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Flexibilität

Credit Suisse bulletin, 1999/01

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SCHWERPUNKT<br />

5<br />

Betrieb. Rund 400 Zuhörerinnen und<br />

Zuhörer drängten sich ins Auditorium. Sie<br />

kamen, um den Mann referieren zu hören,<br />

der mit seinem Buch «Der flexible Mensch»<br />

seit Monaten auf den Bestsellerlisten zu<br />

finden ist: Richard Sennett, seines Zeichens<br />

amerikanischer Starsoziologe und<br />

kritischer Beobachter der menschlichen<br />

Spezies.<br />

Und so brillant sein Vortrag, so düster<br />

seine These: Die <strong>Flexibilität</strong>, zu der die<br />

Arbeitswelt immer mehr Menschen zwingt,<br />

zerstöre den Charakter; blindlings folge<br />

die Gesellschaft dem Ideal der <strong>Flexibilität</strong>,<br />

ohne sich klar darüber zu sein, welch hoher<br />

Preis dafür zu bezahlen sei. Darum seine<br />

Fragen: «Wie können Loyalität und Verpflichtungen<br />

in Institutionen aufrechterhalten<br />

werden, die ständig zerbrechen oder<br />

immer wieder umstrukturiert werden ? Wie<br />

bestimmen wir, was in uns von bleibendem<br />

Wert ist, wenn wir in einer ungeduldigen<br />

Gesellschaft leben, die sich nur auf den<br />

unmittelbaren Moment konzentriert ?»<br />

Man mag Sennetts Analyse des flexiblen<br />

Kapitalismus teilen oder nicht – die Fragen,<br />

die er aufwirft, treffen den Nerv der Zeit.<br />

I BILITÄT<br />

Noch im 19. Jahrhundert taumelte der<br />

«Im Zuge des letzten<br />

Wirtschaftsbooms hat es radikale<br />

Veränderungen gegeben.<br />

Diese Veränderungen der Arbeit<br />

haben bei den Arbeitnehmern<br />

zu eindeutigen gesellschaftlichen<br />

und persönlichen Schäden<br />

geführt.» * Eigentlich war es ein Dezemberabend<br />

von vielen. Der Winter fegte mit<br />

seinem nasskalten Treiben die Menschen<br />

nach Ladenschluss in ihre warmen Stuben.<br />

Die Strassen St. Gallens waren an diesem<br />

Dienstagabend ausgestorben. Auf dem<br />

Gelände der Uni, etwas oberhalb des<br />

Stadtzentrums, herrschte hingegen reger<br />

Kapitalismus – so Sennett – an den Börsen<br />

und bei irrationalen Investitionen von Katastrophe<br />

zu Katastrophe. Für die Menschen<br />

gab es im Wirtschaftsgefüge kaum Sicherheit.<br />

Erst in den Jahrzehnten nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg brachten die hochentwickelten<br />

Länder diese Unordnung zum<br />

Teil unter Kontrolle. «Starke Gewerkschaften,<br />

die Garantien des Wohlfahrtsstaats<br />

und grosse Unternehmen schufen gemeinsam<br />

eine Ära relativer Stabilität», schreibt<br />

Sennett in «Der flexible Mensch».<br />

Das sind «tempi passati». «Die letzten<br />

vierzig Jahre waren in der Wirtschaftsgeschichte<br />

die abnormalen», wendet Peter<br />

Lienhart von der Geschäftsleitung der<br />

CREDIT SUISSE ein. «In den Zeiten davor<br />

war der Wettbewerb immer unstet und<br />

ruppig.» So gesehen ist man in der Wirtschaft<br />

heute wieder zur Normalität zurückgekehrt<br />

– und die erklärt unbarmherzig:<br />

* Die Zitate stammen von Richard Sennett, Soziologe und Autor von «Der flexible Mensch», Berlin 1998<br />

Wer nicht flexibel auf den Markt reagiert,<br />

ist bald weg vom Fenster. Auf das haben<br />

sich alle einzustellen, Berufsleute wie Unternehmen.<br />

«Die Unternehmen sind<br />

zu instabilen Einrichtungen<br />

geworden, die andauernd<br />

ihre DNS auftrennen und neue<br />

Verbindungen eingehen.<br />

Doch die fehlende Langfristigkeit<br />

kann zur Desorientierung<br />

von Individuen und Familien<br />

führen.» Die Welt war 1998 von akuter<br />

«Fusionitis» befallen. Noch nie zuvor hatten<br />

sich so viele Unternehmen mit anderen zusammengeschlossen.<br />

Das englische Wirtschaftsmagazin<br />

«The Economist» rechnete<br />

unlängst auf, dass es 1998 in bezug auf<br />

den Aktienwert der Firmen zu 50 Prozent<br />

mehr Fusionen gekommen ist als 1997;<br />

im Vergleich mit 1996 hat sich die Zahl gar<br />

verdoppelt. Kinder dieser Zeit sind in der<br />

Schweiz etwa Novartis, aber auch die<br />

CREDIT SUISSE GROUP. Und für 1999<br />

rechnet der «Economist» erneut mit einem<br />

Zuwachs. Die Botschaft für viele Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter ist unmissverständlich.<br />

Firmen werden umgekrempelt,<br />

zusammengelegt oder – wenn’s schlecht<br />

läuft – liquidiert. Eine Beruhigung ist nicht<br />

absehbar. Der Schrei nach <strong>Flexibilität</strong> wird<br />

der Wirtschaft noch längere Zeit durch<br />

Mark und Bein fahren.<br />

«Ich bin seit zwölf Jahren am Umstrukturieren»,<br />

schmunzelt Karl P. Ruoss, der in<br />

der CREDIT SUISSE das Projekt Focus<br />

durchgezogen hat. Dabei ging es um die<br />

Infos und Links zum Thema «<strong>Flexibilität</strong>»: BULLETIN |<br />

ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin

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