Berliner Kurier 26.01.2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
SEITE21<br />
BERLINER KURIER, Sonnabend, 26. Januar 2019<br />
Oben: Mohammad<br />
beim Gewichtheben<br />
für die<br />
Sprungkraft.<br />
Mitte: „Gewinner<br />
werden im Winter<br />
gemacht“, sagt der<br />
Coach. Im<br />
Sportforum<br />
Hohenschönhausen<br />
trainieren<br />
die Athleten<br />
vomACBerlin<br />
regelmäßig mit<br />
Lutz Kramer (u.).<br />
Mohammad Amin Alsalami<br />
trainierthart, denn er will<br />
im September bei der WM<br />
in Katarstarten. Für<br />
Syrien, denn einen<br />
deutschen Pass hat der<br />
Asylbewerber nicht.<br />
Von<br />
STEFANIE HLDEBRANDT<br />
Er sprang, als in Aleppo<br />
die Granaten flogen. Er<br />
sprang, nachdem ihm<br />
die Ärzte nach einer<br />
schweren Verletzung gesagt<br />
hatten, er könne froh sein, je<br />
wieder laufen zu können. Mohammad<br />
Amin Alsalami (24) ist<br />
Syriens bester Weitspringer<br />
und er ist ein verdammt zähes<br />
Stehaufmännchen. Wenn man<br />
das bei 1,86 Meter Körpergröße<br />
sagen darf.<br />
In seiner Heimat hat Mohammad<br />
alles verloren. In Berlin tut<br />
er alles für eine Zukunft als<br />
Leistungssportler, kämpft sich<br />
mit der Hilfe seines Coaches<br />
aus dem Flüchtlingsheim und<br />
trainiertfür seinen wichtigsten<br />
Sprung. Den in ein neues Leben<br />
–inDeutschland.<br />
Vor drei Jahren, drei Monaten<br />
und 16 Tagen kam Mohammad<br />
in Berlin an. Mit wenig Gepäck<br />
und randvoll mit Hoffnung.<br />
Von seiner Notunterkunft,<br />
wo er mit Hunderten in<br />
einer leerstehenden Fabrikhalle<br />
in Spandau hauste, machte er<br />
sich gleich in den ersten Wochen<br />
auf den Weg.<br />
Fotos: Thomas Uhlemann<br />
Mit der Bahn und zu Fuß quer<br />
durch die fremde Stadt ins<br />
Sportforum Hohenschönhausen.<br />
Er spricht zwar kein Englisch,<br />
kein Deutsch, aber so viel<br />
hat er mitgekriegt: Dort trainieren<br />
die Großen.<br />
Keiner stellt Fragen, als Mohammad<br />
in die Halle kommt.<br />
Sich am Rande der Flächen umzieht,<br />
sich warm macht. Die<br />
zwei Gruben voller Sand locken<br />
ihn, da willhin, da muss er hin.<br />
„Ich kam da rein und es war wie<br />
ein Paradies für Sportler“, erinnert<br />
sich Mo, wie sie ihn hier<br />
heute alle nennen.<br />
Er läuft sich ein, macht Einbeinsprünge.<br />
Und er bemerkt<br />
die Blicke des Trainers in der<br />
blauen Jacke. Es ist wie beim<br />
Flirten. Taxierende Blicke,<br />
Herzklopfen. Liebe auf den ersten<br />
Blick? Weitsprung-Coach<br />
Lutz Kramer vom Leichtathletikclub<br />
AC Berlin fackelt nicht<br />
lange. Er geht zu dem Jungen,<br />
der da ohne Harke in seiner<br />
Grube unterwegs ist und zählt<br />
ihn an. Per Handyübersetzer<br />
sagt Mohammad, was er will:<br />
„Weitspringer aus Aleppo<br />
sucht Trainer“. „Morgen früh<br />
um acht Uhr bist du wieder<br />
hier“, tippt Lutz Kramer zurück.<br />
Mohammad ist fast<br />
pünktlich.<br />
Dass Mohammad ein Ausnahmetalent<br />
im Weitsprung ist, hat<br />
Lutz Kramer, der in seinem<br />
Verein die Abteilung Leichtathletik<br />
leitet, sofort erkannt.<br />
„Irre Technik, Sprungintelligenz,<br />
Gefühl“, sagt er. Kramer<br />
ist kein Mann der schwülstigen<br />
Übertreibung. Eher der Typ<br />
knallharter Ost-Coach. Aber<br />
wenn er von Mohammad<br />
spricht, Sprungsequenzen am<br />
