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BIBER 10_17-2

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nach Wien gekommen. Sie hat 1200 Euro<br />

an die Agentur gezahlt, versprochen wurde<br />

ihr dafür ein All-inclusive-Paket. „Abgemacht<br />

war, dass sie mich vom Flughafen<br />

abholen, in das Studentenheim bringen, in<br />

dem sie Zimmer vermieten und die Amtswege<br />

erledigen.“ Doch schon von Anfang<br />

an geht alles schief. Am Flughafen wartet<br />

niemand auf Emel. Sie schleppt ihre fünf<br />

Gepäcksstücke allein in ihr Studentenheim<br />

im 19. Bezirk.<br />

Auch in den nächsten Wochen ärgert<br />

sich Emel oft über die Agentur. „Sie<br />

engagieren türkische Studenten, damit die<br />

einen zu Amtswegen begleiten. Die Studenten<br />

haben aber alle schlechter Deutsch<br />

gesprochen als ich.“ Am Ende macht Emel<br />

alles selbst. Der Deutschkurs, in den sie die Agentur eingeschrieben<br />

hat und für den sie extra 400 Euro zahlen<br />

muss, erweist sich als überflüssig. „Was mir nicht gesagt<br />

wurde: Mein Deutsch-Niveau hat bereits für ein Visum<br />

gereicht und der Kurs selbst war unnötig. Der Lehrer ist<br />

manchmal einfach nicht gekommen.“<br />

Emel findet sich mit der Tatsache ab, dass sie 1200<br />

Euro quasi umsonst gezahlt hat, aber als sie erfährt,<br />

dass sie mehr Miete für ihr <strong>10</strong>m2 Heim-Zimmer zahlt als<br />

notwendig, hat sie genug und kündigt ihren Mietvertrag<br />

bei AED Vienna Housing. „Ich habe zum Schluss 430<br />

Euro Miete gezahlt, obwohl das Zimmer eigentlich 3<strong>10</strong><br />

Euro Miete beträgt“, sagt Emel. Als sie auszieht, will ihr<br />

die Agentur ihre <strong>10</strong>00 Euro<br />

Kaution nicht zurückgeben.<br />

„Sie haben behauptet, dass ich<br />

ihnen damals die Kaution gar<br />

nicht überwiesen hätte“, so<br />

Emel. Emel telefoniert mit ihrer<br />

Bank in der Türkei, die finden<br />

schließlich die Überweisung<br />

und Emel zeigt der Agentur den<br />

Beweis. Daraufhin bekommt sie<br />

ihr Geld zurück.<br />

AM KLO<br />

VERSTECKEN<br />

Emel ist kein Einzelfall. Demet * ,<br />

eine ehemalige Mitarbeiterin<br />

von AED, berichtet, dass eine<br />

Zeit lang circa 600 Studenten<br />

ihre Kaution nicht zurückbekommen<br />

haben. „Die Chefs<br />

der Agentur haben zu der<br />

Zeit ein Hotel in Wien gekauft<br />

und hatten deshalb Probleme<br />

rechtzeitig die Kautionen an die<br />

Studenten zurück zu zahlen.“<br />

Demet muss die Studenten<br />

ständig hinhalten: „Ich sollte<br />

AED<br />

Die AED („AVRUPA<br />

EĞITIM DANIŞMANLIK“<br />

(Deutsch: europäische<br />

Heimberatung) besteht<br />

aus zwei Abteilungen:<br />

● Beratungsabteilung,<br />

in der mehrheitlich<br />

türkische Studenten<br />

beraten werden,<br />

wobei diese unterschiedliche<br />

Pakete<br />

buchen können<br />

● Vermieten von Studentenheimplätzen<br />

Auszug aus der Homepage der AED<br />

ihnen sagen, dass sie die Kaution in den<br />

nächsten Tagen zurückbekommen, dabei<br />

war klar, dass sich das nicht ausgeht.“<br />

Der Architektur-Student Musa* hat<br />

