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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 68 · F reitag, 22. März 2019 11 *<br />
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Berlin<br />
Auszugsprämien oder Mieterhöhung<br />
Schon wieder ein Modernisierungsexzess: In Friedrichshain sollen sich die Wohnkosten im Haus Samariterstraße 8/Ecke Rigaer Straße 35 drastisch erhöhen<br />
VonUlrich Paul<br />
Der Skandal um teureModernisierungspläne<br />
in<br />
Berlin weitet sich aus.<br />
Neben den Mietern des<br />
Hauses Lenbachstraße 7 in Friedrichshain<br />
haben auch Bewohner des<br />
Hauses Samariterstraße 8/Ecke Rigaer<br />
Straße 35 noch kurz vor dem<br />
Jahreswechsel eine Modernisierungsankündigung<br />
erhalten, nach<br />
der sich die Miete verdoppeln bis<br />
verdreifachen soll. „Ich musste laut<br />
lachen, weil die Mieterhöhung so absurdwar“,<br />
berichtet eine Mieterin.<br />
Für ihre Wohnung soll die Miete<br />
von bisher 575 Euro kalt auf 1515<br />
Euro kalt steigen. „Das könnte ich<br />
mir nicht mehr leisten“, sagt die<br />
Frau. Hinter der Mieterhöhung<br />
steckt wie im Fall Lenbachstraße 7<br />
ein Firmengeflecht um die Fortis<br />
Group, an der unter anderem das<br />
Versorgungswerk der Zahnärztekammer<br />
Schleswig-Holstein beteiligt<br />
ist. Als Vermieterin tritt eine Projekt<br />
F-22 Alpha GmbH auf.<br />
Hohe Abfindungen<br />
Geplant ist unter anderem der Anbau<br />
von Balkonen, die Wärmedämmung<br />
der Fassade, die Verstärkung<br />
der elektrischen Steigeleitungen und<br />
der Einbau einer Gegensprechanlage.Besonders<br />
teuer soll danach der<br />
Anbau eines Balkons werden. Voraussichtlich<br />
etwa 297 Euro monatlich<br />
entfallen laut der Modernisierungsankündigung<br />
auf ihn.<br />
Was nach einer ähnlich drastischen<br />
Modernisierungsankündigung<br />
der Fortis passieren kann, ist<br />
am Haus Maximilianstraße 46 in<br />
Pankow zusehen. Dort werden die<br />
Wohnungen verkauft. Zunächst<br />
wurden die leeren Wohnungen angeboten,<br />
dann auch die vermieteten<br />
Wohnungen. In einer Mietaufhebungsvereinbarung,<br />
die der <strong>Berliner</strong><br />
<strong>Zeitung</strong> vorliegt, wurde einem Mieter<br />
ein hoher Betrag für den Auszug<br />
Sie wohnen teilweise seit 53 Jahren in ihrem Haus, sie wollen bleiben: Mieter an der Samariterstraße 8/EckeRigaer Straße 35.<br />
angeboten. Allein die Abschlagszahlung,<br />
die innerhalb von 15Werktagen<br />
überwiesen werden sollte,belief<br />
sich danach auf 20 000 Euro. Durch<br />
die Verkaufspreise kommt das Geld<br />
sicher wieder rein. Angeboten werden<br />
die Wohnungen in der Maximilianstraße<br />
derzeit für Preise ab 3943<br />
Euro pro Quadratmeter, wie es auf<br />
der Internetseite vonFortis heißt.<br />
Die Linken-Abgeordnete Gaby<br />
Gottwald kritisiert das Vorgehen.<br />
„Fortis setzt Modernisierungen wie<br />
eine Waffe gegen Mieter ein“, sagt<br />
sie.„So werden Leute verdrängt, die<br />
genauso lange in den Häusern wohnen,<br />
wie die Manager auf der Welt<br />
sind.“ Was bei den einen Existenzängste<br />
schüre, fließe bei den anderen<br />
„als leistungsloses Einkommen<br />
in volle Taschen“, sagt Gottwald.<br />
„Die dreiste Geschäftspolitik von<br />
„Es kann nicht sein, dass die Mieter<br />
in Berlin für eine auskömmliche<br />
Altersvorsorge von Zahnärzten in<br />
Schleswig-Holstein wie Zitronen<br />
ausgepresst werden.“<br />
Gaby Gottwald (Linke), Mitglied des <strong>Berliner</strong> Abgeordnetenhauses<br />
Fortis muss gestoppt, die Ankündigung<br />
der Modernisierung zurückgenommen<br />
werden.“ Die Forderung<br />
erhob Gottwald in einem Schreiben<br />
an den Geschäftsführer des Versorgungswerks<br />
Bruno Geiger.<br />
Doch der wimmelt ab. „Das Versorgungswerk<br />
