Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
nach Wien gekommen. Sie hat 1200 Euro<br />
an die Agentur gezahlt, versprochen wurde<br />
ihr dafür ein All-inclusive-Paket. „Abgemacht<br />
war, dass sie mich vom Flughafen<br />
abholen, in das Studentenheim bringen, in<br />
dem sie Zimmer vermieten und die Amtswege<br />
erledigen.“ Doch schon von Anfang<br />
an geht alles schief. Am Flughafen wartet<br />
niemand auf Emel. Sie schleppt ihre fünf<br />
Gepäcksstücke allein in ihr Studentenheim<br />
im 19. Bezirk.<br />
Auch in den nächsten Wochen ärgert<br />
sich Emel oft über die Agentur. „Sie<br />
engagieren türkische Studenten, damit die<br />
einen zu Amtswegen begleiten. Die Studenten<br />
haben aber alle schlechter Deutsch<br />
gesprochen als ich.“ Am Ende macht Emel<br />
alles selbst. Der Deutschkurs, in den sie die Agentur eingeschrieben<br />
hat und für den sie extra 400 Euro zahlen<br />
muss, erweist sich als überflüssig. „Was mir nicht gesagt<br />
wurde: Mein Deutsch-Niveau hat bereits für ein Visum<br />
gereicht und der Kurs selbst war unnötig. Der Lehrer ist<br />
manchmal einfach nicht gekommen.“<br />
Emel findet sich mit der Tatsache ab, dass sie 1200<br />
Euro quasi umsonst gezahlt hat, aber als sie erfährt,<br />
dass sie mehr Miete für ihr <strong>10</strong>m2 Heim-Zimmer zahlt als<br />
notwendig, hat sie genug und kündigt ihren Mietvertrag<br />
bei AED Vienna Housing. „Ich habe zum Schluss 430<br />
Euro Miete gezahlt, obwohl das Zimmer eigentlich 3<strong>10</strong><br />
Euro Miete beträgt“, sagt Emel. Als sie auszieht, will ihr<br />
die Agentur ihre <strong>10</strong>00 Euro<br />
Kaution nicht zurückgeben.<br />
„Sie haben behauptet, dass ich<br />
ihnen damals die Kaution gar<br />
nicht überwiesen hätte“, so<br />
Emel. Emel telefoniert mit ihrer<br />
Bank in der Türkei, die finden<br />
schließlich die Überweisung<br />
und Emel zeigt der Agentur den<br />
Beweis. Daraufhin bekommt sie<br />
ihr Geld zurück.<br />
AM KLO<br />
VERSTECKEN<br />
Emel ist kein Einzelfall. Demet * ,<br />
eine ehemalige Mitarbeiterin<br />
von AED, berichtet, dass eine<br />
Zeit lang circa 600 Studenten<br />
ihre Kaution nicht zurückbekommen<br />
haben. „Die Chefs<br />
der Agentur haben zu der<br />
Zeit ein Hotel in Wien gekauft<br />
und hatten deshalb Probleme<br />
rechtzeitig die Kautionen an die<br />
Studenten zurück zu zahlen.“<br />
Demet muss die Studenten<br />
ständig hinhalten: „Ich sollte<br />
AED<br />
Die AED („AVRUPA<br />
EĞITIM DANIŞMANLIK“<br />
(Deutsch: europäische<br />
Heimberatung) besteht<br />
aus zwei Abteilungen:<br />
● Beratungsabteilung,<br />
in der mehrheitlich<br />
türkische Studenten<br />
beraten werden,<br />
wobei diese unterschiedliche<br />
Pakete<br />
buchen können<br />
● Vermieten von Studentenheimplätzen<br />
Auszug aus der Homepage der AED<br />
ihnen sagen, dass sie die Kaution in den<br />
nächsten Tagen zurückbekommen, dabei<br />
war klar, dass sich das nicht ausgeht.“<br />
Der Architektur-Student Musa* hat<br />
ebenfalls Probleme dabei seine Kaution<br />
