Berliner Kurier 17.02.2019
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REISE 37<br />
WerGlühwein und Glätte entkommen will, packt einen Regenschirm ein und trinkt Portwein in Porto<br />
Es ist Mitternacht, Möwen<br />
kreischen. Ein Mann läuft im<br />
T-Shirt vorbei. Auf dem weitläufigen<br />
Rathausplatz stehen<br />
Stühle, als warteten sie auf<br />
Flaneure, die sich ausruhen<br />
wollen. Die Luft ist mild. Porto<br />
bis März: Das sind meist<br />
milde Temperaturen, oft Regen,<br />
aber auch Sonne. In der<br />
Küstenstadt, wo der Douro in<br />
den Atlantik mündet, können<br />
Reisende den Winter getrost<br />
vergessen.<br />
Schon Spazierengehen reicht.<br />
An Sonnentagen beschleicht einen<br />
das Gefühl, der Sommer wäre<br />
nur mal kurz Zigaretten holen.<br />
Portuenser gehen an solchen<br />
Tagen, die fast warmsind,<br />
ins Meer. Wenigstens bis zu den<br />
Knien, wie André Apolinário erzählt.<br />
Der 37-Jährige führt durch die<br />
Stadttour Taste Porto und will<br />
Besuchern auf Stippvisiten in<br />
Cafés und Restaurants die portugiesische<br />
Küche näherbringen.<br />
Ungläubige Blicke, als er<br />
die Gruppe zum McDonald’sim<br />
Stadtzentrum führt. Er zeige<br />
den Burgerladen nur wegen des<br />
Gebäudes, sagt Apolinário: Das<br />
mondänste Café der Stadt habe<br />
sich in den 1930er-Jahren darin<br />
befunden. Auf der Tour mit dem<br />
Profi wird klar, wie wichtig Architektur<br />
in Porto ist. Der Lehrstuhl<br />
an der Uni ist bekannt, viele<br />
Gebäude von berühmten<br />
Architekten sind zu sehen,<br />
etwa das futuristische<br />
Konzerthaus Casa<br />
da Música von Rem<br />
Koolhaas.<br />
Und dann ist da natürlich<br />
das Essen.<br />
Apolinário reicht Folar,<br />
eine Art herzhaften Kuchen<br />
mit dicken Wurststücken.<br />
Sofort freut man<br />
sich, dass man dem deutschen<br />
Winterdreiklang aus<br />
Linsen-, Kürbis- und Hühnersuppe<br />
entkommen ist. Die Begeisterung,<br />
die der Portuenser<br />
an den Tag legt, wenn er Stockfisch,<br />
Wurst aus Enten-, Kaninchen-,<br />
Wachtel- und Hühnerbrustfleisch<br />
oder süßes Gebäck<br />
vorsetzt, kauft man ihm ab. Mit<br />
ausladenden Gesten beschreibt<br />
er, aus welcher Region die Produkte<br />
kommen, betont, wie gerne<br />
die Portugiesen gemeinsam<br />
essen und erzählt Geschichten<br />
zu den Läden,durch die er führt.<br />
Bei Portwein endet die fast<br />
vierstündige Tour. Apolinário<br />
stellt Davide Ferreira vor, der<br />
bei den großen Portweinherstellern<br />
auf der anderen Seite<br />
des Douro arbeitete –bis er beschloss,<br />
seinen Weinladen Touriga<br />
aufzumachen. „Ich wollte<br />
mein eigenes Ding machen“,<br />
sagt der 40-Jährige und bestätigt<br />
den Eindruck, den man nach<br />
kurzer Zeit von Porto hat: Junge<br />
Beliebtes<br />
Fotomotiv:<br />
die historische<br />
Tram in Porto.<br />
Menschen eröffnen<br />
Läden, probieren sich<br />
aus, es wird gebaut und renoviert,die<br />
Stadt ist im Aufbruch.<br />
Wenn es in Porto regnet, dann<br />
erinnert die Stadt eher an London<br />
als an Sommer.Die Freundlichkeit<br />
der Einwohner ist bemerkenswert.<br />
Weder strömender<br />
Regen noch Touristenscharen<br />
scheinen sie aus der Ruhe zu<br />
bringen. Apolinária sagt,erliebe<br />
Porto im Regen.<br />
Maria Oliveira, die in dem kleinen<br />
Hotel „Porto VintageGuesthouse“<br />
arbeitet, sagt, sie habe<br />
kein Problem damit, wenn viele<br />
Touristen die Stadt sehen wollten.<br />
Sie erklärt das mit der Vergangenheit<br />
als Seefahrer-<br />
und Handelsstadt. Der Kontakt<br />
mit fremden Kulturen spielte<br />
immer eine große Rolle. „Wir<br />
mögenjeden“, sagt Oliveira.<br />
In den vielen Cafés, guten<br />
Rückzugsorten an verregneten<br />
Tagen, scheintsich das zu bestätigen:<br />
Im altehrwürdigen Café<br />
Majestic bleiben die Mitarbeiter<br />
freundlich, wenn die Besucher<br />
die Tür nicht hinter sich schließen<br />
oder minutenlang Selfies<br />
machen.<br />
Das Café ist so ansehnlich wie<br />
die 1906 eröffnete Jugendstil-<br />
Buchhandlung Lello, die vom<br />
britischen „Guardian“ zur<br />
schönsten der Welt gekürt wurde.<br />
Allerdings werden beide von<br />
Touristen belagert, seit Gerüchte<br />
aufkamen, die Harry-Potter-Autorin<br />
J.K. Rowling, die in den<br />
1990erninPorto lebte, habesich<br />
dortinspirieren lassen. Verwunschen<br />
wie in Hogwarts sieht es<br />
aus.<br />
Wer es ruhiger mag, geht ins<br />
Café Santiago. Es ist bekannt für<br />
das berühmteste Gericht in Porto:<br />
Francesinha (kleine Französin),<br />
ein Sandwich, ähnlich dem<br />
französischen Croque Monsieur.<br />
Porto ist reich an Museen. Mit<br />
Kindern kann man in der interaktiven<br />
World of Discoveries<br />
auf den Spuren portugiesischer<br />
Seefahrer wandern. Sportfans<br />
vergnügen sich im Museum des<br />
FC Porto, Kunstinteressierte im<br />
Serralves-Museum für zeitgenössische<br />
Kunst. Das Museum<br />
für Fotografie lohnt einen Besuch<br />
allein wegen der Räume -<br />
es ist in einem ehemaligen Gefängnisuntergebracht.<br />
Dort saß<br />
einst der portugiesische Schriftsteller<br />
Camilo Castelo Branco<br />
(1825–1890) wegen Ehebruchs<br />
ein und schrieb seinen Roman<br />
„Das Verhängnis der Liebe“.<br />
Porto hat viele solcher Geschichten<br />
zu erzählen, die im<br />
Sommer,wenn Strand und Wasser<br />
locken, eher untergehen.<br />
„An Wintertagen kann man hier<br />
noch mehr entdecken“,sagt Maria<br />
Oliveira. Alexandra Stahl<br />
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