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8* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 68 · F reitag, 22. März 2019<br />
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Meinung<br />
Berlin<br />
ZITAT<br />
Inseln für die<br />
leere Mitte<br />
Torsten Harmsen<br />
fühlt sich sehr unwohl auf zugigen<br />
Plätzen im Stadtzentrum.<br />
Als Kind der 60er-Jahre beeindruckte<br />
mich dieser weite Platz sehr. Noch<br />
standen kein Fernsehturmund kein Palast<br />
der Republik im Hintergrund. VomBahnhof<br />
Alexanderplatz bis zur Domruine erstreckte<br />
sich eine riesige Brache. Einsam<br />
stand mittendrin die Marienkirche.Andiesem<br />
Anblick konnte man gut erkennen,<br />
was der Krieg aus der einst lebendigen <strong>Berliner</strong><br />
Mitte gemacht hatte.<br />
Jahrzehnte vergingen. Neue Tatsachen<br />
wurden geschaffen. DerOsten Berlins war<br />
nun grundsätzlich geprägt durch weite<br />
Räume. Inder Mitte ragte hoch der Fernsehturm<br />
auf. Kaum jemand wollte ernsthaft<br />
das alte,eng bebaute Berlin wiederhaben.<br />
Das Nikolaiviertel als museales<br />
Schmuckkästchen reichte, umGästen zu<br />
zeigen, wie es hier mal aussah.<br />
Auch die Debatte um eine Bebauung<br />
des Raums zwischen Fernsehturm und<br />
Spree scheint abgeschlossen zu sein. Zumindest<br />
von Seiten des Senats. Schon gar<br />
nicht will man eine Wiederbelebung des<br />
historischen Stadtviertels mit seinen alten<br />
Straßenzügen. Weit und offen soll alles<br />
bleiben und möglichst grüner werden.<br />
Das ist verständlich. Unddennoch: Es<br />
zieht und pfeift mächtig um einen, wenn<br />
man den weiten Raum durchquert, um<br />
etwa vomAlex zum Nikolaiviertel zu gelangen.<br />
Da gibt es kaum Schutz. Auswärtige<br />
Touristen staunen über die endlosenWege.<br />
Aus diesem Grund sind mir Menschen<br />
sympathisch, die darüber nachdenken, ob<br />
und wie man diesen Platz bebauen könnte.<br />
Undzwar nach Plan und nicht mit zufällig<br />
hingeworfenen Kommerz-Glasklötzen, die<br />
Berlin vielerorts prägen.<br />
Schafft bitte Inseln auf diesem Platz,<br />
Orte des urbanen Lebens! Ideen dafür sollten<br />
weiter gefragt sein. Die Debatte darüber<br />
darfnicht abgeschlossen sein.<br />
Waffengesetze<br />
Je strikter,<br />
desto sicherer<br />
Christian Burmeister<br />
meint, dass die Umsetzung der EU-<br />
Richtlinie ein Fortschritt ist.<br />
Die beiden Gegensätzeindieser Frage<br />
sind Neuseeland und die USA: Während<br />
der Inselstaat nach dem Anschlag<br />
von Christchurch in Rekordzeit sein Waffengesetz<br />
ändert, wird inden USA jede<br />
Verschärfung von der Waffenlobby verhindert.<br />
Europa und Deutschland liegen<br />
irgendwo dazwischen. Es kommt zwar<br />
immer wieder zu einer Verschärfung der<br />
Waffengesetze, aber es geht meist quälend<br />
langsam voran: Beider letzten Änderung<br />
ging es um höhere Sicherheitsstandards<br />
für Waffenschränke. Für diese Kleinigkeit<br />
hat der Gesetzgeber fast zehn<br />
JahreVorlauf gebraucht!<br />
Dabei gibt es am Zusammenhang von<br />
schärferen Waffengesetzen und einer geringeren<br />
Gefährdung der Bevölkerung<br />
keine Zweifel. Eine aktuelle Studie der<br />
Ludwig-Maximilian-Universität in München<br />
in mehreren europäischen Ländern<br />
zeigt: Je strikter die Bestimmungen in einem<br />
Land sind, desto geringer ist die Zahl<br />
der mit Schusswaffen verübten Morde<br />
und Selbsttötungen.<br />
Mit der geplanten Umsetzung der<br />
neuen EU-Richtlinie zu Waffen werden in<br />
Deutschland wohl einige Sicherheits-Lücken<br />
geschlossen und Amokläufe oderTerroranschläge<br />
mit Schusswaffen zumindest<br />
erschwert. AndereProbleme bleiben: So ist<br />