von AED zurückzubekommen. „Angeblich<br />
hätte ich etwas im Zimmer beschädigt,<br />
dabei war das schon seit ich eingezogen<br />
bin so.“ Musa droht der Agentur mit einer<br />
Klage, sein Onkel ist Anwalt in der Türkei,<br />
sagt er – daraufhin bekommt er die Kaution<br />
doch zurück. „Die Agentur macht durch<br />
die Unwissenheit der Studenten einen<br />
riesen Gewinn. Die verrechnen unnötige<br />
Kosten und reden uns ein, dass wir das<br />
nicht alleine erledigen können. Wir machen<br />
die reich“, erzählt Musa. Der 23-jährige<br />
Student erzählt, dass Mitarbeiter der Agentur ihm auch<br />
Jobs vermittelt hätten. „Sie checken einem Jobs bei<br />
türkischen Taxi-Firmen, türkischen Supermärkten oder<br />
Hochzeitssälen und wir arbeiten dann schwarz dort und<br />
müssen uns am Klo verstecken, wenn die Arbeitsinspektion<br />
kommt.“ Musa hat schon viele Jobs gemacht, zum<br />
Beispiel für 50 Euro von 21 – 5 Uhr Früh in Hochzeitssälen<br />
gekellnert.<br />
ZU VERWÖHNT?<br />
Demet hat trotzdem kein Mitleid mit den türkischen<br />
Studenten: „Keiner zwingt die Studenten den Vertrag mit<br />
der Agentur zu unterschreiben. Das sind oft verwöhnte<br />
Ein paar türkische Studenten haben Praktika bei der ÖVP<br />
Favoriten absolviert. Den Praktikumsbericht dazu hat<br />
kaum einer selbst geschrieben.<br />
junge Erwachsene, aus gutem Hause, die noch nie einen<br />
Finger krumm gemacht haben und glauben, sie haben<br />
dich gekauft und du musst jetzt alles für sie machen.“<br />
Sie kritisiert aber nicht nur die Studenten, sondern auch<br />
die Agenturen: „Die Studenten unterschreiben den<br />
Vertrag bei der Partneragentur in der Türkei. Die versprechen<br />
ihnen manchmal Dinge, die mit uns in Österreich<br />
nicht ausgemacht sind. Dann sind die Studenten<br />
enttäuscht, wenn wir das nicht für sie erledigen.“ Demet<br />
kritisiert auch, dass bei AED ein Mitarbeiter für über 500<br />
Studenten zuständig ist. „Na klar wird dann manchmal<br />
vergessen, jemanden vom Flughafen abzuholen. Oder<br />
schlimmer: Manchen Studenten wurde nicht erklärt,<br />
dass sie den ÖH-Beitrag zahlen müssen. Deswegen<br />
mussten schon einige wieder zurück in die Türkei.“ Als<br />
Demet die Abfertigung der Studenten kritisiert, wird sie<br />
gekündigt.<br />
Auch Emels Freundin hat für die Agentur gearbeitet.<br />
Sie hat für 20 Euro die Zimmer des Studentenheims<br />
geputzt, die Studenten vom Flughafen abgeholt, ihnen<br />
bei der Kontoeröffnung geholfen und sie bei Amtswegen<br />
begleitet.<br />
Einer der zwei Geschäftsführer von AED-Housing<br />
hat zwar in einem Telefonat mit <strong>BIBER</strong> zu den Vorwürfen<br />
Stellung genommen, wollte aber nicht, dass das, was<br />
besprochen wurde abgedruckt wird und gibt uns kein<br />
offizielles Statement zum Druck frei. Wenn wir drucken,<br />
was er uns am Telefon und per Mail gesagt hat, werde<br />
man rechtliche Schritte gegen uns einleiten.<br />
Viele türkische Studenten kommen also mithilfe von<br />
Agenturen, die ihnen von Inskription bis zur Kontoeröffnung<br />
alles organisieren. Somit bleiben die Studenten in<br />
