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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 68 · F reitag, 22. März 2019 – S eite 20 *<br />
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Sport<br />
Ein schöner Angriff endet mit einem schönen Tor: Leon Goretzka<br />
GETTY/BARON<br />
Es darf ein bisschen mehr sein<br />
Das Spiel gegen die Niederlande wird zeigen, ob sich die Stimmung bei der deutschen Nationalmannschaft tatsächlich zum Besseren drehen kann<br />
VonFrank Hellmann, Wolfsburg<br />
Für die einen wirkt es wie ein<br />
Pflichttermin, für die anderenwirdeseher<br />
eine Ablenkung<br />
vom Arbeitsalltag<br />
sein. Wenn sich Fußballer der deutschen<br />
Nationalmannschaft und Mitarbeiter<br />
des größten deutschen Autobauers<br />
bei einer Werksbesichtigung<br />
am Freitagvormittag begegnen,<br />
überwölbt das beidseitige<br />
Ringen um den Führungsanspruch<br />
diesen öffentlichkeitswirksamen Besuch.<br />
„Wir waren lange Jahreähnlich<br />
wie Volkswagen Marktführer.“ Den<br />
bewusst in der Vergangenheitsform<br />
formulierten Satz hatte Joachim Löw<br />
bei seiner Stippvisite zur brisanten<br />
VW-Betriebsversammlung in Wolfsburg<br />
wenige Stunden vor dem<br />
Freundschaftsspiel gegen Serbien<br />
(1:1) ausgesprochen.<br />
Und genau wie der für seinen<br />
massiven Stellenabbau kritisierte<br />
VW-Chef Herbert Diess muss auch<br />
der Fußballchef Löw erst noch nachweisen,<br />
dass er die Transformation<br />
ins nächste Zeitalter mit seiner erneuerten<br />
Belegschaft hinbekommt.<br />
Ohne schmerzhafte Einschnitte wird<br />
es hier wie dort nicht gehen, um<br />
Zweifel an der Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Industrie- und Fußballstandortes<br />
Deutschland zu zerstreuen. Fast<br />
logisch ist es daher,dass der Länderspielauftakt<br />
in der werkseigenen<br />
Arena bestenfalls zarte Aufbruchsstimmung<br />
vermittelte.<br />
Im Grunde hatte Löws verjüngtes<br />
Ensemble – die Startelf hatte ein<br />
Durchschnittsalter von24,66 Jahren,<br />
sieben Spieler waren bei Anpfiff 23<br />
Jahre und jünger –gegen stark ersatzgeschwächte<br />
Serben nur<br />
Schlimmeres verhindert. Hernach<br />
stellte der Bundestrainer in seiner<br />
geschönten Sicht zuvorderst die positiven<br />
Signale des Spiels heraus. Er<br />
sagte: „Die Mentalität der Mannschaft,<br />
die so noch nicht zusammengespielt<br />
hat, war sehr gut. DieErfahrungen<br />
in der ersten Halbzeit müssen<br />
wir machen, aber mit der zweiten<br />
Halbzeit bin ich absolut<br />
zufrieden.“ Doch der 59-Jährige<br />
hatte ja auch mitbekommen: Es fehlten<br />
anfangs die Automatismen, die<br />
„Die Mentalität der Mannschaft, die so noch<br />
nicht zusammengespielt hat, war sehr gut. “<br />
Joachim Löw ist durchaus zufrieden mit dem Testspiel gegen Serbien.<br />
Aber was soll er auch anderes sein.<br />
Laufbereitschaft oder die Gegenbewegungen<br />
der drei Angreifer. Mangelnde<br />
Abstimmung verwunderte<br />
bei nur einer angesetzten gemeinsamen<br />
Trainingseinheit nicht.<br />
Und was werden sich die ausgemusterten<br />
Jérôme Boateng und<br />
Mats Hummels daheim wohl gedacht<br />
haben, wenn die beiden Bayern<br />
nun ihre Nachfolger Jonathan<br />
Tahund Niklas Süle sahen? Das Innenverteidigergespann<br />
blieb nicht<br />
nur beim Gegentor des sträflich ungedeckten<br />
Frankfurter Torjägers<br />
Luks Jovic den Nachweis internationaler<br />
Klasse schuldig. Zudem hätte<br />
man sich ein bisschen mehr Körperspannung,<br />
Durchsetzungsvermögen<br />
und Klarheit von Hoffnungsträgern<br />
wie Kai Havertz, Julian Brandt oder<br />
Timo Werner gewünscht. Der eine<br />
oder andere schien vom Thomas-<br />
Müller-Syndrom der akuten Orientierungslosigkeit<br />
