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Sebastian<br />
Kurz 2015 in<br />
Mazedonien, am<br />
Grenzübergang<br />
Gevgelija.<br />
MEINUNG<br />
„SEID DANKBAR“<br />
Von Simon Kravagna<br />
„Seit Sebastian Kurz im Wahlkampf<br />
ständig über die Kürzung der Mindestsicherung<br />
redete, habe ich Alpträume.<br />
Ich träume, dass ich aufwache und kein<br />
Geld mehr habe, obdachlos bin“, erzählt<br />
Bader, der mit seiner Frau und zwei kleinen<br />
Kindern in Wien lebt. „Wenn er die<br />
Sozialleistungen kürzt, enden wir wie die<br />
Marokkaner, müssen Drogen in der U6<br />
verkaufen oder als Schlepper arbeiten“,<br />
bangt Munir * . Munir hat manchmal am<br />
Ende des Monats trotz Mindestsicherung<br />
kein Geld mehr am Konto, er hat niemanden<br />
in Österreich, von dem er sich<br />
Geld leihen könnte. „Wenn Kurz uns die<br />
Mindestsicherung kürzt, enden wir in der<br />
Armut“, sagen alle fünf.<br />
„WAS MACHT ER<br />
FÜR UNS?“<br />
Dass sie sich nach allem, was sie durchmachen<br />
mussten, in Österreich sorgen<br />
ums Überleben machen müssen, damit<br />
hatte keiner der Syrer gerechnet. „Kurz<br />
war damals für uns wie Justin Trudeau,<br />
jetzt ist er wie der junge Assad“, sagen<br />
sie einstimmig. Ein harter, ungerechter<br />
Vergleich, der bei den Syrern aber immer<br />
mal wieder fällt, wenn sie über Sebastian<br />
Kurz sprechen: „Assad ist auch jung in<br />
die Politik gegangen, er hat in Europa<br />
studiert, alle setzten große Hoffnungen in<br />
ihn, alle glaubten, er würde uns Demokratie<br />
wie im Westen bringen.“ Doch das<br />
Gegenteil trat ein. Der Vergleich Kurz und<br />
Assad ist mehr als unangebracht. Das<br />
Assad-Regime foltert, zerstört, vernichtet.<br />
Den Terror eines Diktators in Syrien<br />
kann man auf keinen Fall mit dem konservativen<br />
Kurs eines demokratischen<br />
Politikers in Österreich vergleichen. Doch<br />
wenn es um das Thema Mindestsicherung<br />
geht, spricht die Panik aus den<br />
Syrern: „Es gibt einen Grund, wieso Mindestsicherung<br />
so heißt. Es ist das Mindeste,<br />
was man zum Leben in Österreich<br />
braucht. Wenn er sie uns kürzt, könnte<br />
die Kriminalität zunehmen“, fürchtet<br />
Nessrin. „Wieso kürzt ein Integrationsminister<br />
den Flüchtlingen Sozialleistungen?<br />
Was macht er für uns? Nichts, was uns<br />
die Integration erleichtert“, sagt Bader,<br />
für den sich Integration nicht eingleisig<br />
vollzieht. Bader findet Integrationskurse<br />
gut, aber nur für die, die es nötig haben:<br />
„Gebildete Flüchtlinge frustriert es, wenn<br />
sie in diesen Kursen lernen, wie man die<br />
Straße überquert. Das demotiviert und<br />
fördert ganz sicher nicht die Integration“,<br />
sagt er. „Keine Arbeit, stattdessen<br />
diese Kurse und Kürzung von Sozialleistungen“,<br />
ärgert sich Bader, der nicht<br />
weiß, wie er ohne Sozialleistungen seine<br />
Kinder durchbringen soll.<br />
„WENN IHR NICHT<br />
BRAV SEID,<br />
DANN KOMMT<br />
SEBASTIAN KURZ.“<br />
Bader versucht die Lage trotzdem mit<br />
Humor zu meistern: „Wenn meine Kinder<br />
schlimm sind, sage ich ihnen: „Wenn ihr<br />
nicht brav seid, dann kommt Sebastian<br />
Kurz.“<br />
Auch als Sebastian Kurz rät, in<br />
Eigentum zu investieren, weil die Mieten<br />
so hoch sind, nimmt man das in der<br />
syrischen Community mit Humor. In einer<br />
Facebook-Gruppe, in der sich Syrer in<br />
Österreich austauschen und die über<br />
40.000 Mitglieder fasst, wurde die Aussage<br />
auf Flüchtlinge umgemünzt: „Wenn<br />
Flüchtlinge kein Geld haben, sollen sie<br />
doch zur Bank gehen“, schreibt einer in<br />
die Gruppe und setzt damit eine hitzige<br />
Diskussion über Sebastian Kurz in Gang.<br />
In der Facebook Gruppe wird generell oft<br />
über Sebastian Kurz diskutiert. Wahrheit<br />
und Fake-News über Kurz vermischen<br />
sich dabei. Sie diskutieren darüber, dass<br />
Kurz es für Syrer unmöglich machen<br />
wird, nach Österreich zu gelangen, darüber,<br />
dass er das Kopftuch verbieten will,<br />
darüber, dass er Muslime nicht mögen<br />