türkischen Kreisen und lernen kaum Deutsch, weshalb<br />
sie Ghostwriter engagieren, um die ECTS-Punkte zu<br />
bekommen, die sie für das Visum brauchen. Um den<br />
Ghostwriter zu bezahlen, brauchen sie Arbeit und<br />
weil sie aufgrund ihrer fehlenden Deutschkenntnisse<br />
schlechte Chancen am Arbeitsmarkt haben, arbeiten sie<br />
schwarz. „Und weil es nicht eh schon reicht, dass sie<br />
STUDIENINFO<br />
Insgesamt studierten im Wintersemester<br />
2015/16 3.709 TürkInnen an einer österreichischen<br />
Hochschule. Allein an öffentlichen<br />
Universitäten waren es 3.551. Diese Zahl<br />
ging im Wintersemester 2016/<strong>17</strong> ein wenig<br />
zurück - auf 3.418. Von diesen Personen<br />
wiederum war der Großteil an der Universität<br />
Wien inskribiert (1.435).<br />
Die Top 3 Studienfächer türkischer<br />
Staats bürgerInnen im WS 2015/16:<br />
→ Architektur (BA): 347 Personen<br />
→ Politikwissenschaft (BA): 272 Personen<br />
→ Informatik (BA): 262 Personen<br />
gemeinsam wohnen, studieren und arbeiten, organisiert<br />
die ATÖD auch noch gemeinsame Reisen“, erzählt mir<br />
Emre*. ATÖD, ein österreichisch-türkischer Studentenverein,<br />
organisiert Reisen nach Venedig, Prag, Budapest<br />
und viele andere Städte. Emre, ein Austro-Türke, hat<br />
wenig Verständnis für die Studenten: „Die Eltern in der<br />
Türkei nehmen einen Kredit nach dem anderen auf,<br />
damit ihre Kinder in Österreich Party machen und eine<br />
Reise nach der anderen erleben.“<br />
GO HARD OR GO HOME?<br />
Felix, der Ghostwriter, der sich während seines Powi-<br />
Studiums mit einigen türkischen Studenten angefreundet<br />
hat, hat dagegen Verständnis für den Lifestyle<br />
seiner türkischen Freunde: „Viele wollen in Wien die Zeit<br />
ihres Lebens haben. Zuhause in der Türkei müssen sie<br />
heiraten oder die Tischlerei des Vaters übernehmen.<br />
Davor toben sie sich hier ordentlich aus, ums Studieren<br />
geht es vielen gar nicht.“ Emel dagegen geht es wirklich<br />
ums Studium. Doch die 21-Jährige ist verzweifelt. Zuerst<br />
musste sie sich mit der AED rumschlagen und jetzt fehlt<br />
ihr ein ECTS-Punkt für die Verlängerung ihres Studentenvisums.<br />
Dabei hat die Studentin versucht alles richtig<br />
zu machen: Sie arbeitet nicht schwarz, sondern sucht<br />
einen Job. Doch aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse<br />
kassiert sie nur Absagen. Sie engagiert keinen<br />
Ghostwriter, sondern schreibt ihre Arbeiten selber,<br />
weshalb sie aber länger für ihr Studium braucht. Und<br />
genau das wird der jungen Türkin wohl zum Verhängnis.<br />
Während viele ihrer Uni-Kollegen dank Ghostwriter mittlerweile<br />
einen Bachelor-Abschluss haben, kann es sein,<br />
dass sie wegen eines fehlenden ECTS-Punkts zurück<br />
in die Türkei muss, was für sie aufgrund der aktuellen<br />
politischen Lage ein Alptraum wäre. „Vielleicht hätte<br />
ich es doch wie die anderen machen sollen“, sagt sie<br />
resigniert. Ein Teufelskreis. ●<br />
*Namen von der Redaktion geändert<br />
24 / POLITIKA /<br />
/ POLITIKA / 25