der Zahnärztekammer<br />
Schleswig-Holstein äußert sich<br />
inhaltlich grundsätzlich nicht zu seinen<br />
Investitionen“, schreibt er in seiner<br />
Antwort. Auf Anfrage der <strong>Berliner</strong><br />
<strong>Zeitung</strong> erläuterte Geiger am<br />
Beispiel der Lenbachstraße,dass das<br />
Versorgungswerk nicht als Eigentümer<br />
an der Immobilie beteiligt sei.<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
DieImmobilie gehörevielmehr einer<br />
Kommanditgesellschaft, an der das<br />
Versorgungswerk beteiligt sei. Nach<br />
dem Handelsgesetzbuch werde eine<br />
Kommanditgesellschaft im Rechtsverkehr<br />
durch die persönlich haftende<br />
Gesellschafterin vertreten.<br />
Dasheiße: Keiner der Kommanditisten<br />
habe einen Einfluss auf die<br />
Durchführung der Geschäfte der Gesellschaft.<br />
„Das Versorgungswerk<br />
kann demzufolge keinen Einfluss auf<br />
die Gestaltung der Mietverhältnisse<br />
geltend machen“, sagt Geiger.<br />
Die Linken-Abgeordnete Gottwald<br />
ist empört. „Das Versorgungswerk<br />
der Zahnärzte in Schleswig-<br />
Holstein ist Gesellschafter bei Fortis<br />
und hat ein Vetorecht“, sagt sie. „Es<br />
kann nicht sein, dass die Mieter in<br />
Berlin für eine auskömmliche Altersvorsorge<br />
von Zahnärzten in Schleswig-Holstein<br />
wie Zitronen ausgepresst<br />
werden. Ich kann mir nicht<br />
vorstellen, dass dies bei den pflichtversicherten<br />
Kammermitgliedern<br />
Konsens ist.“ Dass das Versorgungswerk<br />
Briefe und Kritik ignoriert, bezeichnet<br />
sie als dreist.<br />
Die Bundestagsabgeordnete Canan<br />
Bayram (Grüne) teilte am Donnerstag<br />
mit, sie habe ebenfalls einen<br />
Brief an das Versorgungswerk geschrieben.<br />
Protest am Sonnabend<br />
Im Fall der Lenbachstraße und der<br />
Samariter-/Ecke Rigaer Straße wurden<br />
die Modernisierungsankündigungen<br />
kurz vor Inkrafttreten eines<br />
verbesserten Mieterschutzes zugestellt.<br />
Ab 1. Januar 2019 wäre eine<br />
Mieterhöhung, wie sie für die beiden<br />
Häuser angekündigt wurde, nicht<br />
mehr möglich gewesen. So dürfen<br />
Vermieter seit Beginn des Jahres nur<br />
noch acht statt elf Prozent der Modernisierungskosten<br />
auf die Jahresmiete<br />
umlegen. Neu ist zudem die<br />
Einführung einer Obergrenze. So<br />
darfder Vermieter die Miete nach einer<br />
Modernisierung nicht um mehr<br />
als drei Euro pro Quadratmeter innerhalb<br />
vonsechs Jahren erhöhen.<br />
In Fällen, bei denen die Quadratmetermiete<br />
weniger als sieben Euro<br />
beträgt, dürfen Vermieter innerhalb<br />
vonsechs Jahren sogar nur zwei Euro<br />
pro Quadratmeter aufschlagen. Besonders<br />
wichtig: Das missbräuchliche<br />
Modernisieren, um Mieter zur<br />
Beendigung des Mietverhältnisses<br />
zu drängen, gilt künftig als Ordnungswidrigkeit.<br />
Die Mieter der Samariter-/Ecke<br />
Rigaer Straße wollen am Sonnabend<br />
ab 13 Uhr vor ihrem Haus gegen die<br />
drohende Herausmodernisierung<br />
protestieren. „Wir wollen hier wohnen<br />
bleiben!“, fordern die Mieter in<br />
einem Protestbrief. „Ein Ehepaar<br />
lebt seit 53 Jahren in unserem Haus,<br />
andere Mietparteien wohnen hier<br />
seit 34, 30, 26, 20 Jahren.“<br />
„Die Grünen sollten<br />
weniger kiffen“<br />
Koalitionspartner SPD kritisiert Idee zur Förderung des Cannabis-Anbaus in Berlin scharf<br />
VonAnnika Leister<br />
Den Vorschlag der Grünen, den<br />
Anbau von medizinischem<br />
Cannabis in Berlin vom Land fördernzulassen,<br />
quittiertnicht nur die<br />
Opposition mit Spott und Kritik,<br />
sondern auch der eigene Koalitionspartner<br />
SPD: „Die Grünen sollten<br />
weniger kiffen und sich stärker um<br />
die konkreten Probleme der <strong>Berliner</strong><br />
kümmern“, sagte Thomas Isenberg,<br />
gesundheitspolitischer Sprecher der<br />
