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London, Stadtteil Enfield, Underground-Station Arnos Grove<br />
Fotos: Jean Molitor (8), zvg<br />
Guatemala-Stadt,Garage mit Formen wie ein Hochseedampfer<br />
Löbau in Sachsen, Villa Schminke, 1933 vonHans Scharoun erbaut<br />
Molitorserstes Architekturmotiv: Kriegsruine Kabul,Kino„Barikot“ von1940<br />
Moskau, Arbeiterklub, mit monumentalen, fast brutalistischen Zügen<br />
TelAviv,Bootshaus an den Eckendes Levanda und der HaMasger-Straße<br />
sitvisum beanstandete. Oder<br />
auf Kuba. Da drohte ihm gar die<br />
Verhaftung. Das war vor Jahren.<br />
Inzwischen kann er Spanisch,<br />
jetzt arbeitet es sich dort<br />
viel entspannter.<br />
Afrika ist noch immer abenteuerlich.<br />
Auf einer Fahrt in<br />
den Niger öffnete ein Zöllner<br />
den Foto-Koffer, die ganze<br />
Technik drin. Der über zwei<br />
Meter große Uniformierte sagte<br />
ungerührt: „Ist nicht deins!“<br />
Stand dann schweigend da,<br />
guckte starr in die Ferne.<br />
Gleich würde der Flieger weg<br />
sein. Der Riese aber stand noch<br />
immer, eine drohende Salzsäule.<br />
Minuten wurden zu Stunden.<br />
Plötzlich bewegte der Hüne<br />
leicht die Hand: Die Geste<br />
besagte: „Hau ab!“ Einfach so.<br />
Zurück inBerlin fotografierte<br />
MolitorHäuserdes Stilsder frühen<br />
Moderne in seiner Stadt,<br />
dann in Potsdam, in ganz<br />
Deutschland, europaweit, in Israel.<br />
Viele dieser Bauten sind<br />
sehr bekannt, geradezu Ikonen<br />
des Neuen Bauens. „Nach und<br />
nach ging ichnichtmehr so spontan<br />
und naiv,sondern systematischer<br />
vor“, berichtet Molitor. Er<br />
recherchiert nunintensiv, bevor<br />
er losfährt.<br />
UnderhatinzwischeneinriesigesNetzwerk:<br />
Freunde, Verbündete,dieihmTipps,Fotos,Adressen<br />
senden. Oft findet er seine<br />
Motive an Orten, wo er solche<br />
Bauten nie vermutet hätte. In einemMoskauer<br />
Stadtviertelsteht<br />
das marode Haus des Architekten<br />
derrussischen Moderne,des<br />
RationalistenMelnikow. Der Enkel<br />
wohnt darin. Molitor, der<br />
Russisch kann, erfuhr, dass der<br />
alte Mann kein Geld zu sanieren<br />
und die Stadt null Interesse hat.<br />
So droht wohl der Abriss. Vergangen.<br />
Vergessen. Molitors BilderbewahrenErinnerung<br />
an eine<br />
soziale Utopie.<br />
Der Einsteinturm bei Potsdam,<br />
das erlebte er am Bosporus,<br />
hat einen Verwandten: das<br />
Istanbuler Observatorium. Der<br />
Fotograf fand vom Bauhaus inspirierte<br />
Häuser als Garage und<br />
als Klinik in Guatemala-Stadt,<br />
als Feuerwache in Miami, als<br />
völlig marodes Kino in Beirut,<br />
als Wohnhaus in Casablanca,<br />
als Kino in Tanger, als Kirche<br />
im Kongo, als Hotel in Burundi,<br />
als Schule in Kambodscha, als<br />
Bankhaus in Indonesien. Da ist<br />
diese Aufnahme von einem<br />
Pförtnerhaus im indischen<br />
Alang, am Golf von Khambhat.<br />
Wer ließ sich das bauen?<br />
Noch fand Molitor die Antwort<br />
nicht. Der Dichter Rabindranath<br />
Tagore hatte in den 20er-<br />
Jahren das Bauhaus besucht.<br />
Und Le Courbusier entwarf das<br />
Ghandi-Haus der Pandschab-<br />
Universität.<br />
Aus allen Teilen Europas<br />
brachten Geschäftsleute, Auswanderer,<br />
Emigranten den architektonischen<br />
Zeitgeist in die<br />
Welt. Was Molitor weltweit fotografierte,<br />
sieht er als Strömungen.<br />
Da sind die Ikonen:<br />
Werkbund, Bauhaus, Konstruktivismus,<br />
Neue Sachlichkeit.<br />
Deren Protagonisten bekamen<br />
nationale wie internationale<br />
Aufträge. Dann gab es das<br />
Bauen „von der Stange“, Nachgebautes.<br />
Und da sind die Spuren<br />
und Zeichen der Diaspora,<br />
der unter der Nazi-Diktatur ins<br />
Exil getriebenen Baumeister.<br />
Jean Molitors fotografische<br />
Weltreise dauert schon Jahre.<br />
Wir machen sie nun im Schnelldurchgang.<br />
Sein Lehrer Arno<br />
Fischer wäre zufrieden mit seinem<br />
einstigen Schüler. Molitor<br />
fehlte nach dem Mauerfall öfter<br />
mal in der Schule; er war in der<br />
Welt unterwegs. „Aber ein Fotograf,<br />
der hinterm Ofen<br />
hockt“, pflegte Fischer zu sagen,<br />
„ist keiner.“<br />
Ingeborg Ruthe<br />
Die Ausstellung „bau1haus –<br />
Die Moderne in der Welt.Eine<br />
fotografische Weltreise von Jean<br />
Molitor“ ist bis zum 14. Märzim<br />
Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr.28,<br />
zu sehen; Dienstag bis<br />
Sonntag, 12 bis 18 Uhr.Eintritt frei,<br />
Ausweis erforderlich.<br />
Der Katalog zur Ausstellung<br />
erschien bei Hatje Cantz (40 Euro),<br />
das Fachbuch der Architekturhistorikerin<br />
Kaija Voss im Bebra-<br />
Verlag/Texte (46 Euro).<br />
Infos: www.bauhausmoderne.org,<br />
www.jean.molitor.photography