haben<br />
alle nationalen Notenbankenchefs<br />
eine Stimme, im Fed nur ein Teil der<br />
Distriktsvertreter. Und Alan Greenspan,<br />
der Fed-Präsident, hat ein Vetorecht. Ich<br />
gehe aber davon aus, dass dieser grössere<br />
Einfluss der nationalen Untereinheiten<br />
in der EZB mit der Zeit zurückgehen wird.<br />
Die gleiche Entwicklung hatte übrigens<br />
auch das Fed durchgemacht. Man sah mit<br />
der Zeit ein, wie wichtig eine zentrale<br />
Führung ist.<br />
A.T. Besteht nicht ein weiterer grosser<br />
Unterschied zu den USA darin, dass jeder<br />
der elf Staaten der EWU eine eigene Wirtschaftspolitik<br />
verfolgt ?<br />
A.L. Der Unterschied ist nicht so gross,<br />
wie man meinen könnte. Denn auch die<br />
amerikanischen Bundesstaaten verfolgen<br />
eine ziemlich eigenständige Wirtschaftspolitik,<br />
etwa im Bereich der Steuern.<br />
Zudem werden sich die EWU-Länder wirtschaftspolitisch<br />
noch stärker aufeinander<br />
zu bewegen.<br />
A.T. Wo sehen Sie mögliche Stolpersteine<br />
für den Euro ?<br />
T.S. Es gibt im wesentlichen zwei Szenarien,<br />
bei denen der Euro ins Straucheln<br />
geraten könnte – beide sind aber nicht<br />
sehr wahrscheinlich. Das eine wäre eine<br />
schlechte wirtschaftliche Entwicklung im<br />
Euroland mit einem massiven Anstieg der<br />
Arbeitslosigkeit. Die einzelnen Staaten<br />
ADRIANO LUCATELLI:<br />
wären versucht oder gezwungen, mit einer<br />
expansiven Fiskalpolitik die Wirtschaft<br />
wieder in Gang zu bringen. Die Folge:<br />
eine Überschreitung der im Stabilitätspakt<br />
definierten Budgetdefizitgrenzen.<br />
A.T. Und das zweite Szenario ?<br />
T.S. In diesem Fall gelänge es den Ländern<br />
nicht, ihre Konjunkturzyklen längerfristig<br />
zu koordinieren. Angenommen, die<br />
deutsche Wirtschaftslokomotive läuft mit<br />
voller Kraft voraus, die spanische dagegen<br />
kommt nicht auf Touren, dann müsste die<br />
EZB gleichwohl die geldpolitische Handbremse<br />
angezogen halten, und Spanien<br />
hätte unter hohen Zinsen zu leiden.<br />
A.T. Was wäre die Folge für den Euro, würde<br />
eines dieser Szenarien eintreffen ?<br />
T.S. Der Worst Case wäre letztlich die<br />
Auflösung der Währungsunion oder das<br />
Austreten einzelner Mitglieder. Dieser Fall<br />
ist aber sehr unwahrscheinlich und im Vertrag<br />
schon gar nicht vorgesehen. Wahrscheinlicher<br />
ist, dass man versuchen würde,<br />
einem Land mit einer angeschlagenen<br />
Wirtschaft mittels Ausgleichszahlungen<br />
über die Runden zu helfen. Oder dass man<br />
die Kriterien des Stabilitätspakts vorübergehend<br />
grosszügiger interpretiert – wie im<br />
Maastricht-Vertrag vorgesehen. Der Preis<br />
dieser Massnahmen wäre zum einen ein<br />
schwächerer Euro und zum andern höhere<br />
Zinsen – als Ausdruck einer höheren<br />
Risikoprämie für alle, die ihr Geld in Euro<br />
anlegen.<br />
A.T. Und die Folgen für die Schweiz ?<br />
A.L. Der Franken würde zur Fluchtwährung.<br />
Es flösse Kapital in die Schweiz,<br />
«DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK<br />
WIRD PRAGMATISCH VORGEHEN.»<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
36<br />
THOMAS STEINEMANN:<br />
«ES GIBT KEINEN GRUND, DEN FRANKEN<br />
AN DEN EURO ZU BINDEN.»<br />
was den Frankenkurs ansteigen liesse.<br />
Dies hätte Vorteile, etwa tiefe Zinsen<br />
und billigere Importe, doch die Nachteile<br />
wären höhere Preise unserer Exporte.<br />
A.T. Wenden wir uns ab von diesen düsteren<br />
Szenarien. Wahrscheinlicher scheint ohnehin,<br />
dass sich der Euro neben dem Dollar<br />
als weltweit zweitwichtigste Währung etablieren<br />
wird. Oder wird er dem Dollar sogar<br />
den Rang ablaufen ?<br />
A.L. Wir gehen mittelfristig nicht davon<br />
aus. Der Dollar hat sich bereits als Weltwährung<br />
etabliert. Da herrscht bei Notenbanken<br />
und Anlegern eine gewisse Trägheit,<br />
alte Gewohnheiten über den Haufen<br />
zu werfen. Und der Dollar verfügt über<br />
einen Leistungsausweis, den sich der Euro<br />
erst erarbeiten muss. Hinzu kommt: Der<br />
Dollar wurde erst durch das permanente<br />
US-Leistungsbilanzdefizit zur Weltreservewährung.<br />
Das Euroland hingegen weist<br />
einen Ertragsbilanzüberschuss aus. Dies<br />
wird sich deshalb nicht so schnell umkehren<br />
können, weil global gesehen die Summe<br />
aller Leistungsbilanzsaldi null ergibt.<br />
A.T. Der Euro wird den Dollar also so schnell<br />
nicht verdrängen. Wo kann er ihn allenfalls<br />
bedrängen ?<br />
A.L. Im Handel mit Osteuropa wird<br />
der Euro zur wichtigsten Handelswährung<br />
avancieren. Auch als Reservewährung<br />
wird er eine wachsende Rolle spielen.<br />
A.T. Die Schweiz ist vom Euroland umgeben.<br />
Ist es nicht denkbar, dass die Nationalbank<br />
den Franken an den Euro bindet ?<br />
A.L. Denkbar schon, doch nicht sehr<br />
wahrscheinlich – allein schon aus politi-<br />
schen Gründen. Denn eine Bindung des<br />
Frankens an den Euro käme de facto einer<br />
Mitgliedschaft in der EWU gleich. Sollte<br />
die Schweiz dies wollen, so würde sie<br />
den umgekehrten Weg beschreiten und<br />
zuerst der EU beitreten.<br />
A.T. Und wenn der Franken beispielsweise<br />
unter starken Aufwertungsdruck geriete ?<br />
A.L. Dann würde die Nationalbank<br />
versuchen, mit allen Mitteln ihre Unabhängigkeit<br />
zu wahren, etwa durch das<br />
Einschiessen von mehr Liquidität oder das<br />
Senken des Diskontsatzes.<br />
A.T. Eine ketzerische Frage zum Schluss:<br />
Wäre es denn überhaupt schlimm, wenn die<br />
Schweiz ihre geldpolitische Autonomie aufgäbe<br />
?<br />
T.S. Um eine Antwort zu geben, muss<br />
man den Leistungsausweis der National-<br />
bank mit demjenigen der Buba vergleichen.<br />
Und dieser Vergleich fällt zugunsten<br />
der Schweizer Geldpolitiker aus: In den<br />
letzten zwanzig Jahren war die Inflationsrate<br />
in der Schweiz mit ein paar Ausnahmen<br />
signifikant niedriger als in Deutschland.<br />
Sichtbarer Ausdruck dieser besseren<br />
Performance ist ein Zinsbonus von rund<br />
1,5 Prozent gegenüber Deutschland. Insofern<br />
gibt es keinen Grund, die eigene<br />
Geldpolitik aufzugeben.<br />
THOMAS STEINEMANN, TELEFON (01) 333 87 60;<br />
E-MAIL THOMAS.STEINEMANN@CREDIT-<br />
SUISSE.CH<br />
ADRIANO LUCATELLI, TELEFON (01) 333 23 07<br />
E-MAIL ADRIANO.LUCATELLI@CREDIT-<br />
SUISSE.CH<br />
DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK AUF EINEN BLICK<br />
Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt ist aus drei Gremien<br />
zusammengesetzt:<br />
– Dem Direktorium mit dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und weiteren<br />
vier Mitgliedern. Das Direktorium setzt die Politik der EZB um.<br />
– Dem EZB-Rat: Neben dem Direktorium sitzen hier die elf Direktoren der<br />
nationalen Zentralbanken des Euroraums. Im 17köpfigen EZB-Rat gilt «one<br />
man one vote». Der Rat bestimmt die Politik der EZB.<br />
– Dem erweiterten Rat: In ihm treffen sich der Präsident und der Vizepräsident<br />
der EZB mit den Zentralbankdirektoren der 15 EU-Länder. Der erweiterte Rat<br />
hat konsultative Funktionen und sichert den Informationsaustausch zwischen<br />
der EZB und den EU-Zentralbanken, die nicht zum Euroraum gehören.<br />
Die Leitlinien der EZB wurden im Vertrag von Maastricht festgelegt. Priorität hat<br />
die Geldwertstabilität, die momentan durch eine Inflationsrate von höchstens<br />
zwei Prozent definiert ist. Erster Präsident der EZB ist der Niederländer Wim<br />
Duisenberg. Er wurde für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt.<br />
Weitere Informationen zum Euro finden Sie im Internet unter www.creditsuisse.ch/economic-research<br />
oder unter www.credit-suisse.ch/bulletin.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
37<br />
UNSERE PROGNOSEN ZUR<br />
KONJUNKTUR<br />
DER AKTUELLE CHART<br />
ARBEITSMARKT ERHOLT SICH<br />
Ende Dezember 1998 waren in der Schweiz 124309 Arbeitslose eingeschrieben,<br />
was einer Arbeitslosenquote von 3,4 Prozent entspricht. Im Jahresmittel betrug<br />
die Quote damit 3,9 Prozent gegenüber 5,2 Prozent 1997. Auch das Verhältnis<br />
von offenen Stellen zur Anzahl Arbeitslosen hat sich verbessert.<br />
%<br />
6<br />
Arbeitslosenquote in %<br />
Offene Stellen<br />
(rechte Skala)<br />
25 000<br />
BIP-WACHSTUM:<br />
AUFSCHWUNG KRIEGT DÄMPFER<br />
In den ersten beiden Quartalen von 1999 ist eine Wachstumsverlangsamung<br />
in den USA und in Europa zu erwarten, bedingt<br />
durch die anhaltende wirtschaftliche Flaute in Asien und die Probleme<br />
in Südamerika. Für die zweite Jahreshälfte rechnen wir aber<br />
mit einem erneuten Anziehen des BIP-Wachstums.<br />
Durchschnitt<br />
1990/1997 1998 1999 2000<br />
Schweiz 0.2 2.0 1.1 2.0<br />
Deutschland 3.0 2.5 2.0 2.5<br />
Frankreich 1.2 2.9 2.3 2.7<br />
Italien 1.1 1.8 2.3 2.9<br />
Grossbritannien 2.0 2.5 1.2 1.8<br />
USA 2.5 3.5 2.0 2.5<br />
Japan 2.0 – 3.0 –0.6 0.6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
20 000<br />
15 000<br />
10 000<br />
5 000<br />
INFLATION:<br />
KEIN GRUND ZUR SORGE<br />
Obwohl im ersten Quartal 1999 sowohl in den USA als auch in<br />
Europa eine Leitzinssenkung wahrscheinlich ist, besteht keine<br />
Gefahr markant steigender Preise. Dies ist einerseits auf die tiefen<br />
Rohstoffpreise zurückzuführen, andererseits auf die gedämpfte<br />
globale Güternachfrage.<br />
0<br />
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998<br />
SCHWEIZER KONJUNKTURDATEN:<br />
PREISE BLIEBEN STABIL<br />
Im Dezember des vergangenen Jahres verharrte der Konsumentenpreisindex auf<br />
seinem Stand von 103,8 Punkten. Während die Preise für Energie, Verkehr und<br />
Kommunikation nachgaben, erhöhten sich saisonbedingt jene für Nahrungsmittel,<br />
Getränke und Tabakwaren. Gegenüber dem Vorjahr sind die Preise um 0,2 Prozent<br />
zurückgegangen; im Jahresdurchschnitt 1998 sind sie stabil geblieben.<br />
1997 10.98 11.98 12.98<br />
Inflation 0.5 0.0 – 0.1 – 0.2<br />
Waren 0.6 – 0.7 – 0.9 – 1.1<br />
Dienstleistungen 0.5 0.6 0.5 0.5<br />
Inland 0.5 0.4 0.3 0.3<br />
Ausland 0.7 – 1.0 – 1.4 – 1.5<br />
Detailhandelsumsätze (real) 0.4 0.0 3.2 –<br />
Handelsbilanzsaldo (Mrd. Fr.)* 2.0 0.5 0.0 –<br />
Güterexporte (Mrd. Fr.) 105.1 9.7 9.5 –<br />
Güterimporte (Mrd. Fr.) 103.1 9.2 9.5 –<br />
Arbeitslosenquote 5.2 3.2 3.3 3.4<br />
Deutschschweiz 4.5 2.6 2.7 –<br />
Romandie 6.8 4.5 4.7 –<br />
Tessin 7.8 5.1 5.9 –<br />
* Ohne Edelmetalle, Edel- und Schmucksteine sowie Kunstgegenstände<br />
und Antiquitäten (= Total 1)<br />
0<br />
Durchschnitt<br />
1990/1997 1998 1999 2000<br />
Schweiz 2.4 0.0 0.6 1.0<br />
Deutschland 3.0 1.0 1.3 1.5<br />
Frankreich 2.0 0.8 1.1 1.3<br />
Italien 4.4 1.7 1.8 2.2<br />
Grossbritannien 3.2 2.7 2.4 2.2<br />
USA 3.0 1.5 1.6 2.1<br />
Japan 1.2 0.5 –0.1 0.1<br />
ARBEITSLOSENQUOTE:<br />
NEUES PHÄNOMEN IN JAPAN<br />
Bis vor kurzem gab es in Japan – zumindest offiziell – kaum<br />
Arbeitslose. Rezession und Strukturwandel zwangen jedoch viele<br />
Firmen zu Entlassungen. Diese für Japan neue Erfahrung wird voraussichtlich<br />
noch einige Zeit anhalten, da die politischen Reformen<br />
nur langsam greifen werden.<br />
Durchschnitt<br />
1990/1997 1998 1999 2000<br />
Schweiz 3.4 3.9 3.6 3.2<br />
Deutschland 9.6 11.1 10.7 10.4<br />
Frankreich 11.1 11.8 11.5 11.2<br />
Italien 11.4 12.0 11.7 11.3<br />
Grossbritannien 8.0 4.8 5.2 5.3<br />
USA 6.1 4.6 4.9 5.2<br />
Japan 2.7 4.3 5.1 6.0<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
«FOLGT AUF DEN HÖHENFLUG<br />
DER FREIE FALL?», SINNIERT<br />
ROGER M. KUNZ, STELLVERTRETEND<br />
FÜR VIELE, DIE IHR GELD IN AKTIEN<br />
ANLEGEN.<br />
IM CLINCH<br />
ZWISCHEN<br />
RISIKO<br />
UND<br />
RENDITE<br />
VON DR.ROGER M. KUNZ, ECONOMIC RESEARCH<br />
TROTZ FALLSTRICKEN:<br />
AUF LANGE SICHT HABEN<br />
SICH AKTIENANLAGEN FÜR<br />
DIE MEISTEN GELOHNT.<br />
«Wer nichts wagt, gewinnt nichts», sagt<br />
der Volksmund. In die Welt der Finanzmärkte<br />
übertragen, heisst dies: Wer keine<br />
Risiken eingehen kann oder will, muss sich<br />
mit einer bescheidenen Rendite zufriedengeben.<br />
Umgekehrt kann ein Anleger die<br />
Gewinnerwartungen verbessern, indem er<br />
riskantere Wertpapieranlagen tätigt. Dass<br />
Erwartungen nicht immer in Erfüllung gehen,<br />
ist ebenfalls eine bekannte Tatsache.<br />
Sie ist allerdings in den letzten paar Jahren<br />
der Börsenhausse etwas verdrängt worden.<br />
Wenn die Börsenkurse während längerer<br />
Zeit ständig steigen, erfahren die Anleger<br />
nur die positive Seite des Risikos,<br />
nämlich die Gewinne. Dies führt dazu, dass<br />
sie die Verlustmöglichkeiten unterschätzen;<br />
immer mehr Anleger tätigen immer riskantere<br />
Anlagen, um noch schneller noch mehr<br />
Geld zu verdienen. Dieses risikofreudigere<br />
Verhalten führt zu höheren Börsenkursen,<br />
weil die zu bezahlende Entschädigung für<br />
die Übernahme von Risiken sinkt. Finanzökonomen<br />
bezeichnen dies als abnehmende<br />
Risikoprämie. In solchen Zeiten<br />
sollten naheliegenderweise eher Risiken<br />
abgebaut werden. Wenn die jeweils herrschende<br />
Euphorie zudem noch zu sehr<br />
hohen Gewinnerwartungen führt, kann die<br />
Einschätzung der Marktteilnehmer viel zu<br />
optimistisch ausfallen.<br />
Im nachhinein ist es offensichtlich: Im<br />
Juli des vergangenen Jahres wurden die<br />
Zukunftsaussichten äusserst zuversichtlich<br />
eingeschätzt, die Risikoprämien waren<br />
extrem niedrig und die Börsenkurse entsprechend<br />
