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ER// SIE// ES// LIEST// SPIEL

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gewinnt er beim Roulette 200.000 Francs (was übrigens immer ein from-<br />

mer Wunschtraum Dostojewskis geblieben ist...). Polina weist ihn – von<br />

seinem großspurigen Auftreten angewidert – zurück, woraufhin er mit<br />

Madame Blanche nach Paris durchbrennt. Dort verprasst sie in wenigen<br />

Wochen den größten Teil seines Gewinns. Fast mittellos, will er Polina<br />

nun erneut zurückerobern, und Ivanowitsch begibt sich abermals an<br />

den Spieltisch. Das Ende lässt Dostojewski offen, nicht ohne anzudeuten,<br />

dass der Held seinen Verstand am Roulette verloren hat und in Ruleten-<br />

burg ein Süchtiger geworden ist.<br />

Der Spieler entsteht an nur 26 Tagen im Oktober 1867 in Sankt Pe-<br />

tersburg. Dostojewski verarbeitet darin Erlebnisse zweier ausgedehnter<br />

Europareisen in den Jahren 1863 und 1865, die ihn unter anderem in die<br />

Spielerparadiese Baden-Baden, Bad Homburg und Wiesbaden führten.<br />

In diese Zeit fällt nicht nur der Beginn seiner exzessiven Spielleiden-<br />

schaft (die ihn in Wiesbaden erstmals ruinierte), sondern auch die Liebe<br />

zu Polina Suslova, einer typischen Vertreterin der russischen Frauen-<br />

emanzipation jener Jahre. Dass Dostojewski seiner Liebe zu ihr im Spieler<br />

Ausdruck verlieh (vielleicht auch bewältigte), gilt nicht nur wegen der<br />

Namensgleichheit bei allen Biografen als ausgemacht. Der im Roman<br />

geschilderte Versuch Alexej Ivanowitschs, sich Polinas Zuneigung zu<br />

erkaufen, darf darüber hinaus als pikanter Wunschtraum, als Allmachts-<br />

phantasie Dostojewskis gewertet werden – verspäteter Reflex auf den<br />

abgewiesenen Heiratsantrag, den ihr der Dichter 1865 gemacht hatte.<br />

Dostojewski diktierte den Spieler der jungen Stenotypistin Anna<br />

Grigorjewna Snitkina; wenig später heirateten die beiden. Seltsam,<br />

dass Anna die Auswüchse von Dostojewskis Spielsucht nicht zu deuten<br />

wusste, obwohl sich beide während des Diktats intensiv darüber aus-<br />

tauschten. In den Erinnerungen berichtet sie, von allen Romanfiguren<br />

hätten ihre Sympathien sogar am meisten der Tante gegolten, „die das<br />

Vermögen verspielte“, während sie dem Helden, „seinen Kleinmut und<br />

seine Spielleidenschaft nicht verzieh“.<br />

Dass beide Figuren nur zwei Seiten einer Medaille darstellen, sieht<br />

sie nicht. Aber: Hätte sie von der Heirat Abstand genommen, wenn sie<br />

geahnt hätte, was in den kommenden vier Jahren auf sie zukommen wür-<br />

de? Wir wissen es nicht. Und wir können sogar froh darüber sein.<br />

MAGAZIN//<br />

<strong>ER</strong>//<strong>SIE</strong>//<strong>ES</strong>//LI<strong>ES</strong>T//16

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