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Berliner Zeitung 20.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 92 · 2 0./21./22. April 2019 11<br />

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Berlin<br />

Mal witzig,mal nachdenklich:<br />

Arno Funkegeht offen mit<br />

seiner Vergangenheit um. DPA<br />

Flucht des Erpressers über die Polizei<br />

lustig machte.„Ich war kein moderner<br />

Robin Hood. Ich war ein<br />

Schwerverbrecher“, gesteht Funke.<br />

Ein Krimineller – wenn auch mit<br />

Fantasie und Raffinesse.<br />

Dagobert ließ sich für die Geldübergaben<br />

immer etwas einfallen.<br />

Mal löste er die Geldtasche, die per<br />

Magnet an einem Zughaftete,mit einer<br />

Fernbedienung von der Bahn –<br />

und erhielt nur Papierschnipsel. Mal<br />

baute er eine Lore, die ihm auf einem<br />

stillgelegten Gleis 1.4 Millionen Mark<br />

heranfahren sollte. Doch die Lore<br />

entgleiste. Mal ordnete er an, man<br />

möge die Geldtasche in einer Streusandkiste<br />

deponieren. Um dann mit<br />

der Tasche im Untergrund zu verschwinden.<br />

Die Polizei hatte nicht<br />

gesehen, dass die Kiste ein Loch<br />

hatte und auf einem Gully stand.<br />

Doch auch diesmal enthielt die Tasche<br />

kein Geld.<br />

Wie aus Laub Hundekot wurde<br />

Etwa 30 Geldübergaben scheiterten –<br />

weil kein Geld im Paket steckte oder<br />

weil Dagobert imStau stand. Selbst<br />

als Polizisten bedrohlich nah waren,<br />

entkam das Phantom immer wieder.<br />

Ein Polizist, der ihn bereits am Arm<br />

gepackt hatte, rutschte auf nassen<br />

Blättern aus. Die Presse machte aus<br />

dem Laub einen Hundehaufen. Berlin<br />

witzelte über die„Hundekotarie“.<br />

Später lauerten Fahnder im Conrad-Markt,<br />

wo Funke mehrfach elektronische<br />

Bauteile für seine Bomben<br />

erworben hatte. Doch Dagobert<br />

wurde misstrauisch, sah durch ein<br />

Fenster die Polizei. Er verschwand<br />

im Lager des Elektronik-Marktes,<br />

riss eine alarmgesicherte Tür auf,<br />

rannte über einen Parkplatz, kletterte<br />

über eine Mauer und winkte –<br />

„wie in einem schlechten Krimi“ –<br />

ein Taxi heran. Doch dann zog sich<br />

die Schlinge zu, bis Dagobert in<br />

Treptowfestgenommen wurde.<br />

Warererleichtert damals? Funke<br />

denkt nach. Nein, sagt er „Ich hätte<br />

lieber das Geld gehabt.“ Vielleicht<br />

wäre erdann mit seiner damaligen<br />

Frau auf die Philippinen gegangen.<br />

Vielleicht, fügt er hinzu, wäre er<br />

dann aber auch schon tot. Undlacht.<br />

Und was machen Dagoberts Verfolger?<br />

Die, die ihm kurz nach der<br />

Festnahme mit gewisser Schadenfreude<br />

in die Untersuchungshaft<br />

schrieben, dass sie in einer Kneipe säßen<br />

und auf sein Wohl tränken. „Du<br />

warst gut, wir waren besser“, hieß es<br />

in dem Brief. Heute ist die Häme auf<br />

beiden Seiten weg, und der einst Gejagte<br />