PC zeigt, kommt er ins Schwärmen.<br />
Dabei hat Mohammad erst<br />
spät sein Talent für die Leichtathletik<br />
erkannt. In der 9. Klasse<br />
nimmt er in seiner Heimatstadt<br />
Aleppo zum ersten Mal an<br />
einem Wettkampf teil. Einmal<br />
die Woche geht der damals 15-<br />
Jährige zum Training und<br />
steckt seine Konkurrenten in<br />
die Tasche. Bei den Ü18-Südasienmeisterschaften<br />
im Libanon<br />
schnuppert er erstmals internationale<br />
Wettkampfluft.<br />
Zwei Jahre später liegt<br />
Brandgeruch über seiner Heimatstadt.<br />
Der Syrien-Krieg beginnt,<br />
doch Mohammad geht<br />
weiter zum Training. In der<br />
zweigeteilten Stadt Aleppo bekriegen<br />
sichAssad-Gegner und<br />
Assad-Anhänger. Eine große<br />
Straße fungiert als Demarkationslinie.<br />
Täglich überquert<br />
Mohammad sie, um zum Training<br />
zu kommen. Vor Sonnenuntergang<br />
muss er wieder zu<br />
Hause sein, oder bei Freunden<br />
übernachten.<br />
Als der Alltag in der Stadt immer<br />
gefährlicher wird, beschließt<br />
Mohammads Familie,<br />
in die Türkei zu gehen. Doch<br />
Mohammad will weiter springen.<br />
Er bleibt allein zurück,<br />
kämpft seinen eigenen Fight,<br />
während sein Land in Trümmer<br />
fällt. Hochs und Tiefs: Einmal<br />
pfeift ein Blindgänger<br />
knapp an seiner Hand vorbei,<br />
als er auf der Bahn draußen<br />
trainiert. Ein anderes Mal<br />
kommt das Glück in Form einer<br />
Einladung aus Damaskus.<br />
Mohammad darf in der Nationalmannschaft<br />
trainieren,<br />
wenn er mindestens sieben Meter<br />
weit springt, heißt es darin.<br />
Mit einem Satz von 7,14 Metern<br />
ist er dabei.<br />
Doch in Syrien hat Mohammad<br />
keine Zukunft. Ständig besteht<br />
die Gefahr, zum Militär<br />
eingezogen zu werden. Der<br />
Krieg will einfach nicht enden.<br />
Der junge Mann vermisst seine<br />
Familie und folgt ihr schließlich<br />
in die Türkei. Hier könnte<br />
er ein Auskommen im Geschäft<br />
seiner Eltern finden. Er hat<br />
Schneidern gelernt. „Ich kann<br />
dir heute noch eine Jeans nähen“,<br />
sagt er und grinst. Doch er<br />
will mehr, will weiter kommen,<br />
weiter springen.<br />
Also betritt Mohammad im<br />
Frühherbst 2015 ein neun Meter<br />
langes Schlauchboot, über<br />
dessen Gummiwände das Wasser<br />
schwappt, während es stundenlang<br />
durchs Mittelmeer<br />
schaukelt. Als seine Füße auf einer<br />
griechischen Insel zum ersten<br />
Mal Europa betreten, weiß<br />
er, das Schlimmste ist vorüber.<br />
Gemeinsam mit Hunderten anderen<br />
macht er sich zu Fuß, per<br />
Bus und per Anhalter auf den<br />
Weg nach Norden. „Wir haben<br />
gescherzt, gelacht, den ganzen<br />
langen Weg.“<br />
Mohammad ist angekommen.<br />
In Berlin und auch in seinem<br />
neuen Club in Hellersdorf.<br />
Schnell merken sie hier, dass<br />
Mo mehr kann. In Berlin kann<br />
niemand Mo das Wasser reichen.<br />
Bis zur Regionalliga darf<br />
der Syrer antreten, für die<br />
Deutsche Meisterschaft fehlt<br />
nicht die Weite, sondern der<br />
deutsche Pass.<br />
Lutz Kramer setzt sich für seinen<br />
Schützling ein, sorgt dafür,<br />
dass er in eine bessere Flüchtlingsunterkunft<br />
ziehen kann,<br />
wo er ein Zimmer für sich allein<br />
hat. Mehrmals in der Woche<br />
kommt Mo jetzt zum Training<br />
nach Hohenschönhausen.<br />
Es läuft gut für den jungen<br />
