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BIBER 11_18 DA_AR (1)

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„<br />

Ich versuche meine<br />

Prinzipien an<br />

meine Schüler-<br />

Innen weiterzugeben,<br />

egal woher<br />

sie kommen oder<br />

wie sie aussehen.<br />

“<br />

Chronologie: Kopftuchverbot in der EU<br />

DEUTSCHLAND:<br />

Bei unseren nördlichen<br />

Nachbarn gibt<br />

es keine einheitliche,<br />

bundesweite Regelung<br />

bezüglich des<br />

Kopftuchtragens in der<br />

Schule. In Bremen ist<br />

es erlaubt, in Berlin<br />

aufgrund des Neutralitätsgesetzes<br />

verboten,<br />

in Bayern wird es von<br />

Fall zu Fall entschieden.<br />

FRANKREICH:<br />

Verbot von allen religiösen<br />

Symbolen an<br />

Schulen am 3.Februar<br />

2004 beschlossen.<br />

BELGIEN:<br />

Kein generelles Kopftuchverbot.<br />

Schulen<br />

dürfen allerdings eines<br />

verhängen.<br />

HOLLAND:<br />

Kein Kopftuchverbot<br />

an öffentlichen Schulen.<br />

Private Schule<br />

dürfen eines verhängen.<br />

DÄNEM<strong>AR</strong>K:<br />

Im Mai 20<strong>18</strong> hat das<br />

dänische Parlament<br />

beschlossen, ein Verbot<br />

des Niqab und der<br />

Burka einzuführen.<br />

URTEIL DES EUROPÄISCHEN GERICHTSHOFS AM 14.MAI 2017<br />

Es wird entschieden, dass ein Arbeitgeber Arbeitnehmern verbieten kann, religiöse Symbole,<br />

also auch das Kopftuch, am Arbeitsplatz zu tragen. Voraussetzung dafür ist jedoch,<br />

dass es kein spezifisches Kopftuchverbot gibt (= Diskriminierung), sondern, dass unter<br />

dem Neutralitätsprinzip alle religiösen Symbole vom Arbeitsplatz verbannt werden.<br />

