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Berliner Zeitung 01.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 76 · M ontag, 1. April 2019 3<br />

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Seite 3<br />

Aneinem kalten Montagnachmittag<br />

tritt Werner Patzelt ans Fenster.<br />

Über Denkmuster und Funktionsketten<br />

hat er gerade gesprochen,<br />

mit schnellen Sätzen in einem kahlen Raum<br />

mit Blick auf einen Parkplatz. Er hat dazu<br />

Grafiken mit Pfeilen und viel bunter Schrift<br />

an eineWand geworfen. Aber jetzt sind draußen<br />

Menschen in grünen Jacken aufmarschiert,<br />

sie blasen in Trompeten und schlagen<br />

auf Trommeln. Eine Frau mit Tambourstab<br />

gibt den Takt vor.<br />

Patzelt öffnet das Fenster und strahlt.<br />

Hinter ihm liegt seine letzte Vorlesung als<br />

Politikprofessor an der Technischen Universität<br />

Dresden, etwa 20 Studenten haben<br />

ihm zugehört. Einige andere haben den<br />

Fanfarenzug organisiert. Patzelt wird also<br />

an diesem Tagmit Pauken und Trompeten<br />

in den Ruhestand verabschiedet. Wenn er<br />

nicht immer so ironisch wäre, dann hätte er<br />

jetzt gerötete Augen, sagt Patzelt. Er wirkt<br />

wirklich gerührt.<br />

Da geht also ein Professor in Pension.<br />

Unddoch sind diese Tage für Werner Patzelt<br />

auch ein Start. Noch am selben Abend steht<br />

der Professor ein paar Kilometer weiter auf<br />

einem Podium, immer noch in weißem<br />

Hemd, Jackett und Jeans, und stimmt sich<br />

auf seine neue Aufgabe ein. Die sächsische<br />

CDU hat zu einer „Ideenwerkstatt“ geladen<br />

für ihrWahlprogramm. Patzelt, der nun emeritierte<br />

Professor,soll es schreiben.<br />

Goebbels-Konterfei auf der Website<br />

In Sachsen wird imSeptember gewählt. Es<br />

ist eine Landtagswahl mit hoher Symbolkraft,<br />

eine Wahl, die die politische Landschaft<br />

in Deutschland verändern kann.<br />

Wenn die AfD stärkste Partei würde. Oder<br />

wenn die CDU sich entschließt, mit der AfD<br />

zu kooperieren, falls sonst nur noch ein Allparteienbündnis<br />

gegen die AfD möglich<br />

wäre. Die AfD ist in Sachsen besonders<br />

stark, sie hat dort bei der Bundestagswahl<br />

2017 sogar ein paar Direktmandate gewonnen.<br />

In den Umfragen liegt sie derzeit auf<br />

Platz zwei hinter der CDU.<br />

Es gibt dem Vernehmen nach eine Handvoll<br />

Mitglieder der derzeit noch 59-köpfigen<br />

Landtagsfraktion, die Koalitionen mit der<br />

AfD für denkbar hält, ebenso die Bundestagsabgeordnete<br />

Veronika Bellmann. Doch<br />

die Bundespartei hat das abgelehnt, es gibt<br />

dazu einen Beschluss des Parteitags. Und<br />

nun haben die Sachsen Patzelt geholt.<br />

DerProfessor ist ein streitbarer Kopf. Er ist<br />

auf AfD-Veranstaltungen aufgetreten, er hat<br />

für die Partei deren Wahlprogramm analysiert<br />

und andere Gutachten geschrieben.<br />

Seine Gegner kritisieren, er verharmlose die<br />

Pegida-Demonstrationen und überhaupt<br />

die Rechten. Der Sachsen-CDU hat Patzelt<br />

Trägheit und Saturiertheit vorgeworfen –<br />

und ihr im vergangenen Sommer empfohlen,<br />

über eine Zusammenarbeit mit der AfD<br />

nachzudenken.<br />