befallen zu sein.<br />
Von fehlender Konsequenz im Abschluss<br />
ganz zu schweigen. Immerhin:<br />
Marco Reus schwang sich als<br />
Einwechselspieler zum heimlichen<br />
Gewinner auf.<br />
Wie bei Borussia Dortmund ging<br />
der 29-Jährige in einer kritischen<br />
Phase auch bei der DFB-Auswahl<br />
voran und leitete den Ausgleich von<br />
Leon Goretzka ein. Gleichwohl trat<br />
Reus nicht so (selbst)zufrieden wie<br />
Löw vor die Kameras und sagte: „Im<br />
Großen und Ganzen war es zu wenig.<br />
Unser Anspruch muss sein, besser<br />
zu spielen und zu gewinnen.“<br />
Der Bundestrainer will nun flott<br />
die Defizite in Gesprächen aufarbeiten.<br />
„Das heißt auch, Situationen<br />
aufzeigen. Was können wir besser<br />
machen? Wo waren die Fehler?“ Löw<br />
braucht mehr denn je zum Start der<br />
EM-Qualifikation einen Nachweis,<br />
dass neben der Mentalität auch die<br />
Qualität stimmt. Nach dem Werksbesuch<br />
steht am Freitag der Charterflug<br />
vonBraunschweig nach Amsterdam<br />
an, wo der Klassiker gegen die<br />
Niederlande steigt; am Sonntag um<br />
20.45 Uhrbei RTL.<br />
„Oliver Bierhoff hat gesagt, wir<br />
sind nicht der Favorit, aber trotzdem<br />
ist das ein Prestigeduell, in dem wir<br />
zeigen wollen, was wir draufhaben“,<br />
sagte Goretzka. „Wir spielen ja nicht<br />
nur mit A-Jugendlichen, sondernhaben<br />
alle schon internationale Erfahrung.“<br />
Hörte sich danach an: Eine<br />
Lehrstunde wie im Herbst vergangenen<br />
Jahres,als die Oranjes in der Nations<br />
League mit 3:0 triumphierten<br />
und ihren Freudentaumel in der<br />
Grachtenstadt bis tief in die Nacht<br />
zelebrierten, wirdesnicht geben.<br />
Dafür ist es wichtig, dass sich Unterschiedsspieler<br />
Leroy Sané nach<br />
dem Brutalo-Foul von Milan Pavkov<br />
in der Nachspielzeit nicht verletzt<br />
hat. „Das ist eine Situation, da kann<br />
er sich auch den Fuß brechen, aber<br />
ihm ist nichts passiert“, versicherte<br />
Löw,der sich die Tage vertiefend mit<br />
dem Härtetest gegen die Niederlande<br />
befasst. „Wir haben den Gegner<br />
klarer vor Augen als Serbien“,<br />
sagte der Bundestrainer,der Torwart<br />
Manuel Neuer, Verteidiger Antonio<br />
Rüdiger und Taktgeber Toni Kroos<br />
bereits Einsatzgarantien für eine Partie<br />
gab, die zeigen wird, ob sich die<br />
Stimmung rund um die DFB-Auswahl<br />
wirklich zum Besseren dreht.<br />
Im Wolfsburger Autowerk befindet<br />
sie sich nach <strong>Zeitung</strong>sberichten<br />
zwar auf dem Tiefpunkt, aber Buhrufe<br />
und Protestplakate wie auf der<br />
Betriebsversammlung haben die<br />
deutschen Spieler bei ihrem Besuch<br />
trotzdem nicht zu befürchten.<br />
Berlin, California<br />
Waswird aus Jonathan Klinsmann? Es sieht nicht so aus, als würde Hertha den Vertrag mit dem Ersatztorwart verlängern. Er soll trotzdem in Europa bleiben, sagt Vater Jürgen<br />
VonSebastian Schmitt<br />
Jonathan Klinsmann hat, wie es<br />
sich für einen in Kalifornien aufgewachsenen<br />
Sunnyboy gehört, stets<br />
ein breites Lächeln im Gesicht. Und<br />
noch breiter wird es, wenn man ihn<br />
auf Ende Mai anspricht, dann reist<br />
Hertha in die USA. Im Anschluss an<br />
die zehntägige PR-Tour will Klinsmann<br />
noch etwas Zeit mit der rund<br />
eine Autostunde südlich vonLos Angeles<br />
in Huntington Beach lebenden<br />
Familie verbringen. Vielen Freunden<br />
hat er auch Bescheid gesagt.<br />
Ob Klinsmann, 21, danach beruflich<br />
nach Berlin zurückkehrt, darfjedoch<br />
bezweifelt werden. Trainer Pal<br />
Dardai hat ein Überangebot auf der<br />
Torwartposition. Rune Jarstein, 34,<br />
bleibt auch in der kommenden Saison<br />
die Nummer eins.Mit seinem erfahrenemVertreter<br />
Thomas Kraft, 30,<br />
