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„SCHEISS AUF<br />
DEN SPRACHKURS,<br />
LERN’S IN DEN<br />
STREETS“<br />
Fremdsprachen lernen<br />
im Fußballkäfig, auf der<br />
Baustelle oder beim Chillen mit<br />
Freunden? Willkommen in der<br />
„Sprachschule der Straße“.<br />
Von Šemsa Salioski, Fotos: Soza Al Mohammad<br />
Im Park kannst du Fußball spielen,<br />
aber auch eine neue Sprache lernen<br />
Wallah brate, ich schwöre!“ dröhnt es aus dem<br />
Fußballkäfig neben meinem Wohnblock in<br />
Wien Brigittenau. Der Sprachenmix ist hier<br />
ur normalno, oder? Naja, für mich schon. Ich<br />
komme in meine Wohnung und werde von meinem älteren<br />
Bruder grinsend mit den Worten „Ho much wu?“ begrüßt.<br />
„Wo hast du das schon wieder her?“, will ich wissen. „Na aus<br />
dem Fitnesscenter. Von den Tschetschenen.“, antwortet er.<br />
Wie ich später erfahre, bedeutet es „Wie geht’s dir?“ – in der<br />
Form allerdings nur, wenn man einen Mann anspricht. Kein<br />
Wunder, wenn er es von seinen Brudis aus dem Fitnesscenter<br />
kennt. Das ist nicht das erste Mal, dass mein Bruder mich<br />
mit einer Begrüßung in einer mir nicht bekannten Sprache<br />
überrascht: Er besitzt davon ein breites Repertoire. Gelernt<br />
hat er das alles nicht in einem Fremdsprachenkurs oder im<br />
Ausland, sondern hier, in der Brigittenau, auf der Straße.<br />
Beim Fußballspielen oder beim Chillen im Park hat er sich<br />
als Jugendlicher Redewendungen und Ausdrücke aus den<br />
verschiedensten Winkeln der Erde angeeignet. Da können<br />
kleine Fehler, wie seine Schwester mit der männlichen<br />
Form anreden, schon passieren. Politische<br />
Korrektheit ist hier sowieso nicht an erster<br />
Stelle: Sein „bester arkadaş“ (türk. „bester<br />
Freund) aus der Teenie-Zeit nannte ihn<br />
damals zum Spaß den „hellen Türken“, weil<br />
er die türkische Sprache für einen Mazedonier<br />
mit albanischen Wurzeln überraschend<br />
fehlerfrei beherrscht hat. Das liegt mittlerweile<br />
einige Jahre zurück, meinen Bruder<br />
findet man heute eher auf der Uni als im<br />
Fremdsprachen,<br />
die man durch<br />
Freunde lernt,<br />
können einen in<br />
der Arbeitswelt<br />
weiterbringen.<br />
Käfig. Aber was bleibt, das bleibt: Oft höre ich ihn heute<br />
noch mit seinen ganzen „bratkos“ ständig auf „bosanski“<br />
telefonieren. Sprachenvielfalt steht bei uns an der Tagesordnung.<br />
Und damit sind wir nicht alleine.<br />
Laut einer Studie der Statistik Austria liegt die Anzahl der<br />
Wiener Bevölkerung mit Migrationshintergrund bei 43,9%.<br />
Dazu zählen Zuwanderer der 1., sowie der 2. Generation.<br />
Ganz oben auf der Rangliste, der in Österreich am meisten<br />
gesprochenen Sprachen, befinden sich Bosnisch-Kroatisch-<br />
Serbisch, Türkisch, Ungarisch, Slowenisch, Polnisch, Rumänisch<br />
und Arabisch. Insgesamt werden hierzulande um die<br />
250 Sprachen gesprochen.<br />
DER TSCHECHISCHE<br />
FUSSBALLPLATZ IN ÖSTERREICH<br />
Dass Fremdsprachen, die man durch Freunde lernt, einen in<br />
der Arbeitswelt weiterbringen, sieht man auch am 21-jährigen<br />
Kroaten Daniel.<br />
„Ich habe in der Nähe der tschechischen Grenze Fußball<br />
gespielt, genauer gesagt in Mistelbach und Poysdorf“,<br />
erzählt er. Aufgrund der Lage gab es viele<br />
Tschechen in den Mannschaften, die nur<br />
wenig Deutsch verstanden haben. Deswegen<br />
hat Daniel anfangs mit ihnen eine<br />
Mischung aus Kroatisch und Deutsch geredet.<br />
Nach einer Weile haben sie ihm immer<br />
mehr tschechische Ausdrücke beigebracht.<br />
„Ich habe Tag für Tag mindestens<br />
ein neues Wort oder einen neuen Satz<br />
gehört. So wie bei jeder neuen Sprache<br />
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