hoch. Erst die Finanzkrise in<br />
Russland führte zur Einsicht, dass selbst<br />
die umfangreichen Mittel des Internationalen<br />
Währungsfonds nicht ausreichten,<br />
um allen bedrängten Ländern zu helfen,<br />
ganz abgesehen davon, dass ein solches<br />
Vorgehen auch nicht sinnvoll gewesen<br />
wäre. Diese Erkenntnis erforderte schlagartig<br />
höhere Risikoprämien. Die dadurch<br />
ausgelöste Korrektur der Aktienkurse, die<br />
vielfach in der Grössenordnung von 30 bis<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
39<br />
50 Prozent lag, enthüllt die unangenehme<br />
Seite des Risikos. Besonders betroffen<br />
waren Bankaktien. In der Zwischenzeit<br />
wurde allerdings ein grosser Teil der Rückschläge<br />
wieder wettgemacht.<br />
Die Wagemutigen kamen gut weg<br />
Angesichts solch extremer Kursschwankungen<br />
lohnt es sich, die längerfristigen<br />
Auswirkungen verschiedener Anlagestrategien<br />
zu studieren (siehe Tabelle). Im<br />
betrachteten Zeitraum von elf Jahren hat<br />
eine praktisch risikolose Geldmarktanlage<br />
eine durchschnittliche jährliche Rendite von<br />
4,9 Prozent abgeworfen. Relativ risikoarme<br />
Obligationen führten zu einem Ertrag<br />
von 5,9 Prozent. Das Risiko schweizerischer<br />
Aktien lag gegenüber diesen Anlagen<br />
um ein Vielfaches höher. Gleichzeitig<br />
ergaben sich aber auch deutlich höhere<br />
Renditen. Selbst der ungeschickteste Anleger,<br />
der die Titel auf dem Höchststand<br />
vor dem letzten grossen Einbruch an den<br />
Börsen von 1987 erwarb und sie in einem<br />
Anflug von Panik auf dem Tiefstpunkt des<br />
vergangenen Jahres verkaufte, kam auf<br />
eine Jahresrendite von 9,6 Prozent (Aktienanlage<br />
1). Ein Glückspilz, der auf dem<br />
Tiefststand von 1987 kaufte und am<br />
20. Juli 1998 ausstieg, hätte sogar eine<br />
durchschnittliche Rendite von über 20 Prozent<br />
erzielt (Aktienanlage 4). Die Rendite<br />
des Durchschnittsanlegers dürfte zwischen<br />
den beiden Extremwerten bei gut<br />
14 Prozent liegen. Damit wäre der Wert<br />
einer Investition von 10 000 Franken am<br />
schweizerischen Aktienmarkt innerhalb<br />
von elf Jahren ohne Berücksichtigung von<br />
Steuern und Spesen auf zwischen 27 500<br />
Franken (175 Prozent Gesamtrendite)<br />
und 70 800 Franken (608 Prozent) gestiegen.<br />
Mit Geldmarkt- oder Obligationenanlagen<br />
hätte ein Investor dagegen<br />
lediglich knapp 17 000 beziehungsweise<br />
19 000 Franken erreicht (69 respektive<br />
89 Prozent).<br />
Aktien bringen nicht das schnelle Geld<br />
Aus dem Gesagten folgt, dass nur Personen,<br />
die kurzfristig hohe Wertschwankungen<br />
verkraften können und einen langfristigen<br />
Anlagehorizont haben, sich stark am<br />
Aktienmarkt engagieren sollten. Solche<br />
Investoren werden für ihre Geduld und die<br />
eingegangenen Risiken in der Regel mit<br />
höheren Erträgen belohnt. Dabei müssen<br />
sie sich allerdings an gewisse Anlagegrundsätze<br />
wie breite Streuung und Transparenz<br />
halten sowie seriöse und gut ausgebildete<br />
Finanzvermittler zu Rate ziehen.<br />
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist,<br />
dass diejenigen, die Aktien «blind» und um<br />
jeden Preis zu kaufen bereit sind, weil sie<br />
ja langfristig eine überdurchschnittliche<br />
Rendite abwerfen, dafür gelegentlich<br />
einen (zu) hohen Preis bezahlen. Empfehlenswert<br />
ist daher nicht nur eine Verteilung<br />
der Anlagen auf verschiedene Titel, sondern<br />
auch eine zeitliche Diversifikation: Um<br />
nicht das gesamte Vermögen in einem ungünstigen<br />
Zeitpunkt zu investieren, sollte<br />
es über einen längeren Zeitraum gestaffelt<br />
an die Börse gebracht werden. Überdies<br />
lohnt es sich, eine eigene Analyse vorzunehmen<br />
oder sich kompetent beraten zu<br />
lassen, um die Preiswürdigkeit des Aktienmarkts<br />
abschätzen zu können. Wem es<br />
gelingt, günstig einzukaufen und teuer zu<br />
verkaufen, der kann eine beachtliche<br />
«Zusatzdividende» einstreichen.<br />
DR.ROGER M. KUNZ, TELEFON (01) 333 58 85<br />
E-MAIL: ROGER.M.KUNZ@CREDIT-SUISSE.CH<br />
GEWIEFTE ANLEGER ERREICHTEN EINE 20PROZENTIGE JAHRESRENDITE<br />
Risiko und Rendite ausgewählter Anlagen zwischen 5.10.87 und 5.10.98<br />
5.10. 87 10.11. 87 20. 07. 98 5.10. 98<br />
SPI-Stand Jahreshöchst 1205.65 5237.39<br />
Gesamt- Durch - Risiko<br />
Jahrestiefst 740.23 3311.28<br />
rendite schnitts- (Standardrendite<br />
abweichung)<br />
Kurs-Verlust – 38.6% – 36.8%<br />
pro Jahr<br />
Aktien Anlage 1 Kauf – – Verkauf 175% 9.6% 18.7%<br />
Anlage 2 – Kauf – Verkauf 347% 14.7% 17.0%<br />
Anlage 3 Kauf – Verkauf – 334% 14.6% 17.5%<br />
Anlage 4 – Kauf Verkauf – 608% 20.1% 15.6%<br />
Geldmarkt Kauf – – Verkauf 69% 4.9% 0.8%<br />
Obligationen Kauf – – Verkauf 89% 5.9% 3.7%<br />
Quelle: Eigene Berechnungen aus Datastream<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
«HEUTE KÖNNEN<br />
IMMOBILIENENGAGEMENTS<br />
NICHT MEHR AUS DEM<br />
BAUCH HERAUS<br />
ENTSCHIEDEN WERDEN»,<br />
WEISS ÖKONOM<br />
MARTIN NEFF.<br />
EIN MARKT MIT<br />
SCHLAGSEITE<br />
DIE BEURTEILUNG<br />
DER CREDIT<br />
SUISSE ZEIGT:<br />
DER MARKT MIT<br />
IMMOBILIEN IST<br />
IN BEWEGUNG.<br />
VON MARTIN NEFF,<br />
ECONOMIC RESEARCH<br />
Am Immobilienmarkt tut sich was. Zumindest<br />
sind die Negativschlagzeilen rarer<br />
geworden, und vereinzelt finden sich<br />
sogar positive Meldungen. Es wird wieder<br />
gekauft. Die Marktteilnehmer gewinnen<br />
Zuversicht, auch wenn der Markt sich<br />
nach wie vor nicht in bester Verfassung<br />
befindet. Immerhin sind aber die grössten<br />
Preiskorrekturen vollzogen, und gut überlegte<br />
Engagements versprechen wieder<br />
Erfolg. Dies um so mehr, als sich die Investoren<br />
auf die eigentlichen Motive zurückbesinnen,<br />
die eher in einer langfristigen<br />
Geldanlage liegen als in schnellen Gewinnen.<br />
Kurz: Der Markt birgt wieder Chancen,<br />
aber nach wie vor bestehen grosse<br />
Risiken, die örtlich wie auch segmentsspezifisch<br />
sehr unterschiedlich sind.<br />
Es kann nicht oft genug gesagt werden:<br />
Einen Immobilienmarkt Schweiz gibt<br />
es nicht. Vielmehr gibt es hierzulande eine<br />
grosse Zahl regionaler Teilmärkte mit ungleichen<br />
Chancen-Risiken-Profilen. Konnte<br />
man vor zehn Jahren praktisch noch über-<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
41<br />
all nahezu blind in den Markt einsteigen<br />
und damit rechnen, dass das Engagement<br />
früher oder später einen angemessenen<br />
Ertrag abwerfe, ist heute eine differenziertere<br />
Vorgehensweise gefragt. Nichtsdestoweniger<br />
zeigt die Studie der CREDIT<br />
SUISSE: Die Lage am Wohnungsmarkt<br />
präsentiert sich deutlich entspannter als<br />
noch vor zwei bis drei Jahren.<br />
Selbst im Bereich der reinen Geschäftsliegenschaften<br />
hat sich das Geschehen<br />
belebt, auch wenn noch grosse Leerstände<br />
den Markt belasten. Selbst mittelfristig ist<br />
es unwahrscheinlich, dass sich die Überkapazitäten<br />
im kommerziellen Liegenschaftenbereich<br />
rasch abbauen, weil die<br />
Wachstumsperspektiven der schweizerischen<br />
Volkswirtschaft zwar intakt, aber<br />
eher moderat sind.<br />
Dafür kann von einem ausgesprochen<br />
liquiden Markt gesprochen werden. Allem<br />
Anschein nach haben sich die Marktteilnehmer<br />
an diese Situation gewöhnt und<br />
können inzwischen gut damit umgehen.<br />
Die Neubautätigkeit hat sich auf tiefem<br />
Niveau konsolidiert und dürfte sich in den<br />
kommenden Jahren auf diesem einpendeln.<br />
Das bedeutet im Klartext, dass noch immer<br />
einiges gebaut wird. Und konkreter: Die<br />
jährliche Bausumme beträgt knapp sieben<br />
Milliarden Franken. Gemessen an den<br />
Höchstständen von 1989/90, ist dies<br />
zwar nur noch etwas mehr als die Hälfte.<br />
Aber es zeugt doch noch von einem gewissen<br />
Potential neuer Objekte. Heute<br />
wird nicht mehr an der Nachfrage vorbei<br />
auf Halde produziert. Jedes Objekt ist<br />
bedarfsgerecht geplant und wird nur bei<br />
hohen Vermarktungschancen realisiert. Im<br />
Gegensatz zu den Boomjahren werden<br />
diese Chancen bereits im Vorfeld genauestens<br />
evaluiert. Die Vermarktung beginnt<br />
heute auf dem Reissbrett.<br />
Im Wohnungsmarkt hat eine neue<br />
Dynamik Einzug gehalten. Nach jahrelanger<br />
Wohnungsknappheit und einem<br />
starren Markt kam es Mitte der neunziger<br />
Jahre zu einem eigentlichen Bauboom –<br />
nicht zuletzt dank grosszügig bemessener<br />
staatlicher Wohnbauförderung. Allein in<br />
den Jahren 1994 und 1995 gelangten<br />
100 000 Wohnungen neu auf den Markt.<br />
Gleichzeitig verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum,<br />
und die Wirtschaft<br />
wuchs nur verhalten oder stagnierte gar.<br />
Die Konsequenz: eine Vielzahl leerer Wohnungen.<br />
War Ende der achtziger Jahre<br />
gerade mal ein halbes Prozent des Wohnungsbestandes<br />
unbewohnt, stieg die<br />
Quote 1994 erstmals seit den siebziger<br />
Jahren wieder über ein Prozent. Seither<br />
nahm der Leerwohnungsbestand jedes<br />
weitere Jahr bis 1997 kontinuierlich zu. Im<br />
vergangenen Jahr erreichte er 1,85 Prozent.<br />
Damit ist wahrscheinlich der Höhepunkt<br />
erreicht, zumal der Anstieg gegenüber<br />
dem Vorjahr nur noch leicht war und<br />
die Neubautätigkeit zurückging. Allerdings<br />
spricht nur wenig dafür, dass sich die<br />
Leerwohnungsquote rasch zurückbildet.<br />
Von der jüngsten Entwicklung profitieren<br />
die Mieter und Eigentümer, insbesondere<br />
aber solche, die es werden möchten.<br />
Zwei neue Trends sind auffallend: Zum<br />
einen ein spürbarer Hang zu Wohneigentum<br />
und zum andern ein stark aufgefrischtes<br />
Angebot, das qualitativ wie auch<br />
AUSGEWÄHLTE NACHFRAGETRENDS AUF DEM SCHWEIZER<br />
IMMOBILIENMARKT:<br />
• Den zusätzlichen jährlichen Bedarf an Neuwohnungen veranschlagt die CREDIT<br />
SUISSE auf etwa 30000 bis maximal 35000 Wohnungen. Was mehr produziert<br />
wird, stösst anfänglich auf Vermarktungsschwierigkeiten oder erhöht andernorts<br />
das Leerstandsrisiko.<br />
• Die Schätzung des Potentials beruht auf den Annahmen, dass der Flächenbedarf<br />
demographisch bedingt noch etwas zunimmt: er wird auf etwa 45 Quadratmeter<br />
ansteigen.<br />
• Die Belegungsdichte nimmt nicht noch weiter ab.<br />
Bei diesen Prognosen geht die CREDIT SUISSE von einem optimistischen<br />
Bevölkerungszugang von 0,5 Prozent jährlich aus und nimmt ein Wirtschaftswachstum<br />
an, das etwa dem Potentialwachstum der Schweizer Volkswirtschaft<br />
von 1,8 Prozent entspricht.<br />
• Demographische und sozioökonomische Entwicklungen gewinnen am Wohnungsmarkt<br />
Relevanz:<br />
– Die Bevölkerung wird immer älter.<br />
– In den nächsten fünf Jahren kommen die geburtenstarken Jahrgänge in ein<br />
Alter, wo sie entweder einen Haushalt oder eine Familie gründen und die im<br />
Lebenszyklus höchsten Zuwachsraten ihrer Einkommen erzielen.<br />
– Die Zivilstandsentwicklung: Heute sind fast fünf Prozent aller Einwohner der<br />
Schweiz geschieden, 1960 waren es noch 1,6 Prozent und 1980 3,2 Prozent.<br />
– Entgegen bisheriger Trends ist inskünftig eine Stadtflucht zumindest nicht<br />
überall auszuschliessen. Der Anteil der Stadtbevölkerung hat in der Vergangenheit<br />
zwar kontinuierlich zugenommen. Seit 1960 erhöhte er sich alle zehn<br />
Jahre um etwa fünf Prozentpunkte. Ausnahme: die Stadt Zürich. Sie verlor<br />
Einwohner. Basel könnte die nächste Stadt sein, für die das der Fall ist.<br />
– Der Anteil von Ausländern, die in der Schweiz geboren und daher statistisch<br />
nicht als solche registriert sind, nimmt zu.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
42<br />
kostenmässig den Bestand im Mietwohnungsmarkt<br />
stark konkurrenziert. Weil<br />
derzeit die Finanzierungsbedingungen<br />
günstig und Baukosten sowie Landpreise<br />
gefallen sind, hat sich nicht nur die Differenz<br />
zwischen Kauf und Miete eingeebnet.<br />
Auch Mieter können heute wählen, ob sie<br />
in eine Wohnung umziehen, die sie bei<br />
gleicher Qualität, Ausstattung und Grösse<br />
weniger kostet, oder ob sie eine luxuriösere,<br />
grosszügigere Wohnung wählen,<br />
ohne dafür mehr auslegen zu müssen.<br />
Der momentane Leerstand ist folglich<br />
nicht der Leerstand der Zukunft – im Gegenteil.<br />
Langfristig werden nämlich nicht<br />
die in jüngster Zeit neuerstellten Wohnungen<br />
zu Problemfällen avancieren, selbst<br />
wenn sie momentan schwer zu vermarkten<br />
sind. Vielmehr dürften die Hochpreiswohnungen<br />
aus der Boomperiode mittelfristig<br />
problematisch abzusetzen oder zu vermieten<br />
sein. Denn diese wurden zu hohen<br />
Baukosten und auf überrissen teurem<br />
Bauland erstellt und mussten noch zu<br />
hohen Zinsen finanziert werden. Ebenfalls<br />
gefährdet sind ältere Wohnungen oder<br />
solche an unattraktiver Lage, die qualitativ<br />
mit dem aufgefrischten Angebot nicht<br />
mehr Schritt halten können. Wo die Differenz<br />
von Alt- zu Neumieten bis zu 20 Prozent<br />
oder mehr beträgt, lohnt es sich, die<br />
älteren Wohnungen durch Umbau und<br />
Auffrischung auf Marktkonformität hin zu<br />
trimmen. Dass dies gegenwärtig auch der<br />
Fall ist, dokumentiert die stark gestiegene<br />
Renovationstätigkeit im Wohnungsbau.<br />
Die beschriebenen Entwicklungen am<br />
Wohnungsmarkt sind bereits seit drei<br />
Jahren in vollem Gange – und ein Ende ist<br />
