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ER// SIE// ES// LIEST// SPIEL

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2008//01<br />

nach den Ausflügen zum Roulette sogar die Anregungen fand, die er zur<br />

Ausgestaltung seiner verschiedenen psychisch extrem disponierten Ro-<br />

manhelden brauchte: Das Spiel als Anregung, Stimulanz, Schreibdroge.<br />

Der Spieler belegt einmal mehr, dass die rationale Darstellung einer<br />

Sucht einen keineswegs davor bewahrt, ihr auch fernerhin ausgeliefert<br />

zu sein. Das verbindet – bei allen Unterschieden der Romanstruktur<br />

– Dostojewskis Spieler mit Hans Falladas Der Trinker. Mit vollkommen<br />

klarem Kopf schreibt der alkoholkranke und morphiumabhängige Fal-<br />

lada diese Fallstudie einer Sucht in der Heilanstalt von Altstettin 1944<br />

in nur zwei Wochen nieder. Fallada zeigt den unaufhaltsamen gesell-<br />

schaftlichen Abstieg eines ehrbaren Kleinbürgers zum großen Säufer<br />

aus der Ich-Perspektive auf (Der Trinker wurde übrigens 1995 mit Harald<br />

Juhnke in der Hauptrolle verfilmt – die größte Rolle seines Lebens...). Drei<br />

Monate bleibt Fallada in der Heilanstalt, und nach seiner Entlassung ist<br />

er keineswegs trocken. Ganz im Gegenteil. Mehrfach wird er noch im<br />

Vollrausch in die Berliner Charité eingewiesen. Dennoch verfasst er exakt<br />

80 Jahre nach Dostojewskis Spieler und ebenfalls in nur 26 Tagen im<br />

Oktober 1946 einen seiner besten Romane: Jeder stirbt für sich allein, die<br />

Geschichte des kleinen vergeblichen Widerstands eines Ehepaares gegen<br />

die Nazidiktatur. Wenig später stirbt Fallada im Alter von nur 54 Jahren an<br />

den Folgen seiner Sucht.<br />

Die autobiografischen Anteile sind bei Dostojewskis Spieler und Fal-<br />

ladas Trinker zwar evident. Aber beiden ging es nicht um die nach außen<br />

getragene Bewältigung privater Lebenskrisen, sondern um die litera-<br />

rische Gestaltung zeitunabhängiger Phänomene vor dem Hintergrund<br />

eigenen Erlebens.<br />

»<br />

DR. ANDREAS GEBHARDT IST G<strong>ER</strong>MANIST UND<br />

PUBLIZIST UND LEBT IN KASSEL.<br />

<strong>ER</strong>//<strong>SIE</strong>//<strong>ES</strong>//LI<strong>ES</strong>T//21

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