ebenfalls Probleme dabei seine Kaution<br />

von AED zurückzubekommen. „Angeblich<br />

hätte ich etwas im Zimmer beschädigt,<br />

dabei war das schon seit ich eingezogen<br />

bin so.“ Musa droht der Agentur mit einer<br />

Klage, sein Onkel ist Anwalt in der Türkei,<br />

sagt er – daraufhin bekommt er die Kaution<br />

doch zurück. „Die Agentur macht durch<br />

die Unwissenheit der Studenten einen<br />

riesen Gewinn. Die verrechnen unnötige<br />

Kosten und reden uns ein, dass wir das<br />

nicht alleine erledigen können. Wir machen<br />

die reich“, erzählt Musa. Der 23-jährige<br />

Student erzählt, dass Mitarbeiter der Agentur ihm auch<br />

Jobs vermittelt hätten. „Sie checken einem Jobs bei<br />

türkischen Taxi-Firmen, türkischen Supermärkten oder<br />

Hochzeitssälen und wir arbeiten dann schwarz dort und<br />

müssen uns am Klo verstecken, wenn die Arbeitsinspektion<br />

kommt.“ Musa hat schon viele Jobs gemacht, zum<br />

Beispiel für 50 Euro von 21 – 5 Uhr Früh in Hochzeitssälen<br />

gekellnert.<br />

ZU VERWÖHNT?<br />

Demet hat trotzdem kein Mitleid mit den türkischen<br />

Studenten: „Keiner zwingt die Studenten den Vertrag mit<br />

der Agentur zu unterschreiben. Das sind oft verwöhnte<br />

Ein paar türkische Studenten haben Praktika bei der ÖVP<br />

Favoriten absolviert. Den Praktikumsbericht dazu hat<br />

kaum einer selbst geschrieben.<br />

junge Erwachsene, aus gutem Hause, die noch nie einen<br />

Finger krumm gemacht haben und glauben, sie haben<br />

dich gekauft und du musst jetzt alles für sie machen.“<br />

Sie kritisiert aber nicht nur die Studenten, sondern auch<br />

die Agenturen: „Die Studenten unterschreiben den<br />

Vertrag bei der Partneragentur in der Türkei. Die versprechen<br />

ihnen manchmal Dinge, die mit uns in Österreich<br />

nicht ausgemacht sind. Dann sind die Studenten<br />

enttäuscht, wenn wir das nicht für sie erledigen.“ Demet<br />

kritisiert auch, dass bei AED ein Mitarbeiter für über 500<br />

Studenten zuständig ist. „Na klar wird dann manchmal<br />

vergessen, jemanden vom Flughafen abzuholen. Oder<br />

schlimmer: Manchen Studenten wurde nicht erklärt,<br />

dass sie den ÖH-Beitrag zahlen müssen. Deswegen<br />

mussten schon einige wieder zurück in die Türkei.“ Als<br />

Demet die Abfertigung der Studenten kritisiert, wird sie<br />

gekündigt.<br />

Auch Emels Freundin hat für die Agentur gearbeitet.<br />

Sie hat für 20 Euro die Zimmer des Studentenheims<br />

geputzt, die Studenten vom Flughafen abgeholt, ihnen<br />

bei der Kontoeröffnung geholfen und sie bei Amtswegen<br />

begleitet.<br />

Einer der zwei Geschäftsführer von AED-Housing<br />

hat zwar in einem Telefonat mit <strong>BIBER</strong> zu den Vorwürfen<br />

Stellung genommen, wollte aber nicht, dass das, was<br />

besprochen wurde abgedruckt wird und gibt uns kein<br />

offizielles Statement zum Druck frei. Wenn wir drucken,<br />

was er uns am Telefon und per Mail gesagt hat, werde<br />

man rechtliche Schritte gegen uns einleiten.<br />

Viele türkische Studenten kommen also mithilfe von<br />

Agenturen, die ihnen von Inskription bis zur Kontoeröffnung<br />