nicht in Sicht. Denn die Neubautätigkeit<br />
steht keineswegs still, auch wenn sie das<br />
HIGHLIGHTS AUF DER ANGEBOTSSEITE DES SCHWEIZER<br />
IMMOBILIENMARKTS:<br />
• Schweizweit stehen derzeit etwa 62000 Wohnungen leer – ohne Einfamilienhäuser.<br />
• Die regionalen Unterschiede sind gross: In Genf sind 41 Prozent der leerstehenden<br />
Wohnungen Einzimmerwohnungen, in Zürich sind es gerade mal<br />
14 Prozent und in etlichen Kantonen deutlich weniger als zehn Prozent.<br />
• Die Leerstandsquote von Wohnungen, welche nicht älter als zwei Jahre sind,<br />
sinkt. Sie fiel nach unseren Schätzungen von fast 14 Prozent im Jahre 1994 auf<br />
etwa acht Prozent im vergangenen Jahr.<br />
• Der Anteil der leerstehenden Neuwohnungen (in den letzten zwei Jahren gebaut)<br />
am gesamten Leerstand beträgt elf Prozent gesamtschweizerisch bei einer Leerstandsquote<br />
von 1,85 Prozent.<br />
• In Zürich liegt der Anteil von Neuwohnungen bei fast 17 Prozent. Trotz tieferer<br />
Leerstandsquote (1,15 Prozent) sind Neuwohnungen also in Zürich derzeit<br />
schwieriger zu vermarkten als beispielsweise in Solothurn. Dort beträgt der<br />
Anteil der neuerstellten Wohnungen am Leerstand «nur» 8,5 Prozent; die Leerwohnungsquote<br />
liegt allerdings auf hohen drei Prozent.<br />
Spitzenniveau von 1994/95 bei weitem<br />
nicht mehr erreicht. Die Anpassungsprozesse<br />
haben Mieten und Preise auf<br />
breiter Front ins Rutschen gebracht, wenn<br />
auch nicht in dem vermuteten Ausmass.<br />
Zwar sind Preisrückgänge von mehr als<br />
«DIE VERMARKTUNG VON<br />
IMMOBILIEN BEGINNT HEUTE<br />
SCHON AUF DEM REISSBRETT.»<br />
20 Prozent durchaus keine Seltenheit,<br />
doch trifft dies nicht auf den Gesamtmarkt<br />
zu. Dies liegt auch daran, dass für etliche<br />
ältere Wohnungen das Mietertragspotential<br />
nicht voll ausgeschöpft wurde. Renovationen<br />
sind dort nicht nur nötig, damit<br />
der eventuell drohende Leerstand vermieden<br />
wird, sondern sie können durchaus<br />
Ertragssteigerungen ermöglichen.<br />
Der Markt befindet sich in einem ständigen<br />
Wandel. Deshalb ist es wichtig, sämtliche<br />
Erfolgsfaktoren eventueller Immobilienengagements<br />
zu kennen und richtig zu<br />
antizipieren. Dazu gehört die Kenntnis<br />
des Nachfragepotentials einerseits und<br />
sämtlicher Angebotstrends andererseits<br />
(siehe die beiden Kästen auf Seite 41 und<br />
42). Nicht zu unterschätzen sind aber<br />
auch regionalspezifische Ausprägungen.<br />
Insbesondere die variierende regionale<br />
Standortattraktivität verlangt von allen<br />
Akteuren, von den Promotoren und den<br />
Investoren hauptsächlich, eine professionellere<br />
Marktbeurteilung, als dies in der<br />
Vergangenheit der Fall gewesen ist.<br />
Makrogrössen sind zuverlässigere Gradmesser<br />
der zukünftigen Entwicklungstrends<br />
als Mikrofaktoren. Standortevaluation oder<br />
regionale und objektspezifische Diversifikationsstrategien<br />
im Management von<br />
Liegenschaftenportefeuilles müssen inskünftig<br />
auf einer integrierten Marktanalyse<br />
fussen, um auch langfristig den Markt<br />
schlagen zu können. Die Zeiten, in denen<br />
die Engagements aus dem Bauch heraus<br />
entschieden wurden, sind definitiv vorbei.<br />
MARTIN NEFF, TELEFON (01) 333 24 84<br />
E-MAIL: MARTIN.NEFF@CREDIT-SUISSE.CH<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
ECONOMIC RESEARCH<br />
43<br />
UNSERE PROGNOSEN<br />
ZU DEN FINANZMÄRKTEN<br />
GELDMARKT:<br />
ZINSEN GEHEN RUNTER<br />
Es ist damit zu rechnen, dass die Zentralbanken der USA, Europas<br />
und Grossbritanniens ihre Leitzinsen senken werden. Der Grund<br />
liegt im verlangsamten Wachstum der Weltwirtschaft sowie im<br />
veränderten Risikobewusstsein – hervorgerufen durch die Krisen<br />
in Russland und Brasilien.<br />
Prognosen<br />
Ende 98 1.99 3 Mte. 12 Mte.<br />
Schweiz 1.41 1.27 1.4 1.9<br />
EU-11 3.24 3.18 2.9 2.7<br />
Grossbritannien 6.26 5.89 5.7 5.5<br />
USA 5.07 5.03 4.8 4.6<br />
Japan 0.54 0.53 0.4 1.0<br />
OBLIGATIONENMARKT:<br />
ANLEGER SUCHEN SICHERHEIT<br />
Die Investoren scheuen nach wie vor das Risiko: Als sich zu Jahresbeginn<br />
der brasilianische Real abwertete, sanken die Renditen der<br />
sicheren Staatspapiere innert kürzester Zeit deutlich ab. Das<br />
langsamere Wachstum wird die Zinsen in der ersten Jahreshälfte<br />
tief halten, doch ab Mitte Jahr ist mit einer Steigerung zu rechnen.<br />
Prognosen<br />
Ende 98 1.99 3 Mte. 12 Mte.<br />
Schweiz 2.49 2.48 2.3 2.7<br />
Deutschland 3.87 3.70 3.6 4.1<br />
Grossbritannien 4.36 4.28 4.0 4.6<br />
USA 4.65 4.73 4.5 5.0<br />
Japan 1.88 1.85 1.5 2.0<br />
WECHSELKURSE:<br />
KEIN HÖHENFLUG FÜR FRANKEN<br />
Wegen der Turbulenzen in den Emerging Markets wird der<br />
Wechselkurs zwischen Euro und US-Dollar volatil bleiben, jedoch<br />
um ein festes Durchschnittsniveau herum schwanken. Der Schweizerfranken<br />
wird gegenüber dem Euro kurzfristig zulegen, mittelfristig<br />
aber wegen der Stabilität der neuen Währung wieder an<br />
Wert verlieren.<br />
Prognosen<br />
Ende 98 1.99 3 Mte. 12 Mte.<br />
CHF/EUR* 1.61 1.56 1.60 1.65<br />
CHF/GBP 2.28 2.23 2.22 2.23<br />
CHF/USD 1.37 1.36 1.38 1.46<br />
CHF/JPY 1.22 1.19 1.17 1.12<br />
Gold $/Unze 288 290 290 270<br />
Gold Fr./kg 12765 12921 12860 12675<br />
*Umrechnungskurse: DEM/EUR 1.956; FRF/EUR 6.559; ITL/EUR 1936<br />
INTERNATIONALE BÖRSEN:<br />
MÄRKTE BLEIBEN VOLATIL<br />
Die Abwertung des brasilianischen Real führte zu Verlusten an sämtlichen Börsen.<br />
Weil dadurch aber ein grosser Unsicherheitsfaktor verschwand, legten die<br />
Aktienindices schon kurz nach der Freigabe des Reals wieder zu. Es ist zu erwarten,<br />
dass auf Grund der noch anstehenden Strukturreformen sowohl in<br />
Südamerika als auch in Asien die Märkte weiterhin volatil sein werden.<br />
Index Jan. 1995 = 100<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
Deutschland DAX<br />
Schweiz SMI<br />
USA S&P500<br />
1995 1996<br />
SCHWEIZER BÖRSE:<br />
TOPS UND FLOPS<br />
Grossbritannien FT-SE 100<br />
Japan NIKKEI<br />
Prognosen<br />
1997 1998 1999<br />
Trotz Turbulenzen im Jahr 1998 legte der Sammelindex SPI um gut 15 Prozent zu.<br />
Die Gewinner waren dabei eindeutig die Nahrungsmittel- und Versicherungsbranche,<br />
aber auch die Sektoren Bau und Detailhandel. Weniger erfolgreich<br />
schnitten die Subindices Elektro und Maschinen ab. Zudem vermochten die<br />
Banken im Durchschnitt nicht wirklich zu überzeugen.<br />
Gewinn- Div.-<br />
Ende KGV wachstum Rendite Prog.<br />
1997 12.98 1999E 1998E 1999E 1998E 12 Mte.<br />
SPI Gesamt 3 898 4 162 20.6 0.13 0.15 0.02<br />
Industrie 5 361 5 926 25.3 0.13 0.12 0.01<br />
Maschinen 2 048 2 040 10.5 0.24 0.09 0.03 •<br />
Chemie 10 474 11 220 28.1 0.08 0.14 0.01 •••<br />
Bau 2 069 2 483 15.8 0.43 0.07 0.02 ••<br />
Nahrung 3 978 5 258 27.1 0.12 0.06 0.01 •••<br />
Elektro 2 776 2 685 13.6 0.65 0.19 0.03 •<br />
Dienstleistungen 2 662 2 664 16.0 0.12 0.19 0.02<br />
Banken 2 964 2 758 13.2 –0.06 0.27 0.03 ••<br />
Versicherungen 4 367 4 880 21.2 0.08 0.12 0.02 ••<br />
Detailhandel 800 970 19.1 0.15 0.16 0.02 ••<br />
Gegenüber dem Sektor<br />
• unterdurchschnittliche Performance<br />
•• Marktperformance<br />
••• überdurchschnittliche Performance<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
GESCHÄFTSLEITUNGSMITGLIED BRUNO BONATI<br />
HEISST BALD ALLE KUNDINNEN UND KUNDEN<br />
WILLKOMMEN<br />
BRUNO BONATI:<br />
«ENTSCHEIDEND SIND<br />
IN DER INFORMATIK<br />
DIE MENSCHEN.»<br />
VON CHRISTIAN PFISTER,<br />
REDAKTION BULLETIN<br />
CHRISTIAN PFISTER Die Bedeutung der Informatik<br />
ist enorm. Wie zeigt sich das bei der<br />
CREDIT SUISSE ?<br />
BRUNO BONATI Unser Geschäft ist heute<br />
total verwoben mit der Informatik. Nehmen<br />
wir unsere zwei Rechenzentren in der<br />
Schweiz. Zwischen 1994 und 1998 hat<br />
unser Geschäftsvolumen dramatisch zugelegt;<br />
die Informationstransaktionen verdoppelten<br />
sich von knapp vier Millionen<br />
pro Tag auf knapp zehn Millionen.<br />
C.P. Die Bank ist also völlig abhängig von<br />
der Informationstechnologie ?<br />
B.B. Ja. Wäre unser System einmal mehr<br />
als ein paar Stunden nicht verfügbar, wäre<br />
unsere Bank praktisch ausser Betrieb.<br />
Das zeigt auch den Druck, dem sich meine<br />
Teams Tag für Tag stellen müssen, obwohl<br />
wir natürlich ein Ausweichverfahren haben<br />
für den Katastrophenfall.<br />
C.P. Schlafen Sie gut ?<br />
B.B. Ja, danke der Nachfrage. Warum?<br />
C.P. Weil Unternehmen der Entwicklung immer<br />
einen Schritt hinterher hinken.<br />
B.B. Das ist tatsächlich eine Herausforderung.<br />
Wir müssen die neuen Technologien<br />
rechtzeitig und stabil in unsere Geschäfte<br />
integrieren. Es ist ein wesentliches<br />
Ziel unserer Strategie zu wissen,<br />
was für uns in drei, vier Jahren relevant<br />
wird. Besonders bei der Frage, wie wir unsere<br />
Infrastruktur ausbauen und für kommende<br />
Bedürfnisse bereitstellen müssen,<br />
sind solche Überlegungen sehr wichtig.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SCHAUPLATZ<br />
45<br />
IM CYBERSPACE<br />
C.P. Was entscheidet über Erfolg oder Nichterfolg<br />
in Ihrem Bereich ?<br />
ermöglicht. Heute stehen wir mit 45 000<br />
Benutzern und mit der Art und Weise, wie<br />
B.B. Entscheidend sind in der Informatik<br />
wir arbeiten, in Europa an der Spitze.<br />
die Menschen. Denn die hochkomple-<br />
xen Informatikplattformen bringen unsere C.P. Liegt Bill Gates richtig, wenn er sagt,<br />
Teams zum Laufen. Und ob die sehr gut<br />
oder nur gut sind, ist entscheidend. Ein<br />
dass es immer Bankgeschäfte geben werde,<br />
es dazu aber keine Banken brauche ?<br />
Beispiel: Es gibt bei den Anwendungsprogrammierern<br />
B.B. Menschen werden immer finanzielle<br />
Mitarbeiter, die mehrfach<br />
schneller sind als andere in der gleichen<br />
Funktion. Sie können sich selber ausrechnen,<br />
was ein pfiffiger, motivierter Mitarbeiter<br />
unserer Firma bringt, wenn wir ihn in<br />
einem attraktiven Umfeld arbeiten lassen.<br />
Bedürfnisse haben. Darum wird es<br />
immer Unternehmen geben, die solche<br />
Bedürfnisse befriedigen. Ob man diesen<br />
Betrieben dann noch Bank sagt, ist für die<br />
Kunden irrelevant. Sicher ist: Die CREDIT<br />
SUISSE wird auch im Cyberspace ein gewichtiges<br />
Wort mitreden.<br />
C.P. Wie wird die Informationstechnologie<br />
den Alltag unserer Kunden verändern ? C.P. Ist das Schweizer Bildungssystem für<br />
B.B. Wer heute will, ist via Internet auch diese neue Welt gerüstet ?<br />
von zu Hause aus sieben Tage rund um B.B. Qualitativ ist unser System in der<br />
die Uhr in eine Informatikwelt eingebettet.<br />
Das war bis vor kurzem nicht der Fall. Die<br />
Vernetzung der CREDIT SUISSE mit dem<br />
Kunden wird zunehmen. Hier kommen<br />
spektakuläre Veränderungen auf uns zu.<br />
In drei bis vier Jahren sind wir soweit,<br />
dass unsere Kunden auf praktisch alle<br />
unsere Datenbanken zugreifen können<br />
und ihre Geschäfte und die für sie relevanten<br />
Informationen selbständig einsehen –<br />
Lage, für die Wirtschaft gute Leute vorzubereiten.<br />
Wir haben im Bereich Informatik<br />
tolle Absolventen von höheren Schulen.<br />
Quantitativ hingegen sieht die Sache<br />
anders aus. In der Schweiz herrscht ein<br />
enormer Unterbestand an Informatikern.<br />
Darum gehen Firmen mit ihren Softwareentwicklungen<br />
ins Ausland. In den Hochund<br />
Mittelschulen sowie in der Lehrausbildung<br />
müsste darauf reagiert werden.<br />
selbstverständlich innerhalb der gleich<br />
hohen Sicherheitsvorkehrungen wie heute. C.P. Welche neuen Berufsbilder entstehen ?<br />
B.B. Es wird grundsätzlich neue Berufe<br />
C.P. Welche Dynamik entfacht das Internet ?<br />
B.B. Vor vier Jahren hatten die meisten<br />
Manager in unserem Unternehmen vom<br />
Internet noch nie gehört. Für Spezialisten<br />
gab’s indes keine Zweifel, dass das Internet<br />
das Bankgeschäft massiv verändern<br />
würde. Wir lagen richtig. Vor knapp zwei<br />
Jahren hat die CREDIT SUISSE in der<br />
Schweiz als erste das Internet-Banking<br />
geben, keine Frage. Doch das ist nicht<br />
der zentrale Punkt. Die Entwicklungen in<br />
der Informationstechnologie werden alle<br />
Arbeitsplätze in der Bank verändern – das<br />
ist die spektakuläre Veränderung. Zudem<br />
verliert der Raum, der herkömmliche<br />
Arbeitsplatz, an Bedeutung. Grundsätzlich<br />
lassen sich Geschäfte via Handy an einem<br />
Strand abwickeln. Mitarbeiter könnten aber<br />
auch von zu Hause aus via Fernseher und<br />
PC mit uns arbeiten.<br />
C.P. Was heisst das für das Unternehmen ?<br />
B.B. Wenn der Kunde via Handy, PC<br />
oder Fernseher in die Bank gelangt, müssen<br />
neue Schnittstellen betreut werden.<br />
Dies zu bewältigen nennen wir Multichannel-Management.<br />
Der Kunde wird auf dieselben<br />
Informationen Zugriff haben wie<br />
wir. Wir haben keinen Informationsvorsprung<br />
mehr; der Kunde wird seine<br />
täglichen Bankgeschäfte selber tätigen.<br />
Die Anforderungen an die Beratung werden<br />
noch höher.<br />
C.P. Wie sieht’s in zwanzig Jahren aus ?<br />
B.B. Die technologische Entwicklung<br />
ist so horrend, dass ich unmöglich eine<br />
Prognose auf 20 Jahre hinaus wagen<br />
kann. In fünf Jahren wird das operative<br />
Bankgeschäft vornehmlich über Telefonund<br />
Internetkanäle erfolgen; daneben wird<br />
es hauptsächlich hochwertige Berater<br />
brauchen.<br />
