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Reformation als Medienrevolution<br />
Luther setzte mit Buchdruck <strong>und</strong> Deutsch auf die modernen Medien seiner Zeit,<br />
seine gegner dagegen blieben bei Latein <strong>und</strong> Predigt. „Damit war Luther bereits im<br />
rTL, während die katholische Kirche noch auf Phönix lief“, sagt Stefan rhein.<br />
Gedichte Philipp Melanchthons. Doch<br />
wenn er über die Arbeit an den Lutherstätten<br />
spricht, glaubt man eher einen<br />
PR-Mann vor sich zu haben. Die 400<br />
Millionen Protestanten weltweit sind<br />
<strong>für</strong> ihn eine „w<strong>und</strong>erbare Zielgruppe“,<br />
die es gilt, nach Mitteldeutschland zu<br />
holen. Ganz besonders natürlich jetzt<br />
während der Luther-Dekade, die diesen<br />
Herbst mit zahlreichen Veranstaltungen<br />
eröffnet wird <strong>und</strong> am 31. Oktober 2017<br />
mit dem 500. Jubiläum des Thesenanschlags<br />
an die Wittenberger Schlosskirche<br />
ihren Höhepunkt erreicht.<br />
Weltweit gibt es 400 Millionen Protestanten − <strong>für</strong> Stefan<br />
rhein eine „w<strong>und</strong>erbare Zielgruppe“.<br />
Sehr gelegen <strong>für</strong> die Feierlichkeiten<br />
kommt nun, dass Martin Treu, einer<br />
von Rheins Mitarbeitern, kürzlich eine<br />
aufregende Entdeckung bezüglich der<br />
95 Thesen gemacht hat. „Dass Luther<br />
sie tatsächlich geschrieben hat <strong>und</strong> dass<br />
sie ganz entscheidend waren <strong>für</strong> die<br />
Reformation, ist völlig unumstritten“,<br />
sagt Rhein. Nur hat er sie wirklich an<br />
die Tür genagelt oder nicht – darüber<br />
streiten sich Wissenschaftler seit Jahrzehnten.<br />
Bisher gab es nur einen Beleg<br />
<strong>für</strong> den Thesenanschlag: eine Aussage<br />
Melanchthons, datiert auf die Zeit nach<br />
Luthers Tod. Der neue F<strong>und</strong> ist eine<br />
Notiz, die Luthers Privatsekretär Georg<br />
Rörer noch zu Lebzeiten des Reformators<br />
in dessen Arbeitsbibel hinterlassen<br />
hat: „Am Vorabend des Allerheiligenfestes<br />
im Jahre des Herren 1517 sind<br />
von Doktor Martin Luther Thesen über<br />
den Ablass an die Türen der Wittenberger<br />
Kirchen angeschlagen worden.“ Für<br />
Rhein bedeutet das: „Wenn wir im Jahr<br />
2017 feiern, können wir das auch mit<br />
Fug <strong>und</strong> Recht tun.“<br />
Die r<strong>und</strong> 350.000 Touristen, die<br />
jährlich nach Wittenberg kommen,<br />
kümmert diese theoretische Diskussion<br />
vermutlich kaum. Allenfalls w<strong>und</strong>ern<br />
sie sich, vor der „meistfotografierten<br />
Tür Europas“ stehend, wie Luther wohl<br />
den Nagel in die Bronze bekommen hat.<br />
Die Erklärung ist einfach: Das heutige<br />
Portal ist keine 150 Jahre alt.<br />
Viel mehr als die sagenumwobene<br />
Tür beeindruckt mich jedoch das<br />
Grab Luthers in der Kirche. Oder besser<br />
gesagt der Fakt, dass es so schlicht,<br />
ja fast unscheinbar daher kommt <strong>und</strong><br />
gleichwertig neben dem Grab seines<br />
Kollegen Melanchthon liegt. Der Blick<br />
auf die beiden schlichten Bronzeplatten<br />
macht anschaulich, was Stefan Rhein<br />
meint, wenn er sagt: „Die Reformation<br />
ist eine Wittenberger Teamleistung.<br />
Luthers Erkenntnis ist natürlich zentral.<br />
Aber es brauchte viele Geburtshelfer:<br />
Dass es <strong>Bild</strong> wurde, Cranach; dass<br />
es <strong>Text</strong> wurde, Melanchthon ...“.<br />
regjo LeIPZIg/HALLe geSellScHaft 65<br />
Luthers Erkenntnis? Ja, was ist<br />
eigentlich seine größte Leistung? Stefan<br />
Rhein gibt eine Antwort, die ich<br />
am Ende dieser Geschichte gern mit<br />
nach Hause nehme: „Es ist die Entdeckung<br />
des eigenen Gewissens. In<br />
dem Sinne, wie Luther Zivilcourage<br />
zeigte, sich nicht an die vorgegebenen<br />
Regeln der universellen Kirche hielt.<br />
„reformation ist nicht nur Luther, reformation<br />
ist Wittenberger Teamwork.“<br />
Man muss sich das mal vorstellen, da<br />
stellt sich einer nahezu allein gegen alle<br />
<strong>und</strong> sagt nein, hier stehe ich, ich kann<br />
nicht anders, ich vertraue nur meinem<br />
Gewissen.“<br />
Als ich wieder aus der Kirche hinauskomme,<br />
bleibe ich noch einmal kurz<br />
an dem kleinen gusseisernen Zäunchen<br />
vor der Thesentür der Schlosskirche<br />
stehen. Zwei ältere Frauen stellen sich<br />
neben mich. „Kannst du lesen, was da<br />
steht?“, fragt die eine. Ihre Reisebegleiterin<br />
kneift die Augen angestrengt<br />
zusammen. „Leider nicht.“ Noch einen<br />
Moment harren sie aus. Dann Schulterzucken.<br />
„Naja, wir haben sie wenigstens<br />
gesehen.“<br />
Weitere Infos finden Sie im Internet unter<br />
www.martinluther.de <strong>und</strong> www.unesco.de.