es ist nicht zu verstehen, warum geheimdienstliche<br />
Hintergrundchecks beim Erwerb<br />
eines Waffenscheins nicht zum Standardgehören.<br />
Oder warum Sportschützen<br />
heute überhaupt noch Waffen benutzen<br />
müssen, mit denen Menschen getötet werden<br />
können. Für den Sportgibt es gute Alternativen.<br />
Bleibt die Frage, obdie Behörden<br />
auch das Darknet ausreichend im<br />
Blick haben, in dem man sich illegal Waffen<br />
besorgen kann.<br />
Brexit Road<br />
Berlin diskutiert indiesen Wochen<br />
leidenschaftlich über die Frage,ob<br />
es zulässig und sinnvoll ist, die<br />
Wohnungen großer Immobilienunternehmen<br />
zu vergesellschaften, wie es<br />
die Initiative„DeutscheWohnen und Co enteignen“<br />
anstrebt. Bemerkenswert dabei ist<br />
zunächst, dass die öffentliche Erregung über<br />
den Vorstoß überschaubar ist. Ja,esgibt den<br />
erwarteten Widerspruch von Vertretern der<br />
Wirtschaft, von Konservativen und Liberalen.<br />
Aber Umfragen zeigen, dass das Spektrum<br />
der Unterstützer bis ins bürgerliche Lager<br />
reicht. Hätte jemand kurz nach der Wiedervereinigung<br />
vorgeschlagen, Immobilienkonzerne<br />
ab einer Größe von 3 000<br />
Wohnungen zu vergesellschaften, wie jetzt<br />
geplant, er wäremilde belächelt worden.<br />
Dass es heute anders ist, sagt eine ganze<br />
Menge über die Entwicklung in Berlin aus.<br />
Diewichtigste Erkenntnis lautet:Viele Mieter<br />
sind überzeugt, dass es besser wäre, die<br />
Macht der privaten Konzerne zu beschränken.<br />
Überraschend ist das nicht. Zeichnet<br />
sich doch die börsennotierte Deutsche Wohnen<br />
durch einen rigiden Mieterhöhungskurs<br />
aus. Etwa dadurch, dass sie immer wieder<br />
den Mietspiegel infrage stellt, um höhere<br />
Mieten durchzusetzen, und die Mieter auf<br />
Zustimmung vor Gericht verklagt. Soziales<br />
Gewissen? Fehlanzeige.Was zählt, sind Aktienkurs<br />
und Rendite. Mieter beklagen schon<br />
lange,dass sie es sind, die enteignet werden.<br />
Monat für Monat. Durchsteigende Mieten.<br />
Es ist das Verdienst der Initiative „Deutsche<br />
Wohnen und Co. enteignen“, dass sie<br />
vorAugen geführthat, wie sehr sich manche<br />
Mieter mittlerweile in die Enge gedrängt fühlen.<br />
Gleichwohl wäreesfalsch, 243 000 Wohnungen<br />
in der Hauptstadt zu vergesellschaften,<br />
um die es geht. Zum einen, weil völlig<br />
Daich ein BVG-Jahres-Abo habe, konnte<br />
ich das verbilligte Fahrticket für Frauen<br />
zum Equal PayDay am Anfang dieser Woche<br />
nicht in Anspruch nehmen. Schade,doch die<br />
Botschaft der BVG, auch wenn sie eher symbolischen<br />
Charakter hatte, war klug. Ich<br />
habe mich für die Frauen freuen können, die<br />
immer noch weniger als ihre männlichen<br />
Kollegen bezahlt bekommen. Laut Statistischem<br />
Bundesamt verdienen Männer in<br />
Berlin ungefähr 21 Prozent mehr als Frauen.<br />
Diemeisten Menschen, die in privilegierten<br />
Positionen sind, sei es aufgrund von Abstammung,<br />
Geschlecht oder körperlichen<br />
Fähigkeiten, sehen weder ihre Privilegien<br />
noch die Umstände, mit denen diese aufrechterhalten<br />
werden. Sichtbar wird das bei<br />
ungleichen Gehältern, aber auch in ganz banalen<br />
Alltagssituationen.<br />
Kürzlich war ich bei einem Basketballspiel<br />
in der Max-Schmeling-Halle,und in der<br />
Halbzeit gab es einen Wurf-Wettbewerb für<br />
Kinder.Dem Gewinner winkten Eintrittskarten<br />
für ein Spiel. Unter den vier teilnehmenden<br />
Kindern waren ein Mädchen und drei<br />
Jungen. Alle Kinder wurden vom Moderator<br />
einzeln vorgestellt und durften jeweils zwei<br />
Körbe vonder Freiwurflinie aus werfen.<br />
Dermännliche Moderator sagte sein „Ladies<br />