C.P. Näher liegt da schon der Wechsel ins<br />
neue Jahrtausend. Hat die CREDIT SUISSE<br />
die Jahr-2000-Problematik im Griff ?<br />
B.B. Ja. Wir arbeiten schon seit 1996 an<br />
der Lösung. Alle Stufen im Unternehmen<br />
sind eingebunden; spezielle Projektteams<br />
testen und analysieren unsere Systeme. Sie<br />
haben bisher alle Anwendungen geprüft,<br />
rund 40 Millionen Zeilencodes, und diese,<br />
wenn nötig, angepasst. Zudem liessen wir<br />
in einem viermonatigen Test alle kritischen<br />
Daten überprüfen. Auch eine externe Revisionsfirma<br />
und die Eidgenössische Bankenkommission<br />
haben uns attestiert, dass<br />
wir die Millennium-Frage im Griff haben.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
STUDIE<br />
46<br />
NEUER REALISMUS MACHT<br />
SICH BREIT WAS PLAGT DIE MENSCHEN<br />
IN DER SCHWEIZ? DAS<br />
BULLETIN WEISS BESCHEID.<br />
SORGENBAROMETER 1998 – ARBEITSLOSIGKEIT STEHT AN DER SPITZE.<br />
So viele Prozent der Stimmberechtigten nennen das Problem an erster bis fünfter Stelle.<br />
So viele Prozent der Stimmberechtigten möchten dieses Problem an erster Stelle lösen.<br />
Rang<br />
1998<br />
Problem<br />
Rang<br />
1997<br />
1.<br />
Arbeitslosigkeit<br />
27<br />
74<br />
1.<br />
2.<br />
Flüchtlinge<br />
14<br />
47<br />
5.<br />
3.<br />
Gesundheit<br />
8<br />
46<br />
2.<br />
4.<br />
AHV<br />
9<br />
45<br />
3.<br />
5.<br />
Europa<br />
9<br />
40<br />
3.<br />
6.<br />
AusländerInnen<br />
3<br />
24<br />
8.<br />
7.<br />
Drogen<br />
2<br />
22<br />
6.<br />
8.<br />
Umwelt<br />
2<br />
19<br />
7.<br />
9.<br />
Neue Armut<br />
4<br />
17<br />
10.<br />
10.<br />
Steuern/Finanzen<br />
2<br />
17<br />
7.<br />
11.<br />
Wirtschaftslage allgemein<br />
3<br />
15<br />
9.<br />
12.<br />
Soziale Sicherheit<br />
2<br />
15<br />
12.<br />
13.<br />
Kriminalität<br />
1<br />
15<br />
14.<br />
14.<br />
Löhne<br />
1<br />
12<br />
13.<br />
15.<br />
Verkehr<br />
1<br />
12<br />
17.<br />
16.<br />
Globalisierung<br />
2<br />
10<br />
16.<br />
17.<br />
Inflation/Teuerung<br />
1<br />
8<br />
15.<br />
18.<br />
Gentechnik<br />
1<br />
7<br />
17.<br />
19.<br />
Gleichstellung<br />
1<br />
7<br />
28.<br />
20.<br />
Sozialpartnerschaft<br />
0<br />
7<br />
20.<br />
21.<br />
Landwirtschaft<br />
0<br />
7<br />
17.<br />
% 0<br />
10 20 30 40 50 60 70 80<br />
Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Datenbank «Sorgenbarometer 1988–1998», Stand November 1998
STUDIE<br />
47<br />
VON CLAUDE LONGCHAMP<br />
Ende 1998 hat das GfS-Forschungsinstitut<br />
im Auftrag des «Bulletin» der<br />
CREDIT SUISSE 1007 repräsentativ ausgewählte<br />
Schweizerinnen und Schweizer zu<br />
ihren Sorgen und Nöten befragt. Zuoberst<br />
auf der aktuellen Hitliste der ungelösten<br />
Probleme steht unverändert die Arbeitslosigkeit,<br />
gefolgt von der Asylpolitik, Fragen<br />
des Gesundheitswesens, der Sicherheit der<br />
AHV und dem europäischen Integrationsprozess<br />
(Grafik links).<br />
Das Tessin und die Romandie kennen<br />
eine andere Reihenfolge. So rangiert die<br />
Flüchtlingsfrage in der französisch- und<br />
italienischsprachigen Schweiz nur an fünfter<br />
Stelle. Im Tessin werden Probleme<br />
rund um die europäische Integration gar<br />
erst an sechster Stelle erwähnt, während<br />
hier die Drogenfrage die vierte Stelle<br />
einnimmt.<br />
Gesamtschweizerisch folgen auf den<br />
Plätzen 6 bis 10 «Überfremdung», die<br />
«Drogen», die «Umwelt», die «Neue Armut»<br />
und die «Probleme um die öffentlichen<br />
Haushalte». Nicht mehr unter den 20<br />
wichtigsten Themen befindet sich die Aufarbeitung<br />
des Verhaltens der Schweiz im<br />
Zweiten Weltkrieg.<br />
Das Vorgehen in der BULLETIN-Umfrage<br />
war gleich wie in den Vorjahren, was<br />
zuverlässige Zeitvergleiche über Jahre<br />
hinweg erlaubt.<br />
Neuer Trend seit den letzten Wahlen<br />
Der Vergleich seit 1995, also seit den letzten<br />
Nationalratswahlen, macht deutlich,<br />
wie sich das Problembewusstsein der<br />
Schweizerinnen und Schweizer entwickelt<br />
hat. Eine klar steigende Tendenz ergibt sich<br />
– in der Flüchtlingsfrage,<br />
– bei der Altersvorsorge und<br />
– in Gesundheitsfragen (Grafik unten).<br />
Noch in den achtziger Jahren bewegte<br />
die Schweiz vor allem eine einzige Thematik:<br />
die Umweltfrage. Anders Mitte der<br />
neunziger Jahre: Nun reagiert das Bewusstsein<br />
auf unterschiedliche Probleme.<br />
Das Thema «Asyl» hat vor allem 1998<br />
bei fast allen Bevölkerungsgruppen an<br />
Relevanz gewonnen. Selbst wenn bei den<br />
Lösungen entgegengesetzte Forderungen<br />
gestellt werden: Praktisch alle Bevölkerungsschichten<br />
sind sich angesichts der<br />
Flüchtlingsbewegungen namentlich aus<br />
DIESE THEMEN PRÄGTEN DIE 80ER UND 90ER JAHRE<br />
%<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
1988<br />
Soziales/AHV<br />
Arbeitslosigkeit<br />
Gesundheit<br />
Umwelt<br />
Drogen<br />
Europa<br />
1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998<br />
Quelle: GfS-Forschungsinstitut, Datenbank «Sorgenbarometer 1988–1998», Stand November 1998<br />
Ex-Jugoslawien und Albanien der neu<br />
aufgeflammten Problematik bewusster<br />
geworden.<br />
Fragen der Altersvorsorge sind in den<br />
letzten Jahren wieder tiefer ins Bewusstsein<br />
der Schweizerinnen und Schweizer<br />
gerückt. Sie beschäftigen insbesondere<br />
Personen ab 50 deutlich mehr als den<br />
Durchschnitt. Aber auch Personen, die<br />
mit einem kleinen Haushaltsbudget ihr<br />
Leben bestreiten müssen, nennen diese<br />
Problematik überdurchschnittlich häufig.<br />
Für Gesundheitsfragen haben die anhaltenden<br />
Diskussionen um die Revision<br />
des Krankenversicherungsgesetzes verschiedene<br />
Gruppen sensibilisiert. Sowohl<br />
Menschen über 60 – insgesamt vor allem<br />
aber Frauen – und Personen mittleren<br />
Einkommens sprechen dieses Problem<br />
vermehrt an.<br />
Der Langzeitvergleich zeigt auch, dass<br />
sich die Schweizerinnen und Schweizer<br />
der europäischen Integrationsproblematik<br />
bewusster geworden sind. Seit Anfang<br />
der 90er Jahre ergibt sich eine absteigende<br />
Linie, die 1992 im Zusammenhang<br />
mit dem negativen EWR-Entscheid und<br />
1995 mit den Nationalratswahlen kurzfristig<br />
starke Ausschläge kannte. Die heutigen<br />
Trendgruppen, welche diese Frage<br />
überdurchschnittlich bewegt, sind Personen<br />
im Management und Sachbearbeiterinnen<br />
und -bearbeiter privater Firmen<br />
und der Verwaltungen. Hinzu kommen<br />
Menschen, die in politischen Fragen gerne<br />
meinungsbildend wirken.<br />
Umweltfrage verliert an Brisanz<br />
Verschiedene andere Themen haben 1998<br />
weiterhin an Bedeutung im Problemhaushalt<br />
der Schweizerinnen und Schweizer<br />
verloren. Hierzu zählen insbesondere<br />
Umweltfragen, das Drogenproblem sowie<br />
Probleme rund um den Bundeshaushalt<br />
und die Steuerbelastungen.<br />
Zieht man Bilanz zum «Sorgenbarometer<br />
98», kann man festhalten: Die anhaltende<br />
wirtschaftliche Stagnation mit der Arbeitslosigkeit<br />
als zentraler Herausforderung hat<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SERVICE<br />
48<br />
das Schweizer Volk in den neunziger Jahren<br />
geprägt. Die Veränderungen gegenüber<br />
dem Problembewusstsein der achtziger<br />
Jahre, als immaterielle Forderungen<br />
im Zentrum standen, sind augenfällig.<br />
Arbeitslosigkeit wurde verdrängt<br />
In den neunziger Jahren ist es noch zu<br />
keiner so fundamentalen Umkehrung des<br />
Problembewusstseins gekommen; wir<br />
können deshalb noch nicht von einem<br />
Wertewandel sprechen. Immerhin verweist<br />
die Entwicklung der letzten Jahre<br />
auf neue Spuren:<br />
– Anfänglich wurde die Arbeitslosenproblematik<br />
namentlich in der deutschsprachigen<br />
Schweiz verdrängt.<br />
– In einer zweiten Phase, während der<br />
Jahre 1996 und 1997, ist dies einer<br />
schockartigen Reaktion gewichen, die<br />
eine breite Verunsicherung in der<br />
Bevölkerung ausgelöst hat.<br />
– 1998 scheinen sich die Schweizerinnen<br />
und Schweizer vermehrt auf das Hauptproblem<br />
und seine Folgen einzustellen;<br />
sie suchen vermehrt nach Auswegen.<br />
Willkommen auf der Grossbaustelle<br />
Eine Art «neuer Realismus» macht sich<br />
breit, bei dem das Problembewusstsein<br />
verstärkt auf die längerfristigen Folgen<br />
und Zusammenhänge der Wirtschaftslage<br />
ausgerichtet ist. Die hauptsächlichen Probleme<br />
werden immer mehr als «Grossbaustellen»<br />
verstanden, bei denen es keinen<br />
raschen Umbau gibt und bei deren Neukonstruktion<br />
es für den einzelnen wie<br />
auch für die Politik und Wirtschaft darauf<br />
ankommt, neue Wege zu gehen und neue<br />
Koalitionen zu suchen.<br />
DER AUTOR DIESES BEITRAGS,<br />
CLAUDE LONGCHAMP,<br />
IST POLITIKWISSENSCHAFTER UND CO-LEITER<br />
DES GFS-FORSCHUNGSINSTITUTS IN BERN.<br />
EMAIL: CLONGCHAMP@GFS-BE.CH<br />
ZUKUNFTS-<br />
AUSSICHTEN<br />
ZUKUNFTSFORSCHER ROLF HOMANN<br />
REIST INS JAHR 2020 UND ZURÜCK.<br />
INTERVIEW: CHRISTIAN PFISTER,<br />
REDAKTION BULLETIN<br />
CHRISTIAN PFISTER Eigentlich ist unser Gespräch<br />
überflüssig, Herr Homann, schliesslich<br />
wird dieses Jahr die Welt untergehen.<br />
ROLF HOMANN Das sehe ich ziemlich<br />
anders. Ich halte solche Prognosen für eine<br />
typische Spätentwicklung einer Gesellschaft,<br />
in der die Religionen zusammenbrechen.<br />
Auch dieses ganze Traritrara<br />
ums Jahr 2000 ist nichts anderes als esoterisches<br />
Marketing und insofern idiotisch.<br />
C.P. Ein Weltuntergang ist also für Sie kein<br />
Szenario, das zu studieren sich lohnt ?<br />
R.H. In der Zukunftsforschung arbeiten<br />
wir immer mit verschiedenen Szenarien.<br />
Solchen, die wünschenswert sind, solchen,<br />
die wahrscheinlich sind, und Szenarien,<br />
die sehr negativ formuliert sind, damit die<br />
Gesellschaft sie abwenden kann.<br />
C.P. Sei’s drum, die Schweizerinnen und<br />
Schweizer beschäftigten 1998 keine esoterischen<br />
Nöte, sondern Fragen wie Arbeitslosigkeit<br />
und die Sorge um die Gesundheit.<br />
Was bewegt unser Land in zwanzig Jahren ?<br />
R.H. Zum einen leben wir in einer Übergangsgesellschaft;<br />
wir entwickeln uns zu<br />
einer elektronischen Informationsgesellschaft.<br />
Hier gibt es Probleme für jene<br />
Leute, die von der herkömmlichen Industriegesellschaft<br />
abhängen. Wir müssen uns<br />
damit abfinden, dass viele Jobs im industriellen<br />
Sektor und im Dienstleistungsbereich<br />
unwiderruflich verschwinden werden.<br />
Zudem wird in der Diskussion um die<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SERVICE<br />
49<br />
Arbeitslosigkeit ein Graben aufgebaut<br />
zwischen Jung und Alt. Das halte ich für<br />
gefährlich. Klar müssen wir den Jungen<br />
eine Chance geben – aber nicht auf<br />
Kosten der Älteren.<br />
C.P. Wo sehen Sie eine Lösung ?<br />
R.H. In Amerika hat sich deutlich gezeigt,<br />
dass die Aufhebung der Altersguillotine<br />
von 65 dem Arbeitsmarkt nicht geschadet<br />
hat. Neue Betriebe, neue Formen der virtuellen<br />
Arbeit zu finden, wo Jung und Alt<br />
vernünftig zusammenarbeiten, das scheint<br />
mir wesentlich. Und wir dürfen keine Ausbildungen<br />
mehr forcieren, die in die Sackgasse<br />
und damit unweigerlich in die<br />
Arbeitslosigkeit führen.<br />
C.P. Wie sieht denn Ihre persönliche Themen-<br />
Hitliste aus?<br />
R.H. Da wäre als erstes die Frage, wie<br />
wir Arbeit und Güter weltweit sinnvoll verteilen.<br />
Dazu gehören aber auch die Wiedergewinnung<br />
individueller Freiheit und die<br />
Rückkehr zu einem besseren Leben.<br />
C.P. Was verstehen Sie unter «besserem<br />
Leben» ?<br />
R.H. Das ist von Mensch zu Mensch verschieden.<br />
Für viele würde es allerdings<br />
heissen, sich nicht mehr den Zwängen zu<br />
beugen, die heute vielerorts herrschen.<br />
C.P. Werden in den nächsten zwanzig Jahren<br />
keine völlig neuen Themen auftauchen ?<br />
R.H. Die neuen Medien werden unser<br />
Leben gehörig auf den Kopf stellen. Grundsätzlich<br />
andere Probleme in der Geschichte<br />
der Menschheit schaffen sie aber nicht.<br />
Gewisse Konflikte bestehen schon heute,<br />
werden aber unterschätzt.<br />
C.P. Beispiel ?<br />
R.H. Nehmen wir die Verteilproblematik:<br />
Wir produzieren rund um den Globus<br />
genug, um die ganze Weltbevölkerung zu<br />
ernähren und mit Konsumgütern auszustatten.<br />
Doch die Verteilung klappt nicht.<br />
Konkret: Wasser wird eins der kostbar-<br />
sten Güter der Zukunft. Schon heute gibt<br />
es kriegerische Auseinandersetzungen,<br />
die auch auf die Verteilung von Wasser<br />
zurückzuführen sind.<br />
C.P. Wie können sich die Menschen rüsten,<br />
um gelassen in die Zukunft zu schreiten ?<br />
R.H. Sie brauchen Aus- und Weiterbildung.<br />
Man kann sich nicht mehr auf eine<br />
Grundausbildung verlassen. Sie müssen<br />
multifunktional werden. Denn sie haben<br />
damit klarzukommen, dass wir in einer<br />
Gesellschaft leben, wo klassische Wertsysteme<br />
zerbrechen und Mischformen<br />
entstehen.<br />
C.P. Welche Art Wissen wird gefragt sein ?<br />
R.H. Das Wissen wird eng heranrücken<br />
an die Probleme, die zu lösen sind. Wir werden<br />
uns das Wissen dann holen, wenn es<br />
uns zur Lösung von Problemen nützt. Das<br />
hat Konsequenzen fürs Bildungssystem: Es<br />
werden nicht mehr irgendwelche klugen<br />
Köpfe an Universitäten und Mittelschulen<br />