dessen Vertrag wie Klinsmanns ausläuft,<br />
will Manager Michael Preetz<br />
grundsätzlich verlängern. Dahinter<br />
lauern neben Klinsi jr. noch einige<br />
vielversprechende Talente auf ihre<br />
Chance: Dennis Smarsch, 20, Marius<br />
Gersbeck, 23, Nils Körber,22.<br />
Selbst wenn die Zeichen auf Trennung<br />
stehen, ist Vater Jürgen Klinsmann<br />
trotzdem zufrieden mit der<br />
Entwicklung seines Sohnes in den<br />
vergangenen 20 Monaten. Er lobt<br />
auch Herthas Torwarttrainer: „Zsolt<br />
Petry hat einen gigantischen Job gemacht.<br />
Ich muss auch Jonathan ein<br />
riesen Kompliment machen. Er ist<br />
hier zum Mann geworden, hat<br />
Deutsch gelernt und fährt durch die<br />
Stadt, als sei er hier aufgewachsen.“<br />
Daran habe das <strong>Berliner</strong> Flair einen<br />
großen Anteil. „Die Offenheit und<br />
Freiheit haben ihm gutgetan. Englisch<br />
und <strong>Berliner</strong> Schnauze – die<br />
Mischung war genau richtig.“ Bisauf<br />
das Wetter stecke in Berlin nun mal<br />
„jede Menge Kalifornien“.<br />
Der frühere Bundestrainer sieht<br />
im Werdegang seines Sohnes auch<br />
Parallelen zu seiner Spielerkarriere.<br />
Mittendrin und doch nicht dabei: Jonathan Klinsmann<br />
Mit 16Jahren machte er auf Geheiß<br />
seiner Eltern trotz eines Profivertrages<br />
bei den Stuttgarter Kickers eine<br />
Ausbildung in der väterlichen Bäckerei.<br />
Deswegen sagt Klinsmann wohl:<br />
Nach zwei Jahren bei Hertha stehe<br />
Jonathan „vor dem Gesellenbrief“.<br />
IMAGO/EISENHUTH<br />
Leicht sei der Schritt nicht gewesen.<br />
„Vom College zu einem Bundesligaklub,<br />
wojeden Tagdie Ellbogen<br />
ausgefahren werden, das ist schon<br />
hart“, urteilt Klinsmann.Wieschwierig<br />
ein neues soziales Umfeld sein<br />
kann, hat er erlebt, als es ihn 1989<br />
vom VfB Stuttgart zuInter Mailand<br />
zog. „Ich hatte in Italien außerhalb<br />
des Platzes wahnsinnige Anlaufschwierigkeiten.<br />
Da bin ich die ersten<br />
zwei Monate ziemlich gegen die<br />
Wand gefahren“, erinnertsich Klinsmann<br />
an seine erste Auslandsstation.<br />
„Das war der wichtigste Schritt<br />
meiner Karriere.“<br />
Klinsmann, der mit markanten<br />
Aussagen über den Zustand des<br />
Deutschen Fußballs in seine neue<br />
Rolle als RTL-Experte startete, bemängelt<br />
die soziale Entwicklung der<br />
Spieler,die zu kurzkommt:„Oft dribbelt<br />
ein 18-Jähriger die Welt kaputt<br />
und denkt, er sei schon das finale<br />
Produkt.“ Dabei könne besonders<br />
hinter den Kulissen vieles schieflaufen.<br />
Umso wichtiger sei es für Jonathan<br />
gewesen, dass er schon zwei<br />
Jahre inden USA auf der Uni war.<br />
„Das hat ihn geerdet.“<br />
Jonathan Klinsmann kam in dieser<br />
Spielzeit elfmal in der Regionalliga<br />
zum Einsatz, bei seinem Profidebüt<br />
– und dem bisher einzigen<br />
Pflichtspiel für die erste Mannschaft<br />
–soll es Klick gemacht haben. In der<br />
Europa League in der vergangenen<br />
Saison hielt er gegen Östersund (1:1)<br />
einen Elfmeter. „Das Spiel war eine<br />
Erleuchtung für ihn. Er hat gemerkt,<br />
dass er mithalten kann.“<br />
DerMeinung ist auch der US-Verband,<br />
der Klinsmann im November<br />
erstmals zur A-Nationalmannschaft<br />
einlud. Bei den Spielen 2022 planen<br />
die Amerikaner mit ihm als Nummer<br />
eins. Olympia hat in den USA eine<br />
enorme Bedeutung. Deswegen<br />
macht der Vater keinen Hehl daraus,<br />
dass sein Sohn mehr spielen muss,<br />
um sich weiterzuentwickeln.<br />
Wo Jonathan Klinsmann diese<br />
bekommen soll, ist noch offen. Einen<br />
Wechsel zu einem MLS-Klub<br />
schließt der Vater aus. Für seinen<br />
Meisterbrief „wird erdefinitiv in Europa<br />
bleiben“. Undsomit zumindest<br />
nicht allzu weit wegvon Berlin, California.