Arnesa unterrichtet Mathe und Biologie an einer NMS. Sie<br />

dient in ihrer Schule als Vorbild für muslimische Mädchen.<br />

intensiv beleuchtet. Einige Frauen, die im<br />

Zuge der Recherche bereit waren, sich<br />

fotografieren zu lassen, machten plötzlich<br />

wieder einen Rückzug. Wovor haben<br />

diese Frauen Angst?<br />

„IN ÖSTERREICH HABE<br />

MAN SICH ANZUPASSEN.“<br />

„Ich kann die Angst der Lehrerinnen<br />

gut nachvollziehen, weil man Angst um<br />

seinen Job hat“, zeigt sich Hurije verständnisvoll,<br />

als wir ihr erklären, dass sie<br />

zur Minderheit in der Minderheit gehört,<br />

die auch ihr Gesicht in der Öffentlichkeit<br />

zeigt. Die quirlige Wahl-St. Pöltnerin ist<br />

eloquent und schlagfertig. Sie findet es<br />

wichtig, dass Lehrerinnen mit Kopftuch<br />

sichtbar werden – und zwar außerhalb<br />

des Schulbetriebs, wo relativ rasch<br />

jeder vergisst, dass sie das Stück Stoff<br />

auf ihrem Kopf tragen. Sie selbst trägt<br />

das Kopftuch erst seit sechs Jahren,<br />

ihre Familie ist „so wie viele andere<br />

muslimische Familien am Balkan“, so<br />

Hurije. Das heißt, keine Frau habe das<br />

Kopftuch zu Hause getragen, was für<br />

eine sehr liberale Auslegung des Islams<br />

spricht. Trotzdem waren die ersten<br />

Wochen in ihrer neuen Schule mit kaum<br />

muslimischen Schülern eine Herausforderung<br />

und mit vielen Ungewissheiten<br />

verbunden. Hurije musste anfangs in<br />

ihrer Schule vor allem als Islam-Lexikon<br />

und Vorurteilsentkräfterin auftreten.<br />

„Najo, is besser, wenn Sie ka Kopftüchl<br />

trogn, wenn man in Österrich lebt, habe<br />

man sich anzupassen“, sagte ihr mal<br />

ein 14-jähriger Knirps ganz unverblümt.<br />

Zuerst war sie etwas baff, sie erkannte<br />

aber auch anhand des Wordings, dass<br />

der Schüler die Worte des Vaters beim<br />

Abendessen nachplapperte. „Bursche,<br />

das sind nicht deine Worte“, dachte sie<br />

sich. Eine andere Schülerin kam in der<br />

Pause auf sie zu und zeigte Verständnis<br />

für ihr Aussehen. Die 15-Jährige fiel<br />

selbst mit ihren grau-blau gefärbten<br />

Haaren auf und stellte fest: „Fr. Lehrerin,<br />

ich weiß ganz genau, wie Sie sich fühlen.<br />

Mich starren auch alle wegen meiner<br />

Haarfarbe an, wie muss das erst für Sie<br />

als Kopftuchträgerin sein?“ Hurije hat<br />

rasch gelernt mit den Blicken fertigzuwerden,<br />

die Vorurteile nahmen in der<br />

neuen Schule mit jedem Tag immer mehr<br />

ab.<br />

Dabei wäre sie um ein Haar im<br />

10. Bezirk gelandet: „Die Schulleiterin<br />

machte mir während der Einführungstour<br />

ganz klar, dass sie keinesfalls möchte,<br />

dass ich mich mit den Kindern auf<br />

Albanisch oder Türkisch unterhalte.<br />

Dabei habe ich das gar nicht vorgehabt“,<br />

so Hurije achselzuckend. Am nächsten<br />

Tag die überraschende Absage, obwohl<br />

die Direktorin im ersten persönlichen<br />

Gespräch noch betonte, wie sehr sie<br />

unter dem Lehrermangel leiden würde.<br />

Die Absage sollte sich als Glücksgriff für<br />

Hurije herausstellen. Sie wurde einer<br />

Schule mit vorwiegend österreichischen<br />

Kindern zugewiesen. Donaustadt statt<br />

Favoriten, Vorstadtidyll statt Migrantenbezirk.<br />

MIT KOPFTUCH IN<br />

MIGRANTENSCHULE<br />

In Gegensatz zu Hurije unterrichtet Arbnesa<br />

viele SchülerInnen mit islamischem<br />

Glauben in einem stark von Migranten<br />

bewohnten Bezirk. Sie ist gerade in ein<br />

Schulbuch vertieft, als wir sie in einem<br />

Wiener Café treffen. „Ich bereite gerade<br />

die nächsten Hausaufgaben für meine<br />

SchülerInnen vor“, verrät sie uns,<br />

während sie ihren Turban zurechtzupft.<br />

Die 24-Jährige unterrichtet seit drei<br />

Jahren an einer Wiener NMS Deutsch,<br />

Biologie und Turnen. Arbnesa machte<br />

sich anfangs viele Sorgen, wie sie mit<br />

ihrem Kopftuch aufgenommen wird.<br />

In der ersten Stunde stand sie vor der<br />

Klasse und es war ganz ruhig, wie sonst<br />

nur bei Schularbeiten. Sie sah förmlich<br />

die Fragezeichen über den Köpfen der<br />

SchülerInnen. „Sind Sie nicht die Islamlehrerin?“,<br />

aber vor allem: „Wer ist diese<br />

junge Lehrerin?“, oder „Zeigen Sie uns<br />

Hurije musste<br />

anfangs in ihrer<br />

Schule vor allem<br />

als Islam-Lexikon<br />

und Vorurteilsentkräfterin<br />

auftreten.<br />

Ihre Haare?“, waren die Fragen, die ihr<br />

gestellt wurden. Ein muslimischer Vater,<br />

dessen Tochter kein Kopftuch trägt,<br />

kam bald auf sie zu, schüttelte ihr die<br />

Hand und freute sich darüber, dass auch<br />

muslimische Lehrerinnen in der Schule<br />

arbeiten. Die ihr damals nicht bewusste<br />

Vorbildfunktion wurde durch Gespräche<br />

mit anderen Mädchen unterstrichen. Sie<br />

fragten Arbnesa, wie sie es geschafft<br />

habe, mit Kopftuch zu unterrichten. Sie<br />

lauschten mit weit aufgerissenen Augen<br />

ihren Erzählungen und waren stolz, von<br />

ihr unterrichtet zu werden. Arbnesa teilt<br />

diesen Stolz und betont, für alle Kinder<br />

ein Vorbild sein zu wollen, nicht nur für<br />

die muslimischen: „Ich versuche, meine<br />

Prinzipien an meine SchülerInnen weiterzugeben,<br />

egal woher sie kommen oder<br />

wie sie aussehen.“ Das Thema Islam also<br />

nur eine Randnotiz im Unterricht?<br />

„Ich wollte den Kindern zeigen, dass<br />

man als Muslima genauso fähig wie der<br />

Rest der Bevölkerung ist. Und ich wollte<br />

zeigen, dass Frauen mit Kopftuch nicht<br />

fremdbestimmt und passiv sind, sondern<br />

erfolgreich Karriere machen können“, so<br />

Arbnesa. „Ist Ihnen unter dem Kopftuch<br />

nicht heiß?“, oder „Welche Haarfarbe<br />

haben Sie eigentlich?“ überdeckten die<br />

politischen Fragen, die im Schulalltag<br />

unbedeutsam zu sein scheinen. Hurije<br />

schlägt da in die gleiche Kerbe, wobei sie<br />

das Kopftuch auch mal als Witzequelle<br />

gebrauchte. „Ich schrieb etwas auf die<br />

Tafel und merkte, dass hinter meinem<br />

Rücken getuschelt wurde. Daraufhin<br />

drehte ich mich um und sagte: „Ich<br />

weiß, ihr seht keine Ohren, aber ich habe<br />

welche“, erinnert sie sich. Der angesprochene<br />

Schüler war kurz perplex, bevor<br />

Gelächter im Klassenraum ausbrach.<br />

„Ich habe versucht, sehr offen mit dem<br />

Thema umzugehen. Durch die Flucht<br />

nach vorne konnte ich relativ schnell<br />

das Vertrauen der Schüler gewinnen“,<br />

berichtet Hurije über ihr Erfolgsgeheimnis.<br />

Arbnesa konnte Mädchen mit Kopftuch<br />

beispielsweise gute Tipps geben,<br />

wie sie ihr Kopftuch befestigen, ohne<br />

die für Turnen gefährlichen Nadeln zu<br />

verwenden. Einmal dachten alle, ein Kind<br />

würde keine kurze Hose tragen wollen<br />

aus religiösen Gründen. Nach einem vertraulichen<br />

Gespräch mit Arbnesa stellte<br />

sich heraus, dass das Kind ein Problem<br />

mit seinem Körper hatte und die Weigerung<br />

am Turnunterricht teilzunehmen<br />

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