Ein alter Brunnen ersprüht in jungem Sprayer-Glanz Die Brunnen-Skulptur beim Neumarkt in St.Gallen hat einen neuen Anstrich aufgesprayt bekommen. Der 81 Jahre alte Erschaffer Max Oertli tat sich dafür mit den jungen Dosen-Virtuosen Sabina, Timo und Fabian zusammen. Daniel Huber, Redaktion Bulletin Junge Kunst für altes Eisen: Die Sprayer Timo Müller (links) und Fabian Breitenmoser haben zusammen mit Max Oertli dessen Brunnen neu bemalt.
JUGEND Foto: Eva-Maria Züllig Sprayen – für die einen ists junge, zeitgenössische Kunst, für die anderen sinds illegale Wandschmierereien jugendlicher Anarchisten. Für Max Oertli war es Kalkül: «Als es darum ging, die Brunnen- Skulptur beim Neumarkt aufzufrischen, hab ich mich gefragt: Wie kann ich schön gemalte Flächen vor den unvermeidlich eintreffenden Sprayereien schützen?» Nach dem letzten Neuanstrich vor 14 Jahren blieb die Skulptur nur wenige Tage verschont. «Darum beschloss ich diesmal, den Stier bei den Hörnern zu packen», erklärt Oertli. «Ich suchte nach Sprayern, mit denen ich den Brunnen gemeinsam neu gestalten konnte.» Das Kalkül dahinter: Gemäss einem ungeschriebenen Ehrenkodex in der Sprayerszene bleiben bestehende, gute Arbeiten unangetastet. Oertlis Rechnung scheint aufzugehen: Seit drei Monaten erstrahlt das Kunstwerk unbefleckt in seiner neuen Pracht. Aufgesprayt sind farbenprächtig verschlüsselt einzelne Buchstaben und Ziffern im Graffitistil, die zusammen den Namen des Gebäudekomplexes, «Neumarkt 1 2 3 4 5», ergeben. Ausgeführt haben die Arbeit Sabina Schütz (25), Timo Müller (22) und Fabian Breitenmoser (24). Die drei wurden Oertli durch das St.Galler <strong>Jugend</strong>sekretariat vermittelt. Ansonsten ist es schwierig, an Mitglieder der Sprayergemeinde heranzukommen. Nur die wenigsten arbeiten legal, gehört doch der Kitzel der nächtlichen Illegalität und Hektik zur Faszination. Für Sabina,Timo und Fabian ist das Vergangenheit. Sie arbeiten heute lieber bei Tageslicht für Geld und ohne die Angst vor der Polizei im Nacken. Zu den augenfälligsten Werken von Timo und Fabian gehören zwei Besprayungen der Boxentürme neben der Hauptbühne am St. Galler Open Air (2000 und 2001). Für die <strong>Jugend</strong>lichen war die Zusammenarbeit mit dem rund 60 Jahre älteren, etablierten St. Galler Künstler eine interessante Erfahrung. Zwei Welten trafen aufeinander. Fabian: «Wir sind mit unseren Arbeiten mehr auf der figürlichen Seite, Max auf der abstrakten. Wir bevorzugen grelle, intensive Farben, Max eher dreckig erdige.» Bevor der erste Spraystoss auf die Skulptur abgegeben wurde, haben Sabina, Timo und Fabian eine Woche lang Max Oertli in die Kunst des Sprayens eingeführt. «Ich wollte wissen, wie das geht, und was alles möglich ist», erzählt Oertli. Dabei stiess der Künstler bald schon auf ein entscheidendes Handicap: Ihm fehlt die vordere Hälfte des rechten Zeigefingers und somit der übliche Auslöser der Sprühdüse. Oertli führt dadurch die Spraydosen mit beiden Händen. Das schränkt ein. Fabian erklärt: «Beim Sprayen gibt es nur weiche und scharfe Striche. Den Unterschied macht die Geschwindigkeit. Beidhändig kann Max nur weiche Striche machen, für die scharfen fehlt ihm der notwendige Schwung.» Doch auch sonst liessen sich die künstlerischen Welten der Sprayer und Max Oertlis nicht so einfach vereinen. «Wir sprechen eine völlig andere Sprache», sagt Oertli. «Bald schon war mir klar, dass wir zusammen zwar einen Gesamtentwurf erarbeiten können, ich bei der Ausführung aber