ER// SIE// ES// LIEST// SPIEL
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2008//01<br />
wirtschaftlich, politisch und moralisch zerrissenen Gesellschaft.<br />
Auffällige Verbindungen sind auch zu Hesses märchenhafter Erzählung<br />
Morgenlandfahrt evident, die als Vorarbeit zum Glasperlenspiel gilt.<br />
Denn schon hier geht es um einen Orden, der sich dem Gemeinwesen<br />
verpflichtet hat. Hesse hat das Glasperlenspiel dem geheimen Bund der<br />
Morgenlandfahrer gewidmet, einem Zusammenschluss von Literaten,<br />
Künstlern, Musikern, Philosophen, Forschern und Wissenschaftlern,<br />
deren Ziel es ist, sich mit Geduld, selbstständigem Denken und mit<br />
der Kraft der Phantasie handelnd für die Gemeinschaft einsetzen. Die<br />
Morgenlandfahrer bleiben als Vereinigung von Edlen über Generationen,<br />
Nationalitäten, Konfessionen und Weltanschauungen hinweg mitei-<br />
nander verbunden; sie bereichern sich nicht und ignorieren künstlich<br />
aufgerichtete Schranken.<br />
Das Glasperlenspiel schildert Josef Knechts Leben in Kastalien,<br />
einer an das Konzept Goethes angelehnten weltlich-pädagogischen<br />
Gelehrtenprovinz. In Kastalien gibt es einen Orden, der aber keine<br />
Zugehörigkeit zu irgendwelchen Konfessionen aufweist. Hier sammeln<br />
sich Eliteschüler, um ihr Wissen zu vermehren. In der allumfassenden<br />
Zusammenführung von Kunst und Wissenschaft werden politische<br />
oder wirtschaftliche Geschäfte ausgeschlossen. Kastalien wird von<br />
einem übergeordneten Staat materiell abgesichert und unterstützt,<br />
jedoch wirken die Kastalier unabhängig von staatlicher Manipulation<br />
und politischer Zweckentfremdung, ohne nationale und konfessionelle<br />
Einschränkungen, in einer in sich versunkenen, fast „virtuellen“ Welt.<br />
Eine hierarchische Ordnung strukturiert den Orden, in welchen dem<br />
Magister Ludi die Leitung und Weiterentwicklung des Glasperlenspiels,<br />
dem Herzstück Kastaliens, zukommt. Die Entstehung der Provinz und<br />
des Glasperlenspiels gehen auf das von dem fiktiven Literaturhistoriker<br />
Plinius Ziegenhals bezeichnete „feuilletonistische Zeitalter“ zurück, eine<br />
Epoche, die laut Ziegenhals dadurch gekennzeichnet war, dass die Men-<br />
schen sich vom Weltgeschehen abwandten, um sich dem Spiel und dem<br />
Kreuzworträtsel als Zeitvertreib zuzuwenden. Sie spielten um des<br />
„Amusements“ willen, flohen in das Spiel, um ihre Angst vor dem Hun-<br />
ger und dem Tod zu vergessen: Eine bürgerliche Epoche, die letztlich das<br />
Individuum über die Gemeinschaft stellte. Ursprünglich beschränkte<br />
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