Verschiebt sich da etwas? Ist der Politologe<br />

Patzelt der Mann, der die CDU erst in<br />

Sachsen und dann vielleicht auch bundesweit<br />

auf einen neuen Kurs drängt?<br />

Keineswegs, sagt CDU-Landeschef Michael<br />

Kretschmer in seinem großen Büro in<br />

der Staatskanzlei an der Elbe. Weißer Teppich<br />

liegt auf dem Fußboden, in einer Ecke<br />

klackertein winziger Bergmann in einem geschnitzten<br />

Bergwerk mit einem Hammer.<br />

Kretschmer hat 2017 seinen Bundestags-<br />

Wahlkreis an die AfD verloren. Der 43-Jährige<br />

ist seit einem guten Jahr Ministerpräsident,<br />

er würde es gerne bleiben. „Mit diesen<br />

Leuten haben wir nichts gemeinsam“, sagt er<br />

zum Thema AfD.<br />

Sein Landesverband galt in der CDU<br />

lange als Problemfall, als zu wenig entschieden<br />

gegen Rechtsextremismus. Kretschmer<br />

war da sächsischer CDU-Generalsekretär.<br />

Jetzt ist der Kampf gegen Rechtsextremismus<br />

Teil seiner Reden. Underhofft, dass Patzelt<br />

Wähler vonder AfD für die CDU zurückgewinnt.<br />

Patzelt sei „eine Institution in Sachsen“,<br />

sagt Kretschmer.Der 65-Jährige sei ein<br />

überzeugter Demokrat und ein „konservativesGewissen“<br />

der CDU obendrein.<br />

Das konservative Gewissen –das ist das<br />

Stichwort, das die CDU seit Jahren so quält.<br />

Die einen, für die Angela Merkel meist zum<br />

Feindbild geworden ist, beklagen seinenVerlust.<br />

Die anderen halten dagegen, dass Konservatismus<br />

heute halt moderner definiert<br />

werde und dass weder Wehrpflicht noch<br />

Atomkraft, von denen sich die Union unter<br />

Merkel verabschiedet hat, per se konservativeStichworte<br />

seien.<br />

Kretschmers konservatives Gewissen<br />

Patzelt ist gerade der ultrakonservativen<br />

Werteunion beigetreten, der Vereinigung in<br />

der CDU, die Merkels Öffnungskurs mit am<br />

vehementesten und aggressivsten bekämpft.<br />

Bei denen ist er vorher auch schon mal<br />

aufgetreten, im vergangenen Sommer zum<br />

Beispiel. „Die Konservativen sollten nach intellektueller<br />

Hegemonie streben“, hat er dort<br />

Der Professor<br />

Werner Patzelt, 65, stammt aus Passau.<br />

und die AfD<br />

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt gibt in Talkshows<br />

gern den Pegida-Versteher und beriet einst die AfD. Nun soll er das<br />

Wahlprogramm der sächsischen CDU schreiben –und damit AfD-Wähler<br />

zurück zur Union locken. Ein riskantes Spiel<br />

empfohlen. Aufgabe der CDU sei es,das politische<br />

Spektrum „bis zum rechten Narrensaum“<br />

abzudecken. Er hat davor gewarnt,<br />

sich nur am Stammtischgerede zu orientieren<br />

und sich als Scharfmacher, als „Wadenbeißer“<br />

zu profilieren.<br />

Dabei formuliert erselbst gerne deutlich.<br />

Durch seine Sätze purzeln Sprachbilder und<br />

umgangssprachliche Wendungen. Er drängelt,<br />

er betont und leitet her,erhat den Rhythmus<br />

eines Geschichtenerzählers. Esist eine<br />

Sprache voll Absolutheit und Ausrufezeichen,<br />

seine Sätzelassen keine Zweifel zu. Unddurch<br />

all das rollt das niederbayerische R.<br />

„Ich fühle mich am wohlsten, wenn irgendwo<br />

eine große Menge auf mich wartet,<br />

