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32 REISE<br />
BERLINER KURIER, Sonntag, 20. Januar 2019<br />
Wo die Queen auf<br />
Klorollen blickt<br />
Die Loo-Tour durch das Zentrum Londons ist ein so informativer wie<br />
derb-komischer Streifzug durch die Kanalisations- und Toilettengeschichte<br />
Die Leute schauen Amber Loo<br />
immer wieder sichtbar irritiert<br />
hinterher. Die meisten<br />
können sich ein Grinsen nicht<br />
verkneifen. Und wenn man<br />
nicht weiß, worum es eigentlich<br />
geht, wirkt es durchaus<br />
ein bisschen irre, dass die 40-<br />
Jährige durch London läuft<br />
und dieses Teil herumschwingt:<br />
diesen Pömpel, der<br />
auch Pümpel oder auf Englisch<br />
Plunger genannt wird,<br />
also diese Gummi-Saugglocke,<br />
mit der man normalerweise<br />
lästige Toilettenverstopfungen<br />
beseitigt.<br />
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Ambers Exemplar ist allerdings<br />
nicht rot, sondern blau. Außerdem<br />
hat sie es rundherum mit<br />
Plastikedelsteinen aufgehübscht.<br />
Schließlich blieb ihrem<br />
Pömpel das Schicksal der profanen<br />
Toilettenverwendung erspart.<br />
Stattdessen verwendet sie<br />
ihn auf ihrer Tour wie andere<br />
Fremdenführer ihr Fähnchen –<br />
ganz ihrem Thema angepasst.<br />
Denn Amber erzählt, was<br />
sonst ganz diskret verschwiegen<br />
wird oder wo andere gern<br />
die Nase rümpfen. Es geht um<br />
die Londoner Kanalisationsgeschichte<br />
und eine kleine Kulturhistorie<br />
der Toilette in der<br />
britischen Hauptstadt. Dafür<br />
folgen ihr heute eine Handvoll<br />
Leute auf der Loo-Tour, die<br />
passenderweise ander Waterloo<br />
Station beginnt und bis zu<br />
einer Cocktailbar im West End<br />
führt, die früher mal eine öffentliche<br />
Toilette war.<br />
Die üblichen Sehenswürdigkeiten<br />
werden entsprechend<br />
zur Nebensache. Big Ben und<br />
Houses of Parliament? Sind<br />
zwar in Sichtweite, aber keiner<br />
Erwähnung wert. Trafalgar<br />
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Square? Wird links liegen gelassen.<br />
Das Riesenrad London<br />
Eye? Davorwird viel lieber die<br />
Toilette besucht, die vor fünf<br />
Jahren zum Diamond Jubilee<br />
der Queen errichtet wurde.<br />
Dort arbeitet sich Amber an<br />
der Schlange mit Touristen<br />
vorbei, die aus den gängigen<br />
Gründen anstehen und nach<br />
und nach in den Kabinen verschwinden.<br />
Ambers Gefolgschaft hingegen<br />
macht im Toilettenhaus Erinnerungsfotos:<br />
Von der Queen, die<br />
staatstragend aus einem Porträt<br />
zwischen zwei Toilettentüren<br />
heraus auf einen Haufen gestapelter<br />
Klorollen blickt. Und vom<br />
womöglich patriotischsten Örtchen<br />
des VereintenKönigreichs,<br />
in dem der Union Jack den Deckel<br />
genauso ziert wie den Spiegel.<br />
„Über eine Million Besucher<br />
benutzen diese Toilette. Sie ist<br />
nicht nur immer sehr sauber,<br />
sondern auch umweltfreundlich,<br />
denn gespült wird mit Regenwasser“,<br />
sagt Amber Loo, eine<br />
gebürtige Texanerin, die eigentlich<br />
Amber Raney-Kincade heißt<br />
und seit 16 Jahren in London<br />
lebt. Dieser moderne Toilettentempel<br />
reicht vielleicht nicht<br />
ganz an königliche Standards<br />
heran; für eine öffentliche Bedürfnisanstalt<br />
allerdings ist er so<br />
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Da lächelt selbst die Queen: In<br />
dieser Toilette ist alles blitzsauber.<br />
komfortabel, wie man es für<br />
den Eintrittspreis von 50<br />
Pence auch erwarten kann.<br />
Auch über die Historie hinaus<br />
sprudelt Amber Loo auf<br />
dem Rundgang nur so vor allerlei<br />
obskuren Fakten rund<br />
ums Örtchen. Sie erzählt von<br />
Dienern, die einst die Sitze<br />
aus kühlem Marmor anwärmten.<br />
Oder zeigt modernste<br />
Pissoirs, die sich<br />
tagsüber unter einem Gullideckel<br />
verstecken, abends<br />
aber aus dem Boden gefahren<br />
werden. Außerdem gibt sie<br />
einen Einblick in die Politik<br />
und das Geschäft mit dem<br />
Geschäft. All das trägt sie mit<br />
einem entsprechenden Pee-<br />
Poo-Humor vor. Derb und<br />
furchtlos –nicht nur wenn<br />
sie so komisch wie anschaulich<br />
zeigt, wie sich die Menschen<br />
früher mit einem<br />
Schwamm am Stock abgewischt<br />
haben.<br />
Bei aller Leidenschaft für<br />
das Toilettenthema: Initiatorin<br />
der Loo-Tour war Amber<br />
aber nicht. Das war vielmehr<br />
die Idee ihrer Freundin Rachel,<br />
die es entsetzlich fand,<br />
in so vielen öffentlichen Toiletten<br />
bezahlen zu müssen.<br />
Also suchte sie nach kostenlosen<br />
Möglichkeiten, versenkte<br />
sich in die Materie<br />
und teilte ihr angehäuftes<br />
Toiletten-Wissen schließlich<br />
erst mit einer Freundin und<br />
dann auf ihren Loo-Tours.<br />
Vor etwas mehr als einem<br />
Jahr hörte sie damit auf und<br />
überreichte die Saugglocke<br />
an ihre Nachfolgerin Amber.<br />
„In den vergangenen zehn<br />
Jahren wurden sicherlich um<br />
die 40 Prozentder kostenlosen<br />
Toiletten geschlossen“, sagt<br />
die Fremdenführerin. In der<br />
Royal Festival Hall am Southbank-Ufer<br />
der Themse gebe es<br />
aber sechs Stockwerke mit<br />
Gratis-Klos. Die Damen-Toi-