trifft sich ab und an mit den Jägern,<br />

die Frieden geschlossen haben<br />

mit ihm –Dagobert.<br />

So auch Martin Textor. Erwar damals<br />

Chef der Spezialeinheiten der<br />

<strong>Berliner</strong> Polizei und einer der ranghöchsten<br />

Verfolger Dagoberts. „Wer<br />

ihn kennt, der sieht einen Sympathieträger,<br />

einen witzigen Menschen mit<br />

wirklich guten Humor“, sagt Textor.<br />

Wenn Arno Funke kein Verbrecher<br />

geworden wäre, wer weiß, vielleicht<br />

wären sie heute gute Freunde, mutmaßt<br />

Textor.Funke sei der einzige Ex-<br />

Kriminelle, den er manchmal noch<br />

treffe.„Ichmag ihn jetzt eigentlich.“<br />

Textor ist 74 Jahrealt, 2005 ging er<br />

in Pension. An die Jagd auf Dagobert<br />

kann er sich genau erinnern. „Wir<br />

wussten sehr schnell, dass Dagobert<br />

auch für den KaDeWe-Anschlag<br />

Jahre zuvor verantwortlich war“, erzählt<br />

er. Und hätte Funke sich nach<br />

diesem ersten Bombenattentat mit<br />

der erpressten halben Million zufrieden<br />

gegeben, „dann hätten wir den<br />

nie gekriegt“. Textor nennt die Fahndung<br />

nach Dagobert den zeitintensivsten<br />

Großeinsatz, den er je erlebt<br />

habe. Dagobert habe das Vorgehen<br />

der Polizei sehr sorgfältig beobachtet.<br />

„Er war für uns wie jeder Erpresser<br />

zunächst nur ein Phantom. Für<br />

einen Erpresser wird eserst gefährlich,<br />

wenn es zu einem Kontakt kommen<br />

muss, weil er an das Geld will“,<br />

sagt der einstige Leitende Polizeidirektor.<br />

Deswegen seien Erpresser<br />

fast nie erfolgreich.<br />

Dagobert aber habe diesen „händischen<br />

Kontakt“ stets vermeiden<br />

wollen –durch Fantasie und ausgefallene<br />

Geräte für die Geldübergaben.<br />

„Erhat sich wahrlich einiges einfallen<br />

lassen“, sagt Textor, und es schwingt<br />

Bewunderung mit.<br />

Damals wurde Dagobert von keinem<br />

Polizisten bewundert. Im Gegenteil.<br />

DiePolizei fühlte sich vorgeführt.<br />

Die Jagd nach dem Kaufhauserpresser<br />

bedeutete Überstunden.<br />

Martin Textor erinnertsich noch, wie<br />

er vor einer Geldübergabe die 400<br />

Mann seiner Spezialeinheiten durch<br />

ganz Berlin schickte –umÜbergabeorte<br />

àlaDagobert ausfindig zu machen.<br />

„Sie sind durch Parksund über<br />

Bahnanlagen getigert“, sagt er. 150<br />

solcher Orte seien auf diese Weise<br />

entdeckt und dann bewacht worden.<br />

„Zwei Polizisten standen damals an<br />

der richtigen Stelle“, so Textor. Als<br />

Dagobertohne Geld aufs Fahrrad gehopst<br />

sei, hätten die Beamten versucht,<br />

ihn vom Rad zu schubsen.<br />

„Ein Kollege hatte ihn schon und<br />

rutschte aus.“ DieHundekotarie.<br />

„Als Polizist konnte ich nicht verstehen,<br />

wie offenbar ein großer Teil der Bevölkerung<br />

mit Dagobert mitfieberte.“<br />

Martin Textor, ehemals Chef der Spezialeinheiten der <strong>Berliner</strong> Polizei<br />

BLZ/STICKFORTH<br />

„Ganz Berlin lachte sich damals<br />

schlapp über die angeblich so doofen<br />

Polizisten“, erinnert sich Textor. Klar<br />

habe ihn das geärgert. Er habe die<br />

Fahndung nach Dagobert nie sportlich<br />

genommen. So wie das Gericht,<br />

das Funke im Prozess eine „sportlich<br />

faireHaltung“ bescheinigte.„Als Polizist<br />

konnte ich nie verstehen, wie of-<br />

fenbar ein großer Teil der Bevölkerung<br />

mit Dagobertmitfieberte.Dabei<br />

hatte er uns nicht am Nasenring<br />

durch die Manege gezogen, wie immer<br />

behauptet wurde. Er war nur<br />

sehr vorsichtig.“<br />

Und höflich, wie Textor heute<br />

weiß. „Dagobert entschuldigte sich<br />

telefonisch, wenn er mal nicht pünktlich<br />

zu einer Geldübergabe erscheinen<br />

konnte“, erzählt der einstige Ermittler.<br />

Damals allerdings glaubte<br />

Textor,Dagobertwolle die Polizei mit<br />

diesen Anrufen nur „verscheißern“.<br />

„Die Stimmung bei uns war schlecht,<br />

schließlich waren wir die Watschenmänner.<br />

Da gab es durchaus Vorschläge,<br />

in die Geldtasche einen<br />

Sprengsatz zu legen. Ich musste<br />

meine Leute dann daran erinnern,<br />

dass nicht wir die Verbrecher sind.“<br />

Als dann während der Öffnungszeiten<br />

in einem Lift bei Karstadt in Berlin<br />

eine Bombehochging, da wusste Textor:<br />

„Dagobert ist ein Schwerverbrecher.<br />

Ernimmt inKauf, dass Menschen<br />

zu Schaden kommen.“<br />

Textor erinnert sich auch an das<br />

Telefonzellenkonzept, mit dem man<br />

Dagobert auf die Schliche kommen<br />

wollte. Der Erpresser meldete sich<br />

immer aus Telefonzellen, um die<br />

Übergabemodalitäten zu regeln. So<br />

wurden in Berlin 3000 Polizisten für<br />

die Überwachung öffentlicher Telefonapparaten<br />

abgestellt.„Was für ein<br />

Aufwand! Und dann rief Dagobert<br />

aus Potsdaman“,sagt Textor.<br />

Unddoch hatte die Polizei an diesem<br />

TagGlück. Zwei Beamten fiel ein<br />

kleines Auto auf, das aus Potsdam<br />

kam und in dessen Kofferraum ein<br />

Fahrradsteckte.Die Polizisten notierten<br />

das Kennzeichen des Wagens, sie<br />

stießen so auf eine Mietwagenfirma<br />

und auf den Namen Arno Funke. Die<br />

Überprüfung ergab, dass sich Funke<br />

an vielen Tagen, an denen Geldübergaben<br />

geplant waren, ein Auto gemietet<br />

hatte.Funke wurdeobserviert. Bis<br />

zu seinem letzten Anruf aus einer Telefonzelle<br />

in Treptow.<br />

Sekt auf dem Parkplatz<br />

Wasdann geschah, hat Martin Textor<br />

nach eigenen Worten nie wieder erlebt:<br />

„Die Kollegen kamen vom Einsatz<br />

zurück, sie tanzten auf dem<br />

Parkplatz und tranken Sekt.“ Das<br />

zwei Jahre dauernde Katz-und<br />

Maus-Spiel mitDagobertwar vorbei.<br />

Arno Funke hat die Haft nicht wie<br />

eine Strafe, sondern eher wie ein<br />

Kloster erlebt. Die Probleme seien<br />

draußen geblieben, sagt er. Heute ist<br />

er schuldenfrei. Er hat nach der Haft<br />

eine Frau gefunden, die er liebt. Sein<br />

Herz macht ihm Sorgen und seine<br />

Vergesslichkeit. Er wisse nicht, ob<br />

diese noch immer auf die Lösungsmitteldämpfe<br />

zurückzuführen sei.<br />

Dann schiebt er den Gedanken lachend<br />

weg, erzählt vonseinem neuen<br />

Buch,andem er gerade schreibt und<br />

dass er im Herbst seine Karikaturen in<br />

Weimar ausstellen wird.<br />

Er würde gerne wieder Wandern<br />

gehen mit Zelt und schwerem Gepäck,<br />

so wie vorfünf Jahren. Da war er<br />

mit einem Freund unterwegs, einem<br />

Ex-Polizisten. „Ein pensionierter<br />

Schwerverbrecher macht Urlaub mit<br />

einem pensionierten Polizisten.“ Die<br />

Vorstellung gefällt Funke.<br />

Katrin Bischoff sieht, dass aus<br />

einem Kriminellen ein richtig<br />

guter Karikaturist werden kann.<br />

2h<br />

2½h<br />

3½h<br />

2h<br />

3½h<br />

9h<br />

7h<br />

TEGEL/<br />

GREENWICHPROMENADE<br />

SPANDAU/<br />

LINDENUFER<br />

SCHLOßBRÜCKE/<br />

CHARLOTTENBURG<br />

HAVEL<br />

WANNSEE (BHF.)<br />

CITY<br />

FRIEDRICHSTRASSE<br />

DOM<br />

KANZLERAMT/<br />

HAUS DER KULTUREN<br />

DER WELT<br />

4h<br />

NIKOLAIVIERTEL/<br />

HUMBOLDTFORUM<br />

JANNOWITZ-<br />

BRÜCKE<br />

EAST SIDE GALLERY/<br />

OSTBAHNHOF<br />

HAFEN TREPTOW<br />

SPREE<br />

KÖPENICK/<br />

ALTSTADT<br />

3¼h<br />

5h<br />

1½h<br />

8½h<br />

5h<br />

1h 2½h 3½h<br />

3½h<br />

7h<br />

7½h<br />

6h<br />

2½h<br />

7½h<br />

8½h

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