ER// SIE// ES// LIEST// SPIEL
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2008//01<br />
Im Pendeln zwischen den gegensätzlichen Polen liegt für Knecht das<br />
Weltgeheimnis, das ewig Heilige. Es ist die Auseinandersetzung zwi-<br />
schen Leben und Tod, Macht und Geist, zwischen dem „Hin und Wider<br />
im Ein- und Ausatmen, dem Himmel und der Erde, dem Ying und Yang“.<br />
Hesses Held Knecht wird von seinem Autor zu einer Legende stilisiert,<br />
weil Knecht nach Vollkommenheit strebt.<br />
Dass das Leben kein Spiel ist und einige Hürden, Entbehrungen und<br />
Geduldsproben überwunden werden müssen, hat Knecht auf seinem<br />
Weg erfahren müssen. Doch Knecht hat jede Entwicklungsstufe seines<br />
Seins wie eine Glasperle gehütet. Und je nachdem, ob er Glück hatte oder<br />
sich ein Gönner für ihn einsetzte, wurde er mehr oder minder wie in<br />
einem Spiel durch das Leben gewürfelt. Er hat das passive Spiel mitge-<br />
spielt, sich dessen Regeln unterworfen und sich als Spielball benutzen<br />
lassen. Mit seinem Austritt möchte er das erste Mal selbst am „Spiel der<br />
Welten“ teilnehmen.<br />
Der Orden und das Glasperlenspiel waren für Knecht zwar wertvoll,<br />
doch da er sich über die Vergänglichkeit seines Bemühens im Klaren<br />
wird, muss er seinen Aufgaben entsagen. Und so richtet Knecht sein Ent-<br />
lassungsgesuch an die oberste Behörde Kastaliens. Er verbindet sie mit<br />
einer vorausschauenden Mahnung. Denn Knecht sieht Kastalien dem<br />
Untergang geweiht, weil es sich ausruht auf dem Sponsorentum seiner<br />
Gönner. Er fürchtet, jederzeit könnten weltliche Geschehen die Provinz<br />
zum Einsturz bringen.<br />
Da sein Gesuch abgelehnt wird, legt Knecht, ohne die Statuten des<br />
Ordens zu verletzen, sein Amt aus Gewissensgründen nieder. Kastali-<br />
ens „Abtrünniger“ nimmt nunmehr erstmals sein Leben in die eigenen<br />
Hände, entsagt dem Spiel, vertraut nicht mehr auf Schicksal und Chan-<br />
ce, sondern sucht seine Bestimmung in der Erziehung und Lehre von<br />
Kindern der Welt. Knechts Schritt ist weder von Untreue oder Willkür<br />
gekennzeichnet, noch ist es ein Rückfall in die Individualität, vielmehr<br />
ist es der Versuch, inmitten der Weltlichkeit ein Leben in kastalischem<br />
Sinne zu wagen. Knecht sucht die Synthese zwischen der Vergeistigung<br />
und dem Dienst am Menschen. Er widmet sich dieser Aufgabe mit In-<br />
brunst, geht aber – im Wortsinne – in ihr unter: Am Ende ertrinkt Knecht<br />
in einem See.<br />
<strong>ER</strong>//<strong>SIE</strong>//<strong>ES</strong>//LI<strong>ES</strong>T//41