TOTAL FLEXIBEL FLEX FÜR SESSELKLEBER UND LERNRESISTENTE: SCHLECHTE ZEITEN DIE WIRTSCHAFT BLÄST ZUR ABSOLUTEN FLEXIBILITÄT. DIE CREDIT SUISSE SIEHT DARIN GROSSE CHANCEN. VON CHRISTIAN PFISTER, REDAKTION BULLETIN
SCHWERPUNKT 5 Betrieb. Rund 400 Zuhörerinnen und Zuhörer drängten sich ins Auditorium. Sie kamen, um den Mann referieren zu hören, der mit seinem Buch «Der flexible Mensch» seit Monaten auf den Bestsellerlisten zu finden ist: Richard Sennett, seines Zeichens amerikanischer Starsoziologe und kritischer Beobachter der menschlichen Spezies. Und so brillant sein Vortrag, so düster seine These: Die <strong>Flexibilität</strong>, zu der die Arbeitswelt immer mehr Menschen zwingt, zerstöre den Charakter; blindlings folge die Gesellschaft dem Ideal der <strong>Flexibilität</strong>, ohne sich klar darüber zu sein, welch hoher Preis dafür zu bezahlen sei. Darum seine Fragen: «Wie können Loyalität und Verpflichtungen in Institutionen aufrechterhalten werden, die ständig zerbrechen oder immer wieder umstrukturiert werden ? Wie bestimmen wir, was in uns von bleibendem Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen Gesellschaft leben, die sich nur auf den unmittelbaren Moment konzentriert ?» Man mag Sennetts Analyse des flexiblen Kapitalismus teilen oder nicht – die Fragen, die er aufwirft, treffen den Nerv der Zeit. I BILITÄT Noch im 19. Jahrhundert taumelte der «Im Zuge des letzten Wirtschaftsbooms hat es radikale Veränderungen gegeben. Diese Veränderungen der Arbeit haben bei den Arbeitnehmern zu eindeutigen gesellschaftlichen und persönlichen Schäden geführt.» * Eigentlich war es ein Dezemberabend von vielen. Der Winter fegte mit seinem nasskalten Treiben die Menschen nach Ladenschluss in ihre warmen Stuben. Die Strassen St. Gallens waren an diesem Dienstagabend ausgestorben. Auf dem Gelände der Uni, etwas oberhalb des Stadtzentrums, herrschte hingegen reger Kapitalismus – so Sennett – an den Börsen und bei irrationalen Investitionen von Katastrophe zu Katastrophe. Für die Menschen gab es im Wirtschaftsgefüge kaum Sicherheit. Erst in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg brachten die hochentwickelten Länder diese Unordnung zum Teil unter Kontrolle. «Starke Gewerkschaften, die Garantien des Wohlfahrtsstaats und grosse Unternehmen schufen gemeinsam eine Ära relativer Stabilität», schreibt Sennett in «Der flexible Mensch». Das sind «tempi passati». «Die letzten vierzig Jahre waren in der Wirtschaftsgeschichte die abnormalen», wendet Peter Lienhart von der Geschäftsleitung der CREDIT SUISSE ein. «In den Zeiten davor war der Wettbewerb immer unstet und ruppig.» So gesehen ist man in der Wirtschaft heute wieder zur Normalität zurückgekehrt – und die erklärt unbarmherzig: * Die Zitate stammen von Richard Sennett, Soziologe und Autor von «Der flexible Mensch», Berlin 1998 Wer nicht flexibel auf den Markt reagiert, ist bald weg vom Fenster. Auf das haben sich alle einzustellen, Berufsleute wie Unternehmen. «Die Unternehmen sind zu instabilen Einrichtungen geworden, die andauernd ihre DNS auftrennen und neue Verbindungen eingehen. Doch die fehlende Langfristigkeit kann zur Desorientierung von Individuen und Familien führen.» Die Welt war 1998 von akuter «Fusionitis» befallen. Noch nie zuvor hatten sich so viele Unternehmen mit anderen zusammengeschlossen. Das englische Wirtschaftsmagazin «The Economist» rechnete unlängst auf, dass es 1998 in bezug auf den Aktienwert der Firmen zu 50 Prozent mehr Fusionen gekommen ist als 1997; im Vergleich mit 1996 hat sich die Zahl gar verdoppelt. Kinder dieser Zeit sind in der Schweiz etwa Novartis, aber auch die CREDIT SUISSE GROUP. Und für 1999 rechnet der «Economist» erneut mit einem Zuwachs. Die Botschaft für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist unmissverständlich. Firmen werden umgekrempelt, zusammengelegt oder – wenn’s schlecht läuft – liquidiert. Eine Beruhigung ist nicht absehbar. Der Schrei nach <strong>Flexibilität</strong> wird der Wirtschaft noch längere Zeit durch Mark und Bein fahren. «Ich bin seit zwölf Jahren am Umstrukturieren», schmunzelt Karl P. Ruoss, der in der CREDIT SUISSE das Projekt Focus durchgezogen hat. Dabei ging es um die Infos und Links zum Thema «<strong>Flexibilität</strong>»: BULLETIN | ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin