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Berliner Zeitung 01.04.2019

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22 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 76 · M ontag, 1. April 2019<br />

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Feuilleton<br />

Der Roman ist nicht tot<br />

Und auch der Autor lebt. Zum 90. Geburtstag des mitteleuropäischen Schriftstellers Milan Kundera<br />

VonArnoWidmann<br />

Wir Leser sind untreue<br />

Gesellen. Lange Jahre<br />

mögen wir dem Autor<br />

folgen, in den Buchhandlungen<br />

Ausschau halten nach<br />

seinen Büchern. Aber mit einem Mal<br />

oder auch schleichend schieben sich<br />

andere Autoren vor die einst geliebten.<br />

Wir sind auf der Suche nach<br />

neuen Sensationen. Neue Schauplätze,<br />

neue Geschichten aus unbekannten<br />

Weltgegenden. Manchmal<br />

verabschieden wir uns auch von der<br />

Schönheit der langen Perioden und<br />

wechseln hinüber ins Lager der Liebhaber<br />

der kurzen Sätze. Oder wir<br />

wenden uns nach der jugendlichen<br />

Vorliebe fürs Stakkato der erinnerungsschweren<br />

Kunst der Elegien zu.<br />

Distanz zum Frühwerk<br />

Milan Kundera wurde heute vor<br />

neunzig Jahren in Brünn geboren.<br />

1975 erhielt er eine Dozentur in Rennes.<br />

Die tschechoslowakische Regierung<br />

hinderte ihn nicht daran, sie anzunehmen.<br />

1978 zog Kundera nach<br />

Parisund lehrte an der École des Hautes<br />

Études en Sciences Sociales. Im<br />

selben Jahr erschien sein Roman„Das<br />

Buch vomLachen und Vergessen“. Er<br />

trug ihm den Entzug der tschechoslowakischen<br />

Staatsbürgerschaft ein.<br />

1981 erhielt er die französische<br />

Staatsbürgerschaft. Seit 1993 schreibt<br />

Kunderaauf Französisch.<br />

Kunderawurde nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg Mitglied der Kommunistischen<br />

Partei, 1950 wurde er schon<br />

wieder ausgeschlossen, 1967 wieder<br />

aufgenommen und 1970, er war einer<br />

der Protagonisten des Prager Frühlings<br />

gewesen, verabschiedete sich<br />

die Partei endgültig vonihm.<br />

Seine Arbeiten aus den Fünfzigerund<br />

frühen Sechzigerjahren lässt er<br />

nicht wieder veröffentlichen. Man<br />

wirft ihm darum manchmal vor, er<br />

wolle etwas verbergen. Man sollte<br />

aber nicht vergessen: Nicht jeder ist<br />

Autor vonAnfang an. Manche kämpfen<br />

sich mühsam durch tausend Anpassungen<br />

und Imitationen hindurch,<br />

bis sie zu sich selbst gefunden<br />

haben. Sie mögen das alte Ich nicht,<br />

das noch nicht ihres war. Sie sind<br />

froh, die Schlacken abgeworfen zu<br />

haben. Es ist ja schlimm genug, dass<br />

man veröffentlicht, dass also jedermann<br />

sehen kann, werman vordreißig,<br />

vierzig Jahren war und wer man<br />

heute ist. Es gehört ein großer Narzissmus<br />

dazu, das zu ertragen.<br />

Kundera habe, soglaubt ein Historiker<br />

belegen zu können, 1950 einen<br />

22-jährigen antikommunistischen<br />

Aktivisten bei der Polizei angezeigt.<br />

Der junge Mann habe dar-<br />

Leser,die ihm untreu wurden, sollten wieder zu seinen Bücherngreifen: Milan Kundera.<br />

