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„Die Leiden des jungen Todor“<br />
Von Todor Ovtcharov<br />
Feind Nummer 1<br />
STADTPLAN<br />
Ich schaue mir eine Fernsehdebatte vor der Nationalratswahl<br />
an. Ich verfolge diese Debatten bereits<br />
seit zehn Jahren. Die Kandidaten der größten Parteien<br />
sind sich mehr oder weniger einig, dass die Ausländer<br />
für alles Schlechte schuld sind. Vor zehn Jahren war<br />
es genau so, aber damals wurde das meistens von einer<br />
Partei behauptet. In der Zwischenzeit haben alle begriffen,<br />
dass es Wähler bringt, wenn man gegen Ausländer<br />
spricht und haben das Thema in ihre Programme inkludiert.<br />
In den heurigen Debatten spricht man eigentlich<br />
nur über eines – den gesellschaftlichen Feind Nummer 1,<br />
den Ausländer. Es ist nicht leicht und eine große Verantwortung<br />
Feind Nummer 1 zu sein!<br />
Ich versuche mein Profil als Feind zu definieren:<br />
‒ Ich bin dunkler als der Durchschnittsösterreicher. Ich<br />
habe nicht so viele Haare, aber meine dunklen Augen<br />
verraten mich. Was würde passieren, wenn ich blaue<br />
Kontaktlinsen tragen würde und mit einem Paul Newman<br />
Blick durch die Gegend laufen würde? Dann würde<br />
ich nur wie ein Feind aussehen, der sich zu tarnen<br />
versucht. Die Idee ist nicht so toll. Man soll zu seinem<br />
Feindsein stehen.<br />
‒ Der Feind kann nicht richtig Deutsch sprechen. In den<br />
ersten Jahren meines Österreichaufenthalts habe ich<br />
mir tatsächlich mit einigen Dialekten schwergetan.<br />
Mittlerweile verstehe ich sogar die Vorarlberger mehr<br />
oder weniger. Ich kann aber immer nocht nicht wie ein<br />
echter Österreicher sprechen. Also man kann immer an<br />
meinem Akzent erkennen, dass ich ein Feind bin.<br />
‒ Der Feind ist immer faul, will nicht arbeiten und das<br />
österreichische Sozialsystem ausnutzen. Ich frage mich,<br />
ob ich in diese Kriterien auch reinpasse. In den <strong>10</strong> Jahren<br />
habe ich mindestens 20 Berufe ausgeübt. Ich war<br />
alles zwischen Bäcker und Obdachlosenbetreuer. Doch<br />
auch das ist nur eine Tarnung. Ich bin ein hinterhältiger<br />
Feind, der ein Messer in den Nacken des gutmütigen<br />
Staates steckt.<br />
‒ Der Feind nimmt den guten Österreichern die Arbeitsplätze<br />
weg. Hier bin ich ein echter Feind. Vor zwei Jahren<br />
war kurzfristig der Vater eines Freundes aus Sofia<br />
bei mir. Onkel Vassko war auf dem weg nach Amsterdam,<br />
ihm wurde aber im Bus schlecht und er blieb für<br />
eineinhalb Tage in Wien. Während er da war, wechselte<br />
er zwei kaputte Fliesen im Bad aus. Ich versuchte ihm<br />
zu erklären, dass er damit den Job von einem ehrlichen<br />
österreichischen Fliesenleger nimmt. Er dachte nur, dass<br />
ich Scherze mache. Jetzt ist er in Holland und klaut den<br />
guten Holländern die Jobs. Eigentlich, hätte Onkel Vassko<br />
die Fliesen bei mir nicht ausgetauscht, dann hätte es<br />
ein Slobodan oder ein Andrzej gemacht. Gibt es eigentlich<br />
noch echte österreichische Fliesenleger?<br />
Während ich mir die Debatten anhöre, verstehe ich, dass<br />
die Parteien recht haben: die Ausländer sind schuld.<br />
Wenn diese Kolumne erscheint, sind die Wahlen schon<br />
vorbei. Doch ein Feind wird immer gebraucht. Ich kann<br />
gerne weiter der Feind bleiben, ich habe nichts dagegen.<br />
Wenn mich jemand braucht, um mich wegen etwas zu<br />
beschuldigen – in der Redaktion haben sie meine Telefonnummer.<br />
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