alles organisieren. Somit bleiben die Studenten in<br />

türkischen Kreisen und lernen kaum Deutsch, weshalb<br />

sie Ghostwriter engagieren, um die ECTS-Punkte zu<br />

bekommen, die sie für das Visum brauchen. Um den<br />

Ghostwriter zu bezahlen, brauchen sie Arbeit und<br />

weil sie aufgrund ihrer fehlenden Deutschkenntnisse<br />

schlechte Chancen am Arbeitsmarkt haben, arbeiten sie<br />

schwarz. „Und weil es nicht eh schon reicht, dass sie<br />

STUDIENINFO<br />

Insgesamt studierten im Wintersemester<br />

2015/16 3.709 TürkInnen an einer österreichischen<br />

Hochschule. Allein an öffentlichen<br />

Universitäten waren es 3.551. Diese Zahl<br />

ging im Wintersemester 2016/<strong>17</strong> ein wenig<br />

zurück - auf 3.418. Von diesen Personen<br />

wiederum war der Großteil an der Universität<br />

Wien inskribiert (1.435).<br />

Die Top 3 Studienfächer türkischer<br />

Staats bürgerInnen im WS 2015/16:<br />

→ Architektur (BA): 347 Personen<br />

→ Politikwissenschaft (BA): 272 Personen<br />

→ Informatik (BA): 262 Personen<br />

gemeinsam wohnen, studieren und arbeiten, organisiert<br />

die ATÖD auch noch gemeinsame Reisen“, erzählt mir<br />

Emre*. ATÖD, ein österreichisch-türkischer Studentenverein,<br />

organisiert Reisen nach Venedig, Prag, Budapest<br />

und viele andere Städte. Emre, ein Austro-Türke, hat<br />

wenig Verständnis für die Studenten: „Die Eltern in der<br />

Türkei nehmen einen Kredit nach dem anderen auf,<br />

damit ihre Kinder in Österreich Party machen und eine<br />

Reise nach der anderen erleben.“<br />

GO HARD OR GO HOME?<br />

Felix, der Ghostwriter, der sich während seines Powi-<br />

Studiums mit einigen türkischen Studenten angefreundet<br />

hat, hat dagegen Verständnis für den Lifestyle<br />

seiner türkischen Freunde: „Viele wollen in Wien die Zeit<br />

ihres Lebens haben. Zuhause in der Türkei müssen sie<br />

heiraten oder die Tischlerei des Vaters übernehmen.<br />

Davor toben sie sich hier ordentlich aus, ums Studieren<br />

geht es vielen gar nicht.“ Emel dagegen geht es wirklich<br />

ums Studium. Doch die 21-Jährige ist verzweifelt. Zuerst<br />

musste sie sich mit der AED rumschlagen und jetzt fehlt<br />

ihr ein ECTS-Punkt für die Verlängerung ihres Studentenvisums.<br />

Dabei hat die Studentin versucht alles richtig<br />

zu machen: Sie arbeitet nicht schwarz, sondern sucht<br />

einen Job. Doch aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse<br />

kassiert sie nur Absagen. Sie engagiert keinen<br />

Ghostwriter, sondern schreibt ihre Arbeiten selber,<br />

weshalb sie aber länger für ihr Studium braucht. Und<br />

genau das wird der jungen Türkin wohl zum Verhängnis.<br />

Während viele ihrer Uni-Kollegen dank Ghostwriter mittlerweile<br />

einen Bachelor-Abschluss haben, kann es sein,<br />

dass sie wegen eines fehlenden ECTS-Punkts zurück<br />

in die Türkei muss, was für sie aufgrund der aktuellen<br />

politischen Lage ein Alptraum wäre. „Vielleicht hätte<br />

ich es doch wie die anderen machen sollen“, sagt sie<br />

resigniert. Ein Teufelskreis. ●<br />

*Namen von der Redaktion geändert<br />

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