22.09.2017 Aufrufe

Flexibilität

Credit Suisse bulletin, 1999/01

Credit Suisse bulletin, 1999/01

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ECONOMIC RESEARCH<br />

35<br />

Rat der EZB entschieden (siehe auch Box<br />

auf Seite 36). Es gibt nur ein Gremium,<br />

das einen gewissen Einfluss auf die EZB<br />

nehmen kann: der Ecofin, also der Rat der<br />

Finanzminister. Bei den langfristigen Leitlinien<br />

der Währungspolitik hat er ein Wort<br />

mitzureden. So wäre es theoretisch möglich,<br />

dass der Ecofin gegen den Willen der<br />

EZB einen Beschluss fasst – was sehr<br />

unwahrscheinlich ist.<br />

A.T. Was hat es denn überhaupt für einen<br />

Sinn, wenn Politiker versuchen, der EZB<br />

dreinzureden ?<br />

A.L. Es ist das legitime Recht von Politikern,<br />

ihre geldpolitischen Vorstellungen in<br />

der Öffentlichkeit zu diskutieren. Die jetzige<br />

politische Konstellation in der EU wird<br />

dafür sorgen, dass es immer wieder zu<br />

Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen<br />

Regierungen und der EZB kommen<br />

wird. Denn auf der einen Seite haben wir<br />

mehrheitlich sozialdemokratisch regierte<br />

Länder mit einem gewissen Hang zu<br />

einer eher lockeren, wachstumsorientierten<br />

Geldpolitik, auf der anderen Seite die<br />

EZB, deren Statuten von einem monetaristischen<br />

Geist geprägt sind, mit der Geldwertstabilität<br />

als oberstem Ziel. Wichtig ist<br />

nun, dass die EZB jederzeit unabhängig<br />

entscheiden kann, ob und wie sie auf politische<br />

Diskussionen zu reagieren gedenkt.<br />

A.T. Ist die EZB ein europäisches Abbild der<br />

amerikanischen Zentralbank (Fed) ?<br />

T.S. Es gibt effektiv viele Gemeinsamkeiten<br />

zwischen den beiden wichtigsten<br />

Zentralbanken der Welt. Von der Unabhängigkeit<br />

haben wir bereits gesprochen.<br />

Ähnlichkeiten bestehen aber auch in der<br />

dezentralen Struktur. So sind die zwölf<br />

Fed-Distrikte vergleichbar mit den elf<br />

EWU-Mitgliedsstaaten und ihren nationalen<br />

Notenbanken, wobei letztere ein<br />

grösseres Gewicht haben. Dies zeigt sich<br />

im Abstimmungsprozess: In der EZB haben<br />

alle nationalen Notenbankenchefs<br />

eine Stimme, im Fed nur ein Teil der<br />

Distriktsvertreter. Und Alan Greenspan,<br />

der Fed-Präsident, hat ein Vetorecht. Ich<br />

gehe aber davon aus, dass dieser grössere<br />

Einfluss der nationalen Untereinheiten<br />

in der EZB mit der Zeit zurückgehen wird.<br />

Die gleiche Entwicklung hatte übrigens<br />

auch das Fed durchgemacht. Man sah mit<br />

der Zeit ein, wie wichtig eine zentrale<br />

Führung ist.<br />

A.T. Besteht nicht ein weiterer grosser<br />

Unterschied zu den USA darin, dass jeder<br />

der elf Staaten der EWU eine eigene Wirtschaftspolitik<br />

verfolgt ?<br />

A.L. Der Unterschied ist nicht so gross,<br />

wie man meinen könnte. Denn auch die<br />

amerikanischen Bundesstaaten verfolgen<br />

eine ziemlich eigenständige Wirtschaftspolitik,<br />

etwa im Bereich der Steuern.<br />

Zudem werden sich die EWU-Länder wirtschaftspolitisch<br />

noch stärker aufeinander<br />

zu bewegen.<br />

A.T. Wo sehen Sie mögliche Stolpersteine<br />

für den Euro ?<br />

T.S. Es gibt im wesentlichen zwei Szenarien,<br />

bei denen der Euro ins Straucheln<br />

geraten könnte – beide sind aber nicht<br />

sehr wahrscheinlich. Das eine wäre eine<br />

schlechte wirtschaftliche Entwicklung im<br />

Euroland mit einem massiven Anstieg der<br />

Arbeitslosigkeit. Die einzelnen Staaten<br />

ADRIANO LUCATELLI:<br />

wären versucht oder gezwungen, mit einer<br />

expansiven Fiskalpolitik die Wirtschaft<br />

wieder in Gang zu bringen. Die Folge:<br />

eine Überschreitung der im Stabilitätspakt<br />

definierten Budgetdefizitgrenzen.<br />

A.T. Und das zweite Szenario ?<br />

T.S. In diesem Fall gelänge es den Ländern<br />

nicht, ihre Konjunkturzyklen längerfristig<br />

zu koordinieren. Angenommen, die<br />

deutsche Wirtschaftslokomotive läuft mit<br />

voller Kraft voraus, die spanische dagegen<br />

kommt nicht auf Touren, dann müsste die<br />

EZB gleichwohl die geldpolitische Handbremse<br />

angezogen halten, und Spanien<br />

hätte unter hohen Zinsen zu leiden.<br />

A.T. Was wäre die Folge für den Euro, würde<br />

eines dieser Szenarien eintreffen ?<br />

T.S. Der Worst Case wäre letztlich die<br />

Auflösung der Währungsunion oder das<br />

Austreten einzelner Mitglieder. Dieser Fall<br />

ist aber sehr unwahrscheinlich und im Vertrag<br />

schon gar nicht vorgesehen. Wahrscheinlicher<br />

ist, dass man versuchen würde,<br />

einem Land mit einer angeschlagenen<br />

Wirtschaft mittels Ausgleichszahlungen<br />

über die Runden zu helfen. Oder dass man<br />

die Kriterien des Stabilitätspakts vorübergehend<br />

grosszügiger interpretiert – wie im<br />

Maastricht-Vertrag vorgesehen. Der Preis<br />

dieser Massnahmen wäre zum einen ein<br />

schwächerer Euro und zum andern höhere<br />

Zinsen – als Ausdruck einer höheren<br />

Risikoprämie für alle, die ihr Geld in Euro<br />

anlegen.<br />

A.T. Und die Folgen für die Schweiz ?<br />

A.L. Der Franken würde zur Fluchtwährung.<br />

Es flösse Kapital in die Schweiz,<br />

«DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK<br />

WIRD PRAGMATISCH VORGEHEN.»<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 1 |99

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!