Ausbildungsgänge vorbestimmen und Berufsleute<br />
auf Vorrat produzieren – fernab<br />
von der Praxis. Wissen geht von einer anbieterorientierten<br />
Gesellschaft über in eine<br />
abnehmerorientierte.<br />
C.P. Das verstehe ich nicht.<br />
R.H. Nehmen wir das Internet. Wenn Sie<br />
etwas lösen wollen, werden Sie künftig im<br />
Internet bei neuen Dienstleistern anfragen,<br />
wer Ihnen das Problem lösen kann. Alle<br />
Berufs- und Angebotszweige mit Mittlerfunktion,<br />
wie etwa der Handel, werden in<br />
den nächsten fünf bis fünfzehn Jahren<br />
mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes<br />
ans Internet verlieren.<br />
C.P. Überschätzen Sie das Internet nicht ?<br />
R.H. Überhaupt nicht. Was ich beschreibe,<br />
ist schon Gegenwart: In den USA wurde<br />
1998 via Internet allein im Tourismus ein<br />
Umsatz von jährlich 1,5 Milliarden Dollar<br />
erzielt. Der Bereich Electronic-Commerce<br />
steigt wesentlich schneller, als wir gedacht<br />
haben.<br />
C.P. Und in Zukunft ?<br />
R.H. Hochrechnungen besagen, dass<br />
wir im Jahr 2001 bereits bis zu 300<br />
Milliarden Dollar Umsatz über das Internet<br />
generieren. Davon betroffen sind auch traditionelle<br />
Berufe wie Ärzte oder Juristen.<br />
Effiziente Systeme können mir heute den<br />
Blutdruck messen und morgen Körperfunktionen<br />
abchecken. Hierauf kann ich<br />
auf Datenbanken zugreifen, die mir zu<br />
97 Prozent sagen, was ich machen soll,<br />
wenn’s mir schlecht geht. Intelligente<br />
Datenbanken erzwingen einen dramatischen<br />
Wandel.<br />
C.P. Worauf beruhen Ihre Annahmen, lesen<br />
Sie im Kaffeesatz ?<br />
R.H. Wir Zukunftsforscher leben davon,<br />
dass wir aufgrund verschiedener Methoden<br />
Wissen zusammentragen. Wir arbeiten<br />
unter anderem mit Szenarien und Trends.<br />
Der Forscher hat ein Wissenssystem, das<br />
er erlernt. Doch damit hat es sich noch<br />
nicht: Etwas Neues zu finden verlangt<br />
wiederum Kreativität.<br />
C.P. Sie erfinden also die Zukunft ?<br />
R.H. Ja und nein. Aber nehmen wir etwa<br />
Science-fiction in Buch und Film. Häufig<br />
beeinflusst dieses Genre die Gedanken<br />
an die Zukunft, es ist der Schlüssel zum<br />
Erdenken von Zukünften. Den Begriff<br />
«Cyberspace» beispielsweise, der heute in<br />
aller Munde ist, hat ein Science-fiction-<br />
Autor erfunden.<br />
HEUTE DENKEN, MORGEN SEIN<br />
Rolf Homann promovierte in Sinologie<br />
an der Universität Tübingen.<br />
Unter anderm arbeitete er mehrere<br />
Jahre am Gottlieb-Duttweiler-Institut<br />
als Projektleiter. Seit 1989 ist er<br />
selbständiger Zukunftsforscher und<br />
Journalist, Berater und Trainer. Sein<br />
jüngstes Buch heisst «Zukünfte<br />
heute denken, morgen sein», Zürich<br />
1998.<br />
Infos und Links zum Sorgenbarometer: BULLETIN |<br />
ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin
SERVICE<br />
50<br />
DAS PLASTIKGELD BOOMT IN DER SCHWEIZ. IMMER<br />
MEHR LEUTE ERLEDIGEN IHRE ZAHLUNGEN,<br />
OHNE NACH DEM PORTEMONNAIE ZU GREIFEN.<br />
BARGELDLOS<br />
GLÜCKLICH<br />
«ICH BRAUCHE JE LÄNGER<br />
JE WENIGER CASH.»<br />
RENÉ JEANNERET,<br />
GESCHÄFTSFÜHRER DER<br />
ZÜRCHER FIRMA RADIKAL<br />
REINIGUNGEN AG, LIEGT<br />
DAMIT VOLL IM TREND.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SERVICE<br />
51<br />
VON PASQUALE FERRARA<br />
Kreditkarte, ec-Karte, Kontokarte, Tankkarte,<br />
Telefonkarte. «Wir tragen enorm viel<br />
Plastik mit uns herum», stöhnt René<br />
Jeanneret, Geschäftsführer der Zürcher<br />
Reinigungsfirma Radikal Reinigungen AG.<br />
Ob das nicht alles auf einer Karte Platz<br />
hätte, fragt er sich manchmal. Doch<br />
eigentlich dürfte er ja nicht klagen: auch er<br />
hat sich an die Vorzüge des bargeldlosen<br />
Zahlens gewöhnt. «Ich brauche je länger<br />
je weniger Bargeld», sagt Unternehmer<br />
Jeanneret. So geht es vielen anderen auch:<br />
Rund zwei Millionen Personen besitzen in<br />
der Schweiz eine Kreditkarte, rund drei<br />
Millionen eine ec-Karte.<br />
Noch sind wir keine bargeldlose Gesellschaft.<br />
Aber die Konsumenten greifen<br />
immer mehr zur Plastikkarte. Mehr als<br />
zehn Prozent des Endkonsums wird in der<br />
Schweiz bereits heute via Karten bezahlt –<br />
Tendenz steigend. Plastikgeld ersetzt<br />
nicht nur Bargeld, sondern auch andere<br />
Zahlungsformen wie Checks oder Überweisungen.<br />
Eine Studie der Universität<br />
Sankt Gallen beziffert den maximal<br />
erreichbaren Umsatz für Karten in der<br />
Schweiz auf 140 Milliarden Franken. Zum<br />
Vergleich: Heute werden Waren und<br />
Dienstleistungen für rund 20 Milliarden<br />
Franken über Karten bezahlt. «Der Trend<br />
zum Ersatz von Bargeld durch Plastikgeld<br />
wird anhalten», sagt Peter Rikli, Leiter<br />
Zahlungssysteme der CREDIT SUISSE<br />
(siehe Interview).<br />
Ec-Karte wurde zum Renner<br />
Dieser Trend bringt das Kreditkartengeschäft<br />
in der Schweiz in Bewegung.<br />
Kreditkartenorganisation und Banken werben<br />
um neue Kunden. Dem wachsenden<br />
DREI KARTEN AUS EINER HAND<br />
Die CREDIT SUISSE ist seit Januar mit einer Weltneuheit auf dem Markt: Erstmals<br />
bietet eine Bank ihren Kunden alle drei Weltmarken Eurocard/MasterCard, Visa<br />
und American Express an. Die CREDIT SUISSE ging dafür mit American Express<br />
ein Joint Venture ein: Swisscard AECS heisst die gemeinsame neue Gesellschaft.<br />
«Bei uns erhält der Kunde nicht wie bis anhin nur Eurocard, sondern jene Karte<br />
und Kartenkombination, die er will und braucht», sagt Swisscard-Marketingleiterin<br />
Ingrid Deltenre. Was für mehrere Karten spricht? «Mit zwei oder drei<br />
Karten erreicht der Kunde weltweit eine maximale Akzeptanz, ob in Hotels, in<br />
Restaurants, an Tankstellen oder beim Autoverleih», sagt die Kartenmanagerin.<br />
Gleichzeitig steigt die Kostentransparenz, «denn mit zwei Karten lassen sich<br />
Firmenspesen und private Ausgaben problemlos trennen».<br />
Im neuen Kartenpaket steckt aber noch mehr drin: Die Kunden zahlen bei Swisscard<br />
für zwei oder für alle drei Weltkarten weniger als die Summe der Einzelgebühren.<br />
«Zudem gibt es nur eine Help Line, also nur einen Kundendienst für<br />
alle drei Karten», fährt Ingrid Deltenre fort. Und alle drei Karten laufen über<br />
dasselbe Bonusprogramm «Point-up». Kartenbenützern werden bei jedem Einsatz<br />
Punkte gutgeschrieben, die dann für vergünstigte Reisen, Einkäufe oder<br />
Bankprodukte verwendet werden können.<br />
Für weitere Informationen wählen Sie die Nummer 0848 848 210 oder wenden<br />
sich an Ihren Kundenberater.<br />
Bedürfnis nach bargeldlosem Verkehr<br />
kommt auch die CREDIT SUISSE entgegen<br />
und erweitert ihr Kartenangebot.<br />
Kunden der Bank können seit Januar alle<br />
drei Weltmarken Eurocard/MasterCard,<br />
Visa und American Express beziehen.<br />
Eine Weltneuheit (siehe Box «Drei Karten<br />
aus einer Hand»).<br />
Plastikgeld boomt in der Schweiz seit<br />
Anfang der neunziger Jahre. Dazu beigetragen<br />
hat auch die ec-Karte. Einst für<br />
den Bargeldbezug am Bancomaten gedacht,<br />
wird sie seit 1988 auch für die<br />
Direktbezahlung von Dienstleistungen und<br />
Waren benutzt, und zwar rege: 1990 wurden<br />
über ec-direct 430 Millionen Franken<br />
umgesetzt, 1997 waren es bereits 5,2 Milliarden<br />
Franken. EFT/POS heisst das<br />
zukunftsweisende Konzept. EFT/POS<br />
steht für «Electronic Funds Transfer at the<br />
Point of Sale», also den bargeldlosen<br />
Zahlungsverkehr am Verkaufsort. Dasselbe<br />
Prinzip kommt bei der Postcard zur<br />
Anwendung. Beeindruckend sind auch die<br />
Zuwachszahlen bei den Kreditkarten:<br />
Marktleader Eurocard wies 1989 in der<br />
Schweiz Umsätze von zwei Milliarden<br />
Franken aus; mittlerweile sind es fast zehn<br />
Milliarden Franken mit über 1,5 Millionen<br />
Karteninhabern.<br />
Schweizer halten sich noch zurück<br />
Der Markt ist noch nicht gesättigt: «Wir<br />
gehen davon aus, dass in den nächsten<br />
Jahren in der Schweiz zwischen 500 000<br />
und 800 000 neue Kartennutzer dazukommen<br />
werden», sagt Ingrid Deltenre,<br />
Marketingleiterin bei der Swisscard, der<br />
neuen Kartengesellschaft der CREDIT<br />
SUISSE. Wie gross das Potential für<br />
Plastikgeld in der Schweiz ist, zeigt auch<br />
ein Vergleich mit dem Ausland. Schweizer<br />
Konsumenten nutzen Karten nämlich noch<br />
relativ wenig. In den USA beispielsweise<br />
werden rund 20 Prozent des privaten<br />
Konsums über Karten abgewickelt, hier-<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SERVICE<br />
52<br />
EIN CHIP<br />
FÜR ALLE FÄLLE<br />
PETER RIKLI, LEITER<br />
ZAHLUNGSSYSTEME DER<br />
CREDIT SUISSE,<br />
SKIZZIERT DIE BARGELDLOSE<br />
WELT VON MORGEN<br />
PASQUALE FERRERA Herr Rikli, brauchen Sie<br />
im Alltag noch Bargeld ?<br />
PETER RIKLI Ja. Im Café beispielsweise,<br />
fürs Taxi und in Läden, die keine Karten<br />
akzeptieren.<br />
P.F. Wird man auch in Zukunft für kleinere<br />
Beträge zum Bargeld greifen ?<br />
P.R. Nein. Neue technische Möglichkeiten<br />
werden die Gesellschaft noch bargeldloser<br />
machen. Wir werden vom Rappenbetrag<br />
bis zur grossen Zahlung alles<br />
ab Karte erledigen können – und zwar von<br />
jedem Ort aus.<br />
P.F. Wie wird dies möglich ?<br />
P.R. Treibende Kraft werden die Smartcards<br />
sein. Die Chips, die heute schon auf<br />
den meisten ec-Karten eingebaut sind,<br />
werden viel leistungsfähiger. Man wird sie<br />
mit einem kleinen PC vergleichen können,<br />
der verschiedene Anwendungen nutzen,<br />
aber auch neue Anwendungen laden und<br />
entladen kann. Es ist also vorstellbar, dass<br />
wir mit derselben Karte im Laden einkaufen,<br />
das Kinoticket darauf reservieren,<br />
bezahlen und an der Kasse am Abend dann<br />
abbuchen. Oder via Internet etwas bestellen<br />
und die Rechnung gleich begleichen.<br />
Und wohlverstanden: dies alles weltweit.<br />
P.F. Nicht alles, was technisch möglich ist,<br />
setzt sich auch durch. Wie steht es mit den<br />
Smartcards ?<br />
P.R. Bedingung ist, dass diese neue<br />
Technologie einfach und kundenfreundlich<br />
ist. Dann werden die Kunden sich von selber<br />
vom Nutzen überzeugen. Und der lässt<br />
sich sehen: Kein Kopfzerbrechen mehr<br />
über Geldbeträge, die man beispielsweise<br />
ins Ausland mitnehmen muss; nicht ständig<br />
zur Bank oder zu einem Automaten<br />
gehen müssen, um Geld abzuheben oder<br />
Dienstleistungen zu beanspruchen. Über<br />
PC oder Natel kann sich jeder die Bankverbindung<br />
selber herstellen.<br />
P.F. Was hemmt diese Entwicklung ?<br />
P.R. Der grösste Hemmfaktor ist die<br />
Gewohnheit: Die Schweiz ist nach wie vor<br />
ein Bargeld-Land. Ein Zahlenvergleich: In<br />
der Schweiz werden im Durchschnitt 73<br />
Transaktionen pro Jahr und pro Person<br />
mit Karten getätigt, in den USA sind es<br />
300. Doch die Generation, die heranwächst,<br />
ist aufgeschlossener gegenüber<br />
Plastikgeld. Das wird den Trend zur bargeldlosen<br />
Gesellschaft verstärken.<br />
P.F. Eine wichtige Rolle spielt aber auch der<br />
Handel. Detaillisten, Restaurants, Kinos usw.<br />
müssen zuerst in die neue Technologie<br />
investieren. Das ist nicht selbstverständlich.<br />
P.R. Richtig. Am Anfang ist eine Investition<br />
nötig. Sie zahlt sich aber aus. Die Anbieter<br />
profitieren von Zusatzverkäufen und<br />
von einer erhöhten Sicherheit, weil keine<br />
grossen Geldbestände mehr nötig sind.<br />
Und ausserdem: Auch das Bargeld-Handling<br />
kostet; dort wird man sparen.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SERVICE<br />
53<br />
zulande sind es nur zwölf Prozent. Auch in<br />
Frankreich und in Grossbritannien zücken<br />
die Konsumenten häufiger die Kreditkarte<br />
als in der Schweiz.<br />
Ob das Potential ausgeschöpft wird,<br />
hängt aber auch vom Willen der Wirtschaft<br />
ab, Plastikgeld zu akzeptieren: Detailhandel,<br />
Gastgewerbe und Dienstleistungsunternehmen<br />
müssen in Geräte investieren.<br />
Für Kreditkartenbeträge sind ausserdem<br />
Kommissionsgebühren zu entrichten. «Auch<br />
für uns muss der Ertrag grösser sein als<br />
die Kosten», sagt darum Pierre-André<br />
Steim, Präsident des Verbands Elektronischer<br />
Zahlungsverkehr (VEZ). Der VEZ<br />
vertritt die Interessen fast aller Branchen<br />
bei der Entwicklung des bargeldlosen<br />
Zahlungsverkehrs. Gestritten wird zurzeit<br />
über die Beteiligung des Handels an ecdirect,<br />
denn ec- und Postcard sind nur<br />
noch bis Ende 1999 gebührenfrei.<br />
Doch die Kosten sind das eine, die Technologie<br />
das andere. Die neue Generation<br />
elektronischer Kassen muss laut Steim vor<br />
allem eine Bedingung erfüllen: Sie muss<br />
für alle Zahlarten geeignet sein. Das heisst,<br />
sowohl ec-direct, verschiedenste Kreditkarten<br />
als auch das neue Wertkartensystem<br />
CASH sollten über dasselbe Gerät laufen.<br />
Gerade an der Einführung von CASH<br />
haben die VEZ-Mitglieder wenig Freude.<br />
«Zu teuer und nicht integrierbar», lautet<br />
das Urteil von Steim.<br />
Nun kommen die Alleskönner<br />
Die Wünsche des VEZ stossen bei den<br />
Spezialisten der Banken auf offene Ohren.<br />
«Wir arbeiten an international standardisierten<br />
und integrierten Systemen», sagt<br />
Peter Rikli, Leiter Zahlungssysteme bei<br />
der CREDIT SUISSE. Die technischen<br />
Möglichkeiten seien bei weitem nicht ausgeschöpft.<br />
Multifunktionalität lautet das<br />