first“ auf, und das Mädchen nahm seine<br />
Position ein. Sie fokussierte sich und warf<br />
mit einem gekonnten Bogen den Ball direkt<br />
in den Korb. Die drei Jungen versuchten<br />
ebenfalls zu treffen, doch alle drei verfehlten<br />
den Korb. Inder nächsten Runde warf das<br />
Enteignungsdebatte<br />
Teure<br />
Eskalation<br />
Ulrich Paul<br />
meint, dass nicht nur die Vermieter für die Probleme auf<br />
dem Wohnungsmarkt verantwortlich sind.<br />
unklar ist, wie teuer eine Entschädigung werden<br />
würde.Sicher ist nur,eswürde sehr teuer<br />
werden –obesnun 7,3 bis 13,7 Milliarden<br />
Euro werden, wie die Initiative meint, oder<br />
ob es 28,8 bis 36 Milliarden Euro werden, wie<br />
aus der amtlichen Kostenschätzung des Senats<br />
hervorgeht. Viel wichtiger aber ist, dass<br />
eine Zwangsmaßnahme wie eine Sozialisierung<br />
zur weiteren Verschärfung in einer ohnehin<br />
schon angespannten Situation beitragen<br />
würde.Daran kann die Stadt nicht interessiert<br />
sein. Um eine Eskalation abzuwenden,<br />
bedarfesfreilich einer klaren Geste der<br />
Vermieter. Die Abwehr-Haltung, mit der die<br />
Wohnungswirtschaft auf das Volksbegehren<br />
zur Sozialisierung reagiert, zeigt, dass sie<br />
noch nicht verstanden hat, wo das Problem<br />
KOLUMNE<br />
Zwei Treffer<br />
und ein einfältiger<br />
Moderator<br />
Rose-Anne Clermont<br />
Autorin<br />
Mädchen mit Leichtigkeit einen weiteren<br />
Korb.Alle Jungen verfehlten das Ziel wieder.<br />
Der Moderator war sichtlich erstaunt<br />
und stellte die Jungen mit dem Kommentar<br />
bloß, dass sie sich von einem Mädchen<br />
hatten besiegen lassen. An dieser Stelle<br />
wäre der Wettbewerb eigentlich vorbei gewesen,<br />
und der Moderator hätte der eindeutigen<br />
Siegerin die Eintrittskarten überreichen<br />
können. Stattdessen fragte er aber<br />
BERLINER ZEITUNG/THOMAS PLASSMANN<br />
sitzt –und welchen Anteil ihreUnternehmen<br />
daran haben. Es muss nicht jede Bestandsmiete<br />
regelmäßig steigen, nur weil es der<br />
Mietspiegel hergibt. Undbei der Neuvermietung<br />
muss nicht immer der höchstmögliche<br />
Preis erzielt werden. Die Genossenschaften<br />
machen vor, dass es auch anders geht. Leben<br />
und leben lassen, Verständnis und Respekt<br />
vor Leistung und Leistungsfähigkeit des jeweils<br />
anderen –das hat die soziale Marktwirtschaft<br />
der Bundesrepublik über Jahrzehnte<br />
ausgezeichnet.Wersich davon verabschiedet,<br />
wer Mieter in Existenzangst versetzt,<br />
um seinen Aktionären zum üppigen<br />
Gewinn noch einen Bonus draufzulegen,<br />
darfsich über Unmut nicht wundern.<br />
DieVerantwortung für die Misere auf dem<br />
Wohnungsmarkt liegt aber keineswegs allein<br />
auf Vermieter-Seite. Begünstigt wurde deren<br />
Geschäft von der Politik, die nach der Wiedervereinigung<br />
die Privatisierung vonWohnungen<br />
aus öffentlichem Besitz vorantrieb<br />
und sich zugleich aus dem sozialen Wohnungsbau<br />
zurückzog. Daswar ein Fehler,der<br />
durch lasche Mietgesetze sogar noch verschärft<br />
wurde.Noch richtetsichder Zorn der<br />
Bürger vor allem gegen die Vermieter. Doch<br />
das könnte sich ändern, wenn es der Politik<br />
nicht gelingt gegenzusteuern. Das geht nur<br />
mit einem Mix aus verschiedenen Maßnahmen.<br />
Es hilft nicht, lediglich bauen, bauen,<br />
bauen zu rufen. Denn es kommt darauf an,<br />
vor allem preiswerte Wohnungen zu errichten.<br />
Das Ziel, den Anteil der Wohnungen in<br />
städtischer Hand zu erhöhen, ist richtig. Hier<br />
kann es nicht schaden, wenn sich Berlin an<br />
Wien mit seinem hohen Anteil städtischer<br />
Wohnungen orientiert. Dortsteigen die Mieten<br />
moderat. Gerade erst landete Wien auf<br />