soll. Darüber, dass er den Eintritt in den<br />
Arbeitsmarkt für Flüchtlinge erschweren<br />
will und darüber, dass Sebastian Kurz<br />
„(…) Für Flüchtlinge die kaum<br />
Deutsch können und keine Arbeit<br />
finden, gibt es keine Zukunft in<br />
diesem Land“ – eines von unzähligen<br />
Kommentaren in den syrischen<br />
Facebook Gruppen am Wahlabend.<br />
die Mindestsicherung kürzen wird. Kurz<br />
nachdem das vorläufige Wahlergebnis<br />
feststeht, überschlagen sich die Postings<br />
in der Facebook-Gruppe. „Was bedeutet<br />
das Ergebnis dieser Wahlen für uns? Die<br />
Österreicher bewegen sich nach rechts,<br />
zum Rassismus gegenüber Ausländern<br />
und Flüchtlingen. Die Regierung wird aus<br />
Schwarz-Blau gebildet und die Gesetze<br />
werden so sein, dass die Mindestsicherung<br />
gesenkt wird und die Flüchtlinge<br />
ohne Asylbescheid abgeschoben<br />
werden. Für die Flüchtlinge, die noch<br />
kein Deutsch können und keine Arbeit<br />
haben, gibt es keine Zukunft in diesem<br />
Land“, schreibt eine Userin. „Es wird sich<br />
für uns nichts ändern, wenn Schwarz-<br />
Blau in der Regierung ist, weil wir aus<br />
den arabischen Staaten kommen, wo es<br />
viele Diktatoren gibt. Wir haben uns an<br />
so etwas schon gewöhnt“, schreibt ein<br />
anderer. Weitere Kommentare folgen im<br />
Minutentakt.<br />
Der Admin der Gruppe blockiert daraufhin<br />
jedes Wahl-Posting: „Warten wir das<br />
endgültige Ergebnis ab“, versucht er die<br />
Masse zu beschwichtigen.<br />
Offenbar braucht es noch mehr Wertekurse: Wenn ein paar Syrer in<br />
unserer Coverstory Sebastian Kurz mit dem „jungen Assad“ vergleichen,<br />
dann sitzt bei einigen Flüchtlingen der Unterschied zwischen einem<br />
demokratischen Politiker und einem Diktator offenbar noch nicht. So ein<br />
Vergleich ist nur absurd.<br />
Viele Syrer schätzen aber wiederum unsere demokratischen Rechte mehr<br />
als viele Österreicher. „Ich habe nie in meinem Leben gewählt wegen<br />
der Diktatur in meinem Land. Deswegen seid dankbar und geht wählen“,<br />
postete etwa unser syrischer Mitarbeiter Ibrahem Zakarya auf Deutsch<br />
am Wahlsonntag. Auch er ist jetzt vom Wahlergebnis enttäuscht. Sagt<br />
aber: „Wir sollten das Ergebnis respektieren. Das ist eben die österreichische<br />
Entscheidung.“<br />
Mit der Wahl am 15. Oktober wurde aber quasi nur offiziell, was vorher<br />
schon bekannt war. Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher<br />
wollen keine liberale Flüchtlingspolitik und schon gar nicht, dass<br />
dafür auch noch Geld ausgegeben wird. Diese Meinung muss man nicht<br />
übernehmen, aber eben akzeptieren. Und in vielen Bereichen – etwa im<br />
Europäischem Asylsystem – gibt es wirklich großen Reformbedarf.<br />
MINDESTSICHERUNG BLEIBT – IN WIEN<br />
Auch die bisher teils großzügige Mindestsicherung für Flüchtlinge<br />
wird fallen. Zur Beruhigung vieler Syrer kann ich aber sagen: Das wird<br />
zumindest in Wien noch lange dauern. Denn auch wenn Sebastian Kurz<br />
Kanzler wird, kann er die Mindestsicherung gegen den Willen der Wiener<br />
Stadtregierung nicht einfach kürzen. Ich halte das Mindestsicherungssystem<br />
in Wien für reformbedürftig. Aber solange das Wiener Modell von<br />
SPÖ und Grünen getragen wird, kann Kurz es nicht einfach abschaffen<br />
Auch das ist Demokratie. Das Durchgriffsrecht hat Kurz in der ÖVP, nicht<br />
im föderalen Staat.<br />
In manchen Punkten hat Kurz übrigens Recht. Wir sollten analysieren,<br />
wo und wie Österreich in der Flüchtlingspolitik am besten helfen kann.<br />
Tatsächlich kann es sinnvoller sein, direkt in Krisenländern zu helfen als<br />
hohe Integrationskosten im Inland zu tragen. Nach dieser Logik müsste<br />
dann aber jede Million, die bei der Mindestsicherung und Flüchtlingsbetreuung<br />
in Österreich unter einem Kanzler Kurz eingespart wird für<br />
Flüchtlingshilfe und Investitionen in Afrika oder im arabischen Raum<br />
verwendet werden. Schauen wir mal, ob das Geld dort ankommt. Und ob<br />
ein möglicher Koalitionspartner FPÖ so etwas mitträgt.<br />
kravagna@dasbiber.at<br />
16 / POLITIKA /