Sabina, Timo und Fabian freie Hand lassen muss. Kommt dazu, dass ich mit meiner Arthrose nicht mehr auf dem Gerüst herumklettern kann.» Am Ende der Woche standen das Konzept der einzelnen Buchstaben und das Grundraster für die Farbgebung. Ausgefallenere Ideen, wie zum Beispiel auslaufende Farbdosen, die sich über die Skulptur ergiessen, konnten aus anderen Gründen «Ich wollte wissen, wie Sprayen geht und was möglich ist.» Max Oertli, Maler und Bildhauer nicht verwirklicht werden. «Die Bemalung durfte in keiner Weise als Einladung für andere Sprayer verstanden werden», erklärt Oertli. Das war vor allem auch der Wunsch der Stadt St. Gallen, die als Besitzerin des Brunnens als Auftraggeberin auftrat. Von dieser Seite her gab es am Anfang grosse Widerstände gegen das Projekt. Die Stadt St. Gallen fährt gegenüber Sprayern eine harte Linie. Wilde Graffiti werden nicht geduldet und wenn immer möglich entfernt. Für Fabian ist das der falsche Weg: «Jedes überweisselte Bild zieht drei neue nach sich.» Da sei das freiere Vorgehen in Basel wesentlich effektvoller. Dort gebe es entlang der Eisenbahnlinie legale Wände zum Besprayen. Die einzige Krux: Wer erwischt wird, bezahlt 100 Franken Busse für das Überschreiten der Bahngeleise. Dagegen kann das «Verunstalten» fremden Eigentums in St. Gallen schnell einmal in die Tausende von Franken gehen. Grundsätzlich findet auch Fabian Sprayereien nicht einfach aus Prinzip gut. Er hat zwar Verständnis für die anarchistischen Beweggründe dahinter, aber nicht immer für deren Umsetzungen. «Für mich macht es keinen Sinn, graue Wände mit Schwarz, Grau und Silber zu besprayen, oder einfach mit einer so genannten Destroyer-Linie Ein Kunstwerk im Zeichen der Spraydose Schon am Anfang der 1973 auf dem Neumarktplatz in St. Gallen errichteten Eisenskulptur stand eine Spraydose. Mir ihr kennzeichnete Max Oertli auf den riesigen Alteisenhalden die interessantesten Stücke. Diese sammelte dann der Kranführer ein und stellte sie für den Abtransport bereit. «Es hat damals alles enorm pressiert», erzählt Oertli. «Der Bauherr der Neumarkt-Hochhäuser, Viktor Kleinert, kam im Sommer zu mir und sagte: ‹Herr Oertli, ich brauche für den leeren Platz in der Mitte etwas Grosses, Buntes. Es muss aber bis zur Eröffnung am 11.11. morgens um elf Uhr dort stehen.›» Damit sei eine vom Arbeitsprozess her sehr aufwendige Bronzefigur schon einmal weggefallen. Trotzdem musste es angesichts der modernen Hochhäuser etwas Metallenes sein. Oertli entschied sich für Alteisen, wobei sich die Suche nach den Teilen als gar nicht so einfach entpuppte und Oertli kreuz und quer durch die ganze Schweiz reiste. Das wichtigste Stück sollte schliesslich ein alter Tank aus Liechtenstein werden. Dieser lieferte auch alle Nieten und prägte so entscheidend die Formsprache. Kleinert bekam die Figur vorab nur einmal als rund zehn Zentimeter grosses, rudimentäres Blechmodell zu sehen. «Ihm war eigentlich völlig egal, wie die Skulptur aussah», sagte Oertli. Die Verwirklichung war ebenfalls recht abenteuerlich. So liess sich für das acht Meter grosse Kunstwerk auf die Schnelle keine genügend hohe Halle finden. Deshalb wurde es liegend zusammengebaut. Oertli legte sich dann häufig auf eine Matratze daneben, um einen besseren Eindruck von der optischen Wirkung zu gewinnen. Nach der abschliessenden Spritzverzinkung blieb noch ein Wochenende Zeit für die Bemalung. Oertli entschied sich für grosse, farbige Flächen. Credit Suisse Bulletin 4-<strong>02</strong> 19