Berliner Kurier 17.02.2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
22 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 17.Februar 2019<br />
Ein Eiserner<br />
in London<br />
Toni Leistner (28) wechselte vom 1. FC Union zu den<br />
Queens Park Rangers in die zweite englische Liga.<br />
Wiegeht es ihm und seiner Familie? Wirbesuchten ihn<br />
Auf einmal war da eine<br />
Serviette. Knapp 13<br />
Monate ist das her.<br />
Ein letzter Versuch<br />
der Unionfans im spanischen<br />
Winter-Trainingslager in Oliva<br />
Nova, den eisernen Abwehrrecken<br />
Toni Leistner beim Teamabend<br />
mit den Anhängern zum<br />
Bleiben zu bewegen. „Vertragsverlängerung<br />
bis 2022“ stand<br />
drauf. Und der Hinweis, dass<br />
Mitspieler Sebastian Polter das<br />
gut finden würde. „Polti sagt: is<br />
cool!“ Leistner hätte nur seinen<br />
Friedrich-Wilhelm druntersetzen<br />
müssen.<br />
Kam bekanntermaßen anders.<br />
Der heute 28-jährige<br />
Leistner erfüllte sich im vergangenen<br />
Sommer seinen großen<br />
Traum: Er wechselte zu<br />
den Queens Park Rangers nach<br />
London. Witzigerweise zu dem<br />
Club, den sein Trauzeuge Polter<br />
im Winter zuvor für Union<br />
verlassen hatte. Für Leistner<br />
ein Traum mit Verspätung.<br />
Denn ein Jahr zuvor hatte es<br />
ihn schon mal nach England gezogen.<br />
Nur damals ließ ihn Union<br />
nicht ziehen, weil die Köpenicker<br />
selber unbedingt aufsteigen<br />
wollten und ohne Toni ihre<br />
Chancen schwinden sahen.<br />
Der Traum vom englischen<br />
Fußball wird in Kickerkreisen<br />
hochgehalten. Es ist quasi das<br />
Mekka der Profis. Was nicht<br />
nur an den üppigen Verdienstmöglichkeiten<br />
liegt. Auch in<br />
der Championship, der zweithöchsten<br />
Spielklasse auf der Insel,<br />
liegen die Gehälter um einiges<br />
höher als im Bundesliga-<br />
Unterhaus. Das ist bei QPR<br />
nicht anders.<br />
Leistner wagte den Sprung<br />
auf die Insel. Er hat ihn nicht<br />
bereut. Auch wenn die wegen<br />
ihrer Ringe auf den Trikots so<br />
genannten Superhoops („Superreifen“)<br />
ihrem Saisonziel<br />
Aufstieg in die Premier League<br />
via Play-offs arg hinterherhinken.<br />
Selbst eine außergewöhnliche<br />
Serie würde da wohl nicht<br />
mehr helfen. Doch verpasste<br />
Aufstiege, das kennt er ja von<br />
den Eisernen.<br />
„Am Anfang war das schon<br />
ein bisschen eine Umstellung.<br />
Hier wird viel weniger abgepfiffen,<br />
wenn die Stürmer ihre<br />
Körper einsetzen. Und wir<br />
haben viel mehr Spiele. Eigentlich<br />
sind wir mehr am Regenerieren<br />
denn am Trainieren“, erzählt<br />
Leistner.<br />
Am Ende der Spielzeit wird er<br />
auf etwas mehr als 50 Partien<br />
kommen, inklusive der beiden<br />
Pokalwettbewerbe. Denn QPR<br />
hat sich noch mehr Partien<br />
„eingebrockt“, steht erstmals<br />
seit 22 Jahren im Achtelfinale<br />
des prestigeträchtigen FA-<br />
Cups, des ältesten Pokalwettbewerbs<br />
der Welt.<br />
Der größte Unterschied zu<br />
seiner deutschen Zeit? „Ich bin<br />
viel torgefährlicher geworden“,<br />
sagt er und muss lachen. In Köpenicker<br />
Diensten kam er für<br />
gewöhnlich nur zu einem Saisontreffer.<br />
„Hier sind es schon<br />
zwei. Dabei ist die Saison erst<br />
zur Hälfte rum. Und dreimal<br />
habe ich die Latte getroffen.<br />
Mit dem Fuß.“<br />
Kein Zweifel, Toni Leistner<br />
ist in seiner neuen Welt angekommen.<br />
Wenn er etwas vermisst,<br />
dann ist es eher Unions<br />
ehemaliger Physio Hendrik<br />
Schreiber, der heute Gladbachs<br />
Erstliga-Profis durchknetet<br />
und ein Spezialist bei Akupunkturbehandlung<br />
ist. „Ich fliege<br />
öfter mal zu ihm, um mich behandeln<br />
zu lassen. Wir sind ja<br />
nah an Heathrow<br />
dran. Der<br />
Flug dauert<br />
nur 45 Minuten<br />
nach<br />
Düsseldorf.<br />
Steven<br />
Skrzybski<br />
geht ja auch<br />
noch oft zu<br />
ihm“, verrät<br />
Leistner. Das<br />
alles auf eigene<br />
Kosten<br />
wohlgemerkt.<br />
Auch mit der<br />
berüchtigten<br />
englischen Küche<br />
hat er sich arrangiert.<br />
Die QPR-<br />
Kantine im Imperial<br />
College Sportsground<br />
unweit des<br />
Flughafens bietet<br />
eh alles, was der<br />
Sportlerkörper<br />
braucht und<br />
dem Profigaumen<br />
mundet. „So<br />
schlimm ist die gar<br />
nicht. In unserer Gegend<br />
sind auch viele polnische<br />
Läden. Die<br />
machen auch ein gutes<br />
Brot. Das hat meine<br />
Mutter anfangs immer<br />
aus Deutschland mit rübergebracht.<br />
Beim Zoll haben sie<br />
sie immer gefragt, was denn in<br />
ihrem Gepäck so gut duftet.<br />
Aber sie konnte es immer mit<br />
durchnehmen“, so Leistner.<br />
Anfangswehwehchen. Auf<br />
dem Feld gab es die sowieso<br />
weniger. „Toni ist einer der<br />
besten ablösefreien Spieler, die<br />
es hier drüben gibt. Für so einen<br />
Spieler hätten wir auf dem<br />
Transfermarkt bestimmt sechs<br />
oder sieben Millionen Pfund<br />
hinlegen müssen“, sagt Steve<br />
McClaren. Der einstige englische<br />
Nationaltrainer, der in seiner<br />
Amtszeit vom stets wenig<br />
zimperlichen britischen<br />
Boulevard als „The Wally<br />
with the Brolly“ („Der<br />
Trottel mit dem Regenschirm“)<br />
verspottet<br />
worden war, weil er<br />
während eines Spiels einen<br />
Schirm benutzte,<br />
während die<br />
Bank<br />
Mit dieser Serviette<br />
wollten Union-Fans<br />
Leistners Vertrag<br />
verlängern.<br />
Toni mit Ehefrau<br />
Josefin und<br />
Töchterchen Clara