SPD-Fraktion, der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>.<br />
Die Grünen-Fraktion hatte am<br />
Mittwoch bekanntgegeben, dass sie<br />
die Etablierung eines landeseigenen<br />
Unternehmens prüfen will, das Flächen<br />
für den medizinischen Cannabis-Anbau<br />
an Unternehmen vermitteln<br />
und Anschubförderungen leisten<br />
soll. Denkbar als Anbaufläche,so<br />
die Grünen, seien dabei auch die<br />
Hangars im Tempelhofer Feld.<br />
Für Isenberg geht diese Idee an<br />
der <strong>Berliner</strong> Realität vorbei: „Wir<br />
brauchen alle verfügbaren Flächen<br />
für den Wohnungsbau oder für die<br />
Ansiedlung innovativer Tech-Unternehmen.“<br />
Besonders die Hangars<br />
auf dem Tempelhofer Feld seien zu<br />
wertvoll und zu multifunktionell<br />
nutzbar, als dass sie für den Anbau<br />
von Cannabis genutzt werden sollten.<br />
Der sei ohnehin eher für Agrarbundesländer<br />
interessant – nicht<br />
aber für eine auf Technik ausgerichtete<br />
Wirtschaft wie die Berlins.<br />
Ein Problem mit der Bevorzugung<br />
von Cannabis-Firmen bei der<br />
Vergabe vonFlächen haben auch die<br />
Unternehmensverbände Berlin-<br />
Die Grünen wollen Cannabis-Anbau vom<br />
Land fördernlassen. IMAGO/THOMAS TRUTSCHEL<br />
Brandenburg. Viele Firmen würden<br />
gerne expandieren oder sich neu in<br />
Berlin ansiedeln, sagte Geschäftsführer<br />
Alexander Schirp der <strong>Berliner</strong><br />
<strong>Zeitung</strong>. „Doch sie können es nicht,<br />
weil die Flächen fehlen.“ Er halte es<br />
in der hochangespannten Lage für<br />
„unsensibel und befremdlich“, dass<br />
die Grünen nun einzig jenen helfen<br />
wollen, die Cannabis anbauen.<br />
Im Koalitionsvertrag hatte die<br />
rot-rot-grüne Landesregierung<br />
2016 vereinbart, ein Modellprojekt<br />
zu starten, in dem erwachsene Konsumenten<br />
auch ohne Rezept Cannabis<br />
erhalten können. Das Konzept<br />
wird zurzeit von einer Agentur<br />
erarbeitet, danach muss es – wie<br />
Cannabis-Anbauflächen im Übrigen<br />
auch –von der eigens auf Bundesebene<br />
geschaffenen Cannabis-<br />
Agentur zugelassen werden. Die<br />
Grünen machen kein Geheimnis<br />
daraus,dass sie das in Berlin produzierte<br />
Cannabis vorerst nur an Patienten,<br />
später aber auch an Konsumenten<br />
im Modellprojekt ausgeben<br />
wollen. Auch die Linken halten den<br />
Hanf-Anbau deswegen für sinnvoll,<br />
sie wollen so die Versorgung vonPatienten<br />
und Konsumenten gewährleisten<br />
und teure Importe aus Kanada<br />
und den Niederlanden überflüssig<br />
machen. DerIdee,zur Förderung<br />
des Anbaus ein landeseigenes<br />
Unternehmen zu gründen, stehen<br />
aber auch die Linken skeptisch gegenüber.<br />
SPD-Mann Isenberg hält die Anbau-Pläne<br />
für einen viel zu weiten<br />
Vorgriff. DieSPD stehe „hundertprozentig“<br />
hinter dem Modellprojekt für<br />
eine kontrollierte Abgabe, sagte er.<br />
„Aber statt im trüben Nebel zu stochern,<br />
steht die Beantragung und<br />
Genehmigung des Modellprojekts<br />
auf dem Plan.“ Im Fall einer Ablehnung<br />
wolle das Land klagen. „Darauf<br />
müssen wir uns jetzt konzentrieren.“<br />
Ein „Stück aus dem Tollhaus“ ist<br />
der Vorschlag der Grünen für die<br />
CDU. Dassagte TimZeelen, stellvertretender<br />
Fraktionsvorsitzender, der<br />
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>. Medizinisches<br />
Cannabis sei ein Arzneimittel, die<br />
Herstellung von Arzneimitteln aber<br />
sei keinesfalls Landesaufgabe. Außerdem<br />
interessiere die Grünen die<br />
Förderung von anderen Unternehmen,<br />
auch in der Landwirtschaft,<br />
wenig. „Hier wird mit zweierlei Maß<br />
gemessen, weil es in die Klientelpolitik<br />
passt.“<br />
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