ER// SIE// ES// LIEST// SPIEL
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Literatur in den Blick, die ihren Spielcharakter hervorheben.<br />
Psychologische Spieltheorien haben zur Beantwortung der Frage<br />
nach den Arten und Gründen dieser Lust mehr beigetragen als Literatur-<br />
theorien. Ihre Auskünfte über die Lustquellen spielerischer Tätigkeit fal-<br />
len allerdings verschieden aus: Lust beim Spiel gehe einher mit Abreak-<br />
tionen überschüssiger Energien (Herbert Spencer), mit Erholung von der<br />
Erschöpfung einseitig überbeanspruchter Kräfte (Moritz Lazarus), mit<br />
der Befriedigung über das Funktionieren der herausgeforderten Fähig-<br />
keiten (das meinte Karl Bühlers Begriff der „Funktionslust“), mit dem<br />
Stolz über die Bewältigung von Schwierigkeiten (Dietrich Dörner) oder<br />
mit der Befreiung bzw. Ablenkung von diversen Sorgen des Alltags im<br />
tranceartigen Zustand narkotischer Entrücktheit (Mihaly Csikszentmi-<br />
halyi).<br />
URSPRUNG D<strong>ER</strong> LIT<strong>ER</strong>ATUR<br />
IM KINDLICHEN <strong>SPIEL</strong><br />
Ein seinerzeit keineswegs singuläres, sondern symptomatisches Bei-<br />
spiel für eine unter dem dominanten Aspekt der Lust stehende psycho-<br />
logische Theorie, die Literatur als ein Spiel konzipierte, ist Sigmund<br />
Freuds 1907 gehaltener Vortrag: „Der Dichter und das Phantasieren“.<br />
Angeregt auch von den damals resonanzreichen Schriften des Spielthe-<br />
oretikers Karl Groos, versucht der Vortrag, „eine erste Aufklärung über<br />
das Schaffen des Dichters zu gewinnen“, und glaubt sie im Vergleich der<br />
dichterischen Tätigkeit mit dem Spiel des Kindes zu finden: „Sollten wir<br />
die ersten Spuren dichterischer Betätigung nicht schon beim Kinde su-<br />
chen? Die liebste und intensivste Beschäftigung des Kindes ist das Spiel.<br />
Vielleicht dürfen wir sagen: Jedes spielende Kind benimmt sich wie ein<br />
Dichter, indem es sich eine eigene Welt erschafft oder, richtiger gesagt,<br />
die Dinge seiner Welt in eine neue, ihm gefällige Ordnung versetzt.“<br />
Und umgekehrt: „Der Dichter tut nun dasselbe wie das spielende Kind;<br />
er erschafft eine Phantasiewelt, die er sehr ernst nimmt, d.h. mit großen<br />
Affektbeträgen ausstattet, während er sie von der Wirklichkeit scharf<br />
sondert.“ Wie der Tagtraum sei die Dichtung „Fortsetzung und Ersatz<br />
des einstigen kindlichen Spielens“. Der Erwachsene mag nach Freud<br />
MAGAZIN//<br />
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