aufhin 14 Jahre in einem<br />

Uranbergwerkarbeiten müssen. Das<br />

Dokument trug nicht die Unterschrift<br />

Kunderas. Kundera erklärte,<br />

mit dem ihm völlig unbekannten<br />

Vorgang nichts zu tun gehabt zu haben.<br />

Wir wissen nicht, was stimmt.<br />

DasDokument sei echt, heißt es.Das<br />

sagt nur, dass es ein Dokument des<br />

tschechoslowakischen Geheimdienstes<br />

ist. Über die Richtigkeit der<br />

in ihm behaupteten Tatbestände ist<br />

damit noch gar nichts gesagt.<br />

Mit Milan Kundera sind wir im<br />

Mitteleuropa des Kalten Krieges. Im<br />

Aufbruch, der für viele seiner Generation<br />

der Kommunismus war, und<br />

im zweiten Aufbruch, der der Abschied<br />

vonihm war.Der oft zunächst<br />

keiner war, sondern die Idee eines<br />

besseren, eines wirklichen Kommunismus,<br />

eines mit einem menschlichen<br />

Gesicht. Vielleicht ist das Buch<br />

schon geschrieben, das die langen<br />

Umwege beschreibt, die immer neue<br />

Generationen von„Renegaten“ hervorbrachten.<br />

Es war der Kundera,<br />

der von den Hoffnungen erzählte,<br />

von ihrem Scheitern auch, der den<br />

Bildern von Panzern, die in Menschen<br />

hineinfuhren, den Titel gab<br />

vonder „Unerträglichen Leichtigkeit<br />

des Seins“, der Meister eines aufgeklärten,<br />

aber süßen Schmerzes.<br />

Das Stichwort ist schon gefallen:<br />

Mitteleuropa. Das Wort erinnerte<br />

daran, dass die Grenze zwischen Ost<br />

und West nicht die Oder war. Was<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg Osteuropa<br />

