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Berliner Kurier 20.01.2019

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17<br />

London, Stadtteil Enfield, Underground-Station Arnos Grove<br />

Fotos: Jean Molitor (8), zvg<br />

Guatemala-Stadt,Garage mit Formen wie ein Hochseedampfer<br />

Löbau in Sachsen, Villa Schminke, 1933 vonHans Scharoun erbaut<br />

Molitorserstes Architekturmotiv: Kriegsruine Kabul,Kino„Barikot“ von1940<br />

Moskau, Arbeiterklub, mit monumentalen, fast brutalistischen Zügen<br />

TelAviv,Bootshaus an den Eckendes Levanda und der HaMasger-Straße<br />

sitvisum beanstandete. Oder<br />

auf Kuba. Da drohte ihm gar die<br />

Verhaftung. Das war vor Jahren.<br />

Inzwischen kann er Spanisch,<br />

jetzt arbeitet es sich dort<br />

viel entspannter.<br />

Afrika ist noch immer abenteuerlich.<br />

Auf einer Fahrt in<br />

den Niger öffnete ein Zöllner<br />

den Foto-Koffer, die ganze<br />

Technik drin. Der über zwei<br />

Meter große Uniformierte sagte<br />

ungerührt: „Ist nicht deins!“<br />

Stand dann schweigend da,<br />

guckte starr in die Ferne.<br />

Gleich würde der Flieger weg<br />

sein. Der Riese aber stand noch<br />

immer, eine drohende Salzsäule.<br />

Minuten wurden zu Stunden.<br />

Plötzlich bewegte der Hüne<br />

leicht die Hand: Die Geste<br />

besagte: „Hau ab!“ Einfach so.<br />

Zurück inBerlin fotografierte<br />

MolitorHäuserdes Stilsder frühen<br />

Moderne in seiner Stadt,<br />

dann in Potsdam, in ganz<br />

Deutschland, europaweit, in Israel.<br />

Viele dieser Bauten sind<br />

sehr bekannt, geradezu Ikonen<br />

des Neuen Bauens. „Nach und<br />

nach ging ichnichtmehr so spontan<br />

und naiv,sondern systematischer<br />

vor“, berichtet Molitor. Er<br />

recherchiert nunintensiv, bevor<br />

er losfährt.<br />

UnderhatinzwischeneinriesigesNetzwerk:<br />

Freunde, Verbündete,dieihmTipps,Fotos,Adressen<br />

senden. Oft findet er seine<br />

Motive an Orten, wo er solche<br />

Bauten nie vermutet hätte. In einemMoskauer<br />

Stadtviertelsteht<br />

das marode Haus des Architekten<br />

derrussischen Moderne,des<br />

RationalistenMelnikow. Der Enkel<br />

wohnt darin. Molitor, der<br />

Russisch kann, erfuhr, dass der<br />

alte Mann kein Geld zu sanieren<br />

und die Stadt null Interesse hat.<br />

So droht wohl der Abriss. Vergangen.<br />

Vergessen. Molitors BilderbewahrenErinnerung<br />

an eine<br />

soziale Utopie.<br />

Der Einsteinturm bei Potsdam,<br />

das erlebte er am Bosporus,<br />

hat einen Verwandten: das<br />

Istanbuler Observatorium. Der<br />

Fotograf fand vom Bauhaus inspirierte<br />

Häuser als Garage und<br />

als Klinik in Guatemala-Stadt,<br />

als Feuerwache in Miami, als<br />

völlig marodes Kino in Beirut,<br />

als Wohnhaus in Casablanca,<br />

als Kino in Tanger, als Kirche<br />

im Kongo, als Hotel in Burundi,<br />

als Schule in Kambodscha, als<br />

Bankhaus in Indonesien. Da ist<br />

diese Aufnahme von einem<br />

Pförtnerhaus im indischen<br />

Alang, am Golf von Khambhat.<br />

Wer ließ sich das bauen?<br />

Noch fand Molitor die Antwort<br />

nicht. Der Dichter Rabindranath<br />

Tagore hatte in den 20er-<br />

Jahren das Bauhaus besucht.<br />

Und Le Courbusier entwarf das<br />

Ghandi-Haus der Pandschab-<br />

Universität.<br />

Aus allen Teilen Europas<br />

brachten Geschäftsleute, Auswanderer,<br />

Emigranten den architektonischen<br />

Zeitgeist in die<br />

Welt. Was Molitor weltweit fotografierte,<br />

sieht er als Strömungen.<br />

Da sind die Ikonen:<br />

Werkbund, Bauhaus, Konstruktivismus,<br />

Neue Sachlichkeit.<br />

Deren Protagonisten bekamen<br />

nationale wie internationale<br />

Aufträge. Dann gab es das<br />

Bauen „von der Stange“, Nachgebautes.<br />

Und da sind die Spuren<br />

und Zeichen der Diaspora,<br />

der unter der Nazi-Diktatur ins<br />

Exil getriebenen Baumeister.<br />

Jean Molitors fotografische<br />

Weltreise dauert schon Jahre.<br />

Wir machen sie nun im Schnelldurchgang.<br />

Sein Lehrer Arno<br />

Fischer wäre zufrieden mit seinem<br />

einstigen Schüler. Molitor<br />

fehlte nach dem Mauerfall öfter<br />

mal in der Schule; er war in der<br />

Welt unterwegs. „Aber ein Fotograf,<br />

der hinterm Ofen<br />

hockt“, pflegte Fischer zu sagen,<br />

„ist keiner.“<br />

Ingeborg Ruthe<br />

Die Ausstellung „bau1haus –<br />

Die Moderne in der Welt.Eine<br />

fotografische Weltreise von Jean<br />

Molitor“ ist bis zum 14. Märzim<br />

Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr.28,<br />

zu sehen; Dienstag bis<br />

Sonntag, 12 bis 18 Uhr.Eintritt frei,<br />

Ausweis erforderlich.<br />

Der Katalog zur Ausstellung<br />

erschien bei Hatje Cantz (40 Euro),<br />

das Fachbuch der Architekturhistorikerin<br />

Kaija Voss im Bebra-<br />

Verlag/Texte (46 Euro).<br />

Infos: www.bauhausmoderne.org,<br />

www.jean.molitor.photography

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