Flexibilität
Credit Suisse bulletin, 1999/01
Credit Suisse bulletin, 1999/01
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49<br />
Arbeitslosigkeit ein Graben aufgebaut<br />
zwischen Jung und Alt. Das halte ich für<br />
gefährlich. Klar müssen wir den Jungen<br />
eine Chance geben – aber nicht auf<br />
Kosten der Älteren.<br />
C.P. Wo sehen Sie eine Lösung ?<br />
R.H. In Amerika hat sich deutlich gezeigt,<br />
dass die Aufhebung der Altersguillotine<br />
von 65 dem Arbeitsmarkt nicht geschadet<br />
hat. Neue Betriebe, neue Formen der virtuellen<br />
Arbeit zu finden, wo Jung und Alt<br />
vernünftig zusammenarbeiten, das scheint<br />
mir wesentlich. Und wir dürfen keine Ausbildungen<br />
mehr forcieren, die in die Sackgasse<br />
und damit unweigerlich in die<br />
Arbeitslosigkeit führen.<br />
C.P. Wie sieht denn Ihre persönliche Themen-<br />
Hitliste aus?<br />
R.H. Da wäre als erstes die Frage, wie<br />
wir Arbeit und Güter weltweit sinnvoll verteilen.<br />
Dazu gehören aber auch die Wiedergewinnung<br />
individueller Freiheit und die<br />
Rückkehr zu einem besseren Leben.<br />
C.P. Was verstehen Sie unter «besserem<br />
Leben» ?<br />
R.H. Das ist von Mensch zu Mensch verschieden.<br />
Für viele würde es allerdings<br />
heissen, sich nicht mehr den Zwängen zu<br />
beugen, die heute vielerorts herrschen.<br />
C.P. Werden in den nächsten zwanzig Jahren<br />
keine völlig neuen Themen auftauchen ?<br />
R.H. Die neuen Medien werden unser<br />
Leben gehörig auf den Kopf stellen. Grundsätzlich<br />
andere Probleme in der Geschichte<br />
der Menschheit schaffen sie aber nicht.<br />
Gewisse Konflikte bestehen schon heute,<br />
werden aber unterschätzt.<br />
C.P. Beispiel ?<br />
R.H. Nehmen wir die Verteilproblematik:<br />
Wir produzieren rund um den Globus<br />
genug, um die ganze Weltbevölkerung zu<br />
ernähren und mit Konsumgütern auszustatten.<br />
Doch die Verteilung klappt nicht.<br />
Konkret: Wasser wird eins der kostbar-<br />
sten Güter der Zukunft. Schon heute gibt<br />
es kriegerische Auseinandersetzungen,<br />
die auch auf die Verteilung von Wasser<br />
zurückzuführen sind.<br />
C.P. Wie können sich die Menschen rüsten,<br />
um gelassen in die Zukunft zu schreiten ?<br />
R.H. Sie brauchen Aus- und Weiterbildung.<br />
Man kann sich nicht mehr auf eine<br />
Grundausbildung verlassen. Sie müssen<br />
multifunktional werden. Denn sie haben<br />
damit klarzukommen, dass wir in einer<br />
Gesellschaft leben, wo klassische Wertsysteme<br />
zerbrechen und Mischformen<br />
entstehen.<br />
C.P. Welche Art Wissen wird gefragt sein ?<br />
R.H. Das Wissen wird eng heranrücken<br />
an die Probleme, die zu lösen sind. Wir werden<br />
uns das Wissen dann holen, wenn es<br />
uns zur Lösung von Problemen nützt. Das<br />
hat Konsequenzen fürs Bildungssystem: Es<br />
werden nicht mehr irgendwelche klugen<br />
Köpfe an Universitäten und Mittelschulen<br />
Ausbildungsgänge vorbestimmen und Berufsleute<br />
auf Vorrat produzieren – fernab<br />
von der Praxis. Wissen geht von einer anbieterorientierten<br />
Gesellschaft über in eine<br />
abnehmerorientierte.<br />
C.P. Das verstehe ich nicht.<br />
R.H. Nehmen wir das Internet. Wenn Sie<br />
etwas lösen wollen, werden Sie künftig im<br />
Internet bei neuen Dienstleistern anfragen,<br />
wer Ihnen das Problem lösen kann. Alle<br />
Berufs- und Angebotszweige mit Mittlerfunktion,<br />
wie etwa der Handel, werden in<br />
den nächsten fünf bis fünfzehn Jahren<br />
mindestens 50 Prozent ihres Umsatzes<br />
ans Internet verlieren.<br />
C.P. Überschätzen Sie das Internet nicht ?<br />
R.H. Überhaupt nicht. Was ich beschreibe,<br />
ist schon Gegenwart: In den USA wurde<br />
1998 via Internet allein im Tourismus ein<br />
Umsatz von jährlich 1,5 Milliarden Dollar<br />
erzielt. Der Bereich Electronic-Commerce<br />
steigt wesentlich schneller, als wir gedacht<br />
haben.<br />
C.P. Und in Zukunft ?<br />
R.H. Hochrechnungen besagen, dass<br />
wir im Jahr 2001 bereits bis zu 300<br />
Milliarden Dollar Umsatz über das Internet<br />
generieren. Davon betroffen sind auch traditionelle<br />
Berufe wie Ärzte oder Juristen.<br />
Effiziente Systeme können mir heute den<br />
Blutdruck messen und morgen Körperfunktionen<br />
abchecken. Hierauf kann ich<br />
auf Datenbanken zugreifen, die mir zu<br />
97 Prozent sagen, was ich machen soll,<br />
wenn’s mir schlecht geht. Intelligente<br />
Datenbanken erzwingen einen dramatischen<br />
Wandel.<br />
C.P. Worauf beruhen Ihre Annahmen, lesen<br />
Sie im Kaffeesatz ?<br />
R.H. Wir Zukunftsforscher leben davon,<br />
dass wir aufgrund verschiedener Methoden<br />
Wissen zusammentragen. Wir arbeiten<br />
unter anderem mit Szenarien und Trends.<br />
Der Forscher hat ein Wissenssystem, das<br />
er erlernt. Doch damit hat es sich noch<br />
nicht: Etwas Neues zu finden verlangt<br />
wiederum Kreativität.<br />
C.P. Sie erfinden also die Zukunft ?<br />
R.H. Ja und nein. Aber nehmen wir etwa<br />
Science-fiction in Buch und Film. Häufig<br />
beeinflusst dieses Genre die Gedanken<br />
an die Zukunft, es ist der Schlüssel zum<br />
Erdenken von Zukünften. Den Begriff<br />
«Cyberspace» beispielsweise, der heute in<br />
aller Munde ist, hat ein Science-fiction-<br />
Autor erfunden.<br />
HEUTE DENKEN, MORGEN SEIN<br />
Rolf Homann promovierte in Sinologie<br />
an der Universität Tübingen.<br />
Unter anderm arbeitete er mehrere<br />
Jahre am Gottlieb-Duttweiler-Institut<br />
als Projektleiter. Seit 1989 ist er<br />
selbständiger Zukunftsforscher und<br />
Journalist, Berater und Trainer. Sein<br />
jüngstes Buch heisst «Zukünfte<br />
heute denken, morgen sein», Zürich<br />
1998.<br />
Infos und Links zum Sorgenbarometer: BULLETIN |<br />
ONLINE: www.credit-suisse.ch/bulletin