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6 BERLIN BERLINER KURIER, Sonnabend, 16. Februar 2019<br />
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Hier kommt keiner durch.<br />
Streikposten vordem<br />
Bus-Betriebshof an der<br />
Indira-Gandhi-Straße.<br />
Berlin – Die Gewerkschaft<br />
Verdi kündigte während des<br />
Warnstreiks an, dass es in der<br />
laufenden Tarifauseinandersetzung<br />
zu mindestens einem<br />
weiteren Ausstand kommen<br />
kann –und dann mit weniger<br />
als vier Tagen Vorwarnzeit.<br />
Die Arbeitgeber müssten vor<br />
dem nächsten Treffen am 5.<br />
März ein verhandlungsfähiges<br />
Angebot vorlegen.<br />
Dass die erneute Streikdrohung<br />
kein bloßes Säbelrasseln<br />
ist, zeigte die Demo von<br />
BVGlern am Morgen vor der<br />
Unternehmenszentrale an der<br />
Holzmarktstraße. Dort waren<br />
die rund 3000 Männer und<br />
Frauen in den gelbroten Warnwesten<br />
schlecht auf „Mutti“ zu<br />
sprechen. So nennen viele von<br />
ihnen ihre Chefin Sigrid Nikutta.<br />
Bei den Streikenden hat die<br />
Vorstandsvorsitzende trotz des<br />
liebevoll wirkenden Spitznamens<br />
keine Fans.<br />
Einer sagt über sie: „Die ist<br />
auf dem Trip“ –weg von der<br />
BVG, hin zur Deutschen Bahn,<br />
wo bald Vorstandsposten vergeben<br />
werden. Von Nikutta erhoffen<br />
sie sich weder Hilfe<br />
noch Verbesserungen. Die BVG<br />
sei heruntergewirtschaftet,<br />
meinen viele. „Der Fuhrpark ist<br />
überaltert, die U-Bahnen krümeln<br />
uns weg“, sagt Thomas<br />
Streik–was jetzt?<br />
So geht es weiter: Verdi<br />
kündigt neuen Ausstand an<br />
Pfeifkonzertfür die BVG-<br />
Spitze, der viele Mitarbeiter<br />
nicht zutrauen, die Situation<br />
zu verbessern.<br />
Jerzynski, Vize-Vorsitzender<br />
des BVG-Gesamtpersonalrats.<br />
Zwar meldeten sich viele Bewerber<br />
für die offenen Stellen.<br />
Doch Ingenieure und andere<br />
Fachleute verschwänden wieder,<br />
wenn sie erführen, wie mager<br />
die Bezahlung und wie ungünstig<br />
die Bedingungen seien.<br />
Sigrid Nikuttawird von<br />
BVGlern „Mutti“ genannt,<br />
aber Liebe erfährtsie von<br />
ihnen ganz und garnicht.<br />
Nikutta argumentiert, dass<br />
einfach keine Leute auf dem Arbeitsmarkt<br />
zu finden seien.<br />
Und die Erfüllung der Forderung,<br />
dass alle Fahrer nur noch<br />
36,5 Stunden arbeiten soll, würde<br />
die Suche nach 500 Leuten<br />
mehr bedeuten. Ein Argument,<br />
dass bei den Beschäftigten<br />
kaum verfängt. „Ein Triebfahrzeugführer<br />
der S-Bahn verdient<br />
brutto einige hundert Euro<br />
mehr im Monat als ein U-<br />
Bahn-Fahrer“, sagt Jerzynski.<br />
Bezahlung und Arbeitsbedingungen<br />
müssten sich verbessern.<br />
Doch der Vorstand sei<br />
desinteressiert.<br />
Wenn es um die Bezahlung im<br />
Nahverkehr geht, steht Berlin<br />
in der Rangliste der Bundesländer<br />
auf dem zweitletzten Platz.<br />
Wer als Fahrer bei der BVG anfängt,<br />
bekommt 2168,42 Euro<br />
brutto. Zulagen kämen hinzu.<br />
In der Steuerklasse 1 blieben<br />
aber meist nicht viel mehr als<br />
1600 Euro netto im Monat, wird<br />
berichtet. Jerzynski: „Da ist es<br />
doch kein Wunder, dass viele<br />
sagen: Mein Bus-Führerschein<br />
gilt auch für Flixbus“ – und<br />
kündigen.<br />
Am Montag hatte Verdi die<br />
Arbeitsniederlegung für Freitag<br />
angekündigt. „Wir wollten<br />
den Fahrgästen die Möglichkeit<br />
geben, sich auf den Warnstreik<br />
einzustellen“, erklärt Jeremy<br />
Arndt, Verdi-Verhandlungsführer<br />
bei den Tarifgesprächen.<br />
Doch es könnte sein,<br />
dass die Vorwarnzeit beim<br />
nächsten Ausstand viel kürzer<br />
ausfallen könnte.<br />
„Beim großen Tarifkonflikt<br />
2008 betrug sie teilweise nur<br />
drei Stunden“, sagt Frank Kulicke,<br />
Verdi-Vertrauensmann bei<br />
den Straßenbahnern. Er ärgert<br />
sich darüber, dass das Unternehmen<br />
die Zeit dazu genutzt<br />
hätte, um Unruhe und Angst in<br />
der Belegschaft verbreiten. Anders<br />
als zunächst berichtet habe<br />
es Streikbrecher gegeben –<br />
zum Beispiel im Straßenbahn-<br />
Betriebshof Marzahn.<br />
„Einige Kollegen waren dort<br />
trotz des Warnstreiks zur Arbeit<br />
erschienen“, erzählt er. Offenbar<br />
hätten Vorgesetzte Gespräche<br />
mit ihnen geführt. Betrieb<br />
und Fahrgästen habe es<br />
nicht genützt: Weil die Tore zublieben,<br />
konnte keine Bahn den<br />
Betriebshof verlassen.<br />
„Der Ton ist rauer geworden“,<br />
sagen Gewerkschafter. In den<br />
internen „BVG News“ habe der<br />
Arbeitgeber am Dienstag zum<br />
Streikbruch aufgerufen. Für<br />
Arbeitswillige dürfe der Zutritt<br />
zu bestreikten Betriebsteilen<br />
„nicht dauerhaft blockiert werden“.<br />
Mit der Ankündigung, eine<br />
gerade erst verhandelte Notdienstvereinbarung<br />
beim<br />
Warnstreik nicht anzuwenden,<br />
habe die BVG Verwirrung gestiftet<br />
–und den Fahrgästen geschadet.<br />
Da bei Dienstplanern<br />
und Personaldisponenten kein<br />
Notdienst organisiert wurde,<br />
habe es nach Streikende länger<br />
als nötig gedauert, bis alles wieder<br />
im Takt fuhr.