Schlagwort. Eine Karte wird zugleich als<br />
Kredit-, Debit-, wie auch als Wertkarte<br />
dienen. Man wird damit sowohl an der<br />
Parking-Kasse als auch im Kino bezahlen,<br />
ja sogar die Kinoreservation darauf speichern<br />
können, und zwar egal ob in Zürich<br />
SO ZAHLEN SIE OHNE BARGELD<br />
KREDITKARTEN<br />
Die Pionierin des Plastikgelds. Rund zwei Millionen Personen besitzen in der<br />
Schweiz eine Kreditkarte. Tendenz steigend. Jetzt einkaufen oder konsumieren,<br />
Ende Monat bezahlen lautet das Prinzip (pay later).<br />
DEBITKARTE<br />
ec-Karte oder Postcard finden sich mittlerweile fast in jedem Portemonnaie. Sie<br />
dienen zum einen dem Bargeldbezug am Automaten, mit ihr werden aber auch<br />
direkt Güter und Dienstleistungen bezahlt. Der entsprechende Betrag wird direkt<br />
vom Konto abgezogen (pay now).<br />
WERTKARTEN<br />
Seit 1997 sind in der Schweiz ec-Karten und Postcards mit einem Chip ausgerüstet.<br />
Damit kann am Bankomaten Geld auf die Karte geladen werden. Die<br />
Karte wird damit zu einem elektronischen Portmonnaie. Beim Zahlen wird das<br />
Geld wieder abgebucht – elektronisch versteht sich (pay before).<br />
CHECK<br />
Bis vor wenigen Jahren waren die Checks die meistbenutzte Art, bargeldlos zu<br />
zahlen. Ihre Bedeutung nimmt aber ab. Kredit- und Debitkarten ersetzen sie.<br />
VIRTUELLES GELD<br />
Virtuelles Geld bezeichnet Geld, das nur in elektronischer Form existiert und als<br />
Ersatz für Bargeld dient. Wertkarten sind eine erste Variante von elektronischem<br />
Geld. Virtuelles Geld kommt aber auch schon im Internet zum Zug: Das virtuelle<br />
Geld ist dabei auf einer lokalen Festplatte gespeichert und wird mittels Computer<br />
übers Internet an einen Empfänger gesendet. E-Cash heisst das entsprechende<br />
Projekt, das CREDIT SUISSE in einem Pilotversuch testet.<br />
ÜBERWEISUNGEN<br />
Auch bei den Überweisungsaufträgen hält die Elektronik Einzug. Die verschiedenen<br />
Formen von Zahlungsaufträgen können nicht nur auf Papier, sondern<br />
mittlerweile auch elektronisch ausgelöst werden, sei es via Internet oder Videotex<br />
oder mittels sogenanntem Datenträgeraustausch (DTA). Üblich ist auch das<br />
Lastschriftverfahren (LSV), bei dem der Kunde jemanden ermächtigt, Abzüge auf<br />
seinem Konto zu veranlassen.<br />
oder in London (siehe Interview). Möglich<br />
machen es neue, leistungsfähigere Chips<br />
auf den Karten der Zukunft. «Solche Chips<br />
sind auch der Schlüssel für den Handel im<br />
Internet», sagt Rikli. Denn es werde keinen<br />
Unterschied mehr machen, ob man im<br />
Verkaufsladen steht und an der elektronischen<br />
Kasse bezahlt oder via Internet oder<br />
sogar Natel die Verbindung herstellt.<br />
«Vieles davon wird schon in zwei bis drei<br />
Jahren Realität sein», ist Rikli überzeugt.<br />
Gute Nachrichten also für Leute wie<br />
den Zürcher Unternehmer Jeanneret:<br />
Brieftaschen, die vor lauter Karten fast<br />
platzen, werden schon bald der Vergangenheit<br />
angehören.<br />
Infos und Links zu Zahlungsmittel: BULLETIN |<br />
ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin
SERVICE<br />
54<br />
FLOWTEAMS –<br />
SELBSTORGANISATION<br />
IN ARBEITSGRUPPEN<br />
B<br />
VON JAN MAREK<br />
ORGANISIEREN SIE SICH SELBER –<br />
DIE NEUE ORIENTIERUNG<br />
SAGT IHNEN WIE.<br />
Wer hat nicht schon bei einer Strassenkreuzung<br />
geduldig vor «Rot» gewartet,<br />
obwohl einer flotten Durchfahrt nichts im<br />
Wege stand, und sich bei anderer Gelegenheit<br />
gewundert, warum es bei einem<br />
Strassenkreisel selbst bei dichtestem Verkehr<br />
praktisch keine Staus gibt ? Des Rätsels<br />
Lösung: Die Lichtsignalanlage wird<br />
von aussen «fremdgesteuert», der Strassenkreisel<br />
ist so angelegt, dass sich die<br />
Autofahrer selbst organisieren.<br />
Die Idee der erfolgreichen Selbstorganisation<br />
gilt nicht nur für den Strassenverkehr,<br />
sie lässt sich auch auf andere<br />
Bereiche übertragen. Das beweist die<br />
neuste Ausgabe der CREDIT SUISSE-<br />
Publikation «Orientierung» mit dem Titel<br />
«FlowTeams – Selbstorganisation in Arbeitsgruppen».<br />
Die beiden Autoren Martin<br />
Gerber und Heinz Gruner zeigen darin auf<br />
anschauliche Weise, wie sich die Zusammenarbeit<br />
mit Hilfe einfacher Regeln verbessern<br />
lässt.<br />
Es sind Regeln, die aus der Systemund<br />
Chaosforschung abgeleitet wurden.<br />
Das heisst: Sogenannt komplexe Systeme<br />
wie das Wetter oder die Börse sind gar<br />
nicht so chaotisch, wie sie auf den ersten<br />
Blick erscheinen. Es gibt darin verdeckte<br />
Prinzipien der Selbstorganisation, die unter<br />
bestimmten Bedingungen eine höhere<br />
Ordnung und eine verbesserte Effizienz<br />
hervorbringen. Mit Hilfe dieser Prinzipien<br />
lässt sich auch die Teamarbeit optimieren.<br />
Die Orientierung 108 führt jedoch die<br />
systemtheoretischen Überlegungen nur<br />
so weit aus, als sie für das Verständnis der<br />
praktischen Anwendung absolut notwendig<br />
sind. Umfangmässig den grössten<br />
Platz beanspruchen die 12 «Focus-Bereiche»,<br />
welche Schritt für Schritt in die<br />
FlowTeam-Methode einführen. Damit können<br />
unerfahrene Anwenderinnen und Anwender<br />
sofort mit der Umsetzung in ihrem<br />
Alltag beginnen und – wenn sie wollen –<br />
auch nur Teilaspekte verwenden. Denn die<br />
FlowTeam-Methode kennt keine fixfertigen<br />
Rezepte – nur Anregungen und Denkanstösse,<br />
die in jedem Team individuell<br />
umgesetzt werden können.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
SERVICE<br />
55<br />
INTERVIEW MIT HEINZ GRUNER,<br />
LEITER DES CREDIT SUISSE<br />
COMMUNICATION CENTERS IN<br />
HORGEN: «ERWACHSENE<br />
SIND IN DER TEAMARBEIT OFT<br />
BLOCKIERT.»<br />
JAN MAREK Herr Gruner, wann sind Sie der<br />
FlowTeam-Methode zum ersten Mal begegnet<br />
?<br />
HEINZ GRUNER Ich habe schon immer nach<br />
Ideen und Möglichkeiten gesucht, die Gruppenarbeit<br />
effizienter und effektiver zu gestalten.<br />
Ende der 80er Jahre bin ich dann<br />
zum ersten Mal auf die sogenannte «Moderations-Methode»<br />
gestossen. Diese versucht<br />
in Workshops, die kollektive Intelligenz der<br />
Mitarbeiter besser zu nutzen. Die Ideen<br />
dieser Methode haben wir bei der Planung<br />
und Errichtung des CREDIT SUISSE Communication<br />
Centers (CSCC) einfliessen<br />
lassen. Doch hatten wir bald das Gefühl:<br />
Das ist zwar gut, doch muss es noch etwas<br />
Besseres geben… Anfang der 90er<br />
Jahre bin ich dann auf die FlowTeam-<br />
Methode gestossen und habe sie ab 1994<br />
mit meinem Team im CSCC ausprobiert.<br />
Seither arbeiten wir erfolgreich damit.<br />
regulation bereitstellt. Dadurch organisieren<br />
sich die Teilnehmer selbst, geben sich<br />
eigene Regeln und arbeiten so effizienter<br />
und effektiver.<br />
J.M. Was ist für Sie der wichtigste Punkt der<br />
FlowTeam-Methode ?<br />
H.G. Es sind mehrere Punkte: Als erstes<br />
ist die FlowTeam-Methode sehr ziel- und<br />
kundenorientiert. Man überlegt sich jederzeit<br />
sehr genau, was für wen und zu<br />
welchem Zweck am Ende der Zusammenarbeit<br />
vorliegen soll. Zum zweiten wird<br />
dabei nicht nur im Kreis herum geredet,<br />
sondern immer etwas Konkretes hergestellt:<br />
etwa Konzepte, Problemlösungsvorschläge,<br />
Vorgehenspläne, Checklists.<br />
Drittens können alle Teilnehmer ihre individuellen<br />
Fähigkeiten und Talente wirklich<br />
einbringen. Und nicht zuletzt macht es den<br />
Beteiligten auch Spass, so zu arbeiten.<br />
Orientierung 108<br />
FlowTeams – Selbstorganisation in Arbeitsgruppen<br />
Martin Gerber<br />
Heinz Gruner<br />
g<br />
SIE KÖNNEN DIE NEUE<br />
«ORIENTIERUNG» BESTELLEN BEI:<br />
CREDIT SUISSE-BESTELLSERVICE,<br />
SULZSTRASSE 10, 9403 GOLDACH,<br />
UND VIA INTERNET UNTER<br />
WWW.CREDIT-SUISSE.CH/<br />
ORIENTIERUNG<br />
J.M. Was ist Ihre persönliche Beziehung zur<br />
FlowTeam-Methode ?<br />
H.G. Irgendeinmal habe ich realisiert,<br />
dass Erwachsene in der Teamarbeit oft<br />
«blockiert» sind. Als Kinder waren sie jedoch<br />
lebendig, kreativ und initiativ. Was ist<br />
mit ihnen geschehen, als sie erwachsen<br />
wurden und sich an gesellschaftliche Normen<br />
anpassten ? Deshalb habe ich mich<br />
gefragt: Wie lassen sich die ursprüngliche<br />
Kreativität, Initiative und der Spass am<br />
Entdecken von Neuem wieder herstellen ?<br />
Wie kann man Leuten Mut machen, sich<br />
mit ihrer Person, ihrem Wissen und ihren<br />
Talenten voll in eine gemeinsame Aufgabe<br />
einzubringen ? Genau das bezweckt die<br />
FlowTeam-Methode.<br />
J.M. Können Sie die Grundidee der Flow-<br />
Team-Methode kurz beschreiben ?<br />
H.G. Jedes System, das überreguliert ist,<br />
besitzt die Tendenz, die Regeln zu brechen.<br />
Und jedes System, das unterreguliert ist,<br />
neigt dazu, Regeln zu schaffen. Dieses<br />
Prinzip nutzt die FlowTeam-Methode, indem<br />
sie in Meetings Freiräume für Selbst-<br />
J.M. Wie verwenden Sie die FlowTeam-<br />
Methode in Ihrem Arbeitsalltag ?<br />
H.G. Teilkonzepte dieser anderen Art zu<br />
arbeiten und zu lernen gebrauche ich, wann<br />
und wo auch immer sich die Möglichkeit<br />
ergibt. Die ganze FlowTeam-Methode verwenden<br />
wir im CSCC bei jedem Projekt.<br />
Auch in meiner Funktion als Berater für<br />
Anlässe wie Management-Foren, Tagungen,<br />
Meetings, Workshops benutze ich<br />
FlowTeam-Ideen und versuche, möglichst<br />
viel Interaktion und Selbstorganisation<br />
einzubringen, weil dies deren Effizienz und<br />
Effektivität erhöht.<br />
J.M. Wo und wie kommt die FlowTeam-<br />
Methode in der CREDIT SUISSE zum Zug ?<br />
H.G. Die FlowTeam-Methode wird bei<br />
uns erst in einzelnen Organisationseinheiten<br />
angewandt. Beispielsweise in den<br />
Bereichen Informatik, Marketing, Personal<br />
oder – ganz neu – Bau und Immobilien.<br />
Doch interessieren sich immer mehr auch<br />
Mitglieder der Geschäftsleitung für die<br />
FlowTeam-Methode – was mich natürlich<br />
sehr freut.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
VON BETTINA JUNKER,<br />
REDAKTION BULLETIN<br />
Ohne Wenn und Aber: Nina<br />
Corti, Königin des Flamenco,<br />
ist ein Star von Weltformat –<br />
vom präzis gezogenen Scheitel<br />
bis zur heissgetanzten<br />
Sohle.<br />
Mal stolz, mal verführerisch,<br />
aber stets leidenschaftlich<br />
und bis in die Fingerspitzen<br />
von vollendeter Anmut.<br />
Perfekt geschminkte spanische<br />
Mandelaugen und strenger<br />
Chignon im Nacken, erhabene<br />
Haltung und grazile Bewegungen,<br />
stampfende Schritte und<br />
gelenkige Handdrehungen –<br />
so kennt man Nina Corti in<br />
Aktion. Und wer die gebürtige<br />
Zürcherin einmal mit ihrem<br />
Ensemble erlebt, merkt sodann,<br />
dass sie nicht nur beim<br />
Tanz den Zipfel des Rüschenkleids,<br />
sondern vor allem die<br />
Fäden der ganzen Aufführung<br />
in der Hand hat – auch wenn<br />
die Musiker scheinbar den<br />
Ton angeben.<br />
Die schmucklose, unscheinbare<br />
Frau, die an jenem kalten<br />
Winternachmittag bis über<br />
die Ohren im Mantelkragen<br />
versunken daherkommt, hat<br />
so gar nichts mit dem heissblütigen<br />
Energiebündel auf<br />
der Bühne gemein. Wer hätte<br />
das gedacht! Eine Königin<br />
begegnet einem auf der<br />
Strasse, und man wird dessen<br />
nicht mal gewahr. Ihr Mann<br />
und Manager, meist mit Handy<br />
und Terminkalender bewaffnet,<br />
schleppt ihr den Requisitenkoffer<br />
hinterher – wahrscheinlich<br />
auch bis ans Ende der<br />
Welt, wenn’s denn sein<br />
müsste. Die Eheleute sind<br />
OLÉ<br />
NINA CORTI HAT ZWAR<br />
EINEN SCHWEIZER PASS,<br />
ABER EIN SPANISCHES HERZ.<br />
DEM BULLETIN HAT SIE<br />
ERZÄHLT, WIE ES DAZU KAM.<br />
ein eingespieltes Paar. «Ohne<br />
die Unterstützung meines<br />
Mannes hätte ich es nie so weit<br />
gebracht», sagt Nina Corti<br />
liebevoll später im Gespräch.<br />
Drinnen, als der Koffer<br />
geöffnet wird, weht einem<br />
alsbald ein Hauch von Sevilla<br />
entgegen: Verschiedene<br />
antike Fächer treten zum Vorschein,<br />
teils bemalt oder<br />
bestickt, eine Vielzahl fransiger<br />
Schals und natürlich Kastagnetten,<br />
ohne die der Flamenco<br />
wie ungesalzenes Brot<br />
daherkäme. Entseelt liegen<br />
die Tücher da; erst wenn man<br />
sie sich um den Leib der Tänzerin<br />
geschlungen oder durch<br />
die Luft gewirbelt vorstellt,<br />
erwachen sie zum Leben.<br />
Nina Corti macht es sich<br />
bequem, soweit das am<br />
Schminktisch möglich ist, und<br />
überlässt sich getrost den<br />
geübten Händen der Stylistin.<br />
Die langwierige Prozedur mit<br />
Lockenstab und Puderquaste<br />
ist für die Vielfotografierte<br />
eine Alltäglichkeit. Das feurige<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
MAGAZIN<br />
57<br />
Temperament, mit dem sie<br />
auf der Bühne ihrem Publikum<br />
einheizt, scheint sie mit dem<br />
Mantel an der Garderobe<br />
abgelegt zu haben. Ergeben<br />
lässt sie das x-te Interview über<br />
sich ergehen.<br />
Sie sei nicht die Frau der<br />
grossen Worte, räumt sie<br />
gleich zu Anfang ein. «Mein<br />
Ausdrucksmittel ist der Tanz».<br />
Doch nach einer Erläuterung<br />
des Flamenco befragt, wird<br />
sie gesprächig: «Flamenco ist<br />
nichts Schöngeistiges, er<br />
kommt vielmehr mitten aus<br />
dem Leben.» Den Ursprung<br />
hat dieser andalusische<br />
Volkstanz nämlich gewissermassen<br />
in der Gosse, bei<br />
den Allerärmsten, die tagtäglich<br />
