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MEINUNG<br />
EXTREMFALL, ABER KEIN EINZELFALL<br />
Kommentar von Nada El-Azar<br />
Als ich mit 19 über ein Wochenende verreisen wollte,<br />
stahlen mir meine Eltern den Reisepass aus meinem<br />
Zimmer und leugneten dies – eigentlich eine Straftat, die<br />
man zur Anklage bringen könnte. Als bei einer Freundin<br />
herauskam, dass sie eine heimliche Beziehung hatte,<br />
musste sie mit ihm Schluss machen und ihr wurde die<br />
Zimmertür aus den Angeln genommen – keine Geheimnisse<br />
mehr! Ewigen Hausarrest bekam sie sowieso, sie<br />
durfte von überall nur mehr vom Papa abgeholt werden.<br />
Offizielle Schritte gegen Familienmitglieder einzuleiten<br />
ist ein richtiges Dilemma, selbst wenn es um persönliche<br />
Freiheiten geht, die in Österreich jeder genießen<br />
sollte. Die 14-jährige Afghanin unternahm etwas, suchte<br />
Schutz in einem Krisenzentrum, weil sie sich „eingesperrt“<br />
gefühlt haben soll. Ihr 18-jähriger Bruder wird sich plötzlich<br />
als Wächter der sogenannten „Familienehre“ gefühlt<br />
haben – und ließ sie für ein bisschen Freiheit mit dem<br />
Leben bezahlen.<br />
Aus persönlicher Erfahrung kann ich bestätigen, dass der<br />
voreheliche Auszug eines Mädchens aus dem Elternhaus<br />
in islamischen Kulturkreisen teilweise als absolute Schande<br />
gilt. Denn Frauen haben bei ihren Eltern zu wohnen,<br />
bis sie einen anständigen Muslim heiraten, um dann in<br />
dessen Wohnung mit einzuziehen. Das hörte nicht nur ich,<br />
sondern auch viele andere Mädchen aus muslimischen<br />
Familien, die ich kenne. Und wer etwas dagegen hat, kassiert<br />
schnell mal eine Tracht Prügel – das kommt durchaus<br />
vor. „Nur weil wir hier leben, heißt das nicht, dass du hier<br />
alles machen kannst, wie die Österreicher. Du bist die<br />
Tochter von Muslimen! Wie soll ich das den Leuten erklären,<br />
was du mit uns machst?!“<br />
EINE GEFÄHRLICHE DOPPELMORAL<br />
Ob das so im Koran steht? Das ist, meiner Meinung nach,<br />
eigentlich irrelevant. Denn Religion und Tradition sind<br />
el-azar@dasbiber.at<br />
44 / MIT SCHARF /<br />
vor allem in arabischen Kulturkreisen so eng miteinander<br />
verflochten, dass es nicht ausreichend ist, darauf zu<br />
verweisen, dass die eine oder andere Sitte vielleicht eh<br />
nicht so im Koran geschrieben steht. Klar, es gibt genug<br />
Familien, bei denen es normal zugeht. Aber es gibt eben<br />
auch genug Familien, in denen Mädchen schon früh am<br />
Abend zuhause zu sein haben, weil es sich nicht gehört,<br />
nachts unterwegs zu sein – Volljährigkeit hin oder her!<br />
Was ist, wenn die Kinder von Familie XY sie in der Disko<br />
sehen? Wie sollen sich die Eltern vor den muslimischen<br />
Bekannten rechtfertigen, wenn das rauskommt? Die<br />
Geschlechterapartheid wird von klein auf gelebt: Mädchen<br />
haben mit Buben nichts zu tun! Und, dass in Österreich<br />
die Verletzung der körperlichen Integrität nicht normal ist,<br />
verstand ich selbst auch viel zu spät. Ein Freund der Familie<br />
sagte mal: Die beste Aufmerksamkeit, die eine Tochter<br />
aus frommem Hause haben kann, ist überhaupt keine.<br />
Und ob ihre Brüder nachts unterwegs sein dürfen? Klar,<br />
weil die Buben auf sich selbst aufpassen können!<br />
Und das ist der springende Punkt. Diese Doppelmoral<br />
kann sogar tödlich enden, wie man sieht. Den „Druck“,<br />
vor dem das 14-jährige Mordopfer geflüchtet ist, kann ich<br />
absolut nachvollziehen. Ihr Fall ist ein Extrembeispiel. Aber<br />
die Situation, aus der dieser Mord resultiert ist, ist bei<br />
Weitem keine Einzelerscheinung.<br />
Ich finde, dass eine Menge Werte in vielen muslimischen<br />
Familien falsch vermittelt werden, und auch viel darüber<br />
geschwiegen wird, wenn es zu Übergriffen im Elternhaus<br />
kommt. Viele Opfer suchen sich keine Hilfe, aus Angst, die<br />
Familie zu spalten. Bei der „Mehrheitsgesellschaft“ gibt es<br />
die Angst, als islamophob oder Rassist abgestempelt zu<br />
werden, wenn man Kritik gegen diese Strukturen übt. Es<br />
muss mehr Aufklärungsarbeit und eine starke Sensibilisierung<br />
her, dann erst wird man solche Gräueltaten verhindern<br />
können. ●<br />
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