ich dann zu dieser Menge spreche, die sich<br />

darüber merklich freut und mich am Ende<br />

lobt“, sagt Patzelt und schmunzelt seine Eitelkeit<br />

fort.<br />

VonDaniela Vates, Dresden<br />

„Ich fühle mich am<br />

wohlsten, wenn<br />

irgendwo eine große<br />

Menge auf mich wartet,<br />

ich dann zu dieser<br />

Menge spreche, die sich<br />

darüber merklich freut<br />

und mich am Ende lobt.“<br />

Werner Patzelt<br />

IMAGO STOCK&PEOPLE<br />

Er wäregerne noch an der Universität geblieben.<br />

Aber die hat ihm eine Seniorprofessur<br />

nach seiner Pensionierung verweigert.<br />

Ein öffentlich zu rabiat geführter Streit mit<br />

der Universitätsleitung um eine Institutsgründung<br />

wird angeführt. Der zweite Vorwurf<br />

ist: Patzelt vermische seine politische<br />

und seine wissenschaftliche Rolle. Patzelt<br />

habe seinen Blog voller politischer Meinungsäußerungen<br />

unter der Adresse der<br />

Universität betrieben. Unddann ist da noch<br />

die Sache mit Joseph Goebbels,dem NS-Propagandaminister.Dessen<br />

Konterfei erschien<br />

vergangenen Sommer auf einer Internetseite,<br />

auf der Patzelt seine Aufforderung an<br />

Angela Merkel veröffentlichte, Belege zu liefern<br />

für ihre Bewertung der zum Teil von<br />

Rechtsextremen gekaperten Demonstrationen<br />

in Chemnitz. Patzelt weist alle Kritik zurück:<br />

Neid, Fehleinschätzungen, Dreistigkeit,<br />

Bösartigkeit und üble Eskalation –all<br />

diese Vokabeln passen in einen Satz. „Ein<br />

Diffamierungsspiel der Fakultät“, folgt noch<br />

hinterher. Kretschmer wird vermutlich gut<br />

daran tun, sich nicht mit Patzelt zu überwerfen.<br />

Der sagt von sich, er vermische nichts,<br />

sondernsei immer nur Beobachter gewesen.<br />

„Mein zentrales Anliegen ist, dass unsere<br />

pluralistische Demokratie möglichst gut<br />

funktioniert“, sagt er. Und dazu müsse man<br />

eben mit allen reden, so habe er es mit Pegida<br />

gehalten und mit der AfD.<br />

Er habe einen „ungetrübten Tatsachenblick“<br />

und wäge seine Worte. „Aber ich weiß<br />

auch, dass ich zuspitzen muss, weil es sonst<br />

am Hörer vorbeiplätschert.“<br />

„Er geht bewusst an Grenzen und nimmt<br />

Missverständnisse in Kauf“, sagt ein anderer<br />

Professor über den Kollegen. Der „rechte<br />

Narrensaum“, vielleicht ist er das.<br />

Die Gesellschaft sei von linken Alt-68ern<br />

dominiert, die die Rechten zum Schweigen<br />

gebracht hätten, schreibt Patzelt zum Beispiel<br />

Anfang 2015 in einem FAZ-Artikel zu<br />

Pegida. Er spricht darin auch von„Kommunikationshygiene“<br />

und dem „Magma unrepräsentiertenVolksempfindens“,<br />

von„tektonischen<br />

Geschiebekräften, die der Wandel<br />

des Landes zu einer multikulturellen Gesellschaft“<br />

auslöse.„Unterdrücken wirdsich solcher<br />

Vulkanismus auf Dauer nicht lassen“,<br />

stellt Patzelt fest. Die Anti-Pegida-Demonstranten<br />

bezeichnete er in seinem Blog als<br />

„Akademiker-Einheitsfront“. Es sind Formulierungen,<br />

die an Naturgewalten erinnern<br />

oder an Diktaturen und damit Abwehrreflexe<br />

auslösen.<br />

Er habe keine politische Agenda, beteuert<br />

Patzelt beim Gespräch in seinem Büro.<br />