der Liste der lebenswertesten Städte derWelt<br />
auf Platz eins.Zum zweiten Mal.<br />
das Publikum: „Sollen wir den Jungen noch<br />
eine Chance geben?“<br />
DasPublikum antwortete mit einem lautstarken<br />
„Nein“, so musste er sich schließlich<br />
dem öffentlichen Willen beugen und das<br />
Mädchen zur Siegerin erklären. Er bat das<br />
Mädchen dennoch um einen letzten Wurf,<br />
obwohl der Wettbewerb bereits beendet war.<br />
DasMädchen zögerte und spürte die Enttäuschung<br />
des Moderators, vielleicht war<br />
auch der Druck zugroß, obwohl sie ihre Fähigkeiten<br />
ja bereits zweimal unter Beweis gestellt<br />
hatte. Sie warf also ein drittes Mal und<br />
der Ball ging daneben. DieKarten erhielt sie,<br />
ohne weiteren feierlichen Übergabeakt, einfach<br />
nur am Spielfeldrand.<br />
Frauen werden nicht nur schlechter bezahlt,<br />
sondern auch nach wie vor geringer<br />
eingeschätzt. Da gilt ein Treffer in den Basketballkorb<br />
eben als Glück und nicht als<br />
Können. Und vielleicht waren die männlichen<br />
Gegner ja gerade nicht hundertprozentig<br />
fit ... Frauen sind zahlenmäßig gesehen in<br />
der Mehrheit,werdenjedoch als Minderheit<br />
behandelt. So bedeutet eine Frau zu sein immer<br />
noch, die gefühlte Mehrheit davonüberzeugen<br />
zu müssen, dass man genauso gut ist<br />
wie der selbstverständliche und bevorzugte<br />
Standard: weiße Männer.<br />
DasMädchen in der Basketballhalle wirkte<br />
bei den Würfen sehr konzentriert, die Reaktion<br />
des Moderators aber verunsicherte sie.Es<br />
wirdhoffentlich noch andereErwachsene geben,<br />
die ihr vermitteln, dass man sich für<br />
seine Siege nicht entschuldigen muss.<br />
„Dass wir überhaupt<br />
ein Referendum<br />
hatten, natürlich.“<br />
George Osborne,<br />
früherer Schatzkanzler<br />
in der Regierung von David Cameron,<br />
antwortet im Stern-Interview<br />
auf die Frage, was der größte<br />
Fehler der britischen Regierung in Bezug<br />
auf den Brexit war.<br />
AUSLESE<br />
Der Kompromiss<br />
um Orban<br />
Wie umgehen mit den Rechtspopulisten<br />
in den eigenen Reihen? DieEuropäische<br />
Volkspartei (EVP) hat sich entschlossen,<br />
die Mitgliedschaft der ungarischen<br />
Fidesz-Partei in der großen Fraktion<br />
im EU-Parlament erst einmal auf Eiszulegen.<br />
DiePariser <strong>Zeitung</strong> Le Monde kritisiert<br />
das: „Lange hat Manfred Weber gegenüber<br />
Viktor Orban gezaudert“, kommentiertdas<br />
Blatt.„Der Fraktionschef der Europäischen<br />
Volkspartei hat es vorgezogen, den Kopf<br />
einzuziehen. Dabei wurde die Diskrepanz<br />
des ungarischen Ministerpräsidenten und<br />
seiner Fidesz-Partei zu den Regeln der Demokratie<br />
immer größer.“ Die liberale<br />
schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter<br />
ist dagegen mit der Entscheidung erst mal<br />
zufrieden, sie komme aber „mehrereJahre<br />
zu spät“, heißt es.„Noch wichtiger ist es jedoch,<br />
dass die demokratische Rechte in<br />
Europa nun nicht mehr so tun muss,als ob<br />
Politiker vom Schlage Orbans gezähmt<br />
werden könnten.“<br />
Der Zürcher Tages-Anzeiger argumentiert<br />
ähnlich: „Die Mitgliedschaft von Orbans<br />
Regierungspartei Fidesz vorerst zu<br />
suspendieren, ist ein recht schlauer Kompromiss“,<br />
meint das Schweizer Blatt.<br />
„Viktor Orban bleibt eingebunden und<br />
unter Beobachtung. Das ist klug, weil in<br />
Europa inzwischen fast jedes Land seinen<br />
Orban hat.“ Für das Handelsblatt ist der<br />
Konflikt noch nicht gelöst. Im Gegenteil:<br />
„Für den EVP-Spitzenkandidaten ManfredWeber<br />
droht der Streit mitOrban zum<br />
Debakel zu werden.“ Christine Dankbar<br />
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