Mann. Bis ausgerechnet beim<br />
Fußballspielen zum Aufwärmen<br />
ein folgenschwerer Unfall<br />
passiert. Mohammad stürzt<br />
über seine eigenen Füße und<br />
fällt so unglücklich, dass erst<br />
sein Knie auskugelt, dann die<br />
Hüfte aus der Gelenkpfanne<br />
springt. Auf dem Weg in Krankenhaus<br />
wird er fast wahnsinnig<br />
vor Schmerz. Und wäre das<br />
noch nicht genug Pech, geht bei<br />
der OP alles schief.<br />
Der Oberschenkelkopf bricht<br />
ab, Mohammads Bein muss aufwendig<br />
wieder zusammen geflickt<br />
werden. Die Ärzte machen<br />
dem Sportler wenig Hoffnung.<br />
Eine befreundete Ärztin<br />
sagt seinem Coach Kramer, Mo<br />
könne froh sein, wenn er je wieder<br />
normal laufen könne. Springen?<br />
Niemals.<br />
Mohammad ist verzweifelt.<br />
Das, was seine Zukunft hätte<br />
sein sollen, sein Bein, ist ein<br />
Trümmerhaufen, dünn und<br />
schwach. Monatelang kommt<br />
er nicht zum Training nach<br />
Hellersdorf, lässt er nichts von<br />
sich hören.<br />
Doch im Mai 2017, fünf Monate<br />
nach dem Unfall ist Mo wieder<br />
da. In Jeans und nur aus<br />
Jux springt er beim Sportfest<br />
des Vereins aus dem Stand 6,87<br />
Meter. „Am nächsten Tag war<br />
er wieder dabei“, sagt Lutz Kramer.<br />
Kramer war über acht Jahre<br />
lang Bundestrainer für Leichtathletik<br />
im Behindertensport.<br />
Den sehbehinderten Athleten<br />
Matthias Schröder coachte er<br />
bei den Paralympics 2008 in<br />
Peking zu Gold im 400m-Lauf.<br />
„Ich kenne mich aus mit Handicaps“,<br />
sagt er und tastet sich gemeinsam<br />
mit Mo an dessen alte<br />
Erfolge heran. Nach einem halben<br />
Jahr ist Mo wieder voll belastbar.<br />
„Das hätte keiner für möglich<br />
gehalten“, sagt Lutz Kramer.<br />
Ein Jahr nach dem Unfall<br />
knackt Mohammad Amin Alsalami<br />
mit 7,63 Metern den syrischen<br />
Landesrekord, er stand<br />
32 Jahre lang. Jetzt ist alles<br />
möglich. „Ich bin ungeduldig“,<br />
gibt Mo zu. Er will am liebsten<br />
gleich die acht Meter angehen.<br />
Doch Coach Kramer bremst.<br />
Er hat einen genauen Plan für<br />
seinen Schützling. Dazu gehören<br />
kleine Etappenziele. Und<br />
Wetten. „Wenn du beim Anlaufen<br />
die 30 Meter in weniger als<br />
2,85 Sekunden machst, spendiere<br />
ich neue Spikes“, schlug<br />
Kramer vor. „Sie sind schon bestellt“,<br />
lacht er. Denn Mo lieferte<br />
prompt.<br />
Doch wenn er über acht Meter<br />
springen will, auf Weltklasseniveau,<br />
muss er öfter zum<br />
Training kommen. Mohammad<br />
wohnt in einer kleinen Wohnung<br />
im Wedding. Für den<br />
Weg durch die Stadt geht viel<br />
Zeit verloren. Zeit, die er lieber<br />
in der Halle oder beim Hanteltraining<br />
verbringen würde. „Eine<br />
bezahlbare Bude in der Nähe<br />
wäre toll“, sagt Lutz Kramer.<br />
Bis September ist es nicht mehr<br />
lange hin. In Katar finden dann<br />
die Weltmeisterschaften in<br />
Leichtathletik statt. Um sich zu<br />
qualifizieren, muss Mohammad<br />
die B-Norm von 7,90 Metern<br />
bringen, wenn er für Syrien<br />
starten will. „Vielleicht kann<br />
ich irgendwann für Deutschland<br />
starten, wenn ich acht Meter<br />
springe?“, fragt er lächelnd.<br />
Mohammad weiß, dass es für<br />
ihn um mehr geht, als den<br />
sportlichen Erfolg. Es geht um<br />
eine Zukunft in seiner neuen<br />
Heimat. InDeutschland.