von der Hand in den<br />
Mund leben. Zu heissen<br />
Rhythmen werden Not und<br />
Entbehrungen in Grund und<br />
Boden getrampelt. Trauer,<br />
Schmerz, aber auch Liebe,<br />
Glück und Lebensfreude –<br />
kurzum: die ganze Palette<br />
menschlicher Empfindungen –<br />
werden fassbar, wenn Nina<br />
Corti tanzt. Flamenco, das sei<br />
Auseinandersetzung mit dem<br />
Leben. «Ich stampfe und<br />
spüre den Boden», erzählt sie,<br />
«nicht wie beim Ballett, wo<br />
man möglichst in der Luft<br />
schwebt und damit den Bezug<br />
zur Erde verliert.»<br />
Die Suche nach Tiefe und<br />
Wahrheit begleitet Nina Corti<br />
schon lang. «Man sieht viel<br />
Schönes erst, wenn man<br />
ehrlich ist und sich nichts mehr<br />
vormacht. Und ich suche<br />
immer und überall nach dem,<br />
was wahr ist.» Dem Leben<br />
auf die Spur kommen wollen –<br />
wer kennt das nicht. Aber<br />
vermutlich wird nur ein paar<br />
Handverlesenen das Glück<br />
beschert, von ihrer Bestimmung<br />
so klar geführt zu werden.<br />
Als Nina Corti nämlich einmal<br />
mit 17 aus Jux einer Freundin<br />
in eine Flamencoschule<br />
folgte, da wusste sie sofort:<br />
Der Flamenco gehört zu ihr.<br />
So einfach war das. «Ich hatte<br />
das Gefühl, diesen Rhythmus<br />
schon lange zu kennen», fährt<br />
sie fort. Und: Wenn man offen<br />
durch die Welt ginge, dann<br />
finde ein jeder sein Schicksal.<br />
Sie tanzt in Jeans zu Jazz<br />
Die Stylistin zupft ein paar<br />
widerspenstige Locken<br />
zurecht, die sich hochgesteckt<br />
nicht recht kringeln wollen.<br />
Noch flugs der Haarspray,<br />
fertig. Jetzt das Make-up.<br />
Genau wie Maske und<br />
Kostüme, die Nina Corti im<br />
übrigen selber schneidert,<br />
sind auch die Tanzschritte und<br />
Körperbewegungen Programm.<br />
«Das meiste ist einstudiert.<br />
Wenn ich eine neue<br />
Choreographie übe, trainiere<br />
ich an die fünf Stunden am<br />
Tag», so Nina Corti, dieweil<br />
sich ihr Teint unter den Händen<br />
des Schminkprofis langsam<br />
zu demjenigen wandelt, das<br />
aller Welt vertraut ist. «Die<br />
traditionellen Schritte müssen<br />
unbedingt stimmen. Erst wenn<br />
man den Flamenco in seiner<br />
Ursprünglichkeit begriffen<br />
hat, kann man ihn neu interpretieren.»<br />
Das gewisse Etwas an<br />
Nina Cortis Tanz macht indes<br />
gerade die Improvisation<br />
aus, ihr spontaner Ausdruck<br />
von Gefühlen – jenseits der<br />
gelernten Technik. Doch diese<br />
künstlerische Freiheit ist<br />
nicht nach jedermanns Gusto.<br />
Für die Traditionshüter ist<br />
Nina Cortis Arbeit das dreiste<br />
Werk einer Abtrünnigen.<br />
Dass sie in abgewetzten Jeans<br />
auftritt, ist schon allerhand.<br />
Dass sie sich aber nicht<br />
mit Gitarre und Kastagnetten<br />
begnügen kann und gar<br />
zu zeitgenössischem Jazz<br />
tanzt, geht entschieden<br />
zu weit. Glücklicherweise stört<br />
das keinen der Gäste, die<br />
sich Abend für Abend an Nina<br />
Cortis Tanz kaum sattsehen<br />
können, in der Musik schwelgen<br />
und sich im siebten<br />
Himmel wähnen, wenn die<br />
Umjubelte unter frenetischem<br />
Applaus den Rufen nach<br />
Zugaben nachgibt.<br />
Wunderschön und sehr<br />
spanisch sieht sie jetzt aus –<br />
bereit für die Fotoaufnahmen.<br />
Die Stylistin hat ihre Schuldigkeit<br />
getan und versorgt<br />
die letzten ihrer tausend Farbtöpfchen.<br />
Verflogen ist das<br />
Alltagsgesicht, verschwunden<br />
die Unscheinbarkeit einer<br />
Durchschnittsfrau, die am<br />
liebsten in ihrem Garten<br />
im Zürcher Säuliamt Unkraut<br />
jätet. Bevor sie sich nach<br />
den Anweisungen der Fotografin<br />
in Szene setzt, fügt sie<br />
noch bei: «Es ist mir ein<br />
Bedürfnis, viel Gefühl rüberzubringen.<br />
Nach der Vorstellung<br />
sollen die Leute<br />
sagen: ‹Ach, war das schön!<br />
Davon kann ich noch eine<br />
Weile zehren.›»<br />
Im März treten Nina Corti und ihr Ensemble mit dem neuen<br />
Programm «Primavera» in der Schweiz auf. Die CREDIT SUISSE<br />
veranstaltet die Tournee.<br />
TOURNEEPLAN:<br />
14.3. Luzern . . . . . . . . . . Kultur- und Kongresszentrum<br />
15.3. Biel . . . . . . . . . . . Kongresshaus<br />
16.3. Olten . . . . . . . . . . Stadttheater<br />
17.3. Baden . . . . . . . . . Kurtheater<br />
18.3. Rapperswil/Jona. . Gasthof Kreuz<br />
19.3. Fribourg . . . . . . . . Aula Magna, Université<br />
20.3. Vevey . . . . . . . . . . Théâtre de Vevey<br />
21.3. Sion . . . . . . . . . . . Salle de la Matze<br />
22.3. Bern . . . . . . . . . . . Kursaal<br />
23.3. St.Gallen . . . . . . . Tonhalle<br />
24.3. Chur. . . . . . . . . . . Stadttheater<br />
25.3. Zürich . . . . . . . . . Theater Stadthof 11<br />
26.3. Zürich . . . . . . . . . Theater Stadthof 11<br />
27.3. Locarno . . . . . . . . Teatro di Locarno<br />
28.3. Lugano. . . . . . . . . Palazzo dei Congressi<br />
29.3. Grenchen. . . . . . . Parktheater<br />
30.3. Basel . . . . . . . . . . Musical-Theater<br />
31.3. Zug . . . . . . . . . . . Theater Casino<br />
Ticketphone:<br />
(01) 269 81 81 oder alle Vorverkaufsstellen<br />
Infos und Links zu Nina Corti: BULLETIN |<br />
ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin
KRISE HIN ODER HER –<br />
DER LEDERBALL IST UND<br />
BLEIBT DAS LIEBSTE<br />
SPIELZEUG DES<br />
WELSCHEN GC-KICKERS.<br />
TRAINER, TRÄNEN<br />
UND TROPHÄEN<br />
HOCHGEJUBELT UND FALLENGELASSEN –<br />
JOHANN VOGEL HAT SCHON VIEL ERLEBT.<br />
den bekam ich dann mit Rolf<br />
Fringer. Ein 30jähriger Spieler<br />
kann mit seiner Erfahrung<br />
Krisen sicher besser und<br />
schneller bewältigen als ein<br />
junger. Ich jedenfalls habe<br />
einfach meine Zeit gebraucht.<br />
BETTINA JUNKER Einst wurden Sie<br />
als Wunderkind des Schweizer<br />
Fussballs gehandelt. Dann<br />
plötzlich folgte der Euphorie<br />
die Ernüchterung. Was ist<br />
passiert ?<br />
JOHANN VOGEL Der Leistungsdruck<br />
nach meinem<br />
EM-Hoch 1996 war enorm.<br />
Zudem ist es halt immer<br />
schwieriger, einen Erfolg, den<br />
man bereits erzielt hat, zu<br />
bestätigen. Das ist eine Frage<br />
der Motivation: Man strengt<br />
sich eher für etwas an, das<br />
man sich lange herbeigesehnt<br />
hat, als für bereits Erreichtes.<br />
Nach meinem Erfolg konnte<br />
ich die Erwartungen nicht<br />
mehr erfüllen und wurde dafür<br />
INTERVIEW: BETTINA JUNKER, REDAKTION BULLETIN<br />
von den Medien von dem<br />
Sockel runtergestossen, auf<br />
den sie mich zuvor gehievt<br />
hatten.<br />
B.J. Wie haben Sie das emotionale<br />
Wechselbad verkraftet ?<br />
J.V. Nach der EM fiel ich in<br />
ein Tief. Ich bin sehr sensibel,<br />
und die ganze Kritik ging nicht<br />
spurlos an mir vorbei. Mit<br />
der Zeit habe ich die Berichterstattung<br />
über mich in den<br />
Zeitungen gar nicht mehr gelesen.<br />
Die Freude am Fussball<br />
ist mir fast vergangen; ich<br />
kam jeweils morgens ziemlich<br />
lustlos ins Training. Als ich<br />
ganz oben war, hatte ich jede<br />
Menge Kollegen und Freunde;<br />
als die Erfolge ausblieben,<br />
verschwanden die meisten.<br />
Da weisst du plötzlich, wer<br />
wirklich auf deiner Seite steht<br />
und wer nicht. Es gibt so viele<br />
Leute im Fussballbusiness,<br />
denen es nicht primär um den<br />
Menschen geht.<br />
B.J. Wer hat Sie wieder aufgerichtet<br />
?<br />
J.V. Ein Trainerwechsel war<br />
nötig, damit ich wieder auf<br />
Erfolgskurs kam. Ich wurde<br />
während meiner 18monatigen<br />
Krise zuwenig betreut und<br />
unterstützt. Ich hätte einen<br />
Trainer gebraucht, der mir Verantwortung<br />
überträgt und<br />
voll auf mich setzt. Und genau<br />
B.J. Was ist denn das für eine<br />
Beziehung zum Trainer ?<br />
J.V. Der Trainer kann nicht<br />
ein Kollege sein – er ist der<br />
Chef. Ich setze diese Grenze<br />
und konzentriere mich auf<br />
den beruflichen Kontakt mit<br />
ihm; eine Privatbeziehung<br />
gibt es nicht. Man sieht sich<br />
jeden Tag, aber immer nur bei<br />
der Arbeit auf dem Fussballplatz.<br />
Klar, da reden wir viel<br />
miteinander, denn schliesslich<br />
gibt’s keine Organisation ohne<br />
Kommunikation.<br />
B.J. Wie steht’s um Sie heute ?<br />
J.V. Im Augenblick geht’s<br />
mir gut. Im letzten Jahr war<br />
ich viel unterwegs. Ich habe<br />
bereits im Januar mit dem<br />
Training angefangen, dann<br />
kam die Sport-RS dazwischen.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
Darauf blieben mir nur zehn<br />
Tage Ferien, bis das Training<br />
wieder anfing. Und das ging<br />
dann volle Pulle bis im Dezember.<br />
Überall war ich dabei:<br />
Nati, Europacup, Schweizer<br />
Meisterschaften. Am 25. Februar<br />
1999 fängt das Training<br />
für die Finalrunde an, und ich<br />
bin zuversichtlich.<br />
B.J. Verraten Sie Ihre Zukunftspläne<br />
?<br />
J.V. Als Schweizer Spieler<br />
ist es klar, dass ich mal<br />
ins Ausland wechseln möchte.<br />
Aber der Club darf nicht<br />
weniger gut sein als GC. Von<br />
meiner Art her, wie ich Fussball<br />
spiele, wäre Spanien oder<br />
Italien ideal – einfach ein<br />
südliches Land. Aber konkrete<br />
Pläne für die nächsten<br />
zwei oder drei Jahre habe ich<br />
nicht. Ich bin mit Fussball<br />
aufgewachsen und habe den<br />
Fussball einfach im Blut.<br />
Auch wenn ich einmal nicht<br />
mehr spiele, würde ich<br />
gerne in diesem Geschäft<br />
weiterarbeiten.<br />
B.J. Gibt’s in Ihrem Leben noch<br />
was anderes als Fussball ?<br />
J.V. Im Moment lerne ich<br />
Italienisch und Englisch. Wenn<br />
ich genug Freizeit habe, treffe<br />
ich meine alten Kollegen aus<br />
Genf; das macht mir Freude.<br />
Natürlich habe ich mittlerweile<br />
auch hier meinen Freundeskreis,<br />
nach fast sieben Jahren<br />
in Zürich. Zudem stammt<br />
auch meine Freundin aus<br />
der Deutschschweiz. Aber vor<br />
allem meine alten Freundschaften<br />
bedeuten mir sehr<br />
viel: Ob ich morgen Weltmeister<br />
werde oder den Fuss-<br />
ball an den Nagel hänge –<br />
meine dicksten Freunde werden<br />
immer da sein. Früher<br />
bin ich noch skifahren gegangen,<br />
aber heute wegen der<br />
Verletzungsgefahr nicht mehr.<br />
Grundsätzlich lebe ich gesund.<br />
Unter der Woche baue<br />
ich mich für das Spiel am<br />
Wochenende auf. Fussball ist<br />
halt mein Beruf. Es ist für<br />
mich wichtig, dass ich jeden<br />
Tag meine Leistung bringe<br />
und am Wochenende gut<br />
spielen kann.<br />
B.J. Sie sind für Jugendliche ein<br />
Vorbild. Was würden Sie einem<br />
Teenager raten, der von einer<br />
Fussballkarriere träumt ?<br />
J.V. Ich würde ihm vor allem<br />
eins sagen: In der Schweiz<br />
kann man nicht nur auf den<br />
Fussball setzen. Man muss<br />
unbedingt eine Ausbildung<br />
haben und kann dann nebenher<br />
noch Fussball spielen.<br />
Ich selber habe trotz meiner<br />
französischen Muttersprache<br />
in Zürich eine Lehre abgeschlossen,<br />
übrigens in einer<br />
Baukeramik-Firma ganz in der<br />
Nähe vom Hardturm. Am<br />
Morgen habe ich trainiert, und<br />
dann bin ich mit dem Töffli<br />
rübergefahren nach Schlieren<br />
zur Arbeit.<br />
B.J. Was sind Ihre Prognosen<br />
für die EM-Qualifikationsspiele<br />
gegen Weissrussland und<br />
Wales ?<br />
J.V. Die Schweiz gewinnt –<br />
das ist ja klar. Wir müssen<br />
einfach sechs Punkte holen,<br />
das heisst zwei Siege. Mein<br />
Tip für Weissrussland gegen<br />
die Schweiz: 0 zu 2. Und<br />
Schweiz gegen Wales: 3 zu 1.<br />
AGENDA<br />
Aus dem Kultur- und Sportengagement von CREDIT SUISSE<br />
und CREDIT SUISSE PRIVATE BANKING<br />
BELLINZONA<br />
15.3. Jazz Classics: Franco<br />
Ambrosetti Quartet feat. John<br />
Abercrombie, Teatro sociale<br />
26.4. Jazz Classics: Cyrus<br />
Chestnut Trio feat. Stanley<br />
Turrentine, Teatro sociale<br />
GENF<br />
10.3. Jazz Classics: Jacky<br />
Terrasson Trio, Casino-Théâtre<br />
LAUSANNE<br />
28.4. Jazz Classics: Cyrus<br />
Chestnut Trio feat. Stanley Turrentine,<br />
Casino de Montbenon<br />
LES RASSES SUR STE-CROIX<br />
7.3. Langlauf: Mara,<br />
CREDIT SUISSE Loppet<br />
LUGANO<br />
27.3. Jazz Classics: Jacky<br />
Terrasson Trio, RSI Auditorium<br />
30.4. Welt Musik: Paco de Lucia<br />
e Grupo, Palazzo dei Congressi<br />
MALOJA–S-CHANF<br />
14.3. Langlauf: Engadin<br />
Skimarathon<br />
OBERGOMS<br />
7.3. Langlauf: Gommer Lauf,<br />
CREDIT SUISSE Loppet<br />
STANS<br />
20.–25.4. Stanser Musiktage<br />
ST.GALLEN<br />
13.3.–30.5. Giovanni<br />
Segantini, Kunstmuseum<br />
WINTERTHUR<br />
10.4. Nacht-OL-Schweizermeisterschaften,<br />
Hettlingen<br />
ZÜRICH<br />
12.3. Jazz Recitals: Kenny<br />
Baron & Charlie Haden Duo,<br />
Charlie Haden Quartet West,<br />
Tonhalle<br />
15.3. Welt Musik: Ruth Yaakov<br />
Ensemble, Kirche St. Peter<br />
25.3. Jazz: Dianne Reeves<br />
Group, Volkshaus<br />
25.3.–7.4. Variété-Theater,<br />
Miller Studio<br />
29.4. Jazz Recitals: Cyrus<br />
Chestnut Trio, Stanley<br />
Turrentine Trio, Kenny Drew Jr.,<br />
Tonhalle<br />
KEINER ZU KLEIN, EIN MEISTER ZU SEIN<br />
Mit 15 Jahren kam der Genfer Johann Vogel zu den Junioren<br />
des Grasshoppers Clubs. Bald war er bei den Zürchern<br />
Stammspieler, und es folgte ein steiler Aufstieg. Den Gipfel<br />
des Ruhms erreichte der damals nicht mal 20jährige an<br />
der Europameisterschaft 1996 in England, wo er als stärkster<br />
Spieler neben Türkyilmaz und Sforza glänzte. Doch<br />
wie gewonnen, so zerronnen – der Erfolg blieb aus, und<br />
der Jubel verhallte. Dann kam der Abstieg: Vogel wirkte<br />