Nach der Wahl Kramp-Karrenbauers zur<br />

CDU-Chefin hat Patzelt auf seinem Blog festgestellt,<br />

diese sei die Kandidatin der Journalisten,<br />

vonSPD und Grünen.„Muss man jetzt<br />

schon die Hoffnung aufgeben?“, fragte er,gar<br />

nicht so sachlich-analytisch.<br />

Der AfD hat er in seiner Analyse im Auftrag<br />

der Partei ihr Wahlprogramm absätzeweise<br />

um die Ohren gehauen: „Überschussrhetorik“<br />

und„Mangel an rationalem Durchdringen<br />

des zu bewältigenden Problems“,<br />

kritisierte er. Ananderer Stelle bemerkte er<br />

einen „sich nicht selten aggressiv anfühlenden<br />

Unterton“. Lob gab es dagegen für die<br />

Kritik am Familiennachzug vonFlüchtlingen<br />

und die Forderung nach einem Familiensplitting<br />

im Steuerrecht. Aber ein extra<br />

Stimmrecht für Erziehungsberechtigte hätte<br />

die AfD nach Patzelts Auffassung schon auch<br />

noch aufnehmen müssen in ihr Programm.<br />

Er sagt, erhätte auch SPD und Grüne beraten,<br />

wenn die ihn gefragt hätten.<br />

Er findet übrigens wirklich, dass er die Seniorprofessur<br />

hätte kriegen sollen: „Falls jemand<br />

von ausgewiesener Tüchtigkeit trotz<br />

seines Rechts auf Ruhestand weiterhin bereit<br />

ist, seinem Arbeitgeber zu dienen, wäreeseigentlich<br />

normal, ein solches Angebot anzunehmen“,<br />

schreibt er auf seinem Blog.<br />

Aber jetzt schreibt er eben das Wahlprogramm<br />

der Sachsen-CDU. Im Frühsommer<br />

soll es fertig sein. Richtig sei das, findet Patzelt:<br />

„Ich gehöre zuden wenigen CDU-lern,<br />

denen die Rechtennochzuhören.“<br />

Riskant sei das,findet man in der Bundes-<br />

CDU. In der Sachsen-CDU heißt es, Patzelt<br />

schreibe daran ja nicht alleine. Ganz sicher<br />

ist man sich seiner offenbar nicht. „Für uns<br />

ist das ein Experiment“, sagt ein Parteistratege.<br />

Wer weiß, was passiert, wenn Patzelt<br />

wieder irgendwo lospoltert. „Er ist unsere<br />

große Unbekannte im Wahlkampf.“<br />

Alle Optionengeprüft<br />

Im Januar schien sich das erst zu bestätigen.<br />

„Weil jeder Hinweis auf eine mögliche Zusammenarbeit<br />

vonUnion und AfD einen für<br />

die CDU schädlichen Skandal auslösen<br />

würde,müssen alle Andeutungen solcher Art<br />

unterbleiben“, sagte Patzelt dem Cicero,<br />

kurz nachdem seine Mitarbeit bei der CDU<br />

bekannt wurde. Mittlerweile schließt der<br />

Professor eine Zusammenarbeit aus, ganz<br />

treu nach der Parteilinie. Vom Verfassungsschutz<br />

beobachtet, unklar in ihrer Haltung<br />

zur Demokratie, instabil –das gehe einfach<br />

nicht. Überhaupt habe er auch bisher nur<br />

gesagt, man müsse alle Optionen prüfen, so<br />

wie ein Schachspieler vor seinem nächsten<br />

Zug.<br />

Aufdem CDU-Termin am Tagseiner letzten<br />

Universitätsvorlesung hört er sich die<br />

Beiträge der CDU-Mitglieder an. Die klagen<br />

über zu viel Bürokratie und schlechtes Internet.<br />

Patzelt sagt: Nötig sei „die nächste Revolution<br />

zum Aufstieg unseres Sachsenlandes“.<br />

Er spricht allerdings nur über Digitalisierung.<br />

Daniela Vates<br />

ist auch auf die Landtagswahlen in<br />

Brandenburg und Thüringen gespannt.

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