genannt wurde, weil es der Sowjetunion<br />

unterstellt worden war,<br />

war in Wahrheit Mitteleuropa. Es<br />

hatte kulturell Jahrhunderte lang näher<br />

an Paris als an Moskau gelegen.<br />

Kundera erinnerte uns in seinen Romanen<br />

und Essays fortwährend<br />

daran. Er war nicht der Einzige.Nicht<br />

in der Tschechoslowakei, nicht in den<br />

anderen Ländern: In Ungarn gab es<br />

etwa György Konrád, der am 2. April<br />

85 Jahre alt werden wird, in Polen<br />

Andrzej Szczypiorski. Mitteleuropa<br />

meldete sich in den Jahren nach 1968<br />

mit einem Selbstbewusstsein zu<br />

Wort, das viele im Westen überraschte.<br />

Ästhetisch sagte Mitteleuropa<br />

der westeuropäischen Avantgarde:<br />

DerAutor lebt. DerRoman ist<br />

nicht tot. Derneue Mensch, vondem<br />

„Romanciers,<br />

die intelligenter sind als ihre Werke,<br />

sollten den Beruf wechseln.“<br />

Milan Kundera in „Die Kunst des Romans“<br />

die Sozialisten geträumt, den die<br />

Kommunisten zu erschaffen unternommen<br />

hatten, war nirgends erschienen.<br />

Der homo sovieticus war<br />

unübersehbar ein Schwundstadium<br />

des homo sapiens. Die altmodische,<br />

in Kursbüchern gerade mal wieder<br />

für tot erklärte Figur des allwissen-<br />

CATHERINE HELIE /LAIF<br />

den Erzählers, der Autor, der uns in<br />

wieder weit ausgreifenden Romanen<br />

die ganze unübersichtliche Vertracktheit<br />

von Weltenlauf und<br />

menschlicher Existenz vor Augen<br />

führt, statt uns zu sagen, wo es langgeht,<br />

war mit einem Mal wieder da<br />

und feierte Erfolge über Erfolge.<br />

In seinem Gespräch mit Philip<br />

Roth erklärte Kundera, wie viel er<br />

den Romanen vonDiderot und Laurence<br />

Sterne verdankte.„Ihre Experimente“,<br />

sagte er, „waren erfüllt von<br />

Glück und Freude.“ Auf den Akkord<br />

vonExperiment und Glück sprangen<br />

die 68er jeden Alters an. Es gab die<br />

Lust aufs Experiment, eine Sehnsucht<br />

nach dem Unbekannten. Man<br />

kann das heute, dasoviele sich zu<br />

sehnen scheinen nach dem, das sie<br />

kennen, nicht dick genug unterstreichen:<br />

dasVerlangen nach dem Fremden,<br />

dem Neuen.<br />

Das Neue ist nicht, was als News<br />

über die Bildschirme flimmert. Das<br />

Neue ist das,das der Autor entdeckt,<br />

wenn er nicht mehr schreibt, was er<br />

zu schreiben vorhatte, sondern<br />

wenn er dem Gang des Romans folgt.<br />

Der Autor ist wieder da, aber gerade<br />

nicht als der Herr seines Stoffes,sondern<br />

als der, der ihm zu folgen versteht.<br />

„Romanciers“, schreibt Milan<br />

Kunderain„DieKunst des Romans“,<br />

„die intelligenter sind als ihreWerke,<br />

sollten den Berufwechseln.“<br />

Das war die Botschaft, die die<br />

mitteleuropäischen Autoren in den<br />

Sechziger- und Siebzigerjahren für<br />

ihre Leser hatten. Es war die Erfahrung,<br />

dass die gesellschaftliche Produktion<br />

von Reichtum nicht von<br />

Plankommissionen zu bewältigen<br />

ist, dass sie nicht den Gesetzen des<br />

sogenannten demokratischen Zentralismus<br />

folgt. Dass sie auch nicht<br />

abhängt von Auflagenhöhen und<br />

Einschaltquoten. Sie muss von Individuen<br />

getan werden.<br />

Erfahrungen können nur dann<br />

zum gesellschaftlichen Reichtum<br />

werden, wenn sie als die Einzelner,<br />

ganz subjektiv, formuliert werden.<br />

Menschliche Gesellschaft ist die von<br />

Individuen. Wo die gekappt werden,<br />

da wird die Gesellschaft zerstört. Wo<br />

ein Paradies errichtet wird, da steht<br />

immer auch ein Archipel Gulag daneben.<br />

Für die nämlich, die nicht hineinpassen<br />

ins zu schaffende Paradies.Mit<br />

der Zeit wächst der Archipel<br />

Gulag und das Paradies verschwindet<br />

von der Landkarte. Die glücklichen<br />

Momente der Menschheit sind<br />

die, in denen Paradies und Gulag<br />

weit weggerückt, aber zu nahe sind,<br />

als dass jemand den Wunsch haben<br />

könnte sie zu errichten.<br />

Milan Kundera wird heute neunzig<br />

Jahrealt. DieKonstellationen, aus<br />

denen heraus er zum Schreiben<br />

kam, sind seit langem verschwunden.<br />

Seine untreuen Leser haben<br />

sich anderen Autoren zugewendet.<br />

Dabei täte es ihnen gut, wieder einmal<br />

„Die unerträgliche Leichtigkeit<br />

des Seins“ oder auch den schon<br />

sechs Jahrezuvor geschriebenen Roman<br />

„Das Buch vom Lachen und<br />

Vergessen“ zu lesen. Sie würden erkennen:<br />

DerRoman lebt.<br />

Verloren im Spätwerk<br />

Danach veröffentlichte Milan Kundera<br />

die großen Romane, die von<br />

den Schwierigkeiten der Liebe handeln<br />

in unserer westlichen Welt. Zuletzt<br />

erschien vonihm im Jahre2014<br />

„Das Fest der Bedeutungslosigkeit“.<br />

Er feiertdarin seine lang vergangene<br />

Geburtund seinen näher rückenden<br />

Tod. Mit diesem Buch habe er, so<br />

schrieb damals ein deutscher Kritiker,sein<br />

Talent überlebt.<br />

Kundera, der sein Frühwerk verwarf,<br />

weil er noch nicht zu sich gefunden<br />

hatte, hat sich womöglich<br />

am Ende auch wieder verloren. Wie<br />

wir alle das tun. Das gehört zum<br />

Menschsein dazu. Daran erinnert er<br />

uns,seine untreuen Leser.<br />

Wellness-, Kur- und Erholungsreisen<br />

an die polnische Ostseeküste<br />

LESERREISEN<br />

INFORMATIONEN UND BUCHUNG<br />

0800 –228 42 66<br />

Kennwort: <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

Swinemünde<br />

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aus: 1x Hydrojet-Massage (ca. 10 Min.) / 1x Gesichtsmassage<br />

(ca. 15 Min.) /1xMassage mit Aromakerzen (ca. 20 Min.) ·Freie Nutzung<br />

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im Hotel · Möglichkeit zur Buchung von Ausflügen vor Ort<br />

Zusätzliche Kosten p. P.: ·EZ-Zuschlag: ab €48,–/3Nächte<br />

Kolberg<br />

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Eingangsgespräch ·20Kur-Anwendungen pro Aufenthalt (2x pro Werktag)<br />

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Hotel ·Freie Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen ·Örtliche, deutschsprachige<br />

Reiseleitung mit regelmäßigen Sprechstunden im Hotel ·24-<br />

Stunden-Notruftelefon ·Möglichkeit zur Buchung von Ausflügen vor Ort<br />

Zusätzliche Kosten p. P.: ·EZ-Zuschlag: ab €168,– /14Nächte<br />

Mehr Informationen unter www.berliner-zeitung.de/leserreisen |leserreisen@berliner-zeitung.de<br />

Detaillierte Informationen zur Reise und rechtliche Hinweise erhalten Sie vor Buchung vom Reiseveranstalter.<br />

Reiseveranstalter (i. S. d. G.): Vital Tours GmbH, Pettenkoferstr. 43, 10247 Berlin

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