plötzlich ausgebrannt, steckte einen Rückschlag nach<br />
dem andern ein und verletzte sich sogar. Die Krise war tief<br />
und dauerte an. Doch jetzt scheint Johann Vogel wieder<br />
auf dem Weg nach oben.<br />
Als Hauptsponsor des SFV unterstützt die CREDIT SUISSE<br />
auch die Qualifikationsspiele der Schweizer Nationalelf<br />
für die Europa-Meisterschaft.<br />
27.3.99 Weissrussland–Schweiz in Minsk<br />
31.3.99 Schweiz–Wales im Zürcher Hardturm<br />
Tickets für das Spiel in Zürich über Fastbox 0848 800 800.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
MAGAZIN<br />
60<br />
«ICH GLAUBE AN MEIN<br />
PUBLIKUM»<br />
VON LUKAS EGLI, REDAKTION BULLETIN-ONLINE<br />
MARTIAL KNÄBEL LÄDT ZUM<br />
«FESTIVAL DES FILMS DU SUD».<br />
«HOLLYWOOD IST<br />
DER TOD DER<br />
FILMSPRACHE.»<br />
MARTIAL KNÄBEL,<br />
FILMFESTIVAL-<br />
DIREKTOR VON<br />
FREIBURG.<br />
Ein Jahr lang hat man an der<br />
Rue de Locarno in Freiburg<br />
nach festem Boden gesucht.<br />
Die Bagger verschwanden<br />
immer tiefer in der Baugrube,<br />
bis sie endlich auf soliden<br />
Grund stiessen. Der mächtige<br />
Stahlbeton-Bürokomplex<br />
und die frisch asphaltierte<br />
schwarze Strasse vermögen<br />
über diese Mühen nicht hinwegzutäuschen;<br />
die Strasse<br />
ist eigenwillig gewellt, durchsetzt<br />
mit Buckeln, die man<br />
anderenorts für teures Geld zur<br />
Verkehrsberuhigung anbringt.<br />
An dieser widerspenstigen<br />
Rue de Locarno befinden sich<br />
die Büros des Internationalen<br />
Filmfestivals von Freiburg.<br />
Auch Martial Knäbel, der<br />
Festivaldirektor, musste lange<br />
den Untergrund absuchen, bis<br />
sich sein Filmfestival etablierte.<br />
In vier von Papier überstellten<br />
Büroräumen organisieren der<br />
feingliedrige Mann und sein<br />
vierköpfiges Team ein höchst<br />
aussergewöhnliches Spektakel.<br />
Was 1980 als Ciné-Club<br />
für Dritte-Welt-Filme begann,<br />
nennt sich seit 1992 selbstbewusst<br />
«Festival des Films du<br />
Sud». In den Anfangsjahren<br />
noch ein Anlass «für militante<br />
Dritte-Welt-Kämpfer, Freizeitmissionare<br />
und pensionierte<br />
Nonnen», wie es Knäbel<br />
schalkhaft bezeichnet, präsentiert<br />
sich das Festival heute<br />
als international bekannte,<br />
qualitativ hochstehende Auswahl<br />
von Filmen aus Asien,<br />
Afrika und Südamerika.<br />
Reisen als Programm<br />
«Zuerst zeigten wir Filme, die<br />
in europäischen Cinetheken<br />
greifbar waren. Doch dieses<br />
Kontingent war innert kürzester<br />
Zeit ausgeschöpft», erzählt<br />
er leise. Mit viel Geduld<br />
machte sich der gebürtige<br />
Strassburger daran, Kontakte<br />
zu anderen Festivals und zu<br />
Regisseuren in der südlichen<br />
Hemisphäre zu knüpfen. In unermüdlicher<br />
Kleinarbeit baute<br />
er sein Netzwerk aus. Heute<br />
ist Reisen neben der Programmgestaltung<br />
seine<br />
Hauptbeschäftigung. «Wenn<br />
ich in Cannes bin, rollt man<br />
mir zwar keinen roten Teppich<br />
aus», kommentiert er schmunzelnd<br />
den Stellenwert von<br />
Freiburg, «aber Produzenten<br />
und Regisseure wissen, wer<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
MAGAZIN<br />
61<br />
EIN BREITES SPEKTRUM FÜR LIEBHABER<br />
Die 13. Ausgabe des «Festival International de Films de Fribourg»<br />
findet vom 7. bis 14. März 1999 in Freiburg statt.<br />
Am diesjährigen Spielfilm-Wettbewerb beteiligen sich elf<br />
Produktionen. Ausserdem feiert das Festival mit einer<br />
Carte Blanche die zehnjährige Aktivität des Verleihs trigonfilm<br />
und präsentiert ein Panorama des kasachischen Films<br />
der neunziger Jahre. Die CREDIT SUISSE ist am Festival als<br />
Sponsorin beteiligt.<br />
Weitere Informationen unter Telefon 026 322 22 32 und auf<br />
dem Internet unter www.fiff.ch<br />
ten 20 000 Interessierte die<br />
Filmvorstellungen in der Universitätsstadt<br />
Freiburg, die<br />
selbst nur 34 000 Einwohner<br />
zählt. Im Vergleich zu 1997<br />
bedeutet das eine Zunahme<br />
von 30 Prozent.<br />
Kraft der Unabhängigkeit<br />
Das Publikum, das aus der<br />
Schweiz und Europa anreist,<br />
nimmt das anspruchsvolle<br />
Programm dankbar auf. Doch<br />
als Protestveranstaltung will<br />
der Nonkonformist Knäbel<br />
sein Festival keinesfalls verstanden<br />
wissen. Eher sieht er<br />
darin eine Alternative zum zunehmend<br />
homogenen, von<br />
Hollywood geprägten Kino.<br />
«Als Milos Forman noch in Europa<br />
drehte, zeigte er starke<br />
Filme. Seit er in den USA<br />
produziert, verlieren seine Bilder<br />
an Kraft», ereifert sich der<br />
Direktor. An seinem kleinen<br />
Schreibtisch und auf seinen<br />
Reisen betreibt er aktiven Widerstand<br />
gegen diese Vereinheitlichung<br />
der Filmsprache.<br />
«Nur wenn das unabhängige<br />
Kino überlebt, bleibt das Kino<br />
lebendig», sagt er dezidiert.<br />
Leider stiessen aber die Filme<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber<br />
CREDIT SUISSE, Postfach 100, 8070 Zürich<br />
Telefon (01) 333 1111, Fax (01) 3325555<br />
Redaktionssekretariat: Rosmarie Schultheiss, Telefon (01) 3337394,<br />
Fax (01) 3336404, E-Mail-Adresse: bulletin@credit-suisse.ch,<br />
Internet: www.credit-suisse.ch/bulletin<br />
Redaktion<br />
Christian Pfister (Leitung), Andreas Thomann, Bettina Junker;<br />
Bulletin-online: Lukas Egli, Thomas Hauser, Thomas Ströhla<br />
Gestaltung<br />
www.arnolddesign.ch<br />
Urs Arnold, Karin Bolliger, Adrian Goepel, Alice Kälin, Muriel Lässer,<br />
Esther Rieser, Andrea Studer, Bea Neresheimer (Assistenz)<br />
Fotos<br />
Pia Zanetti (S. 1, 4–27, 30–61),<br />
Rainer Wolfsberger (S. 24–27), Esther Rieser (S. 2, 63), PhotoDisc<br />
Litho/Druck<br />
NZZ Fretz AG/Zollikofer AG<br />
ich bin.» Als Entdecker von<br />
Talenten will er sich nicht bezeichnen.<br />
Seine Aufgabe sieht<br />
er vielmehr im kontinuierlichen<br />
Kulturaustausch.<br />
«Ich träume viel», offenbart<br />
Knäbel, obwohl er eher wie<br />
ein Macher wirkt. Hingen da<br />
nicht zwei Brillen an seinem<br />
Hals, könnte man ihn in seinen<br />
Jeans und seinem Wollpullover<br />
glatt für einen Handwerker<br />
halten. Vom Filmhandwerk<br />
erwartet er viel: Die Werke<br />
sollen eine Authentizität vermitteln,<br />
sollen Geschichten in<br />
ihrem Umfeld zeigen, sich<br />
aktueller Themen annehmen<br />
und latente Probleme bewusst<br />
machen. Und sie sollen originell<br />
sein in ihrer Umsetzung.<br />
«Die Ausdrucksformen südlicher<br />
Kulturen sind uns zum<br />
grössten Teil fremd. Ein Afrikaner<br />
erzählt seine Geschichte<br />
anders als ein Amerikaner.<br />
Das ist eine enorme Bereicherung»,<br />
präzisiert Knäbel<br />
seine Überzeugung.<br />
Obwohl es schwerer fällt,<br />
in fremde Geschichten und Erzählweisen<br />
einzudringen, gibt<br />
der Publikumserfolg seiner Offenheit<br />
recht. 1998 besuchaus<br />
dem Süden auf wenig Resonanz<br />
in den Medien. Es sei<br />
eben einfacher, einen bekannten<br />
Regisseur zu besprechen,<br />
als sich auf einen unbekannten<br />
einzulassen. Dem Trend<br />
zum Trotz lässt Knäbel sich<br />
nicht beirren. Konsequent gestaltet<br />
er mit seinem Team ein<br />
vielseitiges multikulturelles<br />
Festival und zeigt eine Auswahl<br />
der Filme als Zyklus in<br />
europäischen Städten.<br />
In den engen Büros an der<br />
Rue de Locarno prallen Welten<br />
aufeinander. Neben Papierbergen<br />
surrt ein Laptop;<br />
während die linke Hand eine<br />
filterlose Zigarette zum Mund<br />
führt, hantiert die Rechte mit<br />
dem Handy. Der Mann, der zu<br />
jung ist, um als Kauz zu gelten,<br />
und zu alt für einen Freak,<br />
kennt keine Berührungsängste.<br />
«Wenn wir heute mit<br />
Sponsoren zusammenarbeiten,<br />
dann nicht nur, um zu Geld<br />
zu kommen, sondern auch,<br />
um die Verbindung zwischen<br />
Wirtschaft und Kultur nicht<br />
abbrechen zu lassen», sagt<br />
der realistische Idealist. Kultur<br />
und Wirtschaft seien eng<br />
miteinander verflochten. «Eine<br />
Wirtschaft bleibt nur lebendig,<br />
wenn es ein Kulturleben gibt.<br />
Der Reichtum der Börse<br />
macht nicht den Reichtum der<br />
Welt.» Doch so wichtig wie die<br />
Verbindung zur Wirtschaft ist<br />
Knäbel die ideelle Unabhängigkeit<br />
von ihr. Wie Cannes<br />
Hollywoodfilme zu zeigen,<br />
käme für ihn nicht in Frage;<br />
ein Zugeständnis an den vermeintlichen<br />
Publikumswillen<br />
ist kein Thema: «Ich glaube an<br />
mein Publikum.»<br />
Redaktionskommission<br />
Dr. Daniel Mollet (Unternehmenskommunikation), Ruth Stadelmann<br />
(Media Relations), Fritz Stahel (Economic Research), Samuel Holzach<br />
(Marketing Services)<br />
Erscheint im 104. Jahrgang (6 ´ pro Jahr in deutscher und französischer<br />
Sprache). Nachdruck nur gestattet mit dem Hinweis «Aus dem BULLETIN<br />
der CREDIT SUISSE».<br />
Adressänderungen<br />
Adressänderungen bitte schriftlich und unter Beilage des Original-<br />
Zustellcouverts an Ihre CREDIT SUISSE-Geschäftsstelle oder an:<br />
CREDIT SUISSE, Abt. Cif 24, 8070 Zürich<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
CARTE BLANCHE:<br />
GIANFRANCO COTTI<br />
SHAREHOLDER UND STAKEHOLDER<br />
VALUE SIND WIE DIE ZWEI SEITEN<br />
DESSELBEN SCHAUFENSTERS<br />
GIANFRANCO COTTI,<br />
MITGLIED DES VERWALTUNGSRATES<br />
DER CREDIT SUISSE<br />
«<br />
In geschäftlichen Kreisen und insbesondere<br />
im Verwaltungsrat wird man immer wieder<br />
mit den Fragen konfrontiert: Was ist die<br />
Aufgabe eines Verwaltungsrates ? Welche<br />
Ziele soll er verfolgen ? Wer ist berechtigt,<br />
an eine Unternehmung Forderungen zu<br />
stellen ? Immer noch aktuell ist die Frage<br />
der Gegenüberstellung des eigentümerbezogenen<br />
Shareholder Values mit dem gesellschaftsorientierten<br />
Stakeholder Value.<br />
Wie sollen sich die Unternehmungen in<br />
einem marktwirtschaftlichen System bewegen<br />
? Welche ist ihre Rolle ? Gerade die<br />
Banken mit ihrer zentralen Funktion im Wirtschafts-<br />
und Geldkreislauf stehen in dieser<br />
Diskussion im Mittelpunkt. Die Antworten<br />
fallen vielschichtig und nicht eindeutig aus.<br />
Shareholders und Stakeholders bilden<br />
schliesslich ein Ganzes im Wirtschaftsraum.<br />
In erfolgreichen Volkswirtschaften<br />
geht man auf die Erwartungen aller Beteiligten<br />
ein. Es ist unmöglich, Shareholder<br />
Value nachhaltig zu maximieren, wenn man<br />
den Konsumenten schlechte Ware anbietet,<br />
die Arbeitnehmer mit tiefen Löhnen<br />
«ausbeutet» oder die Ansprüche der öffentlichen<br />
Hand negiert. Es braucht die<br />
Unterstützung all dieser Beteiligten, um<br />
dauerhaft unternehmerischen Wert zu<br />
schaffen. Der Erfolg eines Unternehmens<br />
hängt ja weitgehend sowohl von der Weitsicht<br />
der leitenden Gremien wie auch vom<br />
Können und Einsatz seiner Mitarbeiter und<br />
Mitarbeiterinnen ab, die jedoch nur dann<br />
herausragende Leistungen erbringen,<br />
wenn sie motiviert sind und sich mit ihrem<br />
Unternehmen identifizieren. Und schliesslich<br />
soll auch die öffentliche Hand, welche<br />
weitgehend, wenn nicht ausschliesslich,<br />
die Rahmenbedingung festlegt, zu ihrem<br />
Recht kommen. Das Aktionariat darf sich<br />
deshalb nicht isolieren und im Alleingang<br />
handeln. Es liegt durchaus in seinem Interesse,<br />
dass die Stakeholders in einem Umfang<br />
am Gewinn partizipieren – sei dies direkt<br />
oder indirekt –, welcher das Ansehen<br />
des Unternehmens in der Gesellschaft<br />
und besonders bei den Kunden gewährleistet<br />
und erhöht. Nur so wird es dem<br />
Unternehmen gelingen, seine wirtschaftlichen<br />
Ziele nachhaltig und langfristig zu<br />
erreichen. Shareholder und Stakeholder<br />
Value sind wie die zwei Seiten eines und<br />
desselben Schaufensters, einmal von innen<br />
und einmal von aussen betrachtet. Die<br />
Effizienz, die Organisation und die operativen<br />
Aspekte gehören zu den wichtigsten<br />
Werten eines Unternehmens. Sie sind<br />
jedoch wertlos ohne die gesellschaftliche,<br />
die politische und insbesondere die menschliche<br />
Dimension.<br />
Beide Sichtweisen, die eigentümerbezogene<br />
und die gesellschaftsorientierte,<br />
dürfen nicht extrem und einseitig interpretiert<br />
werden oder gar als Gegensätze<br />
betrachtet werden. Shareholder- und Stakeholder-Optik<br />
müssen gemeinsame Ziele<br />
verfolgen. Wird dies unterlassen, kann es<br />
unerwünschte und gefährliche Folgen nach<br />
sich ziehen, etwa dann, wenn im Namen<br />
der gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen<br />
Verantwortung die Erhaltung nicht<br />
mehr lebensfähiger Strukturen gefordert<br />
wird.<br />
Die Optik des Shareholders muss deshalb<br />
in diejenige des Stakeholders integriert<br />
werden. Dies ist die Aufgabe des Verwaltungsrates.<br />
Weil er aus Personen unterschiedlicher<br />
Herkunft und Ausrichtung<br />
und mit verschiedenen Erfahrungen besteht,<br />
ist er qualifiziert, die Ansprüche der<br />
interessierten Kreise einander gegenüberzustellen,<br />
zu gewichten und zu berücksichtigen.<br />
Nur so ist der Verwaltungsrat<br />
imstande, seine Aufgaben erfolgreich<br />
wahrzunehmen, sei es bei der Konzipierung<br />
einer Strategie, die zum Erfolg<br />
»<br />
führt,<br />
sei es bei der dynamischen Oberaufsicht.<br />
CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99
EINE CREDIT SUISSE-MITARBEITERIN WAGT DEN BALANCEAKT.<br />
KANTINE «ALFRED-ESCHER-HAUS»,<br />
CREDIT SUISSE